Gewalt gegen Frauen hat gesundheitliche Folgen 11. Österreichische Konferenz gesundheitsfördernder Krankenhäuser 19.-20. Oktober 2006 Referentinnen DPGuK Anneliese Erdemgil-Brandstätter, Beratungsstelle Kassandra Mag. a Christine Hirtl, Frauengesundheitszentrum, Graz Fortbildungskonzept für medizinische Berufe, Fröschl/Löw/Logar/Erdemgil- Brandstätter/Bauer/Max/Leitner/Spiegl/Eckhart/Flament-Schedl u.a. Wien, 1996/2004
Definition von Gewalt gegen Frauen Deklaration von Peking 1995 Der Begriff Gewalt gegen Frauen bezeichnet jede Handlung geschlechtsbezogener Gewalt, die der Frau körperlichen, sexuellen oder psychischen Schaden oder Leid zufügt oder zufügen kann, einschließlich der Androhung derartiger Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsberaubung in der Öffentlichkeit oder im Privatleben.
Gewalt gegen Frauen - Eine traumatische Erfahrung Diese Form der Gewalt gehört in unserer Gesellschaft so sehr zum Alltag, dass: schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit von Frauen leicht unterschätzt werden von den Betroffenen verlangt wird, dass sie auch schwere Gewaltanwendungen schnell überwinden Verletzungen, psychische/psychosomatische Symptome, nicht als Folgen erkannt werden dadurch Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen möglich sind
Ziele der Fortbildung im NÖ Gesundheitswesen Konkrete Zielsetzungen Sensibilisierung der im Gesundheitswesen Tätigen, da sie beim Erkennen von Gewalt, dem Verlauf der Hilfestellung und der Prävention von weiterer Gewalt an Frauen/Kindern eine zentrale Rolle spielen Erkennen der eigenen Bedeutung in einem ganzheitlichen Konzept der Gewaltprävention Stärkung des professionellen Umganges Vermittlung von Wissen zur Erkennung von Formen und Mustern von Gewalt und deren gesundheitliche Akut- und Langzeitfolgen Adäquate Interventionsmöglichkeiten in der Praxis Umgang mit Krisensituationen, Gesprächsführung, Krisenpläne, Rechtslage, Spurensicherung, Dokumentation Kooperation mit internen/externen Hilfseinrichtungen, niedergelassenen Ärzten/Ärztinnen, Polizei u.a.
Seminarinhalte Fortbildungskonzept für medizinische Berufe 1. Formen und Muster von Gewalt 2. Situation betroffener Frauen & Kinder 3. Chance der Früherkennung von Gewalt 4. Ursachen der gesundheitlichen Folgen 5. Unterstützung in der Krise 6. Indikatoren und Identifikation von Gewalt 7. Gesprächsführung Screeningfragen 8. Erfordernisse an die Dokumentation 9. Hilfseinrichtungen und Kooperation 10. Täterpsychologie 11. Setting - Sicherheit 12. Anzeigen und rechtliche Grundlagen 13. Frauengerechte Diagnostik Kontext 14. Trauma und Heilung 15. Posttraumatische Belastungsstörung und Stockholmsyndrom 16. Modell Traumastation Hamburg
Rahmenkonzept Weltgesundheitsorganisation WHO: Anerkennung von häuslicher Gewalt und Vergewaltigung als öffentliches Gesundheitsproblem Geschlechtsspezifische Betrachtungsweise zeigt das Ausmaß und die gesundheitlichen Akut- und Langzeitfolgen von Gewalt an Frauen auf MitarbeiterInnen des Gesundheitswesens sind häufig die ersten Berufsgruppen, mit denen Frauen Kontakt haben Effiziente Interventionen können den Kreislauf der Gewalt durchbrechen Sensibilisierung hilft, körperliche, psychosomatische u.a Symptome als Verarbeitungs-, Anpassungs- und Überlebensstrategien zu erkennen Gesundheit 21. Das Rahmenkonzept Gesundheit für alle für die Europäische Region der WHO. 1999 u.a.
Schlüsselposition des Gesundheitswesens Repräsentative Studie aus D- 2004 u.a. Daten Gesundheitswesen: häufig die erste Kontaktstelle Frauen, die die Polizei aufsuchen, überschneiden sich kaum mit jenen, die Kontakt zum Gesundheitswesen haben Jede vierte Frau (Alter 16-85 Jahren) erlebte mehrfache körperliche/sexuelle Gewalt (Gesamtprävalenz 25 Prozent) 13 Prozent der Frauen erlebten seit dem 16. Lebensjahr sexualisierte Gewalt (fast jede siebte Frau) Körperliche Verletzungsfolgen: 64 Prozent Mehrfache psychische Folgebeschwerden: 56 bis über 80 Prozent Bei 5 Prozent aller Vergewaltigungen folgt eine Schwangerschaft Sexualdelikte Dunkelziffer: 1:10 Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentativ Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. BM für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 2004 u.a.
Formen und Muster von Gewalt Die vielfältigen Formen der Gewalt treten häufig nicht isoliert voneinander auf: Körperliche Gewalt: u.a. Schlagen, Stoßen, Treten, Boxen, Würgen, Verbrennen, Verletzungen mit Gegenständen, Mord Psychische Gewalt (vgl. auch Stalking): Beschimpfungen, Demütigungen, Lächerlichmachen in der Öffentlichkeit, Drohungen mit oder ohne Waffen, Angst machen, Anzeigen, Behauptungen, die Frau sei psychisch krank u.v.a.m. Sexualisierte Gewalt: alle Handlungen, die sich gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Frau richten: Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, erzwungenes Anschauen von Pornographie Soziale Gewalt: Kontrolle und Isolierung (u.a. Kontaktverbote, Einsperren, Zerstörung des Telefons) Ökonomische Gewalt: Missbrauch der Verfügungsgewalt über die finanziellen Mittel Gewalt nimmt an Häufigkeit und Schwere zu. Als gefährlichste Phase für Frauen und Kinder ist die Zeit der Trennung bzw. Scheidung anzusehen.
Ursachen gesundheitlicher Folgewirkungen Zusammenhänge zwischen psychosozialen Stressoren, deren Verarbeitung und Krankheitsmanifestationen haben u.a. zu tun mit: Natur und Ausmaß von Gewalt Möglichkeiten/Strategien, vor Gewalt zu flüchten/verhindern persönlichen Biografie individuellen Möglichkeit, belastende Ereignisse verarbeiten zu können ( Coping ) Affekte, die eine große Bedeutung für die Bildung von krankmachenden Symptomen haben (Angst, Ekel, Wut, Scham) den Formen des Gedächtnisses der effizienten Hilfestellung und sozialen Unterstützung der sozialen, politischen ökonomischen Situation Die Funktion individueller und institutioneller Gewalt bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Krankheit. M. Springer-Kremser. 2001; Fortbildungskonzept für medizinische Berufe 1996/2004 u.a.
Gesundheitliche Akut- und Langzeitfolgen I Indikatoren für Gewalt Das Erleben von Gewalt kann sich auf die emotionale, kognitive, körperliche, sexuelle und reproduktive Gesundheit sowie auf die Gestaltung des sozialen Lebens auswirken. Bei folgenden Indikatoren sollte Gewalt als Ursache in Betracht gezogen und direkt angesprochen werden. Unmittelbare Folgen - Emotionale Symptome: Schock, intensive Angst, Weinen, (ohnmächtige) Wut, Hilflosigkeit, heillose Agitation/totale Lähmung Kognitive Symptome: Verwirrtheit, Desorientierung, Amnesie, Hypermnesien (unbeeinflussbares, sich dem Gedächtnis aufdrängendes Wiederholen eines schrecklichen Erlebnisses, Bilder und begleitende Affekte), Konzentrationsstörungen, starke Schuldgefühle Die Funktion individueller und institutioneller Gewalt bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Krankheit. M. Springer-Kremser. 2001; Fortbildungskonzept für medizinische Berufe 1996/2004
Gesundheitliche Akut- und Langzeitfolgen II Häufige Verletzungen: Kopf, Nacken, Hals, Brustkorb, Unterleib (Hämatome, Prellungen, Hieb- und Stichverletzungen, Verbrennungen, Knochenbrüche, Würgemale...) mehrere (verschieden alte) Verletzungen, dauerhafte Behinderungen Verletzungen während der Schwangerschaft (Fehl- u. Frühgeburten) ungewollte Schwangerschaften, sexuell übertragbare Erkrankungen, gynäkologische/sexuelle Probleme Muskelverspannungen, Erschöpfungszustände Schlaf- und Angststörungen alle psychosomatischen, oft chronischen Beschwerden/Krankheiten
Gesundheitliche Akut- und Langzeitfolgen III Folgende Spätfolgen sind möglich: Beziehungsleben: Misstrauen, Angst, Isolation, Anklammerung Stockholm-Syndrom: Identifikation mit dem Aggressor als Überlebensstrategie; traumatische Bindung Posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD): Wiedererleben des Traumas in Tag- und Nachtträumen (Flash-backs), Vermeidung aller Erinnerungen, Schreckhaftigkeit, Angstzustände, Schlafstörungen...) Selbstwertkrisen, Depression Ess-Störungen Selbstverletzendes Verhalten Risikoreiches Sexualverhalten Selbstmordgedanken sowie versuche Alkohol- und Substanzmissbrauch Desorganisation der Persönlichkeit: Psychose, Borderline
Gesundheitliche Akut- und Langzeitfolgen IV Weitere Hinweise sind: Isolation Zeichen von Angst und Nervosität, Angst vor dem Mann Scheu davor, über die Ursachen von psychosomatischen Beschwerden und/oder Verletzungen zu sprechen große Zeitspanne zwischen Zeitpunkt der Verletzung und Aufsuchen ärztlicher Hilfe, wiederholtes Aufsuchen von (verschiedenen) Ambulanzen Art und Ausmaß der Verletzung oder der Beschwerden stimmen nicht mit den berichteten Ursachen überein auffallendes Verhalten des begleitenden Mannes (überaktiv, beherrschend)
Diagnostik, Dokumentation und Kooperation Abklärungsschritte in der Behandlung von Gewalt betroffenen Frauen 1. Medizinische Versorgung und Abklärung von event. lebensrettenden Maßnahmen (Alkohol, Suizidalität...) 2. Einsatz bestimmter Tools, die der Identifikation spezieller Probleme dienen 3. Anamneseerstellung in Sinne der Erfassung der Gewaltbiographie mittels offener Fragen, die zusätzlich Aufschluss über die Folgen der erlebten Gewalt geben 4. Gemeinsame Erstellung eines Sicherheitsplanes 5. Genaue Spurensicherung, gerichtsverwertbare Dokumentation und Berichtlegung (Fotos) 6. Kooperation mit internen/externen Bereichen, die weiterführende Hilfestellung geben können (Info-Materialien)
Umgang mit stellvertretender Traumatisierung Professionelle Strategien Erkennen und Akzeptieren stellvertretender Traumatisierung Schutz der Arbeitsbeziehung (Arbeitszeit...) Aufrechterhalten professioneller Verbindungen: Weiterbildung, kollegiale Unterstützung, Supervision, Intervision, u.a. Begrenzung der Fallzahl Leitung und Team sollten unterstützen Realistische (nicht überzogene und unklare) Ziele festlegen Erfolge definieren und dokumentieren Öffentlichkeitsarbeit Persönliche Strategien Allgemeine Selbstfürsorge Aufbau von unterstützenden Beziehungen Arbeit mit den Händen, Natur, Bewegung, Sport Kontakte zu anderen Menschen Pflege der Spiritualität
Arbeitsschwerpunkte 2006/2007 Gesundheitspolitische Empfehlungen Implementierung des Curriculums in die Aus-, Fortund Weiterbildung des NÖ Gesundheitswesens Implementierung in die universitäre Ausbildung von Ärzten/Ärztinnen und anderer Berufsgruppen Installierung von interdisziplinären Arbeitsgruppen in NÖs Krankenhäuser Einheitliche Dokumentation/Spurensicherung, die gerichtsmedizinischen Standards entspricht Informationsmaterial für Migrantinnen Koordinierung der Aktivitäten im Gesundheitswesen Öffentlichkeitsarbeit
Situation in der Steiermark Es gibt keine epidemiologischen Daten für die Steiermark zu Gewalt an Frauen Es gibt keine detaillierten Untersuchungen zu den gesamtökonomischen Kosten der gesundheitlichen Folgen von Gewalt an Frauen Angenommene Mindestsumme für das Ö- Gesundheitswesen: 9.7 Mio Euro/Jahr Das Thema kommt in der Aus-, Fort- und Weiterbildung nicht oder nur vereinzelt vor
Projekt in der Steiermark 2003: Das Frauengesundheitszentrum gründet den Arbeitskreis: Gesundheitliche Folgen von Gewalt 2004: Projektentwicklung und Finanzierungsansuchen 2005: Finanzierungszusage Fonds Gesundes Österreich 2005: Gespräche mit MitarbeiterInnen der Krankenanstalten und der Politik 2006: Unterstützungserklärungen von LR Hirt, Prof. Lang, Prof. Biber, Prof. Danzinger, Dr. Schulze-Bauer (Gleichstellungsbeauftragte des Landes), Mag. a Skledar (Patientenombudsfrau) Landtagsbeschluss vom Juni 2006
Eckpfeiler des Projektes Schulung für MitarbeiterInnen der steirischen Krankenanstalten nach dem niederösterreichischen Konzept Verstärkung der Kooperation zwischen der stationären Versorgung und den ambulanten Gewaltschutzeinrichtungen Öffentlichkeitsarbeit: Sensibilisierung für die gesundheitlichen Folgen von Gewalt
Umsetzung des Projektes Unterstützung für die Umsetzung des Projektes auf oberster Ebene KooperationspartnerInnen in den steirischen Krankenanstalten Engagierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vor Ort, die sich des Themas annehmen Langfristig: Implementierung des Themas in die Ausbildung
Wir danken für ihre Aufmerksamkeit!