Wieviel Jugendschutz braucht die Jugend? Prof. Dr. Wolfgang Heckmann Hochschule Magdeburg-Stendal MISTEL wolfgang.heckmann@sgw.hs-magdeburg.de
Diskurs in Schlagworten: Aktuelle Aufgaben im LS-A Jugend und Drogen im LS-A Entwicklungs-Aufgaben Funktionale Äquivalente Protektive Faktoren Resilienz-Förderung
Vorbemerkungen seit mehr als 30 Jahren wird das Sucht-Problem immer jünger MODRUS bietet harte Daten zur Sache LS-A erstes Land, das Jugendschutz bzgl. Alkohol/Drogen ernst nimmt? (Bund? - Koalitions-Vereinbarung?) Koop. von Jug/Ges und Ordnung: nicht einseitig! Koop. von Jugendschutz und Alkohol-Industrie: einseitig! (Förderung Alkohol-freier Kultur, Punktnüchternheit)
Jugend und Drogen 1998 relativ präzise hochgerechnet: eine Gesamtzahl von 170.000 behandlungs-bedürftigen Suchtkranken im LSA davon die Mehrheit vom Sucht-Typ II, im mittleren bis hohen Alter nach langem Mißbrauch abhängig geworden, davon eine steigende Minderheit vom Suchttyp I, im frühen Lebensalter verwahrlost und abhängig geworden, davon etwa 7.500 behandlungsbedürftige Konsument/innen illegaler Drogen (Heckmann u.a. 1998) Mehrheit dieser Konsument/innen (bis zu 90%) jünger als 25 Jahre
Drogen-Szene im Schneeball Ausgangspunkt: eine geschulte Person. Drei Drogen-Erfahrene werden ausgewählt. Drei weitere werden zu Interviews gebeten. Der Schneeball endet am Ausgangspunkt. befragt nicht befragt
Die Jugend-Kulturen Jugendkulturen Normal Hip Hop Links/alternativ Rechts Techno Keine Éko Grufti Nicht befragt Punk Rocker/ Heavy Metal Jede Figur zeigt das Geschlecht an. Jede Farbe bedeutet eine andere Subkultur: Hip-Hop, Techno, Grufti, Heavy Metal, Rechts, Links, Punk, Sti-No usw.
zum Beispiel: Wernigerode weniger Dunkelfeld als erwartet: bei vierter Entfernungs-Ebene bereits zurück am Ausgangspunkt Einstieg deshalb mit mehr Personen möglich
Banalität des legalen Konsums Erfahrung mit Drogen 120% 100% 80% 60% 40% WR MD OK BBG Halle 20% 0% Nikotin Alkohol Cannabis Ecstasy LSD Speed Kokain Heroin
Schrittmacher: Legale Drogen Durchschnittliches Alter beim Erstkonsum 25 20 15 10 WR MD OK BBG Halle 5 0 Nikotin Alkohol Cannabis Ecstasy LSD Speed Kokain Heroin
Konsum-Muster in Sachsen-Anhalt Die Trendsetzer n = 18 Altersmittelwert = 21 Jahre s = 4 39% konsumieren Kokain, 94% Cannabis und 100%! Ecstasy Die Trendaufsitzenden n = 32 Altersmittelwert = 22 Jahre s = 5 49% normal, 31% polizeiauffällig, lediglich 19% spüren keine physischen Effekte n = 44 n = 44 Der Alles-Inclusive Typ Altersmittelwert = 23 Jahre 55% der Jüngeren (unter 22 Jahre) sind weiblich Der Wieder-Angepaßte Altersmittelwert = 28 Jahre 20% schildern psychische Abhängigkeit s = 6 s = 4
Verbreitung der Konsum-Muster Konsumtypen uneindeutige Typen Wieder-Angepaßte Alles-Inclusive-Typ % Trendaufsitzende Trendsetzer 0 5 10 15 20 25 30 35
Fokus Jugend Jugend ist in erster Linie eine Ansammlung von Möglichkeiten. (Albert Camus: Der erste Mensch, Reinbek 1995, S. 172)
Gesundheits- und Schutz-Bedürfnisse von Jugendlichen (WHO) angemessene Ernährung sorgfältige Hygiene Einhaltung von Schlaf-Wach-Rhythmus Beachtung von Körpersignalen Schutz vor körperl. u. seel. Beeinträchtig. Wertschätzung und bedingungslose Liebe Bewältigung existentieller Ängste
Entwicklungs-Aufgaben Körper Peers Verselbständigung Ablösung Rolle Sexualität/Intimität Partner/Familie
...mehr Entwicklungsaufgaben Ausbildung/Beruf Selbst (Identität) Zukunftsperspektiven (E.H. Erikson, Oerter, Dreher/Dreher 1985)... und noch mehr: Risikokompetenz (R. Silbereisen 1995)
Überforderung und Überstehen Vielfalt der Aufgaben (im Vergleich) Risiko und Versicherung Kontakt und Kontaktmittel nur 20% problematisch (Resilienz) nur 30% Drogenerfahrung Pseudo-Resultate der Identitätsbildung Abgrenzung durch Habitus
Körper als Medium der Entwicklung seelische Veränderungen dramatischer aber: Körper als Bühne, als Inszenierung deshalb: Schnitzen, Peikern, (nicht)essen deshalb: S-Bahn-Surfen, Bungee- Jumping altmodischer: Maschine/Golf frisieren Ziel: bewusste Vorstellungen von Ich- Identität mit Körperempfinden verbinden
Patchwork-Identitäten Identitätsprojekte - nicht nur eins Transfer-Effekte zwischen Bewältigung von Identitätsbereichen (z.b. Berufsrolle) und Nicht-Bewältigung (z.b. Partnerschaft) oder umgekehrt: vom Bereich Selbstdarstellung/Schein-Identität zu Berufsrolle oder Partnerschaft
Großstadt-Risiken Kaufhäuser Baugrundstücke (Muchow/Muchow über Großstadtkinder, 20er) Zeitlücken Betreuungslücken Baulücken (Lücke-Kinder, 80er) Kontrolle über die eigenen Lebensbedingungen
Jugend-typische Risiken Biographische Spitze des Risiko-Verhaltens legaler und illegaler Drogenkonsum sexuelle Risikoverhaltensweisen Fehlernährung riskante Beteiligung am Straßenverkehr gewalttätiges Sozialverhalten (WHO 1985, Seiffge 1994, Raithel 2001)
Mißverständnisse in Suchtprävention und Jugendschutz das broken-window -Experiment = zero tolerance ist anders Erfahrung mit Hotel-Handtüchern = Was verboten ist...??? harm-reduction als primärer Ansatz = sensible risk-taking???
Suchtprävention als Gemeinschafts-Aufgabe (Heckmann 1980) Polizei, Justiz, Strafvollzug Suchtberatung und -therapie Öffentliche Erziehung: Schule, Jugendund Familienhilfe Freizeitbereich: Jugendförderung, Kirchen, Verbände Medien: Massenmedien, Jugendkultur Zivilgesellschaft: Familien, Initiativen
Was ist richtige Erziehung? klassische Erziehungsstile: autoritär demokratisch laisser-faire neuere Entwürfe: antiautoritär, autoritativ partizipativ, sozial-integrativ
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Was ist Disziplin? nicht prinzipiell, sondern relational nicht beliebig, sondern zielgebunden nicht generell, sondern situativ nicht fremd-, sondern selbst-/mitbestimmt nicht mit Drill, sondern mit Humor verbunden (Comenius, Montessori, Winkel/2005)
Salutogenetische Perspektive Ressourcen helfen, Risiken zu vermeiden/ zu überstehen Protektive Faktoren: Familien-Kohärenz, gemeinsam verbrachte Zeit (Bengel 2001) Resilienz auch unter hoch-defizitären Bedingungen (Werner 1982, Opp et al. 1999) Positive Projekt-Erfahrung
Devianz = Flagge zeigen Drogen-Konsum = Suchen und Fliehen Ess-Störungen = Körper-Imago und Selbstbestimmung Suizidalität = Drama und Feld- Verweis Schul-/Familien-Flucht = Stellvertretung und Moderation
Konsum-Funktionen instrumentelle Funktion expressive Funktion (Habitus) alltags-transzendierende Funktion Substitution von Bedürfnissen (Knoblaugh 1982) Funktionale Äquivalente (Silbereisen 1995)
Konsum-Motive Jugendlicher grundsätzlich: erwachsen wirken dazu gehören (Neugier) (Motive: nicht zu verwechseln mit Ursachen)
... und im Detail: Konsum-Motive Nikotin: Kontakt Alkohol: Angst-Lösung Cannabis: Grenzerweiterung Halluzinogene: Reisen Kokain/Amphetamine: Fitness Amphetamine/Ecstasy: Pop-Humanismus Heroin: radikale Abkehr/Überhöhung
DROGENKONSUM: WEGSCHAUEN? VERSTEHEN? ENTFERNEN? Was tun in Familie, Schule, Gemeinde, Region? VERHALTEN NACH AUSSEN: Absteigen vom Schuld-Karussel zum Problem stehen (professionelle, kollegiale) Hilfe suchen
Was tun? VERHALTEN NACH INNEN: großer Ratschlag in der Familie, Einrichtung, Region Vereinheitlichung Transparenz
Was tun? VERHALTEN GEGENÜBER DEN JUGENDLICHEN: Aufmerksamkeit schenken (Adoleszenz!) Ursachen (mit Profis) erarbeiten süchtiges Verhalten nicht unterstützen Liebe, nicht Abhängigkeit
Was tun? VERHALTEN GEGENÜBER SICH SELBST: abgrenzen nicht die Macht gewinnen lassen etwas für sich selbst tun Vorbild überprüfen
Was tun? VERHALTEN VON LEITUNG, TRÄGER, REGIERUNG: Schuldkomplex nehmen Verantwortung unterstützen Öffentlichkeitsarbeit leisten Grauzonen sichern
Ausblick Minderung des Verbrauchs und der Schädigung durch legale Drogen (Ges.Ziel LSA) Nikotin-Prävention = Drogen-Prävention Punktnüchtern/-clean als Eigen-Interesse Stärkung der Ressourcen statt Zähmung Projekt-Kompetenz(Herausforderungen) Personale Prävention, z.b. Peer-Projekte
... noch ein Ausblick Welches Milieu wollen wir? Abstinenz-Kultur Ambivalenz-Kultur Permissiv-Kultur Funktions-gestörte Kultur Und wieviel Jugendschutz?