WZBrief Zivil- Engagement. Jugend heute: Sozialkapital und politische Beteiligung WZB

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Transkript:

WZB Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung WZBrief Zivil- Engagement 06 Oktober 2012 Jugend heute: Sozialkapital und politische Beteiligung Céline Teney, Laurie Hanquinet Eine Umfrage unter Schülerinnen und Schülern zeigt: Ein Drittel ist politisch aktiv. Zu den Aktiven gehört die klassische Klientel gut ausgebildeter und vernetzter Jugendlicher aus bürgerlichem Hause. Die Mehrzahl der politisch Engagierten allerdings sind religiös gebundene Jugendliche aus Migrantenfamilien. Alle bisher erschienenen Briefe sind zu finden unter: www.wzb.eu/wzbriefzivilengagement

Jugend heute: Sozialkapital und politische Beteiligung Céline Teney, Laurie Hanquinet Sozialkapital ist nach Pierre Bourdieu ein Netzwerk mehr oder weniger institutionalisierter Beziehungen von Kennen und Anerkennen, das dem Einzelnen verschiedene Ressourcen bietet (Bourdieu 1985). So nimmt man an, dass größeres Sozialkapital die Fähigkeit erhöht, sich politisch zu engagieren und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen politisch aktiv werden (Lake/Huckfeldt 1998). Den allgemeinen Verlust an Sozialkapital und die Folgen für politisches Engagement und Demokratie hat der US-Soziologe Robert Putnam im Jahr 2000 eindrücklich beschrieben. Seitdem ist eine fast unübersehbare Menge an Literatur entstanden, die genau diesen Zusammenhang behandelt. Oft wird behauptet, es seien vor allem die Jugendlichen, die sich weniger für das Gemeinwohl und für die Politik einsetzen als früher (Banaji/Buckingham 2010, Putnam 2000). Eine aktuelle Studie aus Deutschland untermauert diesen Befund: 16 bis 29 Jahre alte Deutsche engagieren sich seltener freiwillig als der Durchschnitt aller Altersgruppen (Petersen 2012). Nun haben neuere Untersuchungen zugleich gezeigt, dass das Engagement junger Menschen weniger traditionellen Mustern folgt, sondern eher informell stattfindet (Dalton 2007). Bei genauerer Betrachtung sind sie also vielleicht nicht weniger gesellschaftlich oder politisch aktiv sondern anders. Wenn man die Strukturen von politischer Beteiligung und Sozialkapital unter Jugendlichen detailliert untersucht, sind möglicherweise ganz neue Formen zu entdecken. Das Hauptziel unserer Untersuchung ist es dementsprechend, verschiedene Profile von Jugendlichen im Blick auf ihre gesellschaftliche Einbindung herauszuarbeiten. Zu diesem Zweck haben wir jeweils für das Sozialkapital und für die politische Beteiligung differenzierte Kategorien entwickelt. Sozialkapital lässt sich sowohl über offizielle als auch über informelle soziale Netzwerke messen: Mit offiziellen Netzwerken ist die Teilnahme an Aktivitäten gemeint, die von Vereinen organisiert werden (also zum Beispiel von Jugend-, Sport- oder Kulturvereinen). Informelle Netzwerke können gemessen werden über die Qualität und die Häufigkeit der Beziehungen zu Gleichaltrigen und Eltern und durch regelmäßige Verabredungen außer Haus. Unsere Untersuchung umfasste außerdem Fragen nach dem Besuch von Gottesdiensten, der Nutzung sonstiger Angebote religiöser Gemeinschaften und nach dem persönlichen Glauben. Politische Beteiligung haben wir auf manifester und latenter Ebene zu messen versucht. Mit manifester politischer Beteiligung sind parlamentarische und außerparlamentarische Aktionsformen gemeint, also die Teilnahme an politischen Versammlungen einerseits, an Demonstrationen andererseits. Die latente Komponente bilden Verhaltensmuster und Aktivitäten, die manifester politischer Betätigung vorangehen können, also etwa das Lesen politischer Zeitungsartikel oder politische Diskussionen unter Freunden. 2

Die Umfrage Die Datengrundlage unserer Studie stammt aus einer Befragung von Schülerinnen und Schülern der Abschlussklassen an 70 Sekundarschulen in Brüssel (Belgien) aus dem Jahr 2007. Insgesamt 3.121 Schüler beteiligten sich an der Umfrage etwa ein Drittel der Schüler dieser Altersklasse. Im Durchschnitt waren sie 18 Jahre alt. Charakteristisch für diese Gesamtgruppe ist ihre große ethnische Vielfalt: Ungefähr die Hälfte der befragten Jugendlichen waren Migranten der ersten oder zweiten Generation. Unter den Herkunftsländern ihrer Familien dominierten Marokko, die Türkei und die Demokratische Republik Kongo. Politisch engagiert ist nicht gleich sozial gut vernetzt Wir haben die Angaben der Jugendlichen einer statistischen Analyse 1 unterzogen, um sie verschiedenen Arten des Sozialkapitals zuzuordnen. Wir konnten sechs Typen von Jugendlichen mit jeweils sehr ähnlichen Formen von Sozialkapital ausmachen. Die Tabelle auf Seite 5 beschreibt diese Typen, wobei der genaueren Beschreibung der sechs Typen von Sozialkapital zum einen die wichtigsten soziodemografischen Eigenschaften und zum anderen die Form des politischen Engagements zugeordnet sind. Die Tabelle zeigt deutlich, wie unterschiedlich die Netzwerke sind, die das Sozialkapital eines Typs prägen. Bei den befragten Brüsseler Jugendlichen hängt die Zugehörigkeit zu einem der Typen von Sozialkapital offensichtlich stark vom sozioökonomischen Hintergrund ab. Hervorzuheben ist folgender Befund: Immerhin gut ein Drittel der Jugendlichen engagiert sich politisch. Dabei sind die Formen des politischen Engagements höchst unterschiedlich. Genauso unterschiedlich sind die Typen des Sozialkapitals unter den Jugendlichen. Allerdings das zeigt die detaillierte Analyse deutlich ist der Zusammenhang zwischen der einen und der anderen Skala viel komplexer als in der Literatur bisher angenommen. Einerseits sind die Mitglieder der Gruppe mit den vielfältigsten Formen sozialer Beziehungen individuell wie im Blick auf Vereine, also die Engagierten, tatsächlich diejenigen, die auch in fast allen Bereichen politischer Beteiligung stark vertreten sind. Und jene mit dem schwächsten Sozialkapital, der isolierte Typ, ist am wenigsten politisch aktiv. Andererseits aber, und das ist eine neue Erkenntnis, ist die zweite Gruppe mit hoher politische Aktivität der religiöse Typus gekennzeichnet durch eine eher eindimensionale, eng auf religiöse Zusammenhänge bezogene Form des Sozialkapitals. Es zeigt sich: Begrenztes Sozialkapital geht nicht zwangsläufig mit geringer politischer Beteiligung einher. Vielmehr scheint eine religiöse Lebensführung eng mit intensivem politischen Engagement verknüpft zu sein. Die Engagierten und die Religiösen Wenn wir jetzt die beiden Gruppen vergleichen, die das größte politische Engagement aufweisen, beobachten wir, dass diese sich nicht nur im Blick auf ihr Sozialkapital unterscheiden, sondern auch in soziodemografischen Eigenschaften. Offensichtlich bringen sich junge Menschen je nach Geschlecht, sozialer Herkunft und ethnischem Hintergrund unterschiedlich in die Gesellschaft ein. Während in der Gruppe der Engagierten die Jungen überrepräsentiert sind, sind unter den Religiösen ungefähr gleich viele Jungen wie Mädchen. Außerdem kennzeichnet den religiösen Typus ein niedrigerer sozioökonomischer Status und ein niedrigeres Bildungsniveau als die Engagierten. Während außerdem über 80 Prozent der Religiösen einen migrantischen Hintergrund haben (meist in der Türkei und Marokko), 3

besteht die Gruppe der Engagierten zu 75 Prozent aus Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Die unterschiedlichen Formen politischer Beteiligung hängen so mit unterschiedlichen soziodemografischen Profilen zusammen. Die Profile der beiden Gruppen unterscheiden sich auch in der Gestalt ihres politischen Engagements. Jugendliche, die zu den Engagierten gehören (8 Prozent aus unserem Sample), entsprechen dem Idealtypus der politisch Aktiven, wie er in der Literatur zum Sozialkapital dargestellt wird: Sie haben ein weit ausdifferenziertes Sozialkapital und engagieren sich auf verschiedene Weise politisch. Sie nehmen nicht nur an fast allen parlamentarischen und außerparlamentarischen politischen Aktivitäten teil, die wir in unserer Umfrage aufgeführt haben, sondern sind auch latent politisch aktiv, lesen also politische Artikel in Zeitungen oder führen politische Diskussionen mit Freunden. Mehr noch, das Vereinsleben scheint für sie von besonderer Bedeutung zu sein: Sie nehmen an fast allen Formen von Vereinsaktivitäten rege teil. Im Gegensatz dazu zeigt die religiöse Gruppe wenige Eigenschaften dieses Idealtyps: Junge Menschen, die zu dieser Klasse gehören (26 Prozent der Befragten), haben eine schmalere und wenig ausdifferenzierte Basis an Sozialkapital ihre sozialen Aktivitäten drehen sich im Wesentlichen um religiöse Anlässe. Was ihre politische Beteiligung betrifft, ist die Palette der Aktivitäten viel kleiner. Diese Jugendlichen nehmen an Nachbarschaftsräten oder an Demonstrationen teil, boykottieren Produkte und verteilen Faltblätter oder Aufkleber für politische Parteien. Ganz anders als die Engagierten geben die Angehörigen der religiösen Gruppe keinerlei ehrenamtliche Aktionen an. An Veranstaltungen nichtreligiöser Vereinigungen nehmen diese Jugendlichen nicht teil. Sie zeigen auch keine Form von latentem politischen Engagement. Daraus lässt sich schließen, dass diese Politikformen keine Voraussetzung für die Teilnahme an manifesten Formen von Politik sind: Jemand kann sehr wohl an Nachbarschaftsräten oder Demonstrationen teilnehmen, ohne sich besonders für politische Nachrichten zu interessieren oder mit Freunden über Politik zu diskutieren. Der WZBrief Zivilengagement erscheint mehrmals im Jahr in unregelmäßigen Abständen. Er bietet knappe Analysen von WZB-Forscherinnen und -Forschern. Alles in allem unterstreichen unsere Ergebnisse, wie wichtig es ist, nicht nur auf den Umfang von Sozialkapital und politischer Beteiligung zu achten, sondern auch auf ihre Beschaffenheit. Sozialkapital und politische Beteiligung hängen eben nicht linear zusammen: Starke politische Partizipation setzt nicht notwendig ein breit gestreutes Sozialkapital voraus. Unsere Studie zeigt, dass neben dem Idealtypus der politisch Aktiven, die ein breites Sozialkapital haben und Mitglied in verschiedenen Arten von Vereinen sind, also den Engagierten, auch Jugendliche aktiv am politischen Leben teilnehmen, die ein eher enges und eindimensionales, nämlich religionsbezogenes Sozialkapital haben. Aktiv praktizierte Religiosität kann ein essentieller Bestandteil von Sozialkapital sein und direkt zu politischem Engagement führen. Unsere Analyse deckte ganz verschiedene Formen von Sozialkapital und politischer Beteiligung auf. Insgesamt widersprechen die Ergebnisse dem verbreiteten Bild vom mangelnden sozialen und politischen Engagement der Jugend heute. Der WZBrief Zivilengagement wird elektronisch versandt. Abonnieren unter: www.wzb.eu/de/presse/presseverteiler WZB auf Twitter https://twitter.com/wzb_news 4

Die Religiösen 26 % - Freunde treffen: täglich - Clubs, Cafés, Konzerte: nie - Gute Beziehung zu den Eltern - Religiös: regelmäßiger Besuch von Gottesdiensten und religiösen Veranstaltungen - Migrationshintergrund: marokkanische, türkische, zentralafrikanische Familien - Niedriger Bildungsstand der Mutter - Berufsschule - Verteilen von Werbematerialien politischer Parteien - Teilnahme an Nachbarschaftsräten und Demonstrationen - Produktboykotte Die Häuslichen Die Geselligen Die Isolierten Die Clubgänger Die Engagierten 9 % 38 % 10 % 9 % 8 % Netzwerke - Freunde treffen: mehrmals monatlich - Freunde besuchen: ein Mal im Monat - Café: selten - Nachtclubs: nie - Auf der Straße herumhängen: nie - Freunde treffen: mindestens ein Mal pro Woche - Freunde besuchen: ein Mal in der Woche - Café: ein Mal im Monat - Konzertbesuch: selten - Nachtclubs: mehrmals monatlich - Sportvereine - Freunde treffen: höchstens ein Mal pro Monat - Kein Freund zum Reden - Club, Café, Konzerte: nie - Kino: selten - Auf der Straße herumhängen: nie - Schwierige Beziehung zum Vater - Freunde treffen: täglich - Nachtclubs und Cafés: ein Mal pro Woche - Konzerte: selten - Kino: ein Mal im Monat - Teilnahme an Angeboten von Sportvereinen - Freunde treffen: täglich - Freunde besuchen: ein Mal pro Woche - Cafés: ein Mal pro Woche - Konzerte: ein Mal pro Woche - Teilnahme an Aktivitäten kultureller, humanitärer sowie Jugend- oder Studentenvereine - Nichtreligiös: kein Besuch von Gottesdiensten Soziodemografische Eigenschaften - Mädchen, Familienhintergrund - Hoher Bildungsgrad der Mutter - Familienhintergrund - Hoher Bildungsgrad der Mutter - Mädchen - Migrationshintergrund - Jungen, Familienhintergrund - Berufsschule - Jungen, Familienhintergrund - Hoher Bildungsgrad der Mutter - Allgemeinbildende Schule - Allgemeinbildende Schule - Allgemeinbildende Schule Politische Partizipation - Keine - Keine - Keine - Aufkleber verteilen für Vereine - Freiwilliges Engagement in Vereinen (Werbematerial verteilen) - Teilnahme an Demonstrationen und politischen Veranstaltungen - Produktboykotte - Politische Diskussionen mit Verwandten - Versuche, Verwandte politisch zu überzeugen - Lesen politischer Artikel - Versuche, Nachbarschaftsprobleme zu lösen Tabelle 1: Sechs Typen von Sozialkapital. Anmerkung: Diese Einteilung in sechs Gruppen geht von Sozialkapital aus, nicht von Eigenschaften der politischen Beteiligung.

Zum Weiterlesen Teney, Céline/Laurie Hanquinet (2012): High Political Participation, High Social Capital? A Relational Analysis of Youth Social Capital and Political Participation. In: Social Science Research, Jg. 41, Heft 5, S. 1213-1226. Literatur Banaji, Shakuntala/David Buckingham (2010): Young People, the Internet, and Civic Participation: An Overview of Key Findings from the CivicWeb Project. In: International Journal of Learning and Media, Jg. 2, Heft 1, S. 15 24. Bourdieu, Pierre (1985): The Forms of Social Capital. In: Richardson, J.G. (Ed.): Handbook of Theory and Research for the Sociology of Education. New York: Greenwood, S. 241 258. Dalton, Russel J. (2007): The Good Citizen: How a Younger Generation Is Reshaping American Politics. Washington, DC.: CQ Press. Lake, Ronald L./Robert Huckfeldt (1998): Social Capital, Social Networks, and Political Participation. In: Political Psychology, Jg. 19, Heft 3, S. 567 584. Petersen, Thomas (2012): Freiheit und Bürgerschaftliches Engagement. Ergebnisse einer Repräsentativumfrage im Auftrag der Herbert Quandt-Stiftung. Bad Homburg: Herbert Quandt-Stiftung. Putnam, Robert (2000): Bowling Alone: The Collapse and Revival of American Community. New York: Simon & Schuster. Impressum Fußnote 1 Wir erarbeiteten eine aufsteigend hierarchische Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung Social Science Research Center Berlin Herausgeberin: Prof. Jutta Allmendinger Ph.D. Redaktion: Dr. Paul Stoop Redaktion und Übersetzung aus dem Englischen: Gabriele Kammerer Produktion: Ingeborg Weik-Kornecki Reichpietschufer 50 10785 Berlin Telefon +49 (30) 25491-0 Telefax +49 (30) 25491-684 Klassifizierung, die auf den Ergebnissen einer Mehrfachkorrespondenzanalyse beruht. Aus dieser Analyse wählten wir zwei Dimensionen aus, mit denen sich 61 Prozent der Gesamt-Varianz erklären lassen: Erstens stellten wir eine außerfamiliäre/soziale Komponente einer religiösen gegenüber, zweitens untersuchten wir hohes Engagement (in religiösen Zusammenhängen und, weniger wichtig, in Vereinen) als Gegenpol zu sozialem Rückzug. Zu den Autorinnen Céline Teney ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Migration, Integration, Transnationalisierung. Laurie Hanquinet ist Dozentin im Department of Sociology der University of York (GB). wzb@wzb.eu www.wzb.eu 5