6 Neubau der Talbrücke Nuttlar bei Bestwig höchste Talbrücke in Nordrhein-Westfalen

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Transkript:

6 Neubau der Talbrücke Nuttlar bei Bestwig höchste Talbrücke in Nordrhein-Westfalen Dr.-Ing. Gero Marzahn Landesbetrieb Straßenbau NRW, Gelsenkirchen Dr. sc. techn. Hans Grassl Ingenieurbüro Grassl GmbH, Düsseldorf Dipl.-Ing. Gerhard Buddenkotte Landesbetrieb Straßenbau NRW, Meschede Dipl.-Ing. Dieter Schummer Max Bögl Bauu. GmbH & Co. KG, Neumarkt Dipl.-Ing. Guido Bogdan Ingenieurbüro Grassl GmbH, Düsseldorf 6.1 Einführung Die Talbrücke Nuttlar liegt am östlichen Ende des Neubauabschnitts der Bundesautobahn A 46 zwischen den Anschlussstellen Bestwig/Velmede und Nuttlar. Mit einer Gesamtlänge von 660 m überspannt sie das tief eingeschnittene Tal des Schlebornbaches. Die Talbrücke stellt aufgrund ihrer exponierten Lage höchste ingenieurtechnische Ansprüche an die Planung und bauliche Umsetzung. Entworfen als Stahlverbundbrücke wurde der Stahlüberbau in den letzten Monaten ohne Hilfsstützen und ohne Hilfspylon über eine maximale Stützweite von 115 m eingeschoben. Im April 2014 beginnt die abschnittsweise Betonage der Fahrbahnplatte. 6.2 Der Projektrahmen 6.2.1 Neubauabschnitt Verkehrsanlage Bundesautobahn A 46 Gegenwärtig realisiert der Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen, Regionalniederlassung Sauerland-Hochstift mit den Neubauabschnitten der Bundesautobahn A 46 zwischen den Anschlussstellen Bestwig/Velmede und Nuttlar eine Fortsetzung der Bundesautobahn nach Osten und schafft damit eine durchgehende Verbindung zwischen den Wirtschaftsräumen des östlichen Ruhrgebiets und des oberen Ruhrtals. Gleichzeitig wird damit auch eine bessere Anbindung der Erholungsgebiete im Sauerland mit dem Ballungsraum Ruhrgebiet erreicht. 6.2.2 Bedeutung der Verkehrsbeziehung In der Gesamtkonzeption der Verlängerung der A 46 und Weiterführung jenseits von Nuttlar als Bundesstraße B 480 zum Autobahnkreuz Wünnenberg-Haaren wird nicht nur eine leistungsfähige Anbindung an die Bundesautobahn A 44, sondern vor allem eine deutliche Entlastung der innerörtlichen Verkehrssituation in den sauerländischen Ortschaften entlang der Bundesstraße B 7 erreicht. Lärm- und Abgasimmissionen werden spürbar abnehmen und die Attraktivität der Einkaufs- und Geschäftsbereiche an der B 7 sowie die Wohn- und Lebensqualität werden spürbar erhöht. 6.2.3 Ingenieurbauwerke im Streckenabschnitt Für das neue 5,6 km lange Autobahnstück und insgesamt 2,7 km lange Zubringerstrecken wurden Kosten in Höhe von 137 Millionen Euro bei einer Bauzeit von zirka 7 Jahren veranschlagt. Die hohen Kosten resultieren vor allem aus dem notwendigen Bau von 13 Brücken. Über 2,5 km der neuen Autobahn werden damit auf Brückenbauwerken verlaufen. Die Talbrücke Nuttlar wird dabei nicht nur die längste Spannweite (660 m) haben, sie wird mit 115 m Höhe über dem Tal in Zukunft auch die höchste Talbrücke in Nordrhein-Westfalen sein. Unter den 13 neuen Brückenbauwerken ragen vier Großbrücken hervor. Sie sind im Übersichtslageplan (Bild 6.1) verzeichnet. - Bauwerk 186: Talbrücke Hammecke, L= 507,50 m - Bauwerk 189: Talbrücke Nuttlar, L= 660,00 m - Bauwerk 11: Talbrücke Schormecke, L= 455,50 m - Bauwerk12: Talbrücke Bermecke, L= 625,50 m 107

Die größte Herausforderung stellt unter diesen Ingenieurbauwerken die Talbrücke Nuttlar dar, die derzeit von Bau-km 72+140 bis km 72+800 auf bis zu 110 m hohen Pfeilern hergestellt wird und höchste Anforderungen sowohl an die Planung als auch an die bauliche Umsetzung stellt. Mit einer Gesamtlänge von 660 m überbrückt das Bauwerk das Tal des Schlebornbaches und überquert mehrere Forst- und Wirtschaftswege sowie die Landesstraße L 776. Die Linienführung des neuen Autobahnabschnitts weist im Bereich der Talbrücke Nuttlar im Grundriss eine konstante Krümmung mit einem Radius von 1.000 m auf (Bild 6.2). Das Bauwerk verfügt über eine konstante Längsneigung von 0,7 %; das Quergefälle beträgt konstant 4,0 %. Während die freie Strecke des Autobahnabschnitts über einen Querschnitt RQ 28 mit 4,00 m breiten Mittelstreifen verfügt, wurde die Talbrücke Nuttlar aus Kostengründen etwas schmaler für einen Querschnitt RQ 26 mit einer Nutzbreite von 28,60 m zwischen den Geländern ausgelegt. Aus wirtschaftlichen Gründen sowie auch aus Gründen der Unterbaugestaltung wurde der Brückenquerschnitt einteilig gehalten. Für spätere Instandsetzungsmaßnahmen wurde die Mittelkappenbreite auf 2,00 m reduziert, sodass halbseitige Verkehrsführungen auf je 11,50 m breiten Fahrbahnen (4+0- Verkehr) möglich sind. Das Bauwerk weist eine Reihe von Besonderheiten auf, die neben den üblichen Kriterien maßgeblichen Einfluss auf die Form und Planung der Talbrücke hatten: Topographie und Geologie des engen und steilen Taleinschnitts, erschwerte Zugänglichkeit des Hangs, Erfordernis eines Immissionsschutzes der angrenzenden Bebauung, Trassierung der Bundesautobahn im weiteren Verlauf als Hangautobahn, Einbindung des Bauwerks in das Landschaftsbild, Ausgewogenheit der Proportionen des Bauwerksentwurfs, Wirtschaftlichkeit. 6.3 Bauwerksentwurf 6.3.1 Entwurfsgrundsätze und Gestaltungskonzept Da die Großbrücken des Neubauabschnitts aufgrund ihrer exponierten Lage von unterschiedlichen Standorten gut wahrnehmbar sind, wurde im Auftrag des Landesbetriebes Straßenbau ein Gestaltungshandbuch [1] für alle Brücken der Neubaustrecke ausgearbeitet, das im Sinne einer Brückenfamilie bestimmte Gestaltungselemente, wie z. B. Verkleidungen, Pfeilerformen, Brüstungen und Farbgebung, einheitlich regelt. Diese einheitlich gewählten Gestaltungselemente führen im neuen Streckenabschnitt zu einem Wiedererkennungswert und verdeutlichen die Zusammengehörigkeit der einzelnen Bauwerke zur Gesamtmaßnahme. Grundlage für das Gestaltungshandbuch und den daraus abgeleiteten Bauwerksentwurf war eine genaue Analyse des Ortes und der landschaftlichen sowie soziokulturellen Gegebenheiten. Die Talbrücke Nuttlar überführt die Bundesautobahn am Berghang über einen ca. 115 m tiefen Einschnitt mit steilen Talflanken und ist vom Gegenhang südlich der Ruhr über die gesamte Brückenlänge wahrnehmbar (Bild 6.3). Die gewählten Pfeilerstellungen wurden im Rahmen der Entwurfsbearbeitung mit dem Ziel ausgewogener Proportionen zwischen Stützweite, Bauhöhe, Topographie und vorhandener Zwangspunkte bestätigt. Mit der gewählten Konstruktion auf sechs Pfeilern, die eine gut proportionierte Geometrie der sieben Brückenfelder ergibt (Bild 6.4), können die Eingriffe in die Landschaft auf ein Minimum begrenzt, eine Erreichbarkeit über Baustraßen in den steilen Hängen sichergestellt sowie eine gute Fernwirkung erzielt werden. Die topographischen Randbedingungen des tief eingeschnittenen Tals mit erforderlichen Pfeilerhöhen bis 110 m sprechen für die Wahl eines einteiligen Querschnitts und damit für den Verzicht auf eine zweite Pfeilerreihe, um die Eingriffe in den Hang auch vor dem Hintergrund der erschwerten Zuwegung zu den Pfeilerbaustellen auf ein Mindestmaß zu begrenzen. Die großen Stützweiten von bis zu 115 m führen zu ausgewogenen Proportionen und großer Transparenz der Tragstruktur. Durch die Wahl großer Stützweiten wird der Eingriff in den Talraum einmal mehr auf ein Minimum beschränkt. Aufgrund der großen Stützweiten kam im Wesentlichen nur 108

Bild 6.1: Neues Teilstück der A 46 von Bestwig/Velmede bis Nuttlar ( Straßen.NRW) Bild 6.2: Grundriss ( IB Grassl GmbH) Bild 6.3: Visualisierung der TB Nuttlar ( IB Grassl GmbH, Luftbild M. Kramer) 109

Bild 6.4: Längsschnitt ( IB Grassl GmbH) ein Überbau in Stahlverbundbauweise zum Tragen, der in diesem Stützweitenbereich ein wirtschaftliches Bauen ermöglicht. Eine Auswertung [2] einiger bisher realisierter Stahlverbundbrücken mit einteiligen Querschnitten bestätigt zusätzlich zu den durchgeführten Vergleichsberechnungen die Wirtschaftlichkeit dieser Bauweise bereits ab Pfeilerhöhen von 40 m. Die steilen Talflanken und die damit begrenzte Zuwegung zu den Pfeilerstandorten führte zur Entscheidung, den Überbau mittels Taktschieben herzustellen. Mit 115 m Stützweite im Taktschiebeverfahren wurde in Deutschland Neuland beschritten, weshalb dem Entwurf eine Machbarkeitsstudie vorangeschaltet wurde, um grundsätzliche Randbedingungen zu klären. 6.3.2 Gründung Das Projektgebiet gehört zum nordöstlichen Teil des Rheinischen Schiefergebirges. Das Grundgebirge besteht hier aus Sedimentgesteinen des Oberdevons und Unterkarbons, die im Zuge der Gebirgsbildung gefaltet und durch Auf-, Ab- und Querverschiebungen tektonisch intensiv beansprucht wurden. Überdeckt werden die Festgesteine durch dünne Schichten von Lockergestein aus Hangschutt und feinkörnigen Böden. Die Aufschlüsse durch Kernbohrungen empfahlen eine Gründung des westlichen Brückenwiderlagers (Achse 10) und die Brückenpfeiler in den Achsen 20 und 30 im Hang des Sengenbergs sowie in Achse 60 im Hang des Suhrenbergs im Kieselschiefer des Unterkarbons. Die Brückenpfeiler im Talgrund des Schlebornbaches (Achsen 40 und 50) und in Achse 70 wurden dagegen im Kalkknotenschiefer des Oberdevons gegründet. Das östliche Brückenwiderlager (Achse 80) kommt im Tonschiefer zu liegen. Bild 6.5: Querschnitt Gründung Achse 30 ( WBI) Aufgrund der Bodenerkundung wurden für die Gründung der Brückenwiderlager und der Pfeiler, mit Ausnahme des Pfeilers Achse 40, Flachgründungen auf dem unverwitterten Fels gewählt. Im Bereich des Brückenpfeilers Achse 40 war nach den Erkundungsergebnissen bis in ca. 20 m Tiefe stellenweise mit gestörtem und entfestigtem Fels zu rechnen. Hier wurde deshalb eine Gründung auf Großbohrpfählen Ø 150 cm ausgeführt. Die Brückenwiderlager sind über Pfeilerscheiben und Einzelfundamente auf dem unverwitterten Fels gegründet. 110

6.3.3 Widerlager Die kastenförmigen Widerlager wurden hochgesetzt in Stahlbeton C 30/37 und Betonstahl S 500 ausgeführt. Die Gründungstiefe der einzelnen Fundamente ist nach dem am Hang geneigten Felshorizont abgestuft (Bild 6.6). Der Innenraum der Widerlager ist auf zwei Etagen für die Inspektion der Stahlbetonkonstruktion, der Lager und der Fahrbahnübergangskonstruktion begehbar ausgelegt (Bild 6.7). 6.3.4 Pfeiler 6.3.4.1 Konstruktion Die Pfeiler aus Stahlbetonvollquerschnitten sind als Doppel-Rundpfeiler in A-Form mit konstanten Durchmessern von 3,0 m, 4,0 m und 5,0 m entsprechend den Gestaltungsvorgaben und den statischen Erfordernissen ausgeführt. Die A-Form führt für die Brücke in Querrichtung zu einer ansprechend gestalteten Aussteifung mit ausreichend großen Aufstellflächen für Pressen zum Anheben des Überbaus für künftige Lagerwechsel. Aufgrund der großen Pfeilerhöhen sind die A- Säulen mehrfach über horizontale Aussteifungsriegel, bestehend aus betonverfüllten Stahlprofilen mit Durchmessern von 2,0 m und 3,0 m, gekoppelt. Die Farbgebung dieser Querriegel erfolgt in Abstimmung mit der Farbgestaltung des Überbaus in einem dunklen Rot. Pfeilerköpfe und Lagersockel bestehen aus Beton der Festigkeitsklasse C 40/50; Pfeiler, Fundamente und Bohrpfähle aus Beton der Güte C 30/37, jeweils mit Betonstahl S 500. Die Begehbarkeit der Pfeilerköpfe vom Überbau aus ist über Durchstiege im Bodenblech und Stahlstege zwischen den Pfeilerköpfen vorgesehen (Bild 6.8). 6.3.4.2 Bemessung der Pfeiler Die Pfeiler wurden im Rahmen der Entwurfsplanung für den Endzustand und alle relevanten Bauzustände bemessen. Da im Endzustand die mittleren vier Pfeilerachsen über den Überbau gekoppelt sind, wird sehr schnell deutlich, dass die Verschubzustände über die einzelnen Pfeilerachsen für die Bemessung der Pfeiler hätten maßgebend werden können. Das Tragverhalten der Pfeiler wurde daraufhin anhand einer nicht-linearen Berechnung nach Theorie II. Ordnung unter Berücksichtigung der effektiven Steifigkeiten an einem Stabsystem durchgeführt. Dabei kam der Modellierung des Tragverhaltens des Baugrunds und der Interaktion Bauwerk- Baugrund eine besondere Bedeutung zu. Im Rahmen der Erstellung des Bauwerksentwurfs wurde der Einfluss einer Abspannung im Bauzustand auf die erforderliche Bewehrung der Pfeiler und auf die maximale Verformung am Pfeilerkopf (Bild 6.9) untersucht. Gemäß der rechnerischen Untersuchung zu den Verschubzuständen war der Einsatz einer Abspannung in etwa kostenneutral gegenüber dem Verschub ohne Abspannung, was jedoch mit erhöhten Bewehrungsmengen für den Bauzustand einherging. Da mehr Betonstahlbewehrung im Pfeiler seiner Robustheit zu Gute kommt, wurde im Rahmen des Bauwerksentwurfes der Verschub ohne Abspannung zur Ausführung empfohlen. Wären die Stützen während des Verschubs abgespannt gewesen, so hätte die Stützenkopfverschiebung auf ca. 50% des ohne Abspannung ermittelten Wertes reduziert werden können. Der Verschub des Überbaus wurde im Herbst 2013 abgeschlossen. Es hat sich gezeigt, dass die Verformungen am Stützenkopf nach Überwindung der Haftreibung nur in Bereichen von wenigen Zentimetern lagen. Damit wurde bestätigt, dass der Verzicht auf eine Abspannung die richtige Entscheidung war. 6.3.5 Überbau 6.3.5.1 Konstruktion Der Überbau besteht aus einem Durchlaufträger in Stahlverbundbauweise, der über sieben Felder spannt. Der trapezförmige Stahlkasten wurde aufgrund seiner Krümmung im Grundriss, der großen Nutzbreite, des Montageverfahrens und der Forderung nach der partiellen Auswechselbarkeit der Fahrbahnplatte aus wirtschaftlichen und konstruktiven Gesichtspunkten in geschlossener Bauweise mit einem Deckblech ausgelegt. Durch den geschlossenen Kasten verfügt der Brückenträger für die in den Bauzuständen, im Endzustand und für den Fall des Fahrbahnplattenaustauschs erforderliche Torsionssteifigkeit. Die Fahrbahnplatte wurde als schlaff bewehrte Stahlbetonkonstruktion ausgelegt und spannt in Querrichtung zwischen den 112

Bild 6.6: Widerlageransicht Achse 10 ( IB Grassl GmbH) Bild 6.7: Zugang vom Widerlager in den Hohlkasten des Überbaus ( IB Grassl GmbH) Bild 6.8: Zugang vom Überbau zum Pfeilerkopf ( IB Grassl GmbH) 113

Bild 6.9: Abspannung der Pfeilerachsen 40 und 50 ( IB Grassl GmbH) außen liegenden Längsträgern und dem Stahlkasten. Die Schlankheit des Überbaus beträgt bei einer Konstruktionshöhe von 5,30 m i.m. und einer maximalen Stützweite von 115 m maximal 21 und wurde unter Beachtung nachfolgender Gesichtspunkte festgelegt: Einhaltung einer optisch verträglichen und statisch sinnvollen Neigung der außen liegenden Streben unter der Fahrbahnplatte mit einem Winkel von ca. 31, Erzielung einer wirtschaftlichen Konstruktion mit einer angemessenen Schlankheit, auch im Hinblick auf die Montage (Taktschieben der Stahlkonstruktion ohne Hilfsstützen und ohne Hilfspylone), Begehbarkeit des Hohlkastens mit ausreichender Durchgangshöhe auch in Bereichen der Queraussteifung. Die außen liegenden Längsträger werden durch Schrägstreben im Abstand von 4,80 m bis 5,00 m in Längsrichtung gestützt (Bild 6.10). Die für die Auflagerung der weit auskragenden Fahrbahnplatte des einteiligen Stahlverbundüberbaus erforderlichen Streben schaffen in der Ansicht eine ansprechende Gliederung des Brückenträgers. Die aus der Neigung der Streben resultierende Zugbeanspruchung in der Ebene der Fahrbahnplatte wird von einem Stahl-Zugband, das sichtbar auf der Unterseite der Fahrbahnplatte angeordnet ist, aufgenommen. Das Flachblech ist mit der Fahrbahnplatte über Kopfbolzen verbunden und ermöglicht somit seine uneingeschränkte optische Kontrolle sowie die unkomplizierte Durchführung nachträglicher Verstärkungsmaßnahmen. Die Fahrbahnplatte verfügt über eine Konstruktionsbreite von b = 28,60 m und weist dabei Kragarmlängen von beiderseits ca. 2,54 m und Innenfeldbreiten zwischen den Hauptträgerstegen und den Längsträgern von 5,65 m auf. Die Stärke der Kragplatte beträgt im Anschnitt sowie im Innenfeld 40 cm und an den Kragarmränder 25 cm. Das Bodenblech des Hauptträgerhohlkastens ist horizontal ausgebildet, um die beim Einschub der Konstruktion andernfalls auftretenden Abtriebskräfte zu vermeiden. Die Hauptträgerstege sind nach außen geneigt und passen sich in der Höhe der Querneigung der Fahrbahnplatte an. Das Deckblech, die Stege und das Bodenblech werden durch längslaufende Beulsteifen und Querrahmen ausgesteift. Im Bereich der Pfeilerachsen sind die im Bild 6.11 gezeigten Doppelquerrahmen je 1,00 m vor und hinter der Lagerachse angeordnet. Jeder Querrahmen verfügt im Inneren des Stahlkastens über aussteifende Hohlprofile. Die einfache Zugänglichkeit aller Bauteile im Inneren des Hohlkastens wird über einen Besichtigungssteg (Bild 6.12) in Kombination mit einer Befahranlage ermöglicht. 114

Bild 6.10: Regelquerschnitt für den Feldbereich ( IB Grassl GmbH) Bild 6.11: Regelquerschnitt für den Pfeilerbereich ( IB Grassl GmbH) 115

Bild 6.12: Visualisierung der Innenansicht des Hohlkastens mit Besichtigungssteg ( IB Grassl GmbH) An den Auflagern im Bereich der Widerlager kommen Endquerträger aus Stahlbeton zum Einsatz, die innerhalb des Stahlkastens angeordnet sind. Der Verbund zwischen Betonquerträger und Stahlkasten wird über Stahlschwerter und Verdübelungen hergestellt. Außerhalb der Stützbereiche ist der Stahlkasten durch mit Innendiagonalen aus Hohlprofilen verstärkte Regelquerrahmen, die in Abständen von 4,80 m bis 5,00 m angeordnet sind, ausgesteift. Die Fahrbahnplatte wird aus Beton der Festigkeitsklasse C 35/45 hergestellt. Die Stahlkonstruktion ist in den maßgebenden Teilen aus S 355 gefertigt. Die Kontaktflächen Beton/Stahl werden mittels Kopfbolzen verdübelt. Der Überbau erhält beidseitig 1,10 m hohe Immissionsschutzbrüstungen, welche im Bereich der drei Mittelfelder und auf den Widerlagern mit Acrylglas ausgeführt werden. In den Randfeldern der Brücke erfolgt die Ausführung als Brüstung in Stahlbetonbauweise. Für die rechnerische Modellierung des Bauwerkes wurden zwei unterschiedliche Systeme aufbereitet. Für die Entwurfsstatik wurde zum einen ein räumliches Stabwerk- und zum anderen ein Faltwerkmodell herangezogen. 6.3.5.2 Statische Berechnung am räumlichen Stabwerkmodell Das räumliche Stabwerkmodell wurde für die Bemessung der Stützen mit Überbau im Bau- und Endzustand und für diverse Zustände des Taktschiebens eingesetzt. Für die Berechnungen des Taktschiebens wurde der Überbau als Stabwerk mit einem Querschnitt ohne Stahlbetonplatte abgebildet. Die Stützen wurden als vertikale und horizontale Federn am Stabwerk angeschlossen. Die Federn wurden gruppenweise aktiviert und deaktiviert, sodass Verschubzustände des Taktschiebens alle 2,5 m untersucht werden konnten. Im vorderen Bereich wurde ein Vorbauschnabel mit einem steifen Querschnitt und einer Länge von 30 m abgebildet. Somit bestehen die Durchbiegungen des Kragarmes beim Taktschieben aus der Durchbiegung des Stahlkastens und der tangentialen Verlängerung der Endkrümmung auf einer Länge von 30 m. Der Stahlüberbau wurde taktweise von der Achse 80 und in Richtung Achse 10 vorgeschoben. Für die Nachweise des Taktschiebens war zu berücksichtigen, dass die Werkstattform über die gesamte Brückenlänge verschoben wurde. Während des Verschubes wird die Werkstattform mit den entsprechenden Überhöhungen über die Verschublager geschoben. Die Überhöhungen der Werkstattform wurden aus folgenden Lasten ermittelt: 116

1. Stahleigengewicht, 2. Eigengewicht der Betonplatte (g 1 ), 3. Ausbaulasten (g 2 ), 4. 25 % des Verkehrs. In Bild 6.13 sind zwei Schritte des Taktschiebens dargestellt. In der oberen Darstellung befindet sich der Vorbauschnabel unmittelbar vor Achse 40. In der unteren Abbildung liegt der Vorbauschnabel mit der Spitze auf der Achse 40 auf. 6.3.5.3 Statische Berechnung am räumlichen Faltwerkmodell Für die Berechnung der Längs- und Quertragrichtung im Endzustand, der Materialverteilung sowie zur Beurteilung des partiellen Fahrbahnplattenaustausches wurde ein Gesamtsystem, bestehend aus einem Faltwerkmodell mit Schalenelementen für die Stege, Deck- und Bodenblech, Fahrbahnplatte aus Stahlbeton in Kombination mit Stabelementen für die Pfeiler, Druckstreben, Randlängsträger, Zugbänder und Steifen in den Querrahmen, generiert. 6.3.5.4 Kritischer Bauzustand Bei dem Verschub des 115 m langen Feldes müssen zum einen Verformungen an der Spitze des Vorbauschnabels von ca. 2,07 m beherrscht werden, zum anderen muss sichergestellt werden, dass der lange Kragarm nicht durch windinduzierte Schwingungen angeregt wird. Im Rahmen der Entwurfsplanung wurden die Windwirkungen auf den Stahlträger in den maßgebenden Bauzuständen basierend auf Norm- und Literaturangaben rechnerisch untersucht. Im Zuge der Ausführungsplanung wurde die Robustheit des Tragwerkes im Bauzustand gegen windinduzierte Schwingungen durch Messungen im Windkanal und entsprechende bautechnische Nachweise auf der Basis der ermittelten aerodynamischen Kenngrößen bestätigt. 6.3.5.5 Partieller Fahrbahnplattentausch Für den Nachweis der partiellen Auswechselbarkeit der Fahrbahnplatte wird angenommen, dass nach einem Havariefall ein Austausch eines begrenzten Bereichs der Fahrbahnplatte erforderlich wird. Der partielle Fahrbahnplattentausch ist wie in Bild 6.14 angegeben jeweils in Querrichtung in zwei Schritten vorgesehen (1. Teilabschnitt Randbereich, b = 6,00 m, 2. Teilabschnitt Mittelbereich, b = 8,25 m). Die Abmessung eines Teilabschnitts beträgt in Brückenlängsrichtung 15 m. Für das Auswechseln eines Abschnitts der Fahrbahnplatte auf einer Brückenhälfte ist der komplette Austausch von Beton und Betonstahl unter Berücksichtigung der erforderlichen Übergreifungsstöße der Bewehrung notwendig. Die neue Querbewehrung wird an die vorhandene Querbewehrung im Bereich der Bauwerkslängsachse unter Einsatz von Muffen angeschlossen. Die Stöße in Längsrichtung müssen sich an den ausgeführten Betonierabschnitten und der vorhandenen Bewehrung orientieren. Für die Ausbildung der Stöße können ebenfalls Muffen eingesetzt werde. Alternativ sind auch Übergreifungen mit freigelegter vorhandener Bewehrung sowie eine Kombinationen aus beiden Varianten denkbar. 6.4 Ausschreibung und Vergabe Die Ausschreibung wurde durch die Regionalniederlassung Sauerland-Hochstift aufgestellt. Die europaweite Bekanntmachung des Offenen Verfahrens erfolgte am 12.05.2010. Nebenangebote waren zugelassen. Der Preis war das einzige Wertungskriterium. Zur Submission am 01.07.2010 wurden 11 Hauptangebote einschließlich insgesamt 46 Nebenangeboten eingereicht. Die Wertung der Nebenangebote ergab, dass die Nebenangebote vor dem 1. Hauptangebot mangels technischer Gleichwertigkeit abgelehnt werden mussten. Nach Zustimmung zum Vergabevorschlag durch das Bundesverkehrsministerium wurde der Zuschlag auf das erstplatzierte Hauptangebot erteilt. Der Auftrag ging am 20.10.2010 an die Firma Max Bögl in Neumarkt. 6.5 Bauausführung Für die Erschließung der Baustelle mussten durch den Ausbau vorhandener Forstwege, als auch durch das Anlegen neuer Verbindungen 5,1 km Baustraßen hergestellt werden, um die Standorte der Unterbauten der Talbrücke Nuttlar anzudienen. 117

Bild 6.13: Berechnungsmodell für das Taktschieben ( IB Grassl GmbH) Bild 6.14: Visualisierung des partiellen Fahrbahnplattenaustauschs von links nach rechts: Rückbau Randbereich, Betonage Randbereich, Rückbau und Schalung Innenbereich, Betonage Innenbereich ( IB Grassl GmbH) 118

Bild 6.15: Kletterschalung zur Herstellung der Pfeiler ( IB Grassl GmbH) 6.5.1 Herstellung der Gründung Die für die Flachgründungen erforderlichen Baugruben wurden in Bereichen mit geringer Überdeckung ohne Sicherung mit einer Neigung von 1:1,5, als auch im Bereich von deutlich mächtigeren Deckschichten in Achse 50 (Hangschutt) mit einem verankerten Verbau hergestellt. Die im Fels liegenden Baugrubenböschungen wurden mit Spritzbeton und Felsnägeln gesichert. 6.5.2 Herstellung der Widerlager und der Pfeiler Die Widerlager wurden in zwei Abschnitten gespiegelt in Brückenachse hergestellt. Die Stahlbetonvollquerschnitte der Pfeiler werden unter Einsatz von Kletterschalungen gemäß Bild 6.15 mit einer Neigung von 2 gegen die Lotrechte in Brückenquerrichtung betoniert. Massive Querriegel verbinden die Rundstützen jedes Pfeilers in verschiedenen Höhenlagen. Die bis zu 6,00 m hohen Stützenschalungseinheiten sind bei den Pfeilern der Achsen 30 bis 60 mit Durchmessern der Einzelstützen von 5,00 m und 4,00 m aus Kranzhölzern und Mehrzweckriegeln, belegt mit gehobelter und lackierter Brettschalung, aufgebaut. Jeweils 36 m 2 (Pfeilerachsen 40 und 50) bzw. 15 m 2 Schalung (Pfeiler Achsen 30 und 60) lassen sich für Bewehrungsarbeiten auf den Bühnen zurückfahren. Die Schalung arbeitet, abgesehen von den Anschlussbereichen im Bereich der Querriegel, ankerlos mit Ringzuglaschen und ist auf einen Frischbetondruck von 60 kn/m 2 ausgelegt. Bei den größeren Rundstützen ist die Einbringung der ca. 100 m 3 Beton in etwa fünf Stunden abgeschlossen. Die Schalung klettert hydraulisch mit 12 SKE 100-Kletterautomaten (Pfeiler Achsen 40 und 50) und mit zehn Kletterscheiben Xclimb 60 (Pfeiler Achsen 30 und 60) in Schüssen von je 5,00 m. Dabei ist die SKE 100-Hauptbühne komplett eingehaust. Mehrere Nachlaufbühnenebenen sorgen für eine gute Zugänglichkeit bei der Betonnachbehandlung. Aus Sicherheitsaspekten klettern alle SKE 100-Bühnen synchron nach oben. Im Bereich der Querriegel wurden die inneren Bühnen durch Sonderbühnen ersetzt. Bei den Pfeilern in den Achsen 20 und 70 wurden die Stützen mit konventioneller Kletterschalung herstellt KG-240. 6.5.3 Herstellung des Überbaus Die Ausführungsplanung wurde im Dezember 2010 begonnen und setzte sich mit der Werkstattplanung Stahlbau im Februar 2011 fort. Parallel dazu erfolgte die Montage-Verschubplanung für den Stahlüberbau im technischen Büro der Firma Max Bögl. Die komplette Stahlkonstruktion wurde im Zeitraum von November 2011 bis Februar 2013 am Sitz der Firma Max Bögl in Sengenthal bei Neumarkt gefertigt. Die Montagearbeiten (Stahlbau) wurden im April 2011 begonnen und konnten im Dezember 2013 weitgehend abgeschlossen werden. 6.5.4 Fertigung im Werk Die Fertigung der Stahlkonstruktion (ca. 8.100 t) erfolgte ausschließlich am Hauptsitz der Firmengruppe Max Bögl in Neumarkt in der Oberpfalz. 119

Bild 6.16: Hohlkastenbefahranlage ( Max Bögl Bauunternehmung GmbH & Co. KG) Es wurden Blechdicken von bis zu 120 mm verarbeitet. Darunter fallen 58 Stück Hauptträger (Bauteil A und B) mit einem maximalen Stückgewicht von 123 Tonnen und einer Länge bis zu 36 m, 43 Stück Deckbleche (Bauteil C) und 43 Stück Untergurte (Bauteil D) unterschiedlicher Länge und unterschiedlicher Gewichte, 266 Stück Außenstreben und ca. 1.400 m Längsträger, 14 Stück Pfeilerquerriegel mit Außendurchmessern von 2,0 m, 2,50 m und 3,0 m sowie ein innenliegender Besichtigungssteg mit einer Länge von ca. 660 m und einer Hohlkastenbefahranlage (Bild 6.16). Weitere Angaben zur Fertigung im Werk sowie zur Montage auf der Baustelle und zum Verschub der ersten 3 Takte können einem ersten Zwischenbericht vom Februar 2013 entnommen werden [3]. 6.5.5 Transport der Stahlbauteile auf die Baustelle Die großen und schweren Bauteile, wie z. B. Hauptträger, Deckbleche und Untergurte, mussten wegen ihrer Transportgewichte teilweise lange Umwege von Neumarkt zur Baustelle nach Nuttlar (970 km) nehmen. Insgesamt wurden ca. 144 Schwertransporte mit bis zu 210 t Gesamtgewicht und einer Zuglänge von bis zu 50 m Länge geplant und durchgeführt. 6.5.6 Montage der Stahlkonstruktion Für den Zusammenbau der Stahlkonstruktion war ein Taktkeller mit einer Länge von 180 m und einer Breite von ca. 55 m eingerichtet worden (Bild 6.17 und 6.18). Die Neigung des Taktkellers betrug in Längsrichtung 0,731 % (parallel zur Brückengradiente) und in Querrichtung 1,5 %. Im südlichen Bereich befand sich eine Fahrstraße für das Anliefern der einzelnen Stahlsegmente. Für die Montage der einzelnen Schüsse wurden die jeweiligen Stahlsegmente auf Montagestapeln abgelegt und in die Rahmenkonstruktion aus Fertigteilfundamenten, Distanzträgern, Futterplatten und Hydraulikzylindern eingepasst. Für das Aufnehmen von horizontalen Verformungen im Überbau waren die Hydraulikzylinder mit Elastomerlagern ausgestattet. Zum Einstellen der spannungslosen Werkstattform wurden die Höhen der Montagestapel gemäß Messprogramm voreingestellt. Um Setzungen auszugleichen wurden die Höhen vor dem Verschweißen der Baustellenstöße nochmals kontrolliert und bei Bedarf mittels Hydraulikzylinder nachjustiert. Die Aufbauhöhen der Montagestapel ergaben sich aus der Lage des Überbauendes nach dem Verschub und der spannungslosen Werkstattform des Folgetaktes. Für den Brückenverschub wurden im Taktkeller drei feste Verschublagerachsen mit je zwei Einzelfundamenten eingerichtet. 120

Bild 6.17: Visualisierung Vormontage Stahlüberbau im Taktkeller ( IB Grassl GmbH) Bild 6.18: Taktkeller, Vormontage Takt 5 ( Max Bögl Bauunternehmung GmbH & Co. KG) 121

Bild 6.19: Details der Verschubeinrichtung ( Reinhard Mederer) In acht Verschubtakten wurden die verschweißten Schüsse mittels einer speziellen Seilzugvorrichtung über das Tal geschoben (Bild 6.19). Der Einschub des Überbaus erfolgte im Wesentlichen ohne Überhöhung auf Lagerhöhe. Ein Vorbauschnabel mit einer Länge von 30,00 m und einer Spurweite von 7,00 m (Bild 6.20), der am Ober- und Untergurt über Bolzenverbindungen am Schuss 01 befestigt war, gestattete ein frühes Auflaufen auf den nächsten Stützpunkt. Der Anstellwinkel des Vorbauschnabels wurde für das Auflaufen auf das 97,50 m-feld (Achse 50) konzipiert und besaß einen konstanten Anstellwinkel des Untergurtes zur Gradiente von 8,1. Somit musste der Vorbauschnabel im Verlauf des Einschubes je nach Feldweite unterschiedlich auf die Verschubwippen auffahren. Beim Auflaufen auf den Pfeiler in Achse 40 (Bild 6.21) konnte wegen der großen Verschubweite die Durchbiegung des Überbaus durch den Anstellwinkel des Vorbauschnabels nicht allein kompensiert werden. Daher wurde, um auf den Pfeiler in Achse 40 auflaufen zu können, der Überbau vor dem Verschub am Pfeiler in Achse 50 zusätzlich um ca. 500 mm angehoben. Der Längsverschub des Überbaus erfolgte talwärts über eine Seilzuganlage, die durch Litzenheber betrieben wurde. Während des Verschubes wurde der Überbau gegen ungewolltes Abrutschen durch eine hydraulische Bremsanlage über Spannlitzen am Überbauende gesichert. Die Sicherung des Stahlüberbaus im Ruhezustand zwischen den Verschubtakten erfolgte über eine Knaggenkonstruktion, bei der sich der Überbau an der Auflagerbank des hierfür rückverankerten Widerlagers abstützte. Die Rückverankerung am Widerlager erfolgte über zwei einbetonierte Steckträger in ein gegen den Felsgrund angespanntes Fundament. Während des Einschubes waren die Pfeilerkopfauslenkungen kontinuierlich durch Messungen kontrolliert worden. Zusätzlich wurde eine Pfeilerkippsicherung installiert, bei der mittels einer elektronischen Überwachung bei Erreichen des zulässigen Grenzwertes der Kopfauslenkung die Verschubanlage automatisch abgeschaltet worden wäre. In acht Verschubtakten wurde der Überbau über das Tal geschoben (Bilder 6.22 und 6.23). Dafür waren auf den Pfeilern und Widerlagern der Achsen 20 bis 80 sowie in den Achsen V1 bis V3 Verschublager unterhalb der Trägerstege installiert worden, die pro Lagerungspunkt der Lagerachse hydraulisch gekoppelt waren. Die Oberkante der Verschublager entsprach der Gradientenhöhe in Unterkante Brücke. Die horizontale Führung wurde über Teflon/Stahl-Gleitpaarungen gewährleistet. 122

Bild 6.20: Vorbauschnabel Takt 3 ( IB Grassl GmbH) Bild 6.21: Visualisierung Verschub Takt 6 über die maximale Feldlänge von 115 m, Auffahren auf Pfeiler in Achse 40 ( IB Grassl GmbH) Bild 6.22: Auffahren am Pfeiler 20 ( Reinhard Mederer) 123

Zusätzliche Verschublagerwippen in den Achsen 10 bis 80 ermöglichten das Auffahren des Vorbauschnabels. Mit Erreichen der Achse 10 wurde der Überbau letztlich in die Endlage geschoben und über Hydraulikzylinder für den Lagereinbau gehalten. Im Dezember 2013 wurden die Lager versetzt (Bild 6.24). Derzeit wird der Schalwagen als vorbereitende Maßnahme für die Betonage der Fahrbahnplatte im Pilgerschrittverfahren auf der Baustelle gemäß der in Bild 6.25 dargestellten Konstruktionszeichnung montiert. Der Schalwagen wird mittels Fahrwerken am Untergurt des außen liegenden Längsträgers und am Untergurt bzw. Bodenblech des Stahlkastens verfahren. Die Schalelemente für die Kragplatte und den Plattenabschnitt zwischen Längsträger und Obergurt bzw. Deckblech des Stahlkastens sind schwenkbar ausgelegt und ermöglichen somit ein Passieren der Schrägstreben. Die Betonierabschnittslänge beträgt ca. 24 m, sodass in Längsrichtung 6 schwenkbare Schalwagenelemente gekoppelt sind. Durch den Einsatz eines untenliegenden Schalwagens werden keine Durchdringungen der Fahrbahnplatte mit Zugstangen erforderlich. 6.6 Ausblick Bild 6.23: Talsicht nach Auffahren am Pfeiler Achse 20 ( Reinhard Mederer) Nach erfolgreicher Betonage der Fahrbahnplatte und Realisierung der Ausbaugewerke könnten sich im Winter 2014/2015 ähnliche Motive wie in der fotorealistischen Visualisierung in Bild 6.26 dargestellt darbieten. Neben der Talbrücke Nuttlar sind die Talbrücken Hammecke und Schormecke derzeit im Bau. Der neue 5,6 km lange Streckenabschnitt wird nach Gesamtfertigstellung der Maßnahme eine leistungsfähige Verbindung ermöglichen und die Kompetenz des deutschen Brückenbaus repräsentieren. 6.7 Literaturverzeichnis Bild 6.24: Einbau der endgültigen Lager, Ansicht vor Betonage der Lagersockel ( Lavis Engineering GmbH) [1] NEUMANN, I.; NEUMANN, W.: Gestaltungskonzept Abschnitt A 46 Velmede Nuttlar, 2008 [2] HILGENDORFF, K.-D.; NEUMANN, W.; REITZ, D.; SCHMITZ, CH.: Talbrücke Elben Eine Stahlverbundbrücke mit einteiligem Querschnitt, Stahlbau 76, Heft 5, 2007 [3] GRASSL, H.; SCHUMMER, D.; BOGDAN, G.; BUDDENKOTTE, G.: Entwurf, Planung und Aus- 124

Bild 6.25: Verbundschalwagen untenfahrend, Querschnitt Nord, oben: Betonierzustand, unten: Verfahrzustand ( Deutsche Doka Schalungstechnik GmbH) 125

Bild 6.26: Visualisierung der Talbrücke Nuttlar im Endzustand ( IB Grassl GmbH) führung Bau der Talbrücke Nuttlar. Wiederspahn, M. (Hrsg.): Brückenbau Construction & Engineering, 13. Symposium Brückenbau in Leipzig. Ausgabe 1/2 2013. Wiesbaden: Verlagsgruppe Wiederspahn, 2013, S. 71-79 6.8 Projektbeteiligte Bauherr: Bundesrepublik Deutschland, letztlich vertreten durch Landesbetrieb Straßenbau NRW, Regionalniederlassung Sauerland-Hochstift Gestaltungskonzept: Ruhrberg Ingenieurgemeinschaft, Hagen, Dipl.-Ing. arch. I. Neumann und Dipl.-Ing. W. Neumann Vorentwurfsplanung: Landesbetrieb Straßenbau NRW, Regionalniederlassung Sauerland-Hochstift, Meschede Entwurfsplanung: Ingenieurbüro Grassl GmbH, Düsseldorf Baugrundgutachter und Gründungsplanung: Prof. Dr.-Ing. W. Wittke Beratende Ingenieure für Grundbau und Felsbau GmbH, Aachen Statisch-konstruktive Prüfung: Dipl.-Ing. W. Neumann, Hagen Bauausführung: Max Bögl Bauunternehmung GmbH & Co.KG, Neumarkt Ausführungsplanung: Meyer + Schubart Partnerschaft Beratender Ingenieure VBI, Wunstorf; BUNG AG Beratende Ingenieure, Heidelberg Örtliche Bauüberwachung: Landesbetrieb Straßenbau NRW, Regionalniederlassung Sauerland-Hochstift Fertigungsüberwachung Stahlbau und Korrosionsschutz: Lavis Engineering GmbH, Halle Aerodynamisches Gutachten: Prof. Dr.-Ing. Rüdiger Höffer, Ruhruniversität Bochum 126

A 46 Neubauabschnitt Velmede-Nuttlar Talbrücke Nuttlar 115 m über dem Talgrund Nordrhein-Westfalens höchstes Brückenbauwerk Berlin-Brandenburg Düsseldorf Greifswald Hamburg Itzehoe Magdeburg München www.grassl-ing.de