FRAKTIONSBESCHLUSS VOM » DIE OPFER SCHÜTZEN - MENSCHENHANDEL WIRKSAM VERHINDERN

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Transkript:

FRAKTIONSBESCHLUSS VOM 4.11.2014» DIE OPFER SCHÜTZEN - MENSCHENHANDEL WIRKSAM VERHINDERN Menschenhandel ist eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte und ein international geächtetes Verbrechen. Der Begriff wird von den Vereinten Nationen mit unterschiedlichen Formen der Ausbeutung von Menschen durch Gewalt, Nötigung, Drohung oder Täuschung verstanden, und zwar mit dem Ziel des wirtschaftlichen Gewinns. Dazu gehören die Ausbeutung der Arbeitskraft (Zwangsarbeit und Sklaverei, aber auch Zwangskriminalität und Zwangsbettelei) sowie sexuelle Ausbeutung. Betroffen von Menschenhandel können Frauen und Männer sowie Kinder sein. Bei den Opfern handelt es sich in Deutschland nicht nur um MigrantInnen, auch wenn diese besonders häufig Opfer von Menschenhandel werden. Die TäterInnen sind oft in Netzwerken der organisierten Kriminalität aktiv und können auch aus dem näheren sozialen Umfeld der Opfer kommen. Über Menschenhandel, die Transportwege und die Gesamtzahl der Betroffenen ist wenig bekannt. Belastbare Zahlen auf europäischer und nationaler Ebene gibt es nur über das sogenannte Hellfeld, das sich aus wenigen abgeschlossenen Ermittlungsverfahren zusammensetzt. Der EU-Sonderausschuss für organisierte Kriminalität, Korruption und Geldwäsche (CRIM) schätzte im September 2013, dass in Europa rund 880.000 Menschen in sklavenähnlichen Verhältnissen arbeiten und davon 30 Prozent (264.000) sexuell ausgebeutet werden. Deshalb sehen wir dringenden Handlungsbedarf. Wir Grünen haben uns in den letzten Jahren intensiv damit beschäftigt, wie Menschenhandel effektiv bekämpft und den Opfern von Menschhandel nachhaltig geholfen werden kann. Die Bundestagsfraktion hat eigene Initiativen 1 sowie Änderungsanträge zu Regierungsinitiativen 2 in den Deutschen Bundestag eingebracht. Damit haben wir deutlich gemacht, was in Deutschland und in Europa zur Bekämpfung des Menschenhandels erforderlich ist. Ein Rückblick: In Deutschland ist Menschenhandel nach 232, 233, 233a StGB und Zuhälterei nach 181a StGB strafbar. Auf der EU-Ebene ist die "Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer" (Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011) maßgebend. Diese Richtlinie hätte Deutschland schon Anfang 2013 umsetzen müssen, was von der schwarz-gelben Bundesregierung allerdings versäumt wurde. Erst kurz vor Ende der 17. Legislaturperiode wurde ein Gesetzentwurf eingebracht, der aber keine spürbare Stärkung von Opferschutz und Opferrechten enthielt. Alle Sachverständigen - auch die von der Union und der FDP benannten - waren sich einig, dass der Entwurf der Koalition zu kurz greift und die Vorgaben der EU nicht erfüllt. Der Bundesrat stoppte schließlich durch die Anrufung des Vermittlungs-ausschusses das Gesetz. Unter anderem mit dem Grünen "Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation von Opfern von Menschenhandel in Deutschland" wollen wir uns auch in der 18. Wahlperiode für die Opfer von Menschenhandel einsetzen. 1 S. Bundestagsdrucksachen 16/1125; 17/10843 2 S. Bundestagsdrucksachen 17/14227, 17/14228, 17/14229)

MENSCHENHANDEL NICHT MIT PROSTITUTION GLEICHZUSETZEN Im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit in Deutschland stehen vor allem der Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und die Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes aus dem Jahr 2002. Dass es notwendig ist, das heute geltende Prostitutionsgesetz aufgrund sich ändernder Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln, steht außer Frage. Für die Präzisierung von Maßnahmen erachten wir Grünen es als wesentlich, den Bereich der Prostitution vom Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung klar zu trennen. Durch die Weiterentwicklung gesetzlicher Regelungen wollen wir die Rahmen- und Arbeitsbedingungen in der Prostitution verbessern, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der realen Vielfalt der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen, die freiwillig in der Prostitution tätig sind. Die Grüne Position zur Regulierung der Prostitution ist genauer im Positionspapier "Rechte von Prostituierten schützen und stärken" beschrieben. Im Bereich des Menschenhandels müssen die Maßnahmen gegen mit Zwang und Gewalt einhergehende sexuelle Ausbeutung präzisiert und verschärft werden. Jede ideologische oder moralisierende Diskussion geht an den Problemen, Bedarfen und Bedürfnissen von Opfern des Menschhandels vorbei. Es wäre ungerecht, durch undifferenzierte Regelungen Prostituierte kollektiv als Ausgebeutete zu stigmatisieren. BISHER MANGELHAFTER SCHUTZ VOR ARBEITSAUSBEUTUNG Neben den Opfern von sexueller Ausbeutung benötigen auch die Opfer von Arbeitsausbeutung Hilfe und Schutz. In dem bisher weitgehend unerforschten Feld arbeiten Menschen in sklavenähnlichen Verhältnissen, ohne Arbeitsschutz, ohne geregelte Arbeitszeiten, ohne Sozialversicherungsschutz und für "Hungerlöhne", um die sie manchmal auch noch betrogen werden. Laut bisheriger Untersuchungen kommt Arbeitsausbeutung vor allem in den Branchen Landwirtschaft, Bau, Gastronomie, Pflege, Transport und Haushaltsdienstleistungen vor. Die geringe Zahl der abgeschlossenen Ermittlungsverfahren verdeutlicht, dass die Kontrollen bisher nicht wirkungsvoll sind. Die dafür zuständige "Finanzkontrolle Schwarzarbeit" ist mit zu wenig Personal und Sachmitteln ausgestattet, um ausreichend und effektiv Kontrollen durchführen zu können. Die anlässlich der Einführung des Mindestlohnes von der Bundesregierung geplante Aufstockung um 1.600 Stellen bis 2019 dauert zu lange. Zudem erfolgt sie zu Lasten anderer Bereiche des Zolls und beeinträchtigt auch die Maßnahmen gegen organisierte Kriminalität im Bereich des Menschenhandels. Es ist jedoch ein großer Fortschritt, dass das verabschiedete Mindestlohngesetz eine einheitliche Lohnuntergrenze festlegt und so die Kontrollen einfacher macht. Die darin vorgesehene Generalunternehmerhaftung macht es für die Beschäftigten wahrscheinlicher, dass sie zu ihrem Recht kommen und nicht gezahlte Löhne einklagen können, wenn ihr direkter Auftraggeber die Lohnforderungen nicht begleicht. WIE WIR DEN OPFERN HELFEN, SCHUTZ BIETEN UND PERSPEKTIVEN AUFZEIGEN KÖNNEN Die Strafverfolgung ist ein wichtiges Element, um gegen Menschenhandel vorzugehen. Sie kann aber immer nur reaktiv wirken und erfasst so nicht die gesamte Problematik. Grünes Ziel zur Bekämpfung aller Formen von Menschenhandel ist daher eine umfassende Strategie, die präventiv und aktiv ansetzt und bei der die Unterstützung der Opfer im Mittelpunkt steht. Zur Prävention und Bekämpfung aller Formen des Menschenhandels sind integrierte Strategien gefordert, die sowohl die Behörden als auch die Zivilgesellschaft einschließen. Vor allem für» DIE OPFER SCHÜTZEN - MENSCHENHANDEL WIRKSAM VERHINDERN 2

MigrantInnen, die durch fehlende Kenntnisse der Sprache, unseres Rechtssystems und vorhandener Unterstützungsangebote von den TäterInnen leicht in Abhängigkeit gehalten werden können, muss die Hilfe verstärkt werden. Passgenaue Hilfsprogramme müssen diese Menschen direkt erreichen, sie über ihre Rechte informieren und sich für diese einsetzen. Allein das theoretische Bestehen der Rechte hilft den Opfern nicht. Niedrigschwellige Hilfsangebote, die regelmäßig in bestimmten Szenen - mit multiprofessionellen und sprachlichen Kompetenzen - präsent sind, findet man häufig nur in größeren Städten; auch dort sind sie aber nicht selten unterfinanziert. Deswegen befürworten wir den Ausbau der Beratungsstellen, die sich um Fälle der Arbeitsausbeutung und des Menschenhandels kümmern. Wir sehen die Bundesregierung in der Pflicht, sich weiter an der Finanzierung zu beteiligen und die Mittel für einen weiteren Ausbau der Beratungsstellen deutlich aufzustocken. Die Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und Behörden ist entscheidend für die Prävention, Aufdeckung und Strafverfolgung von Menschenhandel sowie die Betreuung der ZeugInnen vor, während und nach dem Prozess. Die Einrichtung von so genannten "Runden Tischen" auf Länderebene hat sich als Instrument des regelmäßigen Informationsaustausches auf regionaler Ebene bewährt. Die geringe Zahl der Ermittlungsverfahren zeigt deutlich, wie schwierig es ist, TäterInnen sowie ihre Opfer aufzuspüren. Die eingeleiteten Verfahren gehen meist auf Erkenntnisse aus polizeilichen Razzien oder Hinweise von WhistleblowerInnen, JournalistInnen oder KundInnen zurück. Im Jahr 2012 wurde der Kontakt mit der Polizei beispielsweise in 41 Prozent der bekannten Fälle von sexueller Ausbeutung durch die Opfer selbst initiiert - eigenständig oder in Begleitung von Fachberatung, anderen Opfern oder Freiern. 3 Für eine ganzheitliche Strategie und unter Berücksichtigung der EU-Opferschutzrichtlinie (2012/29/EU ) sehen wir Grünen deshalb folgenden Handlungsbedarf: 1. Sensibilisierung in der Gesellschaft Sowohl für die sexuelle Ausbeutung als auch für die Arbeitsausbeutung lässt sich sagen: Die Nachfrage bestimmt den Markt. Unsere Gesellschaft zeigt bisher nicht deutlich genug, dass Zwang, Gewalt, Ausbeutung, Erniedrigung und Sexismus nicht akzeptabel sind. Wir wollen das deutliche Signal setzen, dass auch die KundInnen Mit-Verantwortung für Ausbeutung und Menschenhandel tragen. Wir setzen uns deshalb für flächendeckende professionelle Kampagnen ein, um die Öffentlichkeit gegen alle Formen des Menschenhandels zu sensibilisieren. Betreiber von Bordellen und KundInnen sind im Bereich der sexuellen Ausbeutung eine besonders wichtige Zielgruppe. Dem wachsenden Problem der Arbeitsausbeutung wollen wir gemeinsam mit Wirtschaftsverbänden, -kammern und Gewerkschaften entgegen wirken. Aufklärungskampagnen sind wirkungsorientiert auf die jeweiligen Zielgruppen auszurichten und regelmäßig zu evaluieren. 2. Verbesserung des Aufenthaltsrechts Menschen aus Nicht-EU-Ländern, die in Deutschland Opfer von Menschenhandel sind, verfügen in der Regel über keinen gesicherten Aufenthaltstitel. In Anerkennung ihres Status als Opfer einer Menschenrechtsverletzung und als Grundlage für die Umsetzung der Rechte auf Rehabilitation und Entschädigung sollte der Aufenthaltstitel von der Rolle als Zeuge oder Zeugin im Strafverfahren entkoppelt werden. 3 Bundeskriminalamt: Menschenhandel Bundeslagebild 2012» DIE OPFER SCHÜTZEN - MENSCHENHANDEL WIRKSAM VERHINDERN 3

Wir setzen uns dafür ein, dass die Aufenthaltserlaubnis bereits dann erteilt wird, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass ein Mensch aus einem Nicht-EU-Land Opfer von Menschenhandel wurde ( 232, 233 oder 233a StGB). Damit werden Opfer von Menschenhandel mit Asylberechtigten und Flüchtlingen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention weitgehend gleichgestellt. Das ist sachgerecht, da sie gleichermaßen einen völkerrechtlich verbürgten Schutzanspruch gegenüber dem Aufenthaltsstaat haben. Auch beim Familiennachzug soll diese Gleichstellung erfolgen, sodass dieser ohne Nachweis der Sicherung des Lebensunterhalts ermöglicht wird. Oftmals ermöglicht erst ein auf Dauer angelegter Aufenthaltsstatus, dass die Opfer von Menschenhandel, vor allem auch Kinder und Minderjährige, die notwendige therapeutische und soziale Unterstützung erhalten. Durch diese Unterstützung kann auch die Bereitschaft der Opfer erhöht werden, an der Verfolgung der TäterInnen mitzuwirken. Zumal Opfer von Menschenhandel nicht immer sofort zu einer Aussage bereit oder fähig sind - beispielsweise aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen ihnen und/oder ihren Familien gegenüber, oder aufgrund traumatischer Erlebnisse. Dies ist ein wesentlicher Grund, dass die Zahl der Ermittlungsfälle nicht im Verhältnis zur Zahl der Opfer steht. Ohne unmittelbare Angst vor Abschiebung wagen Opfer von Menschenhandel sicherlich vermehrt, auf sich aufmerksam zu machen. 3. Erweiterung der Opferentschädigungsrechte Grundsätzlich haben Opfer von Menschenhandel einen Anspruch auf Entschädigung durch den Staat - nach der derzeitigen Rechtslage in Deutschland allerdings nur, wenn sie nachweisen können, dass sie in Deutschland Opfer von Gewalt geworden sind. Keinen Anspruch haben die Opfer, gegen die bereits Gewalt im Herkunftsland ausgeübt worden ist oder deren Familienangehörige bedroht wurden, um das Opfer unter Druck zu setzen. Staatliche Rehabilitationsleistungen sollten daher im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes auf alle Opfer von Menschenhandel erweitert werden. Ansprüche, die gegenüber den TäterInnen bestehen, aber nicht durchgesetzt werden können, sollen von einem Ausgleichsfonds erfüllt werden, der in besonderen Härtefällen Leistungen erbringen kann. Die Menschenhandelsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten auch, wirksame Verfahren zur Durchsetzung der ausstehenden Lohnzahlungen der Opfer von Menschenhandel einzuführen. Wir wollen daher, dass die arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche von Opfern von Menschenhandel an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis von anerkannten Verbänden gerichtlich geltend gemacht werden können. 4. Opferschutzprogramme Um Opfer von Menschenhandel in die Lage zu versetzen, gerichtlich gegen die TäterInnen vorzugehen und in Ermittlungs- und Strafverfahren gegen sie auszusagen, ist es erforderlich, bestehenden und drohenden Gefahren für die Opfer vorzubeugen. Dafür sind Opferschutzprogramme auf die Bedürfnisse der Betroffenen und ggf. ihrer Familienmitglieder zuzuschneiden. Zu den Maßnahmen, die in einem effektiven Opferschutz vorzusehen sind, gehören auch die Möglichkeit der Identitätsänderung, die Gewährleistung sicherer Unterkünfte und die Ermöglichung der legalen Einreise von Familienangehörigen. Das geltende Aufenthaltsrecht sieht - etwa in 22, 23 des Aufenthaltsgesetzes - bereits geeignete gesetzliche Grundlagen dafür vor. 5. Rechtliche Maßnahmen und Kontrollen Im Zusammenhang mit den geltenden, an sich weitgefassten Strafnormen zum Menschenhandel, 232ff StGB, wird unter anderem immer wieder die Forderung nach einer klareren Beschreibung der Tatbestände debattiert.» DIE OPFER SCHÜTZEN - MENSCHENHANDEL WIRKSAM VERHINDERN 4

Abzuklären ist - auch mit Blick auf die EU-Richtlinie von 2011 - inwieweit die aktuelle Fassung der Tatbestände unzureichend ist und inwieweit daraus Strafbarkeitslücken entstehen. Die Tathandlungen der Menschenhandelsdelikte werden oft - zumindest teilweise - schon in den Herkunftsländern begangen. Im Sinne der europaweiten Bekämpfung des Menschenhandels sind enge Kooperationen zwischen den Mitgliedstaaten notwendig, um insgesamt eine bessere Verfolgung der Menschenhändlerringe zu erreichen. Wir sind zudem der Auffassung, dass Freier, die wissentlich oder sogar absichtlich sexuelle Dienstleistungen von Opfern von Menschenhandel in Anspruch nehmen und damit deren hilflose Lage ausnutzen, im Einklang mit Artikel 18 der EU-Menschenhandelsrichtlinie bestraft werden müssen. Eine generelle Bestrafung von Freiern ist jedoch der falsche Weg. Die Inanspruchnahme der Dienste von Prostituierten an sich ist kein strafwürdiges Verhalten. Eine generelle Bestrafung der Freier würde Prostitution nur verlagern und weniger sichtbar machen. Die Prostituierten würden weniger geschützt, wie Erfahrungen aus Schweden zeigen. Freier können, wie schon erwähnt, bei der Aufdeckung von Menschenhandel und der Strafverfolgung der TäterInnen eine wichtige Rolle spielen. Wenn ihnen selbst Strafverfolgung droht, wird sie dies von der Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden abhalten. Durch verstärkte Kontrollen seitens der zuständigen Behörden können Opfer von Menschenhandel im größeren Umfang identifiziert werden. Sowohl im Bereich des Menschenhandels zum Zweck der Arbeitsausbeutung als auch zum Zweck der sexuellen Ausbeutung müssen die staatlichen Kontrollbehörden mit zusätzlichem Personal und Sachmitteln ausgestattet werden. Im Bereich der Arbeitsausbeutung handelt es sich dabei vor allem um Kontrollbehörden wie die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), der Prüfdienst der Deutschen Rentenversicherung, die Arbeitsschutzbehörden und die Gewerbeämter, während im Bereich der sexuellen Ausbeutung Kontrolltätigkeiten der Polizei maßgebend sind. Durch ein Prostitutionsstättengesetz zur Regulierung von Prostitutionsstätten als Gewerbebetrieb wollen wir die Kontrollmöglichkeiten für die Behörden im Bereich der Prostitution verbessern. Es muss außerdem auch geprüft werden, wie entstandene Grauzonen zwischen legaler Beschäftigung und Arbeitsausbeutung gesetzlich beseitigt werden können. Dies gilt insbesondere für den Bereich der entsandten Beschäftigten. Zudem ist es an der Zeit, ein Gesetz zum Schutz von HinweisgeberInnen (sogenannten WhistleblowerInnen) zügig zu verabschieden. Beschäftigte, die Missstände und Arbeitsausbeutung in Betrieben aufdecken, müssen konsequent vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen geschützt werden. 6. Datenlage verbessern Die EU-Menschenhandelsrichtlinie verpflichtet Deutschland zur Einrichtung einer Berichterstatterstelle gegen Menschenhandel. Diese sollte unabhängig sein und wissenschaftlich Daten erheben und Empfehlungen für Politik, Exekutive, Zivilgesellschaft und Wirtschaft formulieren. Im Idealfall sollte die Stelle mit Regierung und Nichtregierungsorganisationen gleichermaßen zusammenarbeiten und an einer Koordinierungsstelle auf europäischer Ebene Bericht erstatten. Die Einrichtung einer solchen Stelle ist überfällig: Nur so kann grenzübergreifend Wissen über die Wirkung von Maßnahmen gegen Menschenhandel ausgetauscht und verbessert werden. Wir Grünen machen uns außerdem stark für die Erstellung von Studien zu Dunkelziffern, um das konkrete Ausmaß von Menschenhandel besser abschätzen und wirkungsvollere Maßnahmen gegen Menschenhandel ergreifen zu können. Wir sehen zudem einen dringenden Bedarf an Forschung, um die Nachfrageseite (Freier, Unternehmen, Branchen) besser in die Prävention einbeziehen zu können.» DIE OPFER SCHÜTZEN - MENSCHENHANDEL WIRKSAM VERHINDERN 5

7. Stärkung der Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen und Beratungsstellen Seitens der Strafverfolgungsbehörden bestehen viele Schwierigkeiten, die Opfer von Menschenhandel zu finden und deren Ausbeutung nachzuweisen. Daher sind belastende Aussagen der Opfer in den Ermittlungsverfahren von zentraler Bedeutung. Damit die Opfer überhaupt zu einer Aussage bereit sind, bedarf es aber auch guter Betreuung sowie einer Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden mit Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften. Wir Grünen wollen, dass die politische Bereitschaft zur Hilfe und Unterstützung der Opfer nicht bloß erklärt wird, sondern dass entsprechende Maßnahmen auch mit finanziellen Mitteln ausgestattet werden - im ländlichen Raum ebenso wie in (städtischen) Ballungsgebieten. Zusammen mit den Ländern muss der Bund dafür eintreten, dass Beratungsstellen ausreichend finanziert sind und flächendeckend zur Verfügung stehen. Um das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Opfern von Menschenhandel und den MitarbeiterInnen in den Beratungsstellen zu gewährleisten, ist es erforderlich, in 53 der Strafprozessordnung ein Zeugnisverweigerungsrecht für diese Personengruppe aufzunehmen. Wir wollen die aufsuchende Sozialarbeit sowie Beratungsstellen personell und finanziell stärken. Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften gelingt es oft leichter als offiziellen BehördenvertreterInnen, Kontakt zu in Abhängigkeit stehenden Personen aufzunehmen und diese, oft auch in der Muttersprache der Opfer, auf ihre Rechte sowie Hilfs- und Beratungsmöglichkeiten aufmerksam zu machen. AUCH MENSCHENHANDEL ZUM ZWECK DER ORGANENTNAHME MUSS BEKÄMPFT WERDEN! Selbst wenn sich die kriminellen Netzwerke im Ausland befinden, selbst wenn es sich um Opfer handelt, die nicht in Deutschland ausgebeutet werden - der Menschenhandel zum Zweck der Organentnahme betrifft auch uns in Deutschland. Die Opfer dieser Form des Menschenhandels werden oft mit Geldbeträgen geködert oder durch kriminelle Netzwerke gezwungen, sich Organe entnehmen zu lassen. Manche werden zu diesem Zweck gar ermordet. Tatsache ist, dass der Bedarf an Organspenden in Deutschland sowie in anderen Ländern nicht gedeckt werden kann. Aufgrund der scharfen Regulierungen ist Organhandel vor allem in europäischen Ländern fast unmöglich. Was existiert, ist jedoch ein globaler Grau- und Schwarzmarkt, an dem sich auch BürgerInnen aus Deutschland als Käufer beteiligen. Wir wollen daher prüfen, wie mehr Aufmerksamkeit in Deutschland für die schweren Menschenrechtsverletzungen dieses illegalen Organhandelmarkts geschaffen werden kann, beispielsweise auch im Rahmen von Sensibilisierungskampagnen.» DIE OPFER SCHÜTZEN - MENSCHENHANDEL WIRKSAM VERHINDERN 6