Sozialtherapie im Jugendstrafvollzug und dann? Daten aus der Evaluationsstudie Jugendliche Sexualstraftäter in den sozialtherapeutischen Abteilungen des Freistaates Sachsen 12. Wissenschaftliche Fachtagung der Kriminologischen Gesellschaft Heidelberg, 30.09.2011 Dr. Gunda Wößner, Dipl.-Psych. Senior Researcher Abteilung Kriminologie
Gliederung 1. und Studiendesign 2. Sozialtherapeutische 2.1 Welche werden tatsächlich in Anspruch genommen? 2.2 Welche Probleme haben die Jugendlichen mit den? 3. psychometrischer Faktoren durch Sozialtherapie? 4. Und nach der Entlassung? Aspekte: Sie reden und reden vergeblich?
1.1 Verlegung in eine sozialtherapeutische Abteilung innerhalb des Jugendstrafvollzugs Bis Ende 2007 gemäß 9 Abs. 1 StVollzG oder bei Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß 106 Abs. 4 JGG Ab Anfang 2008 Jugendgerichtsgesetze und StVollzG auf Länderebene
1.2 Studiendesign Zeitpunkt t 1 Zeitpunkt t 2 Zeitpunkt t 3 Zeitpunkt t 4 Beginn der Haftphase (n*=105) Kurz vor Entlassung (n=55) biographische und tatbezogene Merkmale; klinische Merkmale; persönlichkeitsbezogene Variablen; Inhalte der Aktenanalyse** Fachdienstbefragung 1 Jahr nach Entlassung (n=20) Selbstkontrolle NEO-FFI FPI-R Selbstwert Lebensumstände Dunkelfeld BZR- Auskünfte nach mind. 5 Jahren *Gesamt 430 Erwachsene und Jugendliche; ** Aktenanalyse wird für den gesamten Probandenpool durchgeführt
1.3 Stichprobe jugendliche Insassen Justizvollzugsanstalt Vollzugsart Deliktgruppe Regis- Zeithain Gesamt Breitingen Regel Gewalt 9 11 20 Vergewaltigung 1 0 1 Kindesmissbrauch 0 0 0 Gesamt 10 11 21 Sozialtherapie Gewalt 11 11 22 (SothA) Vergewaltigung 2 8 10 Kindesmissbrauch 2 2 4 Gesamt 15 21 36 SothA-Abbruch Gewalt 1 3 4 Vergewaltigung 0 2 2 Kindesmissbrauch 1 0 1 Gesamt 2 5 7 Gesamt Gewalt 21 25 46 Vergewaltigung 3 10 13 Kindesmissbrauch 3 2 5 Gesamt 27 37 64 Stichtag: 31.3.2011
2.1 Inanspruchnahme von Maßnahme BPS Antigewalt- Suchtberatung Vollzugsart Deliktgruppe N Training n % n % n % Regel Gewalt 20 1 5.0 2 10.0 8 40.0 Vergewaltigung Kindesmissbrauch Gesamt 20 1 4.8 2 9.5 8 38.1 Sozialtherapie Gewalt 22 10 45.5 4 18.2 14 63.6 (SothA) Vergewaltigung 10 6 60.0 1 10.0 3 30.0 Kindesmissbrauch 4 3 75.0 0 0.0 0 0.0 Gesamt 36 19 52.8 5 13.9 17 47.2 SothA-Abbruch Gewalt 4 1 25.0 1 25.0 3 75.0 Vergewaltigung 2 1 50.0 0 0.0 1 50.0 Kindesmissbrauch 1 0 0.0 1 50.0 0 0.0 Gesamt 7 2 28.6 2 28.6 4 57.1 Gesamt Gewalt 46 12 26.0 7 15.2 17 37.0 Vergewaltigung 13 7 53.8 1 7.7 4 30.8 Kindesmissbrauch 5 3 60.0 1 20.0 0 0.0 Gesamt 64 22 34.4 9 14.1 21 32.8
2.2 Probleme bei den Probleme bei den Probleme im Anstaltsalltag Intrapsychisch Intrapsychisch und interaktiv Intrapsychisch und Sitzungsausfall mit Mitarbeitern mit Mitgefangenen Vollzugsart Regelvollzug 4.46* 8.73 (n.s.) Sozialtherapie Sozialtherapieabbruch 5.17 (n.s.) 9.80* Deliktgruppe Gewalt 14.42** 14.79** Vergewaltigung 10.23** Missbrauch 5.94 (p=.05) 10.26**
3. Veränderung psychometrischer Faktoren durch Sozialtherapie? Sind in solchen psychometrischen Maßen zu beobachten, auf die die Behandlung abzielt (kriminogene/protektive Faktoren)? Unterschiede zwischen Sozialtherapie-Vollteilnehmern Regelvollzugsinsassen Sozialtherapie-Abbrechern?
3.1 Regressionsanalyse Prädiktorvariable: Kriteriumsvariable: (1) Ausprägung zu t 1 (2) Vollzugsform Ausprägung zu t 2 t 1 t 2 Überprüft die Hypothese, dass eine potenzielle Veränderung zwischen t 1 und t 2 in einem kriminogenen bzw. protektiven Faktor durch die sozialtherapeutische Intervention erklärt werden kann.
3.2 Variablen und Messinstrumente Merkmalsbereich Testinstrument(e) Ggf. einzelne Variablen/Skalen Selbstkontrolle FES-K Impulskontrolle Einfache Aufgaben Selbstbezogenheit Aggressivität FPI-R Aggressivität Empathie Selbstwert Prosozialität E-Skala MSWS NEO-FFI, FPI-R Einfühlungsbereitschaft Betroffenheit Extraversion FPI-R, EPI, NEO-FFI Extraversion Neurotizismus FPI-R, EPI, NEO-FFI Emotionaler Selbstwert Sozialer Selbstwert Leistungsbezogener Selbstwert Körperlicher Selbstwert Verträglichkeit (NEO-FFI) Soziale Orientierung (FPI-R) Neurotizismus Emotionalität Gehemmtheit FPI-R Gehemmtheit Leistungsorientierung FPI-R Leistungsorientierung
3.3 Extraversion bei Jugendlichen Variable B SE p R 2 adj. Schritt 1 Ausprägung zu t1 0.44 ±0.13 <.01.30 Schritt 2 Ausprägung zu t1 Sotha-Teilnehmer im Vergleich mit RV -2.19 ± 0.74 <.01.47 Sotha-Abbrecher im Vergleich mit RV -2.82 ± 1.42 n.s. (.06) NEO-FFI, N=25
3.2 Offenheit Regressionsanalyse Variable B SE p R 2 adj. Schritt 1 Ausprägung zu t1 0.50 ±0.16 <.01.28 Schritt 2 Ausprägung zu t1 Sotha-Teilnehmer im Vergleich mit RV 3.36 ± 1.59 <.05.40 Sotha-Abbrecher im Vergleich mit RV -1.47 ± 2.78 n.s. N=24 NEO-FFI
3.2 Neurotizismus Regressionsanalyse Variable B SE p R 2 adj. Schritt 1 Ausprägung zu t1 0.65 ±0.14 <.001.47 Schritt 2 Ausprägung zu t1 Sotha-Teilnehmer im Vergleich mit RV -4.33 ± 2.00 <.05.55 Sotha-Abbrecher im Vergleich mit RV -0.34 ± 3.38 n.s. N=25 NEO-FFI
4. Und nach der Entlassung? Aspekte Bisher ausgewertet Interviews nach Entlassung: 18 Jugendliche Sie reden und reden vergeblich. Jeder zeigt mir den Weg, doch ich seh nix. Ein Versuch mich zu bekehrn scheitert kläglich. Du kannst mir nicht mehr helfen, also red nicht.
4.1.1 Protektive Bereiche: Bindung Bindung Auch schon alleine spätestens mit, durch die Geburt von meiner Tochter (..) hat sich mein ganzes Bewusstsein, sage ich mal, so verändert dahingehend, dass ich jetzt Verantwortung habe, dass ich drauf aufpassen muss, dass ich das und das nicht machen kann und Pb 332 (rückfallfrei) Ja und dann mein Vater halt ( ) hat mir erst mal ein bisschen unter die Arme gegriffen, dass ich hier Fuß fassen kann ( ). Und die kleine Schwester halt, die ist halt 7 und bei der helfe ich halt mit, kümmere mich um die Schule, ( ) weil ich jetzt halt Verantwortung tragen muss für meine Schwester Pb 289 (rückfallfrei)
4.1.2 Protektive Bereiche: Coping Funktionale Problembewältigung ( ), also wenn ich ( ), wenn ich jetzt Problemsituationen gegenüber trete, dann auf mich einwirken lasse, oder anders: Wenn Problemsituationen auf mich einwirken, dass ich die Ruhe finde oder beziehungsweise die Ruhe bekomme und die auf mich einwirken zu lassen und mich damit auseinander zu setzen. Pb 105 (rückfallfrei)
4.1.3 Protektive Bereiche: Struktur und Perspektive Struktur und Perspektiven Na ja, ich habe halt einen geregelten Tagesablauf, gehe arbeiten, komme immer um die gleiche Zeit wieder und danach ist Freizeit. Sportliche Aktivitäten, Volleyball, Fahrrad fahren. Mit Freunden treffen, weggehen, mit Freundin, ja. In etwa eine Vorstellung hatte, wie mein Arbeitsleben aussehen soll, ( ). Nicht wieder rückfällig zu werden, ich habe mich einfach mit der ganzen Problematik befasst und meine Schlüsse daraus gezogen Pb 105 (rückfallfrei)
4.2.1 Kriminogene Bereiche: Peers Delinquente Peers Und dann halt die alten Verhaltensmuster oder... Wie es bei mir halt war bevor ich inhaftiert wurde, vor meiner ersten Inhaftierung. Da war ich auch mehrmals in Jugendarrest. Und ja, da bin ich halt wieder in den alten Kreis reingerutscht und dann ging es halt weiter Pb 100 (Diebstahl, Sachbeschädigung, Verstoß gg. Bewährungsauflage, Fahren ohne Führerschein) Also ich habe, also zu Freunden, na ja, ich habe versucht neue Kontakte zu finden, vernünftige Leute und so. Aber es hat nicht so funktioniert. Habe ich dann wieder ein Stück weit an meine alten Leute gehalten. Sind alle mehr oder weniger kriminell, mehr oder weniger gewaltbereit. ( ) Ja, ich bin halt wieder (..) in das alte Milieu reingerutscht, wie mit den alten Leuten rumgehangen. Pb 386 (mehrere erneute Straftaten, drogenabhängig)
4.2.2 Kriminogene Bereiche: Coping Mangelnde Bewältigungsstrategien/Emotionsregulation Also ja. Die ersten drei Monate habe ich überhaupt gar kein Alkohol getrunken, also nicht mal wo ich rausgekommen, dass ich irgendwie angestoßen habe oder so, gar nichts Null. Das erste Mal war dann bei der ersten Enttäuschung mit meiner Freundin, die ich kennengelernt habe. Da habe ich das erste Mal wieder getrunken. Dass ist auch das, was mich am meisten runterzieht, das ist gefährlich bei mir, die Liebe ja. Verlustängste und so ne, ganz stark So, wenn ich eine Frau liebe und die betrügt mich ja. (..) Wüsste ich nicht wie ich reagieren soll, ne. Das würde mich so schwer verletzen, das würde mich so kränken und so treffen, (..) wüsste ich nicht, würde ich vielleicht die Beherrschung verlieren so. Das darf nicht passieren. Ich meine, du kannst keinen Menschen töten, weil er dich nicht lieben will ja. Das geht ja nicht Mensch. Du kannst ja nicht ein Leben zerstören, weil es (..) dir gerade so passt, ne. Pb 368 (ohne Rückfall)
4.2.3 Kriminogene Bereiche: Schemata Schemata/Kognitionen Aber ich hatte manche Situation, wo mir beigebracht wurde, mich zurückzuhalten, ( ). Aber so bin ich nicht. So wurde es mir beigebracht. Aber es ist einfach nicht so durchführbar. Es geht nicht. In der Welt, wie sie hier ist - das ist genau, wie im Knast: entweder, du schlägst zurück, oder du wirst dein ganzes Leben lang runtergemacht. Das ist einfach so. Pb 335 (Diebstahl, Sachbeschädigung, Verstoß gg. Bewährungsauflage, Fahren ohne Führerschein) Ab und zu mal eine kleine Schlägerei muss auch sein ( ). ich hab halt doch ein sehr direktes Leben, knallhart an der Straße und auch nie zu, also ich bin mir nicht leid mal zuzuschlagen Pb 271(Körpervereltzung, Verstoß gg. Bewährungsauflage)
4.3 Lass sie alle reden? Die Anstalt hat mir in der Hinsicht geholfen, die hat mir beim Erkennen geholfen hat Zu erkennen, woher das eigentlich alles kommt: das Gesaufe, das Kriminellwerden. Wie so etwas entstehen kann. Wie ich meine Straftaten rechtfertige. Denn jeder Straftäter sagt: Ich bin nicht schuld. Der Andere ist schuld. das näher auszuwerten, warum man das macht, warum man sich schützt, und wie man das umgehen kann, zum Beispiel in der Frühe aufstehen und Bier trinken. Bewältigungsstrategien erarbeiten, dass man sich im Zaum hält, dass so etwas nicht mehr passieren kann
4.3 Lass sie alle reden? Es [SothA] hat dann vielleicht ein bisschen was gebracht, in dem Punkt, dass man eingesehen hat, was man gemacht hat. Aber ansonsten, dass man Reue empfinden soll, und so was. Wir mussten ja auch Opferbrief schreiben, und so einen Scheiß. Ich habe nie Reue empfunden. Das tue ich auch heute nicht. Das habe ich denen dort auch gesagt, und vielleicht haben sie mich deswegen als potenziell gefährlich eingestuft; keine Ahnung. Also gebracht in dem Sinne, dass es mir jetzt in dem Leben nach dem Knast was bringt, nee. Ich war zwei Jahre auf der Sozi, und in den zwei Jahren haben sie es nicht fertig gebracht, mich zu therapieren ( ). Weil die Frau zu bekloppt war ( ). Ja und selbst der hat es nicht hingekriegt, mal regelmäßig mit mir zu sprechen ( ).