Multiprofessionelles und Interprofessionelles Lernen- Anspruch und didaktische Konzepte Tagung Multiprofessionelle Handlungsfelder in der Versorgung Universität Witten-Herdecke Prof. Dr. Ursula Walkenhorst
Kooperation und Interprofessionalität im Gesundheitswesen Ausgangssituation Neue und komplexere Aufgaben im Gesundheitswesen Spezialisierung und Diversifizierung der Aufgabenbereiche Neue Organisationsformen Veränderte Versorgungsstrukturen und -bedarfe Neue Berufsbilder Neue Qualifizierungsmöglichkeiten Zur Steigerung der Effektivität und Effizienz (Qualität) im Gesundheitswesen ist sowohl eine veränderte Aufgabenverteilung als auch eine stärkere Kooperation zwischen den Berufen erforderlich.
Entwicklung der Thematik in Theorie und Praxis 1970er / 1980er Jahre wissenschaftstheoretische und -methodische Diskussion (insb. Professionssoziologie) 1990er Jahre Fokussierung der lebensweltlichen Aspekte von Interdisziplinarität wie Kommunikation / Kooperation, Organisationsstrukturen Zunahme an Untersuchungen zur konkreten Zusammenarbeit und deren Erfolgsfaktoren bzw. Hindernissen im Berufsalltag (Fokus zumeist Medizin und Pflege / Soziale Arbeit) Erweiterung von Untersuchungen, die die Berufsausbildung in den Mittelpunkt stellen Paralleler Ausbau von Konzepten im Hochschulbereich zu interprofessionellen Studiengängen bzw. Studiengangsanteilen Keine abgeschlossene Diskussion zur theoretischen Begriffsthematik
Gesundheits- und wissenschaftspolitische Gutachten / Berichte Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen Kooperation und Verantwortung Voraussetzungen einer zielorientierten Gesundheitsversorgung (SVR Gutachten 2007) Memorandum Kooperation der Gesundheitsberufe - Qualität und Sicherung der Gesundheitsversorgung von morgen (RBS, 2010) WHO-Konzept Framework for action on interprofessional education and collaborative practice (2010) Forschung in den Gesundheitsfachberufen (GFR, 2012) Agenda Pflegeforschung (Robert-Bosch-Stiftung, 2012) Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Qualifikation des Personals im Gesundheitswesen (WR, 2012) Bericht der Themengruppe Interprofessionalität (Schweiz, 2013) Positionspapier GMA-Ausschuss Interprofessionelle Ausbildung in den Gesundheitsberufen (2014)
Internationale Erkenntnisse (u.a. WHO, 2010) Studien in Kanada, Amerika, Schweden und England Interprofessionelles Lernen in gemeinsamen Lehrveranstaltungen führt zu besserem Verständnis für die anderen Berufsgruppen Steigerung der eigenen Berufszufriedenheit und - motivation verkürzte Liegedauer von Patient/-innen sowie Reduktion Medikation bei regelmäßigen interprofessionellen Besprechungen im Team Erhöhte Patientenzufriedenheit
Hindernisse in der interprofessionellen Zusammenarbeit Gesundheitspersonal wird in den Ausbildungen zu wenig darauf vorbereitet Ausbildungen verlaufen separat Rechtliche Rahmenbedingungen hinsichtlich der Arbeitsteilung sind oft ungeklärt Strukturen in den Gesundheitseinrichtungen unterstützen eher fachspezifisches Denken und Handeln Konzepte für interprofessionelle Zusammenarbeit liegen wenig vor Professionalisierungsdiskussionen in den Gesundheitsberufen begünstigen berufsständisches Denken Unkenntnisse über die anderen Berufsgruppen und deren Gegenstände
Theoretische Zugänge zum Verständnis von Interprofessionalität und zum Aufbau von Interprofessioneller Kompetenz Berufssoziologie Kognitionspsychologie Professionssoziologie Kompetenzforschung Metakognition Professionelles Handeln Berufliche Identität Kompetenz Interprofessionelle Kompetenz (Walkenhorst, 2015)
Theoretische Zugänge zum Verständnis von Interprofessionalität und zum Aufbau von Interprofessioneller Kompetenz Berufssoziologie Kognitionspsychologie Professionssoziologie Kompetenzforschung Metakognition Professionelles Handeln Berufliche Identität Kompetenz Interprofessionelle Kompetenz (Walkenhorst, 2015)
Begriffsklärungen Interprofessionalität: Zusammenarbeit verschiedener Professionen / Berufe Interdisziplinarität: Zusammenwirken verschiedener Disziplinen/Fachwissenschaften Multiprofessionalität / -disziplinarität: verschiedene Akteure / Disziplinen agieren gemeinsam in der Praxis, informieren sich gegenseitig, aber arbeiten weitestgehend separat voneinander Transdisziplinarität (Mittelstraß, 1987): ein wissenschaftliches Arbeits- und Organisationsprinzip, das problemorientiert über Fächer und Disziplinen hinausgreift und diese selbst verändert
Interprofessionelles Lernen und Arbeiten Interprofessional Education (IPE) Interprofessional Practice (IPP) Bildungsperspektive Versorgungsperspektive Nutzer/-innen Lernende Arbeitnehmer/-innen
Interprofessional Education "Interprofessional Education occurs when two or more professions learn with, from and about each other to improve collaboration and the quality of care" (CAIPE 2002)
Interprofessional Collaboration Interprofessionelle Zusammenarbeit stellt einen sozialen Prozess dar, in dessen Verlauf unterschiedliche Berufsgruppen / Professionen im Hinblick auf die Lösung komplexer praktischer Probleme zusammenarbeiten, die mit den Mitteln der einzelnen beteiligten Professionen allein nicht zufriedenstellend bearbeitbar sind. (vgl. Obrecht, 2006)
Collaborative Practice Professionelles Handeln in Bezug auf die Lösung fachspezifischer Probleme Berufliche Identität Gesundheits- und Pflegefachkraft Interprofessionelles Handeln in Bezug auf die Lösung komplexer praktischer / theoretischer Probleme (Klienten / Organisation) Berufliche Identität Therapeut/in Berufliche Identität Mediziner/in Anspruch: Identifizierung vorliegender mentaler Modelle aus einer kognitionspsychologischen Perspektive
Theoretische Zugänge zum Verständnis von Interprofessionalität und zum Aufbau von Interprofessioneller Kompetenz Berufssoziologie Kognitionspsychologie Professionssoziologie Kompetenzforschung Metakognition Professionelles Handeln Berufliche Identität Kompetenz Interprofessionelle Kompetenz (Walkenhorst, 2015)
Über die berufsspezifische Identität zur interprofessionellen Identität? - Merkmale einer wissenschaftlichen Disziplin und beruflichen Identität
Merkmale einer wissenschaftlichen Disziplin Definition des wissenschaftlichen Gegenstandes, der verdeutlicht, mit welchen Phänomenen sich die Disziplin beschäftigt (und womit nicht) Disziplinspezifische Probleme und Fragestellungen, die aus dem Gegenstand hervorgehen und damit den Fokus der Forschung definieren Grundständiger Wissenskorpus, der auf gegenstandsspezifischen Forschungsergebnissen basiert und sowohl in der eigenen als auch der übergreifenden Scientific Community wahrgenommen, respektiert und diskutiert wird Explizite und implizite Annahmen, die zu eigenständigen und diziplinspezifischen Theorien zusammengefasst werden können Gegenstandsspezifische Methodik, die einerseits der grundsätzlichen Wissenschaftsmethodik entspricht und andererseits die gegenstandsspezifische Betrachtung berücksichtigt Definition der Bezugsdisziplinen / -wissenschaften, die einen direkten oder indirekten Einfluss auf die Ergebnisse der Forschung und Entwicklung der jeweiligen Disziplin haben
Merkmale beruflicher Identität Klare Aufgabendefinition, Gegenstandsbenennung und Rollenklarheit im Tätigkeitsfeld Eigene Überzeugung von der Relevanz der Tätigkeit im System Repräsentationsmöglichkeiten des Berufsbildes nach innen und außen (z.b. Sprache, Erkenntnisse) Präsenz der eigenen Berufsgeschichte Materiell und immateriell angemessene Würdigung und Wertschätzung der Leistungen Berufsimmanente Vorgehensweisen und Methoden, die Zugehörigkeit und Abgrenzung ermöglichen Wissen um ausreichende Kompetenzen und Qualifikationen für die Ausübung des Berufes (vgl. Rothschuh, 2000)
Theoretische Zugänge zum Verständnis von Interprofessionalität und zum Aufbau von Interprofessioneller Kompetenz Berufssoziologie Kognitionspsychologie Professionssoziologie Kompetenzforschung Metakognition Professionelles Handeln Berufliche Identität Kompetenz Interprofessionelle Kompetenz (Walkenhorst, 2015)
Interprofessionelle Kompetenz Summe verschiedener Fähigkeiten, Wissen und Fertigkeiten, die systematisch und interprofessionell im Rahmen berufsspezifischer Ausbildungen erlernt werden, in einer konkreten komplexen beruflichen Situation zur Anwendung kommen und die beste gemeinsame Lösung für die Bewältigung der Situation ermöglichen.
National Interprofessional Competency Framework (2010) 1. Rollenklarheit 2. Patienten- und gemeindezentrierte Versorgung 3. Interprofessionelle Kommunikation 4. Teamarbeit 5. Kooperative Führungseigenschaften 6. Interprofessionelle Konfliktfähigkeit Core Competencies for Interprofessional Collaborative Practice (2011) Values and Ethics Roles and Responsibilities Interprofessional Communication Teams and Teamwork (University of British Columbia, 2013)
(Maxwell, 2012)
Theoretische Zugänge zum Verständnis von Interprofessionalität und zum Aufbau von Interprofessioneller Kompetenz Berufssoziologie Kognitionspsychologie Professionssoziologie Kompetenzforschung Metakognition Professionelles Handeln Berufliche Identität Kompetenz Interprofessionelle Kompetenz (Walkenhorst, 2015)
Elemente interprofessioneller Kompetenz aus einer professionssoziologischen Perspektive Wissen Aushandlungsprozesse Klientenbezug Problemdefinition Interprofessionelle Kompetenz Darstellungskompetenz Kontextualität Akteursbezug (vgl. Walkenhorst, 2008 und 2015)
Elemente Interprofessioneller Kompetenz - Professionssoziologische Perspektive - Klientenbezug - hermeneutisches Fallverstehen als gemeinsame Arbeitsgrundlage Akteursbezug - Dialogbereitschaft und Dialogfähigkeit in interprofessionellen und -disziplinären Bezügen unter Berücksichtigung möglicher bestehender positionaler Ungleichheiten Problemdefinition - Organisationsspezifische (systemische) Analyse und Lösung von Problemen unter Berücksichtigung der Perspektive angrenzender Berufsgruppen Kontextualität - Einbeziehung und Berücksichtigung angrenzender relevanter Berufsgruppen in die Entwicklung von Konzepten, Vereinbarungen und Bewältigungsstrategien im Bewusstsein möglicher Konkurrenzsituationen
Wissen Begründung des eigenen Handelns (Werte) und dessen Relevanz auf der Grundlage einer eigenen wissenschaftlichen Disziplin und Vermittlung dessen im interprofessionellen Rahmen Darstellungskompetenz Darstellung der eigenen Leistungen und Kompetenzen in interprofessionellen Interaktions- und Kommunikationssituationen (und im Wissen um die Kompetenz der Kooperationspartner/-innen) Aushandlungsprozesse Gestaltung gemeinsamer Arbeitsund Fallverläufe in Bezug auf klienten-, organisations- und berufsgruppenrelevante Fragestellungen und Zielsetzungen innerhalb geregelter rechtlicher Rahmenbedingungen (vgl. Walkenhorst, 2008)
Voraussetzungen für interprofessionelles Lehren und Lernen
Methodisch-didaktische Möglichkeiten Gemeinsame Orientierungsphase zu Beginn des Studiums Projekte und -tage zu ausgewählten Themen Gemeinsame Einsätze in den praktischen Studien- / Ausbildungsphasen Fall- / Situations- / Problemorientiertes Lernen in gemeinsamen Lerneinheiten Gemeinsame Reflexionsphasen zu den praktischen Ausbildungsphasen Planspiele zu Themen wie z.b. Teamgespräche, Aufnahme- / Entlassungsmanagement, Umgang mit Angehörigen
Strukturelle Möglichkeiten Interprofessionelle Entwicklung und Durchführung von gemeinsamen Modulen in den Studiengängen der Gesundheitsberufe sowie der Medizin Aufbau einer interprofessionellen Lehr- und Forschungsambulanz Gemeinsamer Aufbau und Nutzung der Skillslab-Räume Gemeinsame Besprechungen (u.a. IPE-Konferenzen) Beantragung interdisziplinärer Forschungsprojekte Bildung von thematischen Arbeitsgruppen
Empfehlungen für eine Interprofessionelle Ausbildung Reflexion disziplinärer mentaler Modelle Entwicklung eines Gesamtkonzeptes Interprofessionelle Ausbildung und Kompetenz (nationaler und internationaler Kontext) Entwicklung hochschuldidaktischer Konzepte für interprofessionelles Lernen (Lehrstühle) Aufbau von Strukturen auf der Organisationsebene Berücksichtigung des interprofessionellen Anspruches bei Akkreditierungen Aufbau von Forschungsstrukturen Entwicklung von Evaluationsinstrumenten zur Überprüfung interprofessioneller Kompetenzentwicklung (vgl. GMA-Ausschuss Interprofessionelle Ausbildung in den Gesundheitsberufen Positionspapier, 2014)
Forschungsbedarf Identifizierung relevanter Schnittstellen und Handlungsfelder im Berufsalltag Identifizierung patientenbezogener Bedarfe hinsichtlich Interprofessionalität Analyse der Entwicklungsparameter beruflicher Identität und interprofessioneller Identität Entwicklung berufspädagogische Ansätze zur Ausbildung interprofessioneller Kompetenzen in Theorie und Praxis Fortführung professionssoziologischer Diskussionen aus einer interprofessionellen Perspektive Identifizierung der Anforderungen an das Kompetenzprofil interprofessionell Lehrender in Theorie und Praxis
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!