Sozialpolitisches Fachgespräch am 14. April 2015 Vorschläge der Volkssolidarität zur Reform der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Altersarmut verhindern Grundsicherung im Alter fortentwickeln Dr. Alfred Spieler, Referent für Sozialpolitik, Volkssolidarität Bundesverband e. V. 1
Reform der Grundsicherung im Kontext von Armutsbekämpfung und sozialer Sicherung Eine Reform der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung muss in Verbindung mit weiteren Ebenen der Armutsbekämpfung und den vorgelagerten Sicherungssystemen angegangen werden. Dazu gehört, die gesellschaftlichen Ursachen von Armut zu bekämpfen z. B. in den Bereichen Arbeitsmarktpolitik, Wohnen, Vereinbarkeit Familie und Beruf die gesetzliche Rente wieder verstärkt auf die Lebensstandardsicherung auszurichten das Absinken des Rentenniveaus zu stoppen und besonders von Altersarmut bedrohte Gruppe besser abzusichern Dafür hat die Volkssolidarität mehrfach Vorschläge vorgelegt 2
Reform der Grundsicherung im Kontext von Armutsbekämpfung und sozialer Sicherung Die gesetzliche Rentenversicherung ist nicht wie oft dargestellt der erste Ort zur Bekämpfung von Altersarmut. Sie hat in erster Linie die Aufgabe, den im Erwerbsleben erworbenen / erarbeiteten Lebensstandard angemessen zu sichern und somit auch sozusagen strukturell Altersarmut vorzubeugen. Erst wenn das nicht funktioniert, ist es Aufgabe der Grundsicherung im Alter als unterstes Auffangnetz Armut im Alter zu verhindern. 3
Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung heute Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch XII, Kapitel IV, setzt immer dann ein, wenn die Rente oder andere Einkünfte für das Alter und im Falle einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit für den Lebensunterhalt nicht ausreichen. Für diesen Fall haben alle Bürger einen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf staatliche Unterstützung zur Sicherung ihres Existenzminimums und zur Gewährleistung ihrer Teilhabe an der Gesellschaft. Entsprechende Leistungen müssen beantragt werden und setzen eine umfassende Bedürftigkeitsprüfung voraus, die sich vor allem auf die Einkommens-und Vermögensverhältnisse des Antragsstellers beziehen. 4
Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung heute Ende 2013 bezogenüber 962.000 Menschen Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, davon 499.000 ab 65-Jährige, d. h. ca. 3,0 Prozent in dieser Altersgruppe. Der Großteil davon sind Frauen 463.000 Menschen mit einer Erwerbsminderungs-Rente (EM-Rente) Davon war die mehrheitlich Männer regionale Unterschiede West Ost, Stadtstaaten Sachsen/Thüringen 5
Entw icklung der Anzahl der Empfänger/-innen v on Grundsicherung im Alter - Deutschland - 2003 bis 2012-500.000 400.000 300.000 Quelle: Materialien des Statistischen Bundesamtes, W iesbaden 2014 6 74.748 182.986 257.734 88.810 204.327 293.137 110.166 232.689 342.855 119.821 244.714 364.535 129.695 262.673 392.368 138.651 271.307 409.958 140.324 259.513 399.837 147.076 265.005 412.081 158.437 277.773 436.210 171.029 293.807 464.836 200.000 100.000 0 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 männlich weiblich insgesamt
Hintergrund für eine Reform der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Sinkende Ansprüche aus der gesetzlichen Rente wegen Fehlentwicklungen im Arbeitsmarkt und auf Grund eines gesetzlich festgelegten sinkenden Rentenniveaus Absehbare Folge: Anzahl der Leistungsbezieher in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung wird weiter anwachsen Demografische Entwicklung beschleunigt diesen Prozess zusätzlich: Zunahme des Anteils der Älteren an der Bevölkerung steigende Lebenserwartung Die Bedeutung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung als soziales Sicherungssystem für einen wachsenden Teil der Bevölkerung wird in den nächsten Jahren erheblich zunehmen. 7
Entw icklung der durchschnittlichen Rentenzahlbeträge v on Altersrenten im Rentenzugang - Deutschland 2003 bis 2013- in Euro 1000 800 600 400 200 892 460 668 855 449 643 836 438 635 832 444 634 869 469 671 871 484 674 865 496 670 860 515 673 868 520 680 899 532 716 913 546 737 0 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Männer Frauen Insgesamt Zusammengestellt nach: Rentenversicherung in Zeitreihen O ktober 2013, Seite125 und DRV-Statistik Rentenzugang 2013, Bd.198, S.7, 8
Armutsrisikoquote 65 und älter 2012: Insgesamt - 13,6 % Männer - 11,3 % Frauen - 15,9 % Amtliche Sozialberichterstattung des Bundes Tabelle A 1.1.0 Deutschland Armutsgefährdungsquote nach soziodemographischen Merkmalen in Prozent gemessen am Bundesmedian Armutsrisikoquote 65 und älter 2013: Insgesamt - 14,9 % Männer - 12,7 % Frauen - 17,0 % Anteil der armutsgefährdeten Bevölkerung nach soziodemographischen Merkmalen Ergebnisse aus LEBEN IN EUROPA 2013(Auszug) Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung 374/14 Seite 3 vom 28.10.2014 Relatives Armutsrisiko in Deutschland unverändert bei 16,1 % 9
1. Der sozialpolitische Handlungsbedarf Schon heute schützt die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nicht ausreichend vor Armut. Zwischen der Armutsgefährdungsschwelle laut Statistischem Bundesamt 892 Euro im Jahre 2013 und dem durchschnittlichen Bruttobedarf von Empfängern der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (721 Euro 2013) klafft eine Lücke von 171 Euro. Problematisch ist insbesondere der hohe Anteil der verdeckten Altersarmut. Nach Berechnungen der Armutsforschung beziehen in der Altersgruppe der über 65-Jährigen nur etwa zwei von drei Anspruchsberechtigten tatsächlich Leistungen der Grundsicherung im Alter. (Studie von Irene Becker für die Hans-Böckler-Stiftung) 10
2. Der sozialpolitische Handlungsbedarf In der heutigen Form trägt die Grundsicherung im Alter auch unzureichend altersspezifischen Anforderungen Rechnung. Alter als eigenständiger Lebensabschnitt (Grundsicherung bzw. Sozialhilfe geht aber von vorübergehender Notlage aus) fehlende bzw. eng begrenzte Möglichkeiten zur Verbesserung des eigenen sozialen Status 11
3. Der sozialpolitische Handlungsbedarf Bezieher von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach Kapitel IV SGB XII sind gegenüber Beziehern von ALG II teilweise schlechter gestellt so hinsichtlich der Freibeträge für Alterseinkünfte (vollständige Anrechnung sämtlicher Alterseinkünfte), so dass z. B. selbst die Verbesserung bei den Kindererziehungszeiten durch das Rentenpaket der Bundesregierung bei ca. 300.000 Frauen nicht ankommt. Freibeträge für Vermögensanrechnung deutlich restriktiver als im SGB II und auch realitätsfremd, z. B. wird Besitz eines KFZ verwehrt. 12
Der sozialpolitische Handlungsbedarf Fazit: Insgesamt besteht ein hoher sozialpolitischer Handlungsbedarf, um Altersarmut in der Grundsicherung wirksamer zu begegnen. 13
Was schlägt die Volkssolidarität vor? 1. Erhöhung des Regelsatzes für eine alleinstehende Person auf 450 Euro monatlich Orientierungsmarke bezogen auf das Jahr 2014, ohne Einmalleistungen wie z. B. für weiße Ware zur ausführlichen Begründung: -Gutachtenvon PARITÄTISCHEM Gesamtverband, AWO, Diakonie, Caritas für das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2013 - Gutachten Irene Becker für die Hans-Böckler-Stiftung vom Februar 2015 zu beachten: - Urteil des BVerfG vom 23. Juli 2014: Regelbedarfsleistungen derzeit noch verfassungsgemäß 14
Was schlägt die Volkssolidarität vor? 2. Einführung eines Freibetrags für Alterseinkünfte bei der Einkommensanrechnung ein Grundfreibetragvon 100 Euro (wie im SGB II) ein zusätzlicher Freibetrag für Renten-bzw. Alterseinkünftein Höhe von 15 Prozent des Regelsatzes, d. h. beim aktuellen Regelsatz für 2015 von 399 Euro wären das zusätzlich 60 Euro insgesamt ca. 160 Euro (Vorschläge zu Freibeträgen in der Grundsicherung im Alter auch von SoVD-ver.di und vom PARITÄTISCHEN Gesamtverband) 15
Was schlägt die Volkssolidarität vor? 3. Anhebung des Vermögensfreibetrags auf 150 Euro pro Lebensjahr mindestens aber 7.500 Euro und Erlaubnis zum Besitz eines Kraftfahrzeugs im Wert bis zu 7.500 Euro (wie im SGB II) 16
Was schlägt die Volkssolidarität vor? 4. Öffnung der Grundsicherung im Alter für Arbeitslose, die ab dem 63. Lebensjahr eine Rente mit Abschlägen beziehen, sowie für Bezieher einer befristeten Erwerbsminderungsrente. Damit wäre dieser Personenkreis nicht mehr gezwungen, Hilfe zum Lebensunterhalt zu beantragen, für die deutlich schärfere Regelungen bei den Unterhaltsverpflichtungen von Angehörigen gelten. 17
Was schlägt die Volkssolidarität vor? 5. Das Antragsverfahren für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung soll erleichtert werden. Das zuständige Grundsicherungsamt leitet ein Antragsverfahren von Amts wegen ein, nachdem es durch den Rentenversicherungsträger darüber informiert wurde, dass auf Grund der Rentenhöhe offensichtlich ein Anspruch auf Leistungen nach SGB XII, Kapitel IV, besteht. Die Ermittlung eines eventuellen Leistungsanspruchs ist nur unter (freiwilliger) Mitwirkung des offensichtlich Leistungsberechtigten möglich. Zum Ausgleich für den höheren Verwaltungsaufwand soll der Wiederholungsantrag erst nach drei statt nach einem Jahr erforderlich sein. 18
Was schlägt die Volkssolidarität vor? Für eine bessere Sicherung des Wohnraums von Menschen, die über geringe Alterseinkünfte verfügen, fordert die Volkssolidarität eine Anhebung des Wohngeldesund die Einführung einer Energiekostenkomponentemit dem Ziel, eine Abhängigkeit von Leistungen der Grundsicherung zu vermeiden eine stärkere Berücksichtigung von altersspezifischen Aspekten und Härtefallkonstellationenbei Überschreitung der Kriterien für angemessenen Wohnraum auf kommunaler Ebene. Der zweite Punkt betrifft die Gebietskörperschaften, die in ihren Satzungen darüber entscheiden, was die angemessenen Kosten der Unterkunft sind. Es geht aus Sicht der Volkssolidarität darum, auf kommunaler Ebene darauf hinzuwirken, dass vorhandene Ermessensspielräume zugunsten der Betroffenen ausgeschöpft werden. 19
Wie gehen wir mit Einwänden gegen die Vorschläge der Volkssolidarität um? Einwand: Die Anzahl der Bezieher von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung wird in der Statistik erheblich ausgeweitet und damit auch offiziell mehr Armut eingeräumt. Ja, tatsächlich würden in der Statistik mehr Bezieher von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung erscheinen, weil mehr Betroffene ihren begründeten Rechtsanspruch auf eine menschenwürdige Existenz einfordern. Damit wären sie aber auch deutlich besser sozial abgesichert und weniger bzw. nicht mehr dem Risiko ausgesetzt, unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle leben zu müssen. 20
Wie gehen wir mit Einwänden gegen die Vorschläge der Volkssolidarität um? Einwand: Eine solche Leistungsausweitung ist nicht bezahlbar. Das Absinken des Leistungsniveaus in der gesetzlichen Rente, ein zu niedriger gesetzlicher Mindestlohn und unzureichender Schutz gegen steigende Wohnund Energiekosten begünstigen das Anwachsen der Anzahl von Menschen, die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind. Die demografische Entwicklung wachsender Anteil Älterer an der Gesamtbevölkerung, längere Lebensdauer verstärkt diese Entwicklung zusätzlich. Die bessere Absicherung sozialer Risiken in vorgelagerten Systemen würde helfen, die Kosten für die Grundsicherung im Alter zu begrenzen. 21
Wie gehen wir mit Einwänden gegen die Vorschläge der Volkssolidarität um? Einwand: Es sollte mehr gegen Kinderarmut statt für die Alten getan werden. Die Volkssolidarität setzt sich dafür ein, dass alle Generationen, Kinder und Jugendliche ebenso wie Ältere, unter guten Bedingungen leben und an der Gesellschaft teilhaben können. Wenn Armut in allen Altersgruppen wirksam bekämpft werden soll, kommt die Politik nicht umhin, große Vermögen und Erbschaften sowie hohe Einkommen stärker zu besteuern. 22
Schlussbemerkung Die Volkssolidarität setzt sich dafür ein, die Stigmatisierung der Grundsicherung im Alter und die heute festzustellenden Barrieren für den Zugang zu dieser Leistung der sozialen Sicherung abzubauen. Dazu müssen die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angepasst und wo nötig ausgebaut sowie das Antragsverfahren erleichtert werden. Danke für die Aufmerksamkeit! Kontakt Dr. Alfred Spieler Volkssolidarität Bundesverband e. V. Alte Schönhauser Str. 16, 10119 Berlin Tel. 030 2789 7-0 Fax 030 2759 3959 E-Mail alfred.spieler@volkssolidaritaet.de www.volkssolidaritaet.de 23