86 Elterliche Sorge I Ausdruck der familiären Solidarität ist des Weiteren 1619, aufgrund dessen das Kind verpflichtet ist, in einer seinen Kräften und seiner Lebensstellung entsprechenden Weise den Eltern in ihrem Hauswesen und Geschäft Dienste zu leisten, solange es dort wohnt und von den Eltern erzogen oder unterhalten wird. Die Verpflichtung zur Mithilfe im gemeinsamen Haushalt und bei vorrangiger Berücksichtigung der Belange von Schule und Berufsausbildung und in einem angemessenen zeitlichen Umfang erscheint als grundsätzlich unproblematisch. Bei der Mithilfe im Betrieb der Eltern oder in der Landwirtschaft ist in besonderer Weise auf die Belange des Kindes (Schule, Ausbildung) Rücksicht zu nehmen und sind Überforderung und Überanstrengung zu vermeiden (vgl. BGH FamRZ 1960, 359; 1998, 101). 7.2 Begriff und Erwerb der elterlichen Sorge 7.2.1 Begriff und Bestandteile der elterlichen Sorge Elterliche Sorge ist ein Sammelbegriff für die wichtigsten privatrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern nach den 1626 bis 1698b. Elterliche Sorge ist die wichtigste Funktion der elterlichen Verantwortung im Zusammenhang mit ihrem verfassungsrechtlich geschützten, Pflichten gebundenen Elternrecht nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 GG (siehe dazu Kapitel 1.2). Die umfassend angelegten Verpflichtungen im Rahmen der elterlichen Sorge zielen ab auf die Entwicklung von jungen Menschen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten (vgl. auch 1 Abs. 1 SGB VIII). Seit Inkrafttreten des BGB im Jahre 1900 bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts war das Eltern-Kind-Verhältnis rechtlich und weit gehend auch tatsächlich durch ein Über-Unterordnungsverhältnis gekennzeichnet, das insoweit zutreffend durch den Rechtsbegriff Elterliche Gewalt zum Ausdruck gebracht wurde. Dieser Begriff wurde erst 1980 durch den nunmehr gültigen Begriff der elterlichen Sorge abgelöst und durch die Kindschaftsrechtsreform 1998 und die Einfügung partnerschaftlicher Beziehungsmerkmale in 1626 Abs. 2 in die zurzeit gültige, modernen Anschauungen entsprechende Gesetzesform gebracht. Danach berücksichtigen die Eltern bei der Pflege und Erziehung des Kin-
Begriff und Erwerb 87 des dessen wachsende Fähigkeit und sein wachsendes Bedürfnis zu selbstständigem, verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach seinem Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben dabei Einvernehmen an. Elterliche Sorge umfasst gemäß 1626 Abs. 1 Satz 2 die Sorge für die Person (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge). Daran knüpft gemäß 1629 Abs. 1 Satz 1 jeweils die gesetzliche Vertretung an, so dass die elterliche Sorge die in Übersicht 26 aufgeführten Elemente beinhaltet. Elterliche Sorge Personensorge 1626 Abs. 1 sowie 1629 (gesetzliche Vertretung) Vermögenssorge 1626 Abs. 1 sowie 1629 (gesetzliche Vertretung) Übersicht 26 Man muss also unterscheiden zwischen: 1. Personensorge in tatsächlicher Hinsicht (siehe 7.3) 2. Gesetzlicher Vertretung in Personensorge-Angelegenheiten (siehe 8.2) 3. Vermögenssorge in tatsächlicher Hinsicht (siehe 8.1) 4. Gesetzlicher Vertretung in Vermögenssorge-Angelegenheiten (siehe 8.2) Wer Inhaber der elterlichen Sorge ist, nimmt diese zumeist in allen vier in Übersicht 26 gekennzeichneten Dimensionen wahr. Allerdings muss dies z. B. bei Minderjährigen nicht immer der Fall sein, so dass gelegentlich Personensorge, Vermögenssorge und/ oder die gesetzliche Vertretung auseinander fallen können. Grundtypen der elterlichen Sorge sind die gemeinsame Sorge durch beide Eltern und die Alleinsorge durch einen Elternteil. Vertiefung: Unbeschadet der vorstehenden und nachfolgenden Darstellung des Sorgerechts von Eltern (Müttern und/oder Vätern) gibt es in eingeschränktem Umfange auch sorgerechtliche Befugnisse weiterer Personen (siehe dazu Übersicht 27).
88 Elterliche Sorge I So genannte kleine Sorgerechte Dies betrifft Personen, die nicht Eltern bzw. nicht Sorgeberechtigte des Kindes sind: Übersicht 27 1. Elternteil, der nicht Inhaber der elterlichen Sorge ist: Entscheidungsrechte in Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung des Kindes (unter bestimmten Voraussetzungen nach 1687a) 2. Ehegatte eines allein sorgeberechtigten Elternteils, der selbst nicht Vater oder Mutter des Kindes ist: Mitentscheidungsrechte in Angelegenheiten des täglichen Lebens ( 1687b) 3. Pflegeperson, insbesondere bei Vollzeitpflege nach 33 SGB VIII: Entscheidungsrechte in Angelegenheiten des täglichen Lebens ( 1688) 4. Lebenspartner (nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz) eines allein sorgeberechtigten Elternteils: Mitentscheidungsrechte in Angelegenheiten des täglichen Lebens ( 9 Abs. 1 und 2 LPartG) 7.2.2 Erwerb der elterlichen Sorge Die Inhaberschaft der elterlichen Sorge allein oder gemeinsam setzt dreierlei voraus: 1. Inhaber der elterlichen Sorge kann/können nur sein: Mutter und/oder Vater. Es müssen also zunächst die Voraussetzungen von 1591 bzw. 1592 ff. erfüllt sein (vgl. Kapitel 4.2). 2. Zusätzlich muss (in der Regel) einer der vier Erwerbstatbestände nach den 1626a erfüllt sein. 3. Schließlich darf die (erworbene!) elterliche Sorge nicht ruhen, beendet oder durch gerichtliche Entscheidung entzogen bzw. anderweitig zugeordnet sein (siehe dazu Kapitel 8.3, 9 und 10). Der Erwerb der elterlichen Sorge kann kraft Gesetzes, kraft Erklärung oder kraft gerichtlicher Entscheidung erfolgen/erfolgt sein: 1. Zuordnung kraft Gesetzes an beide Eltern, die
Begriff und Erwerb 89 a) bei Geburt miteinander verheiratet sind ( 1626a Abs. 1 Umkehrschluss) b) oder (später) heiraten ( 1626a Abs. 1 Nr. 2); oder an die Mutter allein ( 1626a Abs. 2) 2. Zuordnung kraft Erklärung an beide nicht miteinander verheirateten Eltern nach Abgabe von Sorgeerklärungen ( 1626a Abs. 1 Nr. 1) 3. Anderweitige Zuordnung kraft Gerichtsentscheidung aus Anlass/aufgrund von Trennung oder Scheidung ( 1671) von Tod oder tatsächlicher Verhinderung ( 1674, 1677, 1680) von Ruhen der elterlichen Sorge ( 1673, 1674, 1675) des Entzugs der elterlichen Sorge ( 1666) Von zentraler Bedeutung sind dabei die vier Erwerbstatbestände des 1626a 1. Gemeinsame Sorge beider, bei der Geburt des Kindes miteinander verheirateter Eltern ( 1626a Abs. 1 Umkehrschluss). Dieser Hauptfall wird vom Gesetzgeber als noch fast selbstverständlich vorausgesetzt und deshalb nur indirekt im Zusammenhang mit den weiteren drei folgenden Erwerbstatbeständen zum Ausdruck gebracht ( Sind die Eltern nicht... ). 2. Gemeinsame Sorge beider, nicht miteinander verheirateter Eltern aufgrund von Sorgeerklärungen beider Eltern ( 1626a Abs. 1 Nr. 1). 3. Gemeinsame Sorge beider Eltern, die nach der Geburt des Kindes einander heiraten, ab dem Zeitpunkt der Heirat ( 1626a Abs. 1 Nr. 2). 4. Wenn kein Fall von Nr. 1 bis 3 vorliegt: Alleinsorge der Mutter ( 1626a Abs. 2). Die oben genannten Erwerbstatbestände Nr. 1 und 3 sind nicht weiter erläuterungsbedürftig. Der Fall Nr. 4 beruht auf der Erwägung, dass die Mutter aus biologisch-sozialen Gründen mit dem Kind enger verbunden ist als der Vater. Die drei Erwerbstatbestände Nr. 1, 3 und 4 treten automatisch bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen (also: kraft Gesetzes) ein, ohne dass noch zusätzlich etwas geschehen muss.
90 Elterliche Sorge I Vertiefung: Anders ist es bei dem (vom Bundesverfassungsgericht BVerfGE 84, 168 eingeforderten) Erwerbstatbestand Nr. 2 (nämlich 1626a Abs. 1 Nr. 1), den es in Deutschland erst seit der Kindschaftsrechtsreform 1998 gibt. Danach können beide, nicht miteinander verheirateten Eltern die elterliche Sorge erwerben, indem sie (beide!) erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen (Sorgeerklärungen). Jeder Elternteil konnte damit diesen Erwerbstatbestand nach bis 2011 geltendem Recht verhindern. Es verletzt allerdings das Elternrecht des Vaters eines nicht ehelichen Kindes aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, dass er ohne Zustimmung der Mutter generell und ausnahmslos von der Sorgetragung für sein Kind ausgeschlossen ist. Diese Regelung ist sowohl nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (FuR 2010, 214) als auch des Bundesverfassungsgerichts (FamRZ 2010, 1403) verfassungswidrig und soll alsbald durch eine verfassungskonforme Neuregelung ersetzt werden. Sorgeerklärungen können bereits vor der Geburt des Kindes ( 1626b Abs. 2) und ohne Einhaltung von Fristen abgegeben werden. Darüber hinaus bestehen wenige Formvorschriften (vgl. 1626e!) mit Blick auf eine so verantwortungsvolle Entscheidung wie die der Übernahme der gemeinsamen Sorge für ein Kind, nämlich lediglich folgende Voraussetzungen für die Wirksamkeit von Sorgeerklärungen beider Eltern: 1. keine Bedingung oder Zeitbestimmung ( 1626b Abs. 1), 2. keine anderweitige gerichtliche Entscheidung nach den 1671, 1672, 1696 Abs. 1 ( 1626 b Abs. 3), 3. persönliche Abgabe durch die Eltern ( 1626c Abs. 1), also nicht durch eine andere Person in Vertretung der Eltern, 4. ggf. Zustimmung des/der gesetzlichen Vertreter(s) bei einem beschränkt geschäftsfähigen, also minderjährigen Elternteil bzw. Ersetzung derselben durch das Familiengericht ( 1626c Abs. 2) und 5. öffentliche Beurkundung ( 1626d Abs. 1) von Sorgeerklärungen und ggf. erforderlichen Zustimmungen (nach Nr. 4), z. B. durch den Notar oder kostenfrei das Jugendamt ( 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 SGB VIII!).