Caritas Europa Schattenbericht 2013 Länderbericht für Deutschland

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Ein soziales Europa EIN SOZIALES EUROPA. 1 #SocialRights. #SocialRights

Transkript:

1. Armut 1.1. Jüngere Entwicklungen Entwicklungen in den Bereichen Armut und soziale Ausgrenzung in Deutschland basierend auf Eurostat-Daten: Es ist zu beobachten, dass bei allen zentralen Armutsindikatoren Frauen einem größeren Armutsrisiko ausgesetzt sind als Männer. Während die Quote der erheblichen materiellen Deprivation zwischen 2008 und 2012 in Deutschland von 5,5% auf 4,9% gesunken ist, ist die Armutsgefährdungsquote zwischen 2008 (15,2%) und 2012 (16,1%) gestiegen. Der größte proportionale Anstieg eines Armutsindikators ist bei der Armutsgefährdungsquote der Beschäftigten festzustellen, wo ein Anstieg von 7,1% in 2008 auf 7,7% in 2011 zu verzeichnen ist. Der Anteil der armutsgefährdeten Beschäftigten nahm unter Männern stärker zu (+0,7pp), betrifft jedoch immer noch mehr Frauen (8,2% in 2011) als Männer (7,2% in 2011). Was die Altersgruppen betrifft, so zeigen die Daten, dass Menschen zwischen 55 und 64 Jahren die höchste Armutsgefährdungsquote aufweisen (20,4%) gefolgt von den 18- bis 24-Jährigen (19%). 2011 waren 37,1 % der der Haushalte von Alleinerziehenden (+1.2 pp) und 32,3 % der Einpersonenhaushalte (+3.1 pp) von Armut bedroht. Weiterhin waren 68,7% der Menschen unter 60 Jahren von Armut bedroht, die in Haushalten mit sehr niedriger Erwerbstätigkeit lebten (+4,5 pp). Armutstrends in Deutschland (% der Bevölkerung): Daten des Mikrozensus 2011 1 geben zusätzliche Informationen über die Armutsgefährdungsquoten verschiedener Bevölkerungsgruppen: 32,4 % der Ausländer 26,6 % der Menschen mit Migrationshintergrund 12,3 % der Menschen ohne Migrationshintergrund Eine weitere Beobachtung kann mit Blick auf die Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen gemacht werden, die laut der Eurostat-Daten die Altersgruppe ist, die am zweitmeisten von Armut bedroht ist. Dies 1 Mikrozensus 2011, URL: www.zensus2011.de 1

stimmt zwar statistisch gesehen, allerdings muss hierbei berücksichtigt werden, dass viele dieser jungen Menschen noch in Ausbildung oder Studium sind, wo sie in der Regel schlecht bezahlt werden. In Deutschland leben diese jungen Erwachsenen normalerweise nicht mehr bei ihren Eltern und zählen als eigener Haushalt. Es kann deswegen davon ausgegangen werden, dass die hohe Armutsgefährdungsquote dieser Altersgruppe ein statistisches Faktum ist, dass jedoch nicht notwendigerweise ein soziales Problem belegt, auch weil die Jugendarbeitslosigkeit nicht sehr hoch ist. 1.2. Jüngere politische Entwicklungen Seit letztem Jahr konnten die folgenden politischen Entwicklungen beobachtet werden: Seit August 2012 gab es fast keine neue Gesetzgebung bezüglich Armut oder sozialer Ausgrenzung. Das neue Bildungs- und Teilhabepaket soll die soziale Inklusion und den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen aus Familien mit geringen Einkommen verbessern. Die Bürokratie bei der Beantragung von Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket wurde etwas reduziert, was positiv ist. Nichtsdestotrotz wären ein weiterer Bürokratieabbau und höhere Ansprüche für Nachhilfeunterricht notwendig. Darüber hinaus ist seit 1.1.2014 eine Reform des Prozesskosten- und Beratungshilferechts in Kraft, die insbesondere Menschen mit geringem Einkommen betrifft. Eine starke Einschränkung des Zugangs für Bedürftige zum Rechtsschutz konnte abgewendet werden. Eine weitere Reform sollte die Rückkehr von verschuldeten Personen in die Krankenversicherung erleichtern. Die Reform war für die betroffenen Menschen positiv. Allerdings gab es eine zeitliche Verzögerung bei der Umsetzung der Reform, was in bestimmten Fällen aufgrund einer engen Fristsetzung problematisch war. Bewertung des deutschen NRPs und der damit verbundenen Politiken: Das deutsche NRP verfolgt das Armutsreduzierungsziel indem es den Fokus auf die Langzeitarbeitslosigkeit legt. Fast alle Maßnahmen, die Armut verringern sollen, werden am Maßstab der Reduzierung von (Langzeit-)Arbeitslosigkeit gemessen. Andere Maßnahmen, die in diesem Kontext genannt werden beziehen sich auf die Verbesserung der Bildung von Kindern und Jugendlichen sowie auf gezieltere Leistungen für Alleinerziehende. Alle anderen Themen, über die im Zusammenhang mit dem Armutsziel berichtet werden könnte, werden nicht weiter ausgeführt und es wird auf den Nationalen Sozialbericht verwiesen (NSB). Generell ist die Beschäftigungssituation in Deutschland gut. Trotzdem müssen weitere Anstrengungen unternommen werden, um Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen und die Situation von Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen, die dadurch nicht sofort dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen können, zu verbessern. Es muss außerdem festgestellt werden, dass sich die im NRP vorgeschlagenen Maßnahmen nicht ausreichend auf die Armutsgefährdungsquote beziehen, da diese nicht automatisch durch die Reduzierung von Arbeitslosigkeit sinkt. Armut trotz Erwerbstätigkeit bleibt ein Problem, da die geschaffenen Stellen nicht immer Vollzeitstellen sind und die Löhne in manchen Wirtschaftszweigen niedrig sind. Zwar gibt es unterstützende Leistungen, allerdings ist das Gesamtproblem noch nicht gelöst. Was im NRP fehlt ist ein breiterer Ansatz mit Blick auf Armut (einschließlich bspw. Kinderarmut, intergenerationelle Vererbung von Armut oder das Vorbeugen von Altersarmut). Der knappe Verweis auf den Nationalen Sozialbericht bei diesen Themen wird überaus kritisch gesehen. Prinzipiell werden die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht als ungeeignet angesehen, um Armut zu bekämpfen und die Beschäftigungssituation zu verbessern. Allerdings macht das NRP kaum Vorschläge wie Armut trotz Erwerbstätigkeit vorgebeugt und die Langzeitarbeitslosigkeit von Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen reduziert werden kann. Spezifische Formen von Armut und Maßnahmen, wie ihnen vorgebeugt werden kann werden nicht genannt. 2

Bewertung der 2013 angenommenen länderspezifischen Empfehlungen für Deutschland: Es gibt keine länderspezifischen Empfehlungen, die explizit die Bekämpfung von Armut und sozialer Exklusion aufgreifen. Allerdings enthält die zweite länderspezifische Empfehlung für Deutschland einige Ansätze, die positive Auswirkungen mit Blick auf die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung haben könnten. Die Verbesserung von Bildungserfolgen von benachteiligten Menschen, die Aktivierungs- und Integrationsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose sowie die höheren Anreize für Zweitverdiener und die Ganztagskinderbetreuung könnten die Arbeitslosigkeit verringern, die eine der Hauptgründe für Armut in Deutschland ist. Die folgende länderspezifische Empfehlung könnte negative Auswirkungen auf die Reduzierung von Armut und sozialer Ausgrenzung in Deutschland haben: Länderspezifische Empfehlung, die negative Auswirkungen haben könnte Länderspezifische Empfehlung 1: Die Effizienz des Steuersystems durch eine weniger häufige Verwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes erhöhen 1.3. Empfehlungen Mögliche negative Auswirkungen Eine weniger häufige Verwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bedeutet, dass von Armut betroffene Menschen (im Verhältnis zu ihrem Einkommen) mehr Steuern bezahlen müssen als reichere Menschen, da sie einen höheren Anteil ihres Einkommens für Konsum ausgeben. Das NRP sollte ein präziseres Bild der Armut in Deutschland zeichnen und beispielsweise Themen wie Kinderarmut oder die intergenerationelle Vererbung von Armut aufgreifen. Ein knapper Verweis auf den Nationalen Sozialbericht wird als kritisch gesehen und Maßnahmen der Armutsbekämpfung müssen weiter ausgeführt werden (siehe auch die Empfehlungen für Beschäftigung). Bestimmte Aspekte der Berechnung des Arbeitslosengelds II sollten angepasst werden, wie zum Beispiel die Referenzgruppe für Erwachsene, und ein Minimum an Flexibilität sollte garantiert werden. Der Kinderzuschlag sollte ausgebaut werden. 2. Beschäftigung 2.1. Jüngere Entwicklungen Entwicklungen der Beschäftigungssituation in Deutschland Die Beschäftigungsquote ist 2012 um 2,7 Prozentpunkte auf 76,7% gestiegen. Obwohl die Beschäftigungsquote von Frauen (+ 3,7 pp) stärker gestiegen ist als die der Männer (+1,7 pp) ist weiterhin eine große Kluft ( gender gap ) bei der Beschäftigungsquote zwischen Männern (81,8% in 2012) und Frauen (71,5% in 2012) zu beobachten. Nachdem die Arbeitslosenquote zwischen 2008 und 2009 leicht angestiegen ist, ist sie nun wieder deutlich gesunken. Die Jugendarbeitslosigkeit bleibt die niedrigste in der EU (8,1% im Vergleich zu 22,8% im EU27-Durchschnitt 2011). Die Langzeitarbeitslosigkeit ist gesunken, betrifft allerdings mehr Männer (2,5% in 2011) als Frauen (2,3% in 2011). Ein ähnlicher genderspezifischer Unterschied kann bei der der allgemeinen Arbeitslosenquote festgestellt werden, die bei Männern etwas höher ist (5,7% in 2011) als bei Frauen (5,2% in 2011). 3

Beschäftigungstrends in Deutschland (% der Bevölkerung): Die oben geschilderten Trends reflektieren die Realität der Beschäftigungssituation in Deutschland. 2.2. Jüngere politische Entwicklungen Seit letztem Jahr konnten die folgenden politischen Entwicklungen beobachtet werden: Seit August 2012 wurde nur eine größere Gesetzesinitiative mit Bezug auf die Arbeitsmarktpolitik angenommen: die Reform der Mini-Jobs. Der Höchstlohn für einen Mini-Job wurde von 400 auf 450 angehoben. Des Weiteren besteht für Mini-Jobber nun grundsätzlich die Rentenversicherungspflicht, wobei ein Befreiungsrecht ( Opt-out ) eingeräumt wird. Vorher gab es dagegen eine grundsätzliche Rentenversicherungsfreiheit auf die die Mini-Jobber jedoch verzichten ( Opt-in ) konnten. Mögliche Konsequenz dieser Maßnahme ist, dass sie für Mini-Jobber Anreize schaffen könnte sich gegen eine Vollzeitstelle zu entscheiden. Bewertung des deutschen NRPs und der damit verbundenen Politiken: Das NRP berichtet über Beschäftigung und Arbeitslosigkeit in Deutschland. Der deutsche Arbeitsmarkt entwickelt sich momentan gut, weswegen die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren gesunken ist. Dies ist auf die positive wirtschaftliche Entwicklung und die Arbeitsmarktreformen des letzten Jahrzehnts zurückzuführen. Bezüglich des Beschäftigungswachstums muss Deutschland qualifizierte Arbeitskräfte mobilisieren. Laut des NRP soll dies durch die Mobilisierung von weiblichen Arbeitskräften und die erleichterte Migration von qualifizierten Arbeitnehmern geschehen. Die deutsche Regierung sieht Maßnahmen zum Erreichen dieser beiden Ziele vor. Das NRP geht außerdem auf ein paar Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere der Langzeitarbeitslosigkeit ein. Das deutsche NRP benennt zu Recht die zentralen Herausforderungen bezüglich des Beschäftigungswachstums. Dennoch muss auch die Unsicherheit mancher Arbeitsverhältnisse angesprochen werden. Insgesamt gesehen, können die im NRP vorgeschlagenen Maßnahmen als angemessen angesehen werden. Es gibt manche Maßnahmen, die im NRP nicht angesprochen werden, die sich mit Blick auf das Ziel der gesteigerten Beschäftigungsquote von Frauen konterproduktiv auswirken könnte: das sogenannte Betreuungsgeld, das ein Anreiz für Eltern (meist Frauen) sein soll, Zuhause zu bleiben und sich in den ersten drei Jahren um ihre Kinder zu kümmern, ist eine der Maßnahmen, um das Problem der mangelnden Kinderbetreuung anzugehen (z.b. fehlten im August 2012 schätzungsweise 200 000 Kinderbetreuungsplätze). Qualitätsaspekte sollten beim Ausbau der Kinderbetreuung nicht vernachlässigt werden. Außerdem könnte die Förderung von sogenannten Mini-Jobs (Teilzeitstellen mit einem monatlichen Gehalt von 450 Euro) Anreize schaffen sich gegen eine Vollzeitstelle zu entscheiden. Im NRP fehlen darüber hinaus Maßnahmen, wie die Beschäftigung von älteren Menschen gesteigert werden könnte. 4

Bewertung der 2013 angenommenen länderspezifischen Empfehlungen für Deutschland: Die zweite länderspezifische Empfehlung für Deutschland zu höheren Löhnen, der Steuer- und Abgabenlast für Arbeitnehmer, der Integration von Langzeitarbeitslosen, der Überführung von Mini- Jobs in nachhaltigere Beschäftigungsverhältnisse, den besseren Anreizen für Zweitverdiener Arbeit aufzunehmen und der besseren Verfügbarkeit von Kinderbetreuung werden als angemessen angesehen, um die Beschäftigungssituation in Deutschland zu verbessern. 2.3. Empfehlungen Ausarbeitung und Verbesserung der spezifischen Maßnahmen für Menschen, die sehr lange arbeitslos sind und multiple Vermittlungshemmnisse haben. Insbesondere muss die Finanzierung durch eine angemessene Gesetzgebung gesichert werden. Die Finanzierung von Maßnahmen für Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen muss langfristig sein und sollte nicht auf zwei Jahre begrenzt sein. Darüber hinaus sollten diese Maßnahmen soziale Inklusion und Integration in den Arbeitsmarkt fördern und sollten durch eine Person begleitet werden, die sozialpädagogisch qualifiziert ist. Erarbeitung und Investition in Maßnahmen um die Beschäftigungsquote von älteren Menschen zu steigern (altersgerechte Arbeitsplätze, neue Ruhestandsregelungen, Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz, etc.). Bestimmte Arbeitsverhältnisse wie Mini-Jobs oder zeitlich befristete Beschäftigungsverhältnisse sollten evaluiert werden und bessere Möglichkeiten der Integration von Menschen (insbesondere von Frauen) in den Arbeitsmarkt gefunden werden. 3. BILDUNG 3.1. Jüngere Entwicklungen Entwicklungen der Bildungssituation in Deutschland: Die Quote der frühen Schulabgänger ist um 1,3 Prozentpunkte gesunken während die Quote der Personen mit Hochschulabschluss um 4,2 Prozentpunkte gestiegen ist. Beide Quoten liegen unterhalb des EU-Durchschnitts. Bei der Quote der frühen Schulabgänger gibt es zwischen Jungen und Mädchen einen deutlichen Unterschied. Während die Quote bei beiden gesunken ist, ist die Quote der Jungen immer noch deutlich höher (12,7% in 2011) als die der Mädchen (9,8% in 2011). Bildungstrends in Deutschland (% der Bevölkerung): 5

Der Deutsche Caritasverband e.v. hat eine Studie über Jugendliche ohne Hauptschulabschluss durchgeführt. Während 2011 5,8% der Jugendlichen die Schule ohne Hauptschulabschluss verließen, waren es 2009 noch 7,2%. Dennoch wurde festgestellt, dass es bei den Zahlen der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss zwischen den Bundesländern (zwischen 4,8% und 11,6%) und zwischen den verschiedenen Städten und Gemeinden (zwischen 1,3% und 16%) deutliche Unterschiede gibt. 3.2. Jüngere politische Entwicklungen Seit letztem Jahr konnten die folgenden politischen Entwicklungen beobachtet werden: Es wurden keine größeren Maßnahmen umgesetzt. Bewertung des deutschen NRPs und der damit verbundenen Politiken: Das NRP geht nur kurz auf frühe Schulabgänger ein. Die geschilderten Maßnahmen sind meistens Projekte und Initiativen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Gesetzgebungskompetenz im Bildungsbereich bei den Bundesländern liegt. Das NRP berichtet über eine Abnahme von Jugendlichen, die ohne Hauptschulabschluss die Schule verlassen, die frühen Schulabgänger, auf die im NRP eigentlich schwerpunktmäßig eingegangen werden sollte, werden kaum erwähnt. Ihre Quote hat nicht wesentlich abgenommen. Der enge Zusammenhang zwischen Bildung und sozialem Status ist nicht angemessen berücksichtigt. Die geschilderten Maßnahmen sind meistens Projekte und/oder Initiativen, die hilfreich sein könnten, um diese Probleme anzugehen. Gleichzeitig könnten Themen wie die Verbesserung der Bildungschancen für alle Kinder und der enge Zusammenhang zwischen Bildung und sozialem Status stärker in den Fokus genommen werden. Bewertung der 2013 angenommenen länderspezifischen Empfehlungen für Deutschland: Die zweite länderspezifische Empfehlung für Deutschland zur Verbesserung der Anreize zu arbeiten und der Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitnehmern, insbesondere für Zweitverdiener und Geringqualifizierte sowie bzgl. der Verfügbarkeit von Kinderbetreuung und Ganztagsschulen werden als angemessen angesehen um die Bildungssituation in Deutschland zu verbessern. 3.3. Empfehlungen Eine gemeinsame Initiative mit lokalen Gebietskörperschaften und Stakeholdern (Schulen, Wohlfahrtsorganisationen, Jobcentern, Unternehmen, etc.), um dem frühen Schulabgang von Jugendlichen vor Erreichen des Hauptschulabschlusses vorzubeugen. Die Bundesländer und der Bund können diese Aktionen unterstützen. Die Inklusion von Kindern mit Behinderung in regulären Schulen befördern. 6