Substanziierungspflicht nach der schweizerischen Zivilprozessordnung

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Transkript:

HAVE Haftpflichtprozess 2011 vom 24. Mai 2011 Substanziierungspflicht nach der schweizerischen Zivilprozessordnung Prof. Dr. Walter Fellmann, Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Haftpflicht- und Versicherungsrecht, Professor für Privatrecht an der Universität Luzern Disposition Sein: (Warnung an die Anwälte) Allgemeine Grundsätze Anforderungen des materiellen Rechts und des Prozessrechts Substanziierung der Bestreitung Sollen: Schranken der Substanziierungspflicht Begründung in drei Schritten Lösung des Problems Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 2

Allgemeine Grundsätze Verhandlungsmaxime Nach Art. 55 Abs. 1 ZPO haben die Parteien dem Gericht die Tatsachen, auf die sie ihre Begehren stützen, darzulegen und Beweismittel anzugeben. Die Parteien tragen also die Behauptungslast. Jede von ihnen muss die Tatsachen behaupten, welche das Gericht in seinem Urteil zur Gutheissung ihrer Anträge berücksichtigen soll. Dabei haben die Parteien die Tatsachen so detailliert darzulegen, dass sie das Gericht unter eine bestimmte Gesetzesbestimmung subsumieren kann. Das nennt man Substanziieren. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 4

Substanziierungspflicht Unter Substanziieren versteht man die schlüssige Darstellung des Sachverhalts. Sie umfasst alle rechtlich relevanten Einzelheiten des Falls. Die rechtsgenügliche Substanziierung weist den Detaillierungsgrad auf, der zur Subsumption unter die angerufene Rechtsnorm oder zur Abnahme von Beweisen erforderlich ist. Substanziieren ist demnach ein Behaupten von Tatsachen, das bestimmten Anforderungen genügt. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 5 Substanziierungspflicht Jede Partei hat die Tatsachen zu behaupten, von denen die Entstehung ihrer Rechte oder der Untergang ihrer Verpflichtungen abhängt. Werden diese Behauptungen bestritten, hat sie den behaupteten Sachverhalt zu beweisen. Stellt sich die Frage nach der Behauptungslast, weil eine rechtsbegründende oder rechtsaufhebende Tatsache von keiner Partei vorgebracht wird, gilt es zu prüfen, welche Partei die Behauptungslast trifft. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung richtet sich die Behauptungslast nach den Beweislastregeln des Art. 8 ZGB. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 6

Anforderungen des materiellen Rechts und des Prozessrechts Anforderungen des materiellen Rechts Was jede Partei inhaltlich zu behaupten hat, bestimmt das materielle Recht. Nicht das Prozessrecht, sondern das materielle Recht entscheidet, ob eine Partei einen ihr zustehenden Anspruch ausreichend zu substanziiert hat. So liegt beispielsweise unter dem Blickwinkel des materiellen Rechts eine ungenügende Substanziierung vor, wenn sich der Kläger zur Begründung seiner Schadenersatzansprüche mit einem Verweis auf Rechnungen begnügt, die jedoch keinerlei Aufschluss darüber geben, welche Arbeiten ausgeführt wurden und was die verschiedenen Arbeiten kosteten. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 8

Anforderungen der ZPO Die ZPO regelt, wie weit die Parteien ihre anspruchsbegründenden Tatsachen selbst vorzubringen haben bzw. ob der Richter auch Tatsachen berücksichtigen darf, welche die Parteien nicht vorgebracht haben. Ferner schreibt die schweizerische Zivilprozessordnung vor, in welcher Form und binnen welcher Frist die Parteien die ihnen obliegenden Tatsachenbehauptungen vorzubringen haben. Hier ist die neue ZPO strenger als viele kantonale Prozessordnungen. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 9 Anforderungen der ZPO Die ZPO begründet nämlich insofern eine moderate Eventualmaxime, als die Parteien im ordentlichen Prozess grundsätzlich nur zweimal unbeschränkt zu Wort kommen, nämlich im Verlauf eines doppelten Schriftenwechsels in Klage und Replik bzw. Klageantwort und Duplik jeweils schriftlich oder bei einem einfachen Schriftenwechsel in der Klage und Klageantwort schriftlich und in der Instruktionsverhandlung oder in der Hauptverhandlung mündlich. Die Anforderungen an die Substanziierung werden im vereinfachten Verfahren herabgesetzt. Einzelheiten dazu finden Sie im schriftlichen Tagungsbeitrag. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 10

Substanziierung der Bestreitung Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 11 Substanziierung der Bestreitung Von Substanziierung ist auch im Zusammenhang mit Bestreiten die Rede. Danach muss auch die Bestreitung gewissen Anforderungen genügen. Diese Anforderungen richten sich ausschliesslich nach Prozessrecht. Nach Art. 222 Abs. 2 ZPO hat der Beklagte in seiner Klageantwort dazulegen, welche Tatsachenbehauptungen er im Einzelnen anerkennt oder bestreitet. Eine pauschale Bestreitung zu Beginn der Rechtschrift genügt nicht. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 12

Substanziierung der Bestreitung Die bestrittene Tatsache muss so konkret bezeichnet werden, dass für die Gegenpartei und das Gericht klar ist, welche Behauptungen bestritten werden. Es ist dem Beklagten daher nicht zu empfehlen, sich in der Klageantwort darauf zu beschränken, dem Gericht eine eigene Version des Sachverhalts aufzutischen, ohne sich konkret mit den Behauptungen des Klägers auseinanderzusetzen. Nicht zu sagen braucht der Beklagte, weshalb er eine Behauptung bestreitet. Er muss seine Bestreitung also nicht begründen. Das liefe nämlich auf eine Umkehr der Beweislast hinaus. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 13 Schranken der Substanziierungspflicht

Ausgangspunkt: Die Aufgabenverteilung zwischen den Parteien und dem Gericht Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 15 Aufgaben der Parteien Art. 55 Verhandlungs- und Untersuchungsgrundsatz 1 Die Parteien haben dem Gericht die Tatsachen, auf die sie ihre Begehren stützen, darzulegen und die Beweismittel anzugeben. 2 Vorbehalten bleiben gesetzliche Bestimmungen über die Feststellung des Sachverhaltes und die Beweiserhebung von Amtes wegen. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 16

Aufgaben des Gerichts Art. 57 Rechtsanwendung von Amtes wegen Das Gericht wendet das Recht von Amtes wegen an. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 17 1. Zwischenergebnis

1. Zwischenergebnis Die Lehre ist sich einig: AFFENTRANGER, Art. 57 N 11:«Das vom Gericht von Amtes wegen anzuwendende Recht brauchen die Parteien nicht zu kennen.»; Siehe auch GASSER/RICKLI, Art. 57 N 2, die eine rechtliche Begründung der Parteien zwar für nützlich, nicht aber für erforderlich halten. Fehle sie, habe das Gericht das Recht selber zu suchen; ähnlich SUTTER-SOMM/VON ARX, Art. 55 N 32 und GEHRI, Art. 57 N 1 und 4. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 19 Was heisst «Rechtsanwendung»?

Rechtsanwendung Rechtsanwendung ist ein Denkvorgang. Das Gericht wendet einen Rechtssatz auf den Sachverhalt an, den ihm die Parteien vortragen. Dabei muss es den Lebenssachverhalt unter die Rechtsnorm subsumieren. Dazu bedient sich der Richter der Schlussform des Syllogismus. Es geht stark vereinfacht betrachtet darum, eine konditional formulierte Rechtsregel auf einen bestimmten Sachverhalt anzuwenden. Der Richter schliesst aus zwei Prämissen auf eine Rechtsfolge als Konklusion, aus dem Rechtssatz als Obersatz und dem Sachverhalt als Untersatz. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 21 Rechtsanwendung Dazu hat er nun aber nicht nur die massgebende Rechtsnorm zu eruieren, sondern auch den rechtlich relevanten Sachverhalt festzustellen. Der Richter hat aus dem Lebensvorgang, der «Geschichte» der Parteien, das herauszuschälen, was im Hinblick auf den nach seiner Meinung anwendbaren Rechtssatz als Obersatz relevant ist. Dies zeigt, dass die Ermittlung der massgebenden Rechtsregel und die Feststellung des rechtlich relevanten Sachverhalts in einer Wechselbeziehung stehen. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 22

Rechtsanwendung Zum einen ist die Feststellung des rechtlich relevanten Sachverhalts nur möglich, wenn der anwendbare Rechtssatz bekannt ist. Zum andern ist die Suche nach der anwendbaren Norm undenkbar, solange der Richter den Sachverhalt nicht kennt, auf den die Norm allenfalls anwendbar ist. KARL ENGISCH hat diesen Vorgang als «Hin- und Herwandern des Blicks» beschrieben. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 23 2. Zwischenergebnis Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 24

2. Zwischenergebnis Zwar ist es nach der Verhandlungsmaxime primär Sache der Parteien, dem Gericht die Tatsachen zu präsentieren, auf welche es das Recht anzuwenden hat. Trotzdem kann sich das Gericht bei der Rechtsanwendung nicht davon dispensieren, in einer allenfalls vielschichtigen Geschichte der Parteien die rechtlich relevanten Fakten selbst zu suchen. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 25 3. Zwischenergebnis

3. Zwischenergebnis Bestimmt sich auf der andern Seite der Inhalt der Substanziierungspflicht der Parteien nach den Tatbestandsmerkmalen der anzuwendenden Rechtsnormen, haben nicht nur das Gericht, sondern auch die Parteien quasi systemwidrig das anzuwendende Recht zu kennen. Verlangt man von ihnen gestützt auf eine angebliche Substanziierungspflicht gar, den Sachverhalt «entscheidungsreif» zu präsentieren, hat auch ihr Blick zwischen der potenziell anwendbaren Norm und dem Sachverhalt hin und her zu wandern. Damit verlangt man von ihnen also nichts anderes als Rechtsanwendung. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 27 3. Zwischenergebnis Werden daher die Anforderungen an die Substanziierungspflicht überspannt, kollidiert diese Pflicht mit der Pflicht des Gerichts zur Rechtsanwendung von Amtes wegen! Mit THOMAS SUTTER-SOMM und GREGOR VON ARX ist daher festzuhalten, dass die Parteien ihre Pflicht zur Substanziierung stets erfüllen, wenn sie dem Gericht in einem ersten Schritt eine einfache und schlüssige Behauptung unterbreiten. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 28

Schlussfolgerung: Die Lösung bringt die richterliche Fragepflicht nach Art. 56 ZPO! Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 29 Richterliche Fragepflicht Weist die Darstellung des Sachverhalts mit Blick auf die Rechtsnorm, die nach Meinung des Gerichts anwendbar ist, Lücken auf, hat es nachzufragen und den Parteien gestützt auf Art. 56 ZPO Gelegenheit zur Klarstellung und zur Ergänzung ihrer Tatsachenbehauptungen zu geben. Nicht anders ist zu verfahren, wenn eine Partei die Darstellung des Sachverhalts im Rahmen ihrer Substanziierungspflicht zwar detailliert auf eine vermeintlich anwendbare Rechtsnorm ausrichtet, nach Auffassung des Gerichts aber eine andere Norm anwendbar ist und hierzu Ausführungen fehlen. Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 30

Frage: Warum funktioniert das in der Praxis nicht? Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 31 Paul Oberhammer meint es zu wissen: Kurzkommentar, Art. 56 N 2. Das würde ich nicht zu schreiben wagen! Prof. Dr. iur. Walter Fellmann 32

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!