Studienvereinigung Kartellrecht: Aktuelle Fragen des Schweizer Kartellrechts

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Transkript:

Studienvereinigung Kartellrecht: Aktuelle Fragen des Schweizer Kartellrechts Ein neuer institutioneller Setup im Schweizer Wettbewerbsrecht: Erfahrungen aus Österreich RA Dr Axel Reidlinger, Wien Bern, 29. Juni 2012 Freshfields Bruckhaus Deringer LLP

Gliederung 1. Das österreichische Kartellverfahren im Überblick 2. Behördenstruktur Österreich wesentliche Eckpunkte 3. Behördenstruktur Österreich kritische Analyse 4. Zusammenfassung 5. Diskussion Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 1

Das österreichische Kartellverfahren im Überblick Behördenstruktur und Verfahrenshierarchie Oberster Gerichtshof als Kartellobergericht Wirtschaftskammer Bundesarbeitskammer Landwirtschaftskammer Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht Interessierter Unternehmer bzw Unternehmensvereinigung Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) Bundeskartellanwalt Regulatoren (Telekom, Energie, Schienen) Wettbewerbskommission (beratendes Organ der BWB) Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 2

Behördenstruktur Österreich wesentliche Eckpunkte Freshfields Bruckhaus Deringer LLP

Behördenstruktur Österreich wesentliche Eckpunkte (1) Wettbewerbsbehörden im engeren Sinn Entscheidungsbehörde: Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht Senate mit je 4 Mitgliedern (2 Berufsrichter, 2 fachkundige Laienrichter) Rechtsmittelbehörde: Oberster Gerichtshof als Kartellobergericht Senate mit je 5 Mitgliedern (3 Berufsrichter, 2 fachkundige Laienrichter) Aufgriffs- und Ermittlungsbehörde: Bundeswettbewerbsbehörde (unabhängig, monokratisch organisiert: Generaldirektor für Wettbewerb) angesiedelt beim Wirtschaftsministerium Vertreter der öffentlichen Interessen in Angelegenheiten des Wettbewerbsrechts: Bundeskartellanwalt (dem Bundesminister für Justiz unmittelbar unterstellt) Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 4

Behördenstruktur Österreich wesentliche Eckpunkte (2) Antragsbefugnis beim Kartellgericht ( 36 (4) KartG) Bundeswettbewerbsbehörde, Bundeskartellanwalt Regulatoren (Telekom, Energie, Schienen) Wirtschaftskammer Österreich, Bundesarbeitskammer, Landwirtschaftskammer ( Sozialpartner ) Jeder Unternehmer und jede Unternehmensvereinigung, der oder die ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse an der Entscheidung hat Amtsparteien ( 40 KartG) Bundeswettbewerbsbehörde und Bundeskartellanwalt haben als Amtspartei Parteistellung auch dann, wenn sie nicht Antragsteller sind ( 40 KartG) Stellungnahmen der Regulatoren ( 46 KartG) Kartellgericht kann die Regulatoren zu Stellungnahmen zu den ihren jeweiligen Wirtschaftszweig betreffenden Fragen auffordern. Die Regulatoren können auch ohne Aufforderung Stellungnahmen abgeben. Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 5

Behördenstruktur Österreich wesentliche Eckpunkte (3) Typischer Verfahrensablauf Antrag an das Kartellgericht auf Abstellung, Feststellung und / oder Verhängung einer Geldbuße durch Bundeswettbewerbsbehörde, Bundeskartellanwalt, Regulator oder Unternehmen mit rechtlichem oder wirtschaftlichem Interesse Schriftliche Stellungnahme des Antragsgegners Mündliche Verhandlung am Kartellgericht ( Tagsatzung ) zur Festlegung des Prozessprogramms Beweisaufnahme durch das Kartellgericht: Vernehmung von Zeugen, allenfalls Einholung eines (ökonomischen) Sachverständigengutachtens Stellungnahmen der Parteien zu den aufgenommenen Beweisen, mündliche Erörterung des Sachverständigengutachtens in weiterer Tagsatzung Schriftliche Entscheidung mit Beschluss des Kartellgerichts (bei Verhängung von Geldbußen wird der (kurze) Spruch der Entscheidung idr unter Berufung auf EMRK-Standards - öffentlich mündlich verkündet) Rechtsmittel des Rekurses zum Obersten Gerichtshof als Kartellobergericht dieser kann in der Sache selbst entscheiden oder die Sache zur neuerlichen Verhandlung ans Kartellgericht zurückverweisen. Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 6

Behördenstruktur Österreich wesentliche Eckpunkte (4) Ökonomische Fachkompetenz Das Kartellgericht bestellt externe Sachverständige. Teilweise hohe Sachverständigengebühren (bis zu EUR 200.000 pro Verfahren). Unterschiedliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit Sachverständiger - Gericht - Parteien. Gefahr des Black box -Effekts bei mangelnder Rückkoppelung. Rechtsmittelverfahren Der Oberste Gerichtshof (OGH) als Kartellobergericht (KOG) entscheidet in zweiter und letzter Instanz über Rechtsmittel der Parteien gegen Entscheidungen des Kartellgerichts. Als Revisionsgericht überprüft der OGH als KOG nur mangelhafte rechtliche Beurteilung und Verfahrensmängel, nicht aber fehlerhafte Tatsachenfeststellungen bzw Beweismängel keine zweite Tatsacheninstanz. Verfahrensregeln Wettbewerb als öffentliches Gut Das Kartellgesetz und das daneben anwendbare Außerstreitgesetz berücksichtigen das öffentliche Interesse an der Wahrung des Wettbewerbs in einigen Punkten (zb idr kein Anwaltskostenersatz). Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 7

Behördenstruktur Österreich wesentliche Eckpunkte (5) Historischer Hintergrund Österreich hatte keine deutsche Kartellrechtstradition bis zum Inkrafttreten des EWR (1994) gab es genehmigte Kartelle, die beim Kartellgericht angemeldet und ins Kartellregister eingetragen wurden (Skikartell, Schulbuchkartell,...). 1988 Modernisierung durch neues Gesetz, noch immer zahlreiche Ausnahmen, Privilegierung von Wirkungskartellen gegenüber Absichtskartellen etc. Anträge von interessierten Unternehmern ans Kartellgericht waren seit langem möglich ( private enforcement auf österreichisch ), daneben Anträge der damaligen Amtsparteien (Sozialpartner, Bundesregierung). 1990er Jahre: Frischer Wind durch Vorbereitung auf EWR- und EU-Beitritt: zb 1993 Zusammenschlusskontrolle, Reform vertikale Vertriebsbindungen. Juli 2002 Institutionenreform: Schaffung der Bundeswettbewerbsbehörde und des Bundeskartellanwalts als Ermittlungs- bzw. Aufgriffsbehörden und Amtsparteien. Erst seit 1.1.2006 weitgehende Angleichung an das EU-Wettbewerbsrecht. Reform 2012 (derzeit im Parlament): Regierungsvorlage (Juni 2012) bringt nur materielle Detailänderungen und Stärkung der Ermittlungskompetenzen der Bundeswettbewerbsbehörde (bei Auskunftsverlangen, Hausdurchsuchungen etc). Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 8

Behördenstruktur Österreich wesentliche Eckpunkte (6) Exkurs: Sonderfall Zusammenschlusskontrolle Anmeldung des Zusammenschlusses bei Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), die Anmeldung wird auch an den Bundeskartellanwalt weitergeleitet, beide Behörden prüfen den Fall idr 4 Wochen lang ( Phase 1 ). Keine Wettbewerbsbedenken: Freigabe nach 4 Wochen durch Bestätigung von BWB und Bundeskartellanwalt (ohne Begründung) Bei Wettbewerbsbedenken stellen BWB und / oder Bundeskartellanwalt einen Prüfungsantrag gem 11 KartG ans Kartellgericht (Einleitung der Phase 2 ). Vertiefte Prüfung durch das Kartellgericht: BWB und Bundeskartellanwalt sind als Parteien am Verfahren neben dem Anmelder beteiligt. Entscheidende Bedeutung des extern eingeholten ökonomischen Sachverständigengutachtens. Rechtsmittel zum Kartellobergericht insb sind auch gegen eine Freigabe des Kartellgerichts noch Rechtsmittel der Amtsparteien möglich Durchführung erst bei Rechtskraft der Freigabe, dh erneute Verzögerung! Dritte Unternehmen (Wettbewerber, Kunden etc.) haben im Zusammenschlusskontrollverfahren keine Parteistellung, können aber schriftliche Äußerungen an die BWB (in Phase 1) bzw an das Kartellgericht (in Phase 2) übermitteln. Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 9

Kritische Analyse des österreichischen Behördensystems Freshfields Bruckhaus Deringer LLP

Behördenstruktur Österreich kritische Analyse (1) Überblick Vorteile Personelle Trennung von Ankläger und Richter (BWB Kartellgericht) Juristische Kompetenz der OLG- und OGH-Richter Tribunalqualität für die Verhängung hoher Geldbußen isd EMRK (bisheriges Maximum: EUR 75,6 Mio im Aufzugskartell, 2007) Klare Verfahrensregeln (Kartellgesetz, Außerstreitgesetz, hilfsweise ZPO) Besonderheit: Entscheidungsanspruch für Beschwerdeführer (inkl Möglichkeit zur Erlangung von Einstweiligen Verfügungen binnen weniger Wochen) Nachteile Zweistufiges System kann zu Schwerfälligkeit und Ineffizienzen führen Reibungsverluste treten auf Starke Verrechtlichung in Fällen von wettbewerbspolitischer Bedeutung Mangelnde ökonomische Spezialisierung der Senate Hohe Fluktuation in den Senaten (u.a. Karriereüberlegungen der Richter) Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 11

Behördenstruktur Österreich kritische Analyse (2) Ausgewählte Vorteile Trennung von Ankläger und Richter: - Kartellgericht führt ein volles (Zivil-)Verfahren mit idr mehreren Verhandlungsterminen, schriftlichen Äußerungsmöglichkeiten etc. - Unabhängigkeitsnachweis: Nicht alle Abstellungs- und Geldbußenanträge der BWB oder des Bundeskartellanwalts sind erfolgreich prominente Beispiele bei größeren Kartellverfahren (trotz Kronzeugen). - Diese Vorteile kommen insb beim Geldbußenverfahren zur Geltung. Kompetenz der OLG- und OGH-Richter - Entscheidungen haben durchwegs hohe juristische Qualität. - Teilweise Probleme bei Beurteilung ökonomischer Zusammenhänge (insb bei der Heranziehung von externen Sachverständigengutachten) Gefahr der formalen juristischen Beurteilung von Vertragsklauseln etc. (zb Wettbewerbsverbote). Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 12

Behördenstruktur Österreich kritische Analyse (3) Ausgewählte Nachteile (1) Reibungsverluste - Zweistufiges System (in Ö: BWB Kartellgericht) kann zu Schwerfälligkeit und Ineffizienzen führen: In der Praxis sind bei Verstößen (die etwa ein Beschwerdeführer an die BWB heranträgt) zwei Hürden zu überspringen : - BWB muss Fall aufgreifen, Ermittlungen führen. Antrag ans Kartellgericht erfolgt nur bei Vorliegen gerichtsfester Beweise BWB sucht sich (insb wegen Ressourcenknappheit) die eindeutigen Fälle für Verfahren beim Kartellgericht aus, dort weitere Verzögerungen oder Vereitelung. - Direkte Anträge des Opfers sind aber nicht in allen Fällen erfolgversprechend (gerichtsfeste Beweise sind oft nur durch Ermittlungen der BWB zu erlangen). Starke Verrechtlichung in Fällen von wettbewerbspolitischer Bedeutung - Selbstverständnis des Kartellgerichts als (Zivil-)Gericht ist nicht in allen Fällen zu einer raschen Beseitigung eines offensichtlichen Wettbewerbsverstoßes geeignet Durchsetzung von Kartellrecht erfordert manchmal wettbewerbspolitische Entscheidungen manche Fälle mit berechtigten Bedenken werden in einem juristischen Grabenkampf verloren (Beispiele: Marktmacht-Missbrauchsfälle). Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 13

Behördenstruktur Österreich kritische Analyse (4) Ausgewählte Nachteile (2) Mangelnde ökonomische Spezialisierung der Senate am Kartellgericht - Ausgliederung der ökonomischen Analyse an (teure) Sachverständige, die den Fall mit ihren Gutachten vorentscheiden Kartellgericht ist de facto daran gebunden, keine Überprüfung der Gutachten im Rechtsmittelverfahren mehr möglich. Missbräuchlicher Druck der BWB auf außergerichtliche Settlements - Insb in den letzten ein bis zwei Jahren erfolgt auf Druck der BWB zunehmend eine Umgehung des vollen Gerichtsverfahrens durch außergerichtliche Settlements, die vom Gericht nur noch bestätigt werden (formell dennoch Antrag und Entscheidung, allseitiger Rechtsmittelverzicht). - Dadurch werden die Verteidigungsrechte de facto ausgehebelt (Androhung einer höheren Geldbuße bei Bestehen des Unternehmens auf Durchführung eines vollen Verfahrens, auch in juristisch nicht eindeutigen Fällen). Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 14

Behördenstruktur Österreich kritische Analyse (5) Gliederung nach Arten der Verstöße und Verfahren Abstellung von aktuellen Verstößen (zb missbräuchliche Preise oder unzulässige Marktabschottungsklauseln eines Marktbeherrschers) Wettbewerbsbeschränkender Verstoß Tag für Tag im Markt wirksam rasche Maßnahmen sind geboten, dies erfordert hohe Durchsetzungskraft und Drohpotenzial der Wettbewerbsbehörde. Gefahr von Reibungsverlusten und Verzögerungstaktik des Marktbeherrschers im Gerichtsverfahren. Verhängung von Geldbußen über Mitglieder eines (oft bereits beendeten) Kartells (zb Kronzeugenfall) Zweistufigkeit sinnvoll und unschädlich zeitlicher Aspekt weniger relevant als Trennung zwischen Ankläger und Richter. Zusammenschlusskontrolle Typisches Verwaltungsverfahren wenig geeignet für gerichtliches Phase 2- Verfahren (in der Schweiz ohnehin nicht vorgesehen). Hier lauern Gefahren des kontradiktorischen Verfahrens (Behörde soll bei auch bloß geringen Bedenken die Prüfung dem Gericht übertragen, sieht sich aber als Partei, die ihren Fall durch gerichtliche Freigabe ohne Auflagen verlieren würde). Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 15

Zusammenfassung Freshfields Bruckhaus Deringer LLP

Zusammenfassung (1) Wesentliche Kriterien für die Qualität des Kartellverfahrens (anhand beobachteter Defizite des österreichischen Verfahrens) Rasche Beseitigung aktueller Verstöße durch effizientes Verfahren Ökonomische Kompetenz der Entscheidungsbehörde(n) Effiziente Ermittlungsmöglichkeiten (Zugang zu Daten etc) bei gleichzeitigem Schutz von Geschäftsgeheimnissen Ausreichender Rechtsschutz für den Rechtsverletzer zur Verteidigung gegen erhobene Vorwürfe (noch vor der Entscheidung in erster Instanz) Bei Anträgen der Wettbewerbsbehörde: Waffengleichheit zwischen Behörde und Unternehmen (zb Akteneinsicht in alle Unterlagen der Wettbewerbsbehörde diese wird in Österreich nicht gewährt) Verfahrensrechte für durch die Verstöße betroffene Unternehmen (Kunden, Wettbewerber) auch als Beschwerdeführer Effizientes Rechtsmittelverfahren (inkl Möglichkeit zur Bekämpfung der erstinstanzlichen ökonomischen Analyse) Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 17

Zusammenfassung (2) Zweistufige Behördenstruktur kann Vor- und Nachteile haben. Je nach Verfahrensart und Verstoß wäre Fine-Tuning der Behördenstruktur ideal: Für die Verhängung hoher Geldbußen ist eine Trennung von Ankläger und Richter in idealerweise verschiedenen Behörden vorzuziehen (Gegenbeispiele Europäische Kommission, Bundeskartellamt in Deutschland). Zur Abstellung aktueller Verstöße ist ein Fast-track -Verfahren nützlich. Die jeweilige gewachsene Wettbewerbs- und Rechtskultur eines Landes sollte bei der Gestaltung berücksichtigt werden: Ein System, das sich in einem Land bewährt hat, kann für ein anderes Land weniger geeignet sein. Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 18

Diskussion DAC 11461207 This material is for general information only and is not intended to provide legal advice. Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 2012 Freshfields Bruckhaus Deringer LLP 19