NCD-Strategie von Bund und Kantonen: Sicht der Wirtschaft

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Transkript:

NCD-Strategie, Allianz Gesunde Schweiz, 19. August 2015, Hotel Bern NCD-Strategie von Bund und Kantonen: Sicht der Wirtschaft Dr. Fridolin Marty, Leiter Gesundheitspolitik

OECD-Länderbericht zur CH (2011) «Trotz bemerkenswerter Errungenschaften werden sich die politischen Entscheidungsträger der Schweiz in Zukunft bedeutenden Herausforderungen stellen müssen, um die Leistungen des Gesundheitssystems aufrecht zu erhalten und zu verbessern. Die Bevölkerung der Schweiz ist älter als in den meisten anderen OECD-Ländern. Gleichzeitig lassen die heutigen Änderungen im Lebensstil für die Zukunft eine Zunahme der Gesundheitsrisiken unter der Schweizer Bevölkerung vorausahnen. Diese Tendenz dürfte zusammen mit medizintechnischen Fortschritten und der demographischen Alterung dazu führen, dass in den kommenden Jahrzehnten für mehr Schweizer Einwohner/innen die Wahrscheinlichkeit zunimmt, an einer oder mehreren chronischen Krankheiten zu leiden.» 24.08.2015 Seite 1

Zahlenspiegel NCD-Strategie «Abnahme vorzeitiger Todesfälle (PYLL) durch NCD zwischen 1993 und 2013 um 47% bei Männern und 42% bei Frauen» Das ist ein erstaunlich positives Resultat, weil PYLL generell um -49% (m) resp. -40% (w) abgenommen haben und andere Todesursachen stark gesunken sind. Man könnte deshalb einen Selektionsprozess vermuten, bei dem die NCD-Todesursachen an Bedeutung gewännen. Suizidrate hat um -41% abgenommen Tod wegen Gewalteinwirkung oder Unfall: -46% (m) und -39% (w) Unfälle mit Todesfälle unter Alkohol haben um -66% abgenommen 2

PLYL in Jahre (Männer) Verlorene Lebensjahre (Männer) Schweiz auf Rang 2 hinter LUX (Rang 4 bei den Frauen, ev. wegen Gleichstellung) 8000 7000 6000 5000 4000 3000 2000 1000 Germany Switzerland Netherlands France Italy 0 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Jahr 24.08.2015 Seite 3

Lungenkrebs «Starke Zunahme Sterblichkeitsrate Lungenkrebs bei Frauen» Tatsächlich +41% (1993-2013) ABER: Bei den Männern: -42% Männer und Frauen zusammen: -27% 4

Zitate aus Zahlenspiegel NCD-Strategie: Positive Trends (1) «Reduktion Sterblichkeitsrate bei Dickdarm-,Brustund Prostatakrebs, Lungenkrebs (bei Männer)» Lungenkrebs bei den Männern: -42% Prostatakrebs: -44% Dickdarmkrebs: -44% Magenkrebs: -47% Brustkrebs: -42% Gebärmutterhalskrebs: -69% 5

Zitate aus Zahlenspiegel NCD-Strategie: Positive Trends (2) Rückläufige Mortalität infolge von Herz-Kreislauf- Erkrankungen - Männer: 12 136 (1970) auf 9 719 (2013) - Frauen: 13 899 (1970) auf 11 793 (2013) Rückläufige asthmabedingte Mortalitätsrate um 57% zwischen 1998 (59.3) und 2008 (26.2 Leicht rückläufig Arthrose/Arthritis: 8.4% (2007) auf 7.3% (2012) Abnahme: chronisch risikoreicher Alkoholkonsum bei Frauen 6

Zitate aus Zahlenspiegel NCD-Strategie: Positive Trends (3) Passivrauchexposition: Reduktion von 35% (2001) auf 6% (2013) Kinder/Jugendliche 11-15-Jahrig: leichter Anstieg von täglichem Früchtekonsum (2002 2010): Knaben von 31 auf 38%, Mädchen von 41 auf 48% Erwachsene: Zunahme der aktiven Personen um 10% ( 2002 und 2012) 7

Zahlenspiegel NCD-Strategie (2) «Erwachsene: Zunahme von Übergewicht UND Adipositas von 30% (1992) auf 41% (2012), dabei starke Zunahme von Adipositas von 5% (1992) auf 10% (2012)» Stimmt ABER: Das entspricht den internationalen Trend. CH auf Rang 4 der OECD (hinter Japan, Korea & Norwegen) 8

Wahrscheinlichkeit zwischen 30 und 70 Jahren an einer NCD zu sterben 9 % in der Schweiz Schweiz auf Rang 1 (ex aequo mit AUS, ZYP, ISR, JAP, COR) von 171 Ländern Quelle: WHO, 2012 Fehlt im Zahlenspiegel! 24.08.2015 Seite 9

Fazit Zahlenspiegel NCD-Strategie Es herrscht kein NCD-Notstand. Im Gegenteil: die Schweiz scheint auch hier eine Insel der Glückseligen zu sein Der OECD-Bericht bezüglich risikoreicherem Lebensstil kann nicht nachvollzogen werden. Richtig ist die Einschätzung der Demographie und der damit verbundenen chronischen Erkrankungen Der Grenznutzen von NCD- Präventionsmassnahmen ist in CH kleiner als anderswo 10

Schweiz bleibt ohne Präventionsgesetz 27.09.2012 Nach 1984 ist auch der zweite Anlauf für ein Präventionsgesetz an der Ausgabenbremse gescheitert. economiesuisse hat sich für ein schlankes Rahmengesetz ausgesprochen, weil es einen effizienteren Mitteleinsatz erlaubt hätte. Nun werden die Bundesgelder wie bisher ohne kohärente Strategie und Zielsetzungen ausgegeben. 11

Aktuelle Strategien und Programme von Bund und Kantonen Nat. Strategie Sucht Projekt Psychische Gesundheit Schweizerische Ernährungsstrategie Strategie zur Langzeitpflege Nat. Strategie gegen Krebs (2014-2017) Nat. Demenzstrategie (2014-2017) Nat. Strategie gegen muskuloskelettale Krankheiten (2015) 1 Nat. Strategie Herz- Gefässkrankheiten ( ) Diabetes 1 1 Teilweise privat finanziert 12

Vision der NCD-Strategie BAG: http://www.bag.admin.ch/themen/medizin/00683/index.html?lang=de Mehr Menschen bleiben gesund oder leben trotz chronischer Krankheit selbständig. Weniger Menschen leiden an vermeidbaren Behinderungen und sterben vorzeitig an vermeidbaren nichtübertragbaren Krankheiten. Die Bevölkerung wird unabhängig ihres sozioökonomischen Status unterstützt, gesundheitsförderliche Lebenswelten zu gestalten sowie einen gesunden Lebensstil zu pflegen. 13

Strategische Ziele, es fehlen: Wichtige, Gesundheitsdeterminanten stärken! Erhaltung der Arbeitsfähigkeit Vermeidung von Arbeitslosigkeit (Vollbeschäftigung) Gute generelle Bildung Wohlstand erhöhen 24.08.2015 Seite 14

Lücken, Lücken, Lücken! «Evidenzbasierte Massnahmen zur Stärkung der Prävention in der Gesundheitsversorgung werden nachhaltig verankert und weiterentwickelt. Lücken werden geschlossen.» «Bewährtes wird weiterentwickelt, der Fokus wird jedoch stärker auf setting-, lebensphasen- und zielgruppenorientierte Gesundheitsförderung und Prävention gelegt; bestehende Lücken werden geschlossen.» «Unter Berücksichtigung der vorhandenen Evidenz Lücken identifizieren und prioritäre Aktionsfelder vorschlagen» Wort «Lücken» kommt neunmal alleine und dreimal in Kombination in der NCD-Strategie vor! «Evidenzbasierte Massnahmen zur Stärkung der Prävention in der Gesundheitsversorgung werden nachhaltig verankert und weiter-entwickelt. Dabei werden bestehende Lücken geschlossen.» «Guidelines für Präventionsleistungen im Sinne der guten Praxis werden aufbauend auf bestehenden Erfahrungen und Ansätzen weiterentwickelt bzw. neu erarbeitet, falls Lücken bestehen. 24.08.2015 Seite 15

Mut zur Lücke! 24.08.2015 Seite 16

Finanzen Finanzierung nicht in erster Linie sichern oder gar erhöhen (rent seeking), sondern gut einsetzten! Richtig, dass vor der konkreten Umsetzung noch keine Mehrmittel gefordert werden 24.08.2015 Seite 17

Dreiklang: Bildungs-, Sozial- und Gesundheitspolitik Vunerable Gruppen: 1. Priorität Bildungspolitik 2. Sozialpolitik 3. Subsidiär: Gesundheitspolitik 24.08.2015 Seite 18

Expertengremium Kann sinnvoll sein Wichtigste Aufgaben: - Doppelspurigkeiten aufspüren - Koordination verbessern im Auge behalten - Effektivität der Massnahmen prüfen - Monitoring & Datensichtung - allfällige Anpassungen vorschlagen Corporate Governance einhalten: d.h. keine Personen im Gremium profitieren von Aufträgen des Bundes, der Kantone oder der GFCH 24.08.2015 Seite 19

Fazit der Wirtschaft (I) Es herrscht kein NCD-Notstand! NCD-Strategiesoll keine Auslegeordnung sein Die wichtigsten Risikofaktoren für NCD sind heute mit den NP bereits abgedeckt Mut zur Lücke! Präventionsgesetz wurde abgelehnt und soll nicht durch die Hintertüre eingeführt werden (v.a. Finanzierung, Rolle der Ligen etc.) 20

Fazit der Wirtschaft (II) Priorisierung staatlicher Leistungen (Bildung, Umwelt, Infrastruktur, Sicherheit, Gesundheit / Prävention, ) Chancengleichheit und vunerable Gruppen: «Bildungspolitik vor Sozialpolitik vor Gesundheitspolitik» Expertengremium muss Corporate Government einhalten und darf keine Rent Seeking-Gruppe sein Hände weg von Finanzierung von einzelnen Präventionsleistungen! Aber: Finanzen effektiv einsetzen! 21