Dr. Brunhilde Arnold Rede auf der Festveranstaltung am 1. April 2008 in der Aula der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Ähnliche Dokumente
Das Studium im Alter an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Ein Beitrag zur Steigerung der Lebensqualität im Alter

Zur Situation der SeniorInnen Universitäten in Deutschland


Alter lernt und forscht Emotionen in Geschichte und Literatur. Seniorenstudium - Neue Perspektiven entdecken

Forschendes Lernen. als Beitrag zu einer neuen Lernkultur im Seniorenstudium

Faire Perspektiven für die europäische Jugend sichern den sozialen Frieden in Europa Herausforderung auch für das DFJW

Bildung für ältere Erwachsene in Sachsen-Anhalt und die Herausforderungen an die Hochschulen

Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Wissenschaft und Forschung DIE SENATORIN

Individuelles Lehren lernen

Leitbild des Max Mannheimer Studienzentrums

Altersbilder neu denken

Neujahrsempfang der EBC Hochschule Hamburg 4. Februar 2014, 17 Uhr, Esplanade 6

Zukunft Ehrenamt

Geburtstagkinder im Alter von zehn Jahren stecken ja eigentlich noch in den Kinderschuhen.

Rede. Klaus Kaiser. Parlamentarischer Staatssekretär für Kultur und Wissenschaft des Landes. Nordrhein-Westfalen. anlässlich der

Freiwilliges Engagement im Ruhestand

Wissen und Erfahrungen älterer Menschen für die Umweltbildung der nächsten Generation

Studienschwerpunkt Erwachsenenbildung/ Weiterbildung

Statement des Landesjugendringes RLP zu einem neu zu gründenden Landesnetzwerk Ehrenamt am

Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie

Leitbild trifft auf Praxis Bochum, 04. / 05. November. Studium als wissenschaftliche Berufsausbildung

Rede. von Herrn Staatsminister. bei der. Examensfeier der Universität Erlangen-Nürnberg. Am 6. Februar 2014

Abschlussveranstaltung des DFG- Graduiertenkollegs Kunst und Technik , 19 Uhr, TUHH, Denickestr. 22, Audimax II

Grußwort des Regierungspräsidenten Dr. Thomas Bauer zum Workshop "Sinus-Studie Migranten-Milieus in Deutschland" am in Ansbach im SS 339

Ich hätte nicht gedacht, dass ich irgendwann einmal in Ihr Wohnzimmer eingeladen würde,

Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie

Es gilt das gesprochene Wort.

Rede von Ulrike Flach Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit Mitglied des Deutschen Bundestages Grußwort

Russische Philosophen in Berlin

Stabilität und Veränderung psychologischer Aspekte im höheren Erwachsenenalter. Dr. Stefanie Becker

Aktive Europäische Bürgerschaft

Der Erzbischof von München und Freising

Eröffnungsrede Starke Wissenschaft starke Wirtschaft

Maria, die Mutter von Jesus wenn ich diesen

der Hochschule für Musik, der Stadt und nicht zuletzt der Initiative für Junge Forscher & Forscherinnen.

Vorwort zur 2. Auflage

SERVICE LEARNING: WIE KRIEGT MAN ES ZU FASSEN?

IMC FH KREMS SeniorInnenUNI. Mittendrin im Leben

Rede von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer anlässlich der Verleihung des Betriebsrats-Award 2011, Linz, 13. Mai 2011

ANGEHÖRIGENFACHTAG 2016 WORKSHOP ZUM UGK PROJEKT

Grußwort der Regierungspräsidentin. 1. Einleitung: Science Days für Kinder 2013 am 18. Juni Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Kooperation von Haupt- und Ehrenamtlichen in Pflege, Sport und Kultur

Aktives Altern und Geschlechterperspektiven. Petra-Angela Ahrens / Gerhard Wegner 11. September 2015 in Hannover

Sehr geehrter Herr Professor Tolan, lieber Herr Professor Strohschneider, meine Damen und Herren,

Wir leben in einer alternden Gesellschaft Zunahme der Lebenserwartung

Memorandum. Gesellschaftliche Verantwortung an Hochschulen

Die Arbeit in Mutter-Kind-Einrichtungen: Eine fachliche und persönliche Herausforderung

Irmgard Badura. Publikation Vorlage: Datei des Autors Eingestellt am

Der lange Schatten der Kindheit

Generationenübergreifendes Arbeiten mit Kindern und Senioren

Fachtagung BaS 23./ in Dortmund

Es gilt das gesprochene Wort. Sehr geehrter Herr Schürmann, sehr geehrte Frau Schlecht, meine sehr geehrten Damen und Herren,

Stephan Steinlein. Staatssekretär. Eröffnung des. 4. Symposiums des Weltverbandes Deutscher. Auslandsschulen. Berlin-Brandenburgische Akademie der

Liebe Engagementbotschafterinnen und Engagementbotschafter, sehr geehrter Herr Thomas, sehr geehrter Herr Dr. Klein, sehr geehrte Frau Wortmann,

Rede Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Thomas Rachel, MdB,

Aktivitäten und Aktionsräume älterer Menschen

Es gilt das gesprochene Wort!

Oberbürgermeister Hunsteger-Petermann Hammer Immobilienforum 16. Februar, 18 Uhr, Zentralhallen. Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Sehr geehrte Preisträgerin, liebe Professorin Därman,

Meine Damen und Herren, ich freue mich, Sie heute hier im Namen der Frankfurt School of Finance und Management begrüßen zu dürfen.

Jugendliche aus Sicht der Erwachsenen

Master und Promotion am Fachbereich 21. Infoveranstaltung der

Allgemeine Erziehungswissenschaft. Edgar Forster HS 2017

Zur Vorbereitung auf die ÖSD-PrüferInnenausbildung

Kultur- und Sozialwissenschaftliche Fakultät Philosophisches Seminar. Bachelor of Arts (BA) in Philosophie

ENTDECKEN SIE IHRE LERNSTRATEGIEN!

Grußwort der Regierungsvizepräsidentin von Oberbayern Maria Els anlässlich des 26. Oberbayerischen Integrationsforums Integration vor Ort am 2.

ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE DER MASTERTHESIS VON LISA GANSTER

VIII. Tierisch kultiviert Menschliches Verhalten zwischen

Wie Menschen aufblühen die Positive Psychologie als Grundlage. im Rahmen des 9. Netzwerktreffens Gesund im Wiener Kindergarten

3. Platz. Fides Marie Brückner

Raum: Hauptcampus Marienburger Platz 22, Gebäude K Musiksaal

François Höpflinger Die jungen Alten hin zu einem bewegten Altern.

Prof. Dr. med. Hans-Joachim Ahrendt. 27. Juni November 2015

Bildung im Alter: Sinn oder Unsinn? Dr. Renate Schramek

Wer produziert Studienerfolg? Hannah Leichsenring,

Religionsunterricht wozu?

Demografischer Wandel und Übergangsmanagement

Eine Studie zur Lebensqualität im Pflegeheim - warum? Die Studie

Voraussetzungen und Rahmenbedingungen freiwilligen Engagements

Institut für Fußball und Gesellschaft

Spät am Start, früh am Ziel

HEALTH4YOU Stärken & Ressourcen Heft

Fragebogen Wissenschaftsbarometer 2017

Leitsätze der Ehe- und Familienpastoral im Erzbistum Paderborn

Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen

Mehr Chancen für gesundes

Newsletter Metropolregion Nürnberg

ich freue mich außerordentlich, heute zusammen mit Ihnen das 50-jährige Bestehen unserer Städtepartnerschaft zu feiern. Es ist ein ganz besonderes

Healthy ageing und Prävention

Bericht über das Praktikum im Heimatland

Zwischen Akzeptanz und Überzeugung: Anerkennung außerhochschulischer Vorleistungen in der wissenschaftlichen Weiterbildung

Weiterqualifizierung für Akademiker - Angebote der Hochschule und der Universität

Tagung Freiwilligenarbeit Berlin. mit meiner persönlichen kurzen Vorstellung möchte ich

Nachbarschaft neu entdecken ein Projekt von Belvita. Gesundheit. Willkommen zu Hause.

Abweichungen vom Bild der Normalstudierenden Erwartungen, Motivation, Wissenschaftsorientierung. Prof. Dr. Uwe Wilkesmann

Interview mit Dr. Markus Wiesenauer April 2008

Das Projekt Employability an der Universität Münster

Transkript:

1 Dr. Brunhilde Arnold Rede auf der Festveranstaltung am 1. April 2008 in der Aula der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Studieren im Alter Ein Stück vom Glück? Sehr geehrte Damen und Herren, liebe ehemalige Kolleginnen Ich freue mich, dass mich Frau Dr. Brokmann -Nooren einlud, um mit Ihnen dieses Jubiläum zu feiern. Sie hat mit der Einladung meiner Person eine historische Spur aufgenommen, dafür bedanke ich mich bei ihr herzlich, zumal es ungewöhnlich geworden ist, sich an Vorgänger und Anfänge zu erinnern. Wenn ich während des Semesters montags zur Vorlesung gehe, kommen mir manchmal meine Mutter und meine Großmütter in den Sinn: In meinem Alter, 72, waren die Großmütter bereits lange tot, die Mutter krank. Die Bildungsmöglichkeiten dieser Frauengenerationen waren in ihrer Jugend eingeschränkt und blieben es zeitlebens. In meiner Generation haben die einigermaßen gesunden Älteren die Chance, ganz neue Erfahrungen zu machen, selbst wenn sie noch in ihrer Jugend kein Abitur erwerben konnten, steht ihnen/uns jetzt die Universität offen. Das will ich doch ganz einfach Glück nennen. Wenn ich diese Philsosophieveranstaltung verlasse, stellt sich bei mir eine erstaunlich frohe Stimmung ein. Jedoch ist es nicht ganz Sache freier Entscheidung, heute müssen wir dazu die notwendigen Einschränkungen erwähnen: Dazu gehören im besonderen die Finanzierungsmöglichkeiten durch die Älteren selbst, und deren Offenheit und innere

2 Einstellung für Bildung generell. Was für den einen gut ist, braucht es nicht für andere zu sein. Hier in Oldenburg haben Sie so ein differenziertes Gasthörerangebot, dank der konzeptionellen Teamarbeit von Frau Brokmann-Nooren und Frau Waltraut Dröge, das sich national und auch international sehen lassen kann. Sie kennen es am besten, und darüber brauche ich nicht zu sprechen. Aber darüber: Was hat zur Utopie Studieren auch im Alter und damit zur Wiederbelebung des Gasthörerstudiums geführt? Ich stelle Ihnen verschiedene Ansätze vor, die zur Legitimierung beitrugen, und spreche schließlich über meine Erfahrungen als ältere Studierende. Die Bemühungen, Bildung in der Universität ohne Abitur auch für die Lebensphase des Alters anzubieten, z.b. im Wiederbeleben des alten Gasthörerstudiums im Sinne einer universitas der Generationen, ist in den 1970er Jahren 1 von vorausschauenden Bildungsplanern und Alternswissenschaftlern auf europäischer Ebene auf die Tagesordnung gekommen. Historische Konstellationen, auch Zufälligkeiten brachten das Produkt Studieren auch im Alter hervor. 1 Seminar von G. Sitzmann 1970

3 Z.B. begann an der Freien Universität von Brüssel die Weiterbildung für das dritte Alter 1975 dem Jahr der Erdölkrise 2. Seit Ende der 60 Jahre/Anfang der 70 Jahre war lebenslange Bildung, ein Thema, begleitet von der Entwicklung der Erwachsenenbildung und der Erziehungswissenschaften. Warum aber das Alter einbeziehen? Es zeichnete sich eine Verschiebung der Schwelle zum Alter ab: Alles, was heute Allgemeinwissen ist, wurde schon öffentlich 3 diskutiert: Bessere Gesundheit, die zahlenmäßig ansteigende Gruppe der frühen Ruheständler, steigende Lebenserwartung, stagnierende Geburtenquote einmündend in eine Veränderung des Bevölkerungsaufbaus. In einem gesellschaftlichen Klima geprägt vom Jugendwahn und einer Ausgrenzungstendenz von älteren Menschen war das Projekt, in die Universität als Studierende Ältere einzubeziehen, eine gegenkulturelle Aktion. Vom Ausbau der Weiterbildung für die Lebensarbeitszeit wurde zwar gesprochen, dennoch blieben die älteren Arbeitnehmer, betrachtet man Statistiken, von der Weiterbildung in ihrer Mehrzahl ausgeschlossen. Von der gesamten Lebenszeit sprachen jedoch wir. Heute sagt die Bundesministerin, Frau Schavan, "Wir werden die Weiterbildung konsequent ausbauen...unser Ziel ist es, die Chancen der Menschen während ihrer gesamten Lebenszeit zu verbessern" 4. Den Alternswissenschaftlern lag damals die Aufmerksamkeit für das Alter am Herzen, gab es doch in der BRD damals nur einen Lehrstuhl für Alternswissenschaft. 2 Puissant, J (1995): Education populaire, Education permanente. In: L Artichaut. Edition spéciale : Bruxelles, p.5-16 3 z.b. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.5.1975 und Frankfurter Allgemeine 1977 3.6.1977 4 Quelle: BMBF, 04.05.2006

4 Von Beginn wurde an uns, die wir als Subjekte diese Idee vertraten, nach der Existenzberechtigung eines Studiums im Alter gefragt. Wir sahen uns gezwungen den Wert von Bildung zu rechtfertigen und kritisch zu erörtern. Ist dies bis heute der Fall? 2007 erscheint ein Buch mit dem Titel: Studium im Alter etwa eine Investition in Zukunft? 5 Übrigens hat Prof. Willy Strzelewicz 1985 auf einer Tagung einen Vortrag unter ähnlichem Titel gehalten: Wer die Alten hat, hat die Zukunft 6. Das Studium im Alter muss zur Legitimierung seiner Daseinsberechtigung immer gesellschaftlich verankert sein. Solche Legitimierungen stelle ich Ihnen jetzt vor: 1. Intergenerationeller Dialog Frau Prof. Barbara Fülgraff und ich haben dazu 1979 und 1984 Aufsätze 7 geschrieben. Studieren im Alter sollte einen neuen Austausch zwischen jung und Alt und damit positive Perspektiven für die Entwicklung des Generationenverhältnisses in Gang setzen: -Durch neues wissenschaftliches Durchdenken und Deuten der Erfahrungen der älteren Menschen und deren Aufnehmen durch die Jüngeren, -durch den Einbezug von Menschen, die gerade, weil sie mehr als Jüngere die Endlichkeit des Lebens erfassen, die Wissenschaft an ihre historische und ethische Dimension erinnern. 5 Kaiser, Mechthild (Hrsg.) Studium im Alter Eine Investition in Zukunft?! Münster u.a. Waxmann 2007. 6 In: Ältere Studierende in den Universitäten. Hrg. B. Arnold. Veröffentlichung Univ. Oldenburg 7 B.Arnold/B.Fülgraff: Intergenerationelles Lernen: Erwachsene und Universität. In: Seniorenstudium eine neue Aufgabe für Hochschulen.

5 Barbara Fülgraff und ich standen für ein altersgemischtes Studieren. An den Terminus Seniorenstudium mussten wir uns erst gewöhnen. Als Alternswissenschaftler waren wir aber auch an einer Veränderung des negativen Altersbildes interessiert. Wir waren der Meinung, dass durch Beteiligung des Alters in Gestalt alter Menschen negative Altersbilder zu verändern seien. Wir haben Edles erstrebt, haben wir es erreicht? 2. Medienkompetenz als Legitimierung Die neuen Kommunikationstechnologien und die Verbreitung des PC seit ca. 1995 auch in Seniorenhaushalten, sorgten dafür, dass die dafür spezifischen Kenntnisse zum Inhalt von Weiterbildungsstudien für das Alter wurden. Insbesondere Carmen Stadelhofer an der Universität Ulm hat hier Pionierarbeit geleistet. Sie argumentierte: Die jungen Alten sollen den Umgang mit neuen Techniken erlernen, damit sie in einem möglichen Stadium der Hilfebedürftigkeit mit ihnen vertraut sind und sie nützen können 8. Dies ist ein Beispiel einer sozialpolitischen, sozialpflegerischen Legitimierung. Nimmt man Medienkompetenz als Bestandteil der Lebensqualität und Partizipationsmöglichkeit für alle, bedürfte es streng genommen keiner altersspezifischen Begründung. Heute hat sich das E-Learning in Ulm enorm weiter entwickelt. Lernmodule verbinden Studierende über Regionen und nationale Grenzen hinaus. 8 Stadelhofer, C: Lernen in der Informationsgesellschaft. In: Lernen im Alter. S. 166

6 3. Sozialkompetenz als Legitimierung Prof. Gerhard Breleor und Mechthild Kaiser schufen an der Universität Münster ein Zertifikatsstudium, genannt: Förderung von Sozialkompetenz. Ein Zertifikatsstudium sagten die Autoren fördere die gesellschaftliche Relevanz des Studiums im Alter nach außen hin. 9 4. Ausbildung für das Ehrenamt als Legitimation Das weiterbildende Studium für Senioren an der Universität Dortmund, Beginn 1980, wandte sich an die neue gesellschaftliche Gruppe der Jungen Alten und setzte sich das Ziel Ausbildung und Qualifizierung für nachberuflichen, ehrenamtliche Tätigkeiten zu sein 10. In Dortmund also das erste Konzept eines Studienprogramms, das hilfreich sein soll für ein unspezifisches bürgerschaftliches Engagement, das erstmals auch eine Ausbildungslücke festmachte. Später folgten an vielen Universitäten entsprechende Studienprogramme, dann aber auf spezifische Profile ausgerichtet. Der Erfolg dieser Weiterbildungsprogramme zeigt sich auch an der Nachfrage durch die Älteren, und deren Hoffnung auf eine neue gesellschaftliche Rolle. 9 Kaiser, Mechthild (Hrsg.) Studium im Alter Eine Investition in Zukunft?! Münster u.a. Waxmann 2007. 10 Kühlmann, Michael: Entwicklungen und Perspektiven des weiterbildenden Studiums für Senioren der Universität Dortmund. In: Seniorenstudium wofür? S. 74

7 5. Forschung als Legitimierung Das weiterbildende SeniorInnen-Studium in Wuppertal war anfänglich sozialwissenschaftlich ausgerichtet und sah eine Integration in Forschung vor 11. Eingeführt hat dieses weiterbildende Studium Dr. Felizitas Sagebiel. Für den Einbezug Älterer in Forschung nannte sie wissenschaftliche und ökonomische Gründe. Es könnten Themen beforscht werden, für die keine Geldgeber aufzutreiben wären, außerdem sei der Feldzugang für qualitative Forschung bei ausgewählten Themen für Ältere leichter. Felizitas Sagebiel engagierte sich in der Genderforschung zum Studieren und Lernen im Alter 12. Schlussfolgerungen Die Wirklichkeit unserer Gesellschaft, genauer gesagt die Bindung der modernen Universität an Leistung und Berufsausbildung ließ notwendigerweise solche Legitimierungen, wenn nicht Ideologien aufkommen. Positiv gesehen, es verlangte nach einer geistigen Ausrichtung. An den Legitimierungen welchen gesellschaftlichen Nutzen das Studieren im Alter nun habe, lässt sich auch die Wert- besser Geringschätzung des Alters ablesen. Für die Ökonomie ist das Alter bislang immer eine unproduktive, sog. Tote Kosten verursachende Lebensphase gewesen. Damit sind Investitionen in die Bildung auf den 11 Sagebiel, F.: Ältere Studierende forschen. In: Forschendes Lernen. 2006. S. 117 12 Zahlreiche Veröffentlichungen auf diesem Gebiet

8 ersten Blick nicht rentabel. Deswegen wurde auch die Ideologie von der anderen Seite gepflegt, im Alter könne und lohne es sich nicht mehr zu lernen. Die objektive Funktion des Studierens im Alter zeigt sich heute deutlich: Zunehmende Alterung, Verlängerung der Lebensarbeitszeit und ausbleibender Fachkräftenachwuchs implizieren für die Hochschulen: ältere Menschen in die höhere Qualifizierung einzubeziehen, sei es für den gleichen Job oder für eine freiwillige Tätigkeit 13. Die Überzeugungsarbeit, dass Ältere mit Interesse und Freude studieren können, haben die Universitäten bereits geleistet. Sie sind also Vorreiter darin und sollten dies offensiv vertreten, nicht ohne die didaktisch inhaltlichen Auswirkungen der Teilnahme an Lernaktivitäten zu erforschen. Wie sich das Studieren im Alter als Stück vom Glück darstellt, richtet sich nicht allein nach den Möglichkeiten die Universitäten bieten. Für die einzelne Person ist es abhängig von Variablen, die niemals statisch sind, und sich mit zunehmendem Alter gravierend verändern können. Dazu gehören insbesondere die Gesundheit, der sozioökonomischer Status und die sozialen Beziehungen. Wenn Glück die Bilanz aus guten universitären Bedingungen und dem positiven Einfluss auf das subjektive Wohlbefinden des älteren Studierenden ist, dann ergibt sich daraus eine Zwei-Wege -Orientierung: 13 Ursula von der Leyen, Bundesfamilienministerin, Die ältere Generation hat ein Potenzial, das pures Gold ist.

9 1. Strukturiertes Studieren auf ein Ziel hin mit Examen oder Zertifikat für die energetischen Seniorstudieren 14. Dies kann ein Zusammenführen von subjektiven Bedürfnissen und objektiven Bedarfen bedeuten. Ältere Menschen, können bewusst in abschlussbezogene Studienprogramme einbezogen werden, die ihnen eine aktive Rolle im Arbeitsleben oder in der Gesellschaft in Form der freiwilligen bürgerschaftlichen Tätigkeit ermöglichen. Für energetische Ältere sind durchaus kognitiver Vergleich im Lernen und soziale Integriertheit von Bedeutung für Wohlbefinden und Glück. Auch dafür liefert Ihre Universität Beispiele 15. 2. Das freie Studieren für die selektierenden Seniorstudierenden, die sich ihrer Grenzen bewusst sind. Dieser Weg des freien Studierens setzt ein, wenn die Knappheit der Zukunft relevant und dem Einzelnen bewusst wird. Aus Untersuchungen geht hervor, dass derzeit ehrenamtliches Engagement mit dem Lebensalter 70 sinkt. Man ist nicht mehr bis an die Zähne mit Zeit bewaffnet. Die Zeit drängt, man gesteht sich die eigenen Grenzen ein. Man ist sich sehr bewusst, dass das Wissen unabgeschlossen ist. Das Glück und Vergnügen besteht darin, 14 Den Begriff Jüngere Alte vermeide ich bewusst 15 Mein eigenes Beispiel: Am Musikinstitut der Universität Gießen konnte ich eine Ausbildung zur sog. B- Prüfung in Kirchenmusik durchlaufen. Ich habe mit jungen Studenten Tonsatz, Musiktheorie, Hörprüfungsseminare etc. studiert und habe Prüfungen absolviert. Heute leite ich einen Frauenchor ehrenamtlich.

10 noch dabei sein zu können, das Abenteuer des Reflektierens ist noch nicht vorbei, denn wir streben auch im Alter nach Wissen 16, auch wenn es nicht mehr auf Handlungen ausgerichtet ist. Studieren im Alter eine Glücksache? Ich erwähnte schon, dass ich Vorlesungen in Philosophie besuche. In dieser Veranstaltung habe ich ältere Studierende und jüngere schriftlich befragt. Meine wichtigsten Schlussfolgerungen hieraus sind 1. Die jungen Studenten haben sich an den Anblick älterer Studierender gewöhnt. Sie sehen darin nichts Exotisches mehr. Die Atmosphäre ist intergenerationell. 2. Die Jungen können sich es sogar vorstellen im Alter selbst mal wieder an die Alma mater zurückzukehren 3. Sie erachten Studieren im Alter für wertvoll, da man immer nur im Werden begriffen ist, - die studentische philosophische Version für lebenslanges Lernen. 4. Ein entscheidender Hinweis der Jüngeren ist: sie schätzen Ältere als Verlangsamungsfaktor: Ich sehe einen Vorteil für mich, wenn es an der Uni auch Studenten gibt bei denen Leistungsdruck nicht nötig ist. Und, wie ein Student in der Befragung positiv bemerkte, die Älteren bringen durch ihre Beiträge eine Art Verlangsamung in den Ablauf. Die oft kontemplativen zeitgeschichtlichen Beiträge der Älteren bringen Muße, halten kurz die Zeit an. Regen zum Nachdenken an. 16 Alle Menschen streben von Natur nach Wissen ist ein berühmter Satz von Aristoteles

11 Oberflächlich betrachtet wird dieses Aufhalten ins Negative verkehrt: Die Beiträge sind des öfteren weitschweifig. 5. Intergenerationelle Begegnung: Was jedoch leider mindestens aus meiner Befragung hervor geht ist, es zeichnen sich keine intensiven sozialen Kontakte zwischen jung und Alt ab. Ich habe schon mal mit jemand gesprochen, mehr nicht. Es gibt zwar altersgleiche Interaktionspartner: Man setzt sich zusammen, hält sich Plätze frei, geht gemeinsam aus der Vorlesung, diskutiert vor den Türen. Niemals jedoch habe ich altersungleiche Beobachtungen machen können. Die einzige Untersuchung zu diesem Thema, von Brauerhoch/Dabo-Cruz 17, Frankfurt, untersucht nicht die Ausführlichkeit von Kommunikation und Kontakten. Nützen die älteren Studierenden wirklich diese Struktur, die ihnen zu einem intergenerationellen Austausch Gelegenheit gäbe? Mir scheint die soziale Seite des Studierens im Alter, die produktive Begegnung mit jüngeren Studierenden, mangelhaft entwickelt. Wir schätzen es, wie ein Seniorstudierender in den Fragebogen schreibt, die Denkweisen der Jüngeren zu verstehen. Und mehr nicht? Es fehlt die interaktive Kompetenz zur Kommunikation. Die älteren Studierenden selbst müssen eine dialogische Haltung einnehmen. Die Universität ist für sie eine Ressource, die Kraft und Inhalte, die sie daraus schöpfen, müssen sie zur Ressource für die Jüngeren machen. Haben wir uns früher nicht auch gefreut, wenn uns ein sachkundiger erfahrener Mensch beriet oder unterstützte auf 17 Brauerhoch, Olaf, Dabo-Cruz, Silvia<. Begegnung der Generationen: Alt und Jung im Studium. Idstein: Kirchner-Verl. 2005

12 dem Weg vorwärts? Aktives wohlwollendes Miteinander, bereit etwas abzugeben, von unseren Ressourcen könnte unsere Rolle sein. Neulich schrieb eine Mutter von zwei jungen Studenten in einem Brief an mich: Heute brauchen die Jungen Rat, Gesprächspartner, Unterstützung und auch kleine Gesten. Das könnten wir geben! Sofern wir uns trauen, uns einzumischen, können wir Erfahrungswissen weitergeben, trösten und aufbauen. Eine junge Studentin schrieb in meinen Fragebogen: Außerdem zeigen Ältere öfter eine mitreißende Begeisterung. Ich verdanke einem Philosophen dieser Universität, Prof. Lengert, einen Hinweis auf den Anthropologen Montagu. Er spricht von den neotenen Merkmalen, die das Kind so sichtbar zu Schau stellt das sind Wissbegierde, Phantasie, Freude am Spiel, Humor, Liebebedürfnis und Liebebereitschaft - diese müssen Erwachsene bis ins Alter zur Vollendung bringen 18. Fazit: Wissensdurst allein reicht nicht, es gehört auch die Bereitschaft zur Begegnung dazu. Ist das unsere Bringschuld? 18 Ashley Montagu: Zum Kind reifen, Stuttgart, 1984