Ambivalenz der Führung in der Postmoderne ein Plädoyer für ein instrumentell gestütztes Management in postmodernen Zeiten

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Transkript:

Ambivalenz der Führung in der Postmoderne ein Plädoyer für ein instrumentell gestütztes Management in postmodernen Zeiten von Prof. Dr. Dietram Schneider (in leicht veränderter Form erschienen in: REFA-Nachrichten, 3, 2007, S. 16-21 unter dem Titel: Führung in der Postmoderne Plädoyer für ein instrumentell gestütztes Management) Postmodern hat sich als viel genutztes Attribut für das gegenwärtige Zeitgeschehen etabliert. Dabei bezeichnet Postmoderne nicht nur eine anerkannte Diagnose der Gegenwartsgesellschaft und ihrer Entwicklungslinien, sondern auch eine wichtige philosophische Denkhaltung. Trotzdem haben Theorie und Praxis des Managements bislang kaum Anleihen bei postmodernen Überlegungen genommen. Aus beiden Perspektiven - also sowohl in epochaler als auch aus philosophischer Sicht lässt sich jedoch u. a. ein Plädoyer für ein instrumentell-methodisches Management begründen. Postmoderne Charakterisierungen Postmoderne ist zunächst als eine philosophische Konzeption aufzufassen. Ihre Charakterisierung erweist sich jedoch als schwierig, weil sogar ihre eifrigsten Verfechter genaue Definitionen vermeiden.[4] Pragmatisch und vereinfacht sollen an dieser Stelle lediglich zwei Komponenten der postmodernen Philosophie erläutert werden: (1) Skepsis gegenüber so genannten Meta-Erzählungen und (2) Dekonstruktion [1, 4, 5, 6, 10, 17]. Meta-Erzählungen Für postmoderne Philosophen haben die für die Epoche der Moderne typischen Meta-Erzählungen (z. B. Vernunft des menschlichen Geistes, Berufung auf Rationalität und Wahrheit, Emanzipation des Menschen, Einheitspostulate) an Geltung, Glaubwürdigkeit und Legitimation verloren. In postmoderner Lesart sind derartige Meta-Erzählungen Irrlichter, die lediglich dazu beitragen, zu beschwichtigen, Sinn und Einheitsvorstellungen vorzugaukeln, Pluralität zu gefährden und damit Verallgemeinerungen und Totalitarismen welcher Art auch immer Vorschub zu leisten. Insofern überrascht es nicht, wenn postmoderne Philosophen gegen alle Einheitspostulate die Erhaltung und Erweiterung

von Pluralität ins Feld führen und der Heterodoxie gegenüber der Orthodoxie Vorrang einräumen. So gibt es für postmoderne Philosophen auch eine Pluralität an Wahrheiten und Rationalitäten. Außerdem unterliegt das, was wahr und rational ist (bzw. postmodern ausgedrückt als wahr und rational erscheint ), vielfältigen Einflüssen zum Beispiel dem Zeitgeist, der gesellschaftlichen Mehrheitsfähigkeit, der Inszenierung von Wahrheitsritualen, der Deutungshoheit sowie der sozialen Geltung und dem Habitus der Wahrheits- und Rationalitätsverkünder. Wahrheit und Lüge, Rationalität und Irrationalität, Moral und Unmoral, Sein und Schein liegen daher jeweils auf engstem Terrain zusammen, sind diskursabhängig und oft nicht unterscheidbar. Und die rhetorisch geschickt formulierte Meta-Erzählung mutiert nicht selten zum Substitut für wahre und tiefe Erkenntnis. Dekonstruktion Hinsichtlich der Definition teilt die Dekonstruktion als zweiter wichtiger Teilaspekt postmoderner Philosophie ein ähnliches Schicksal wie die Postmoderne insgesamt. Andererseits ist die Skepsis gegenüber Definitionen durchaus nachvollziehbar, weil Definitionen die Pluralität unterminieren und totalitäre Ansprüche bergen, gegen die sich postmoderne Philosophen vehement zur Wehr setzen. Gleiche Vorbehalte gelten für Instrumente. Alleine schon durch ihre Verallgemeinerung und Abstraktion zerstören Instrumente und instrumentelles Denken Pluralität und fördern totalitäre Tendenzen. Die Kritik am Rationalitätsglauben und an der instrumentellen Vernunft erinnert dabei stark an die schon von Horkheimer und Adorno geübte Kritik an den Errungenschaften der Aufklärung und des modernen Positivismus.[9] Wagt man trotzdem eine Begriffsbestimmung, so kann man Dekonstruktion zunächst als ein Verfahren ansehen, Texte in ihre Einzelteile zu zerlegen sowie Aussagen und Folgerungen umzukehren. Die Dekonstruktion legt es außerdem nahe, stets an das Gegenteil eines Textes bzw. des Gesagten zu denken und vor allem der Frage nachzugehen, was in Texten und Reden weggelassen oder gerade nicht betont wird. Das ursprünglich Weggelassene und Ausgegrenzte (wodurch Pluralität leidet) soll damit wieder zur Geltung kommen (wodurch Pluralität erhalten bleibt). Dekonstruktion ist auf beliebige Disziplinen und Inhaltsbereiche übertragbar (z. B. Theorien, Gesellschafts- und Lebensentwürfe, Parteiprogramme). Richtet man den Blick auf die unternehmerische Ebene, so ist die Dekonstruktion nicht nur für Texte in der Form von textbasierten Unternehmensverlautbarungen (z.

B. Unternehmensvisionen, Strategien, Business Pläne, PR-Slogans. Codes of Conduct), sondern auch für Produkte, Organisationseinheiten und Wertketten anwendbar. Dafür hält das Controlling verschiedene Instrumente bereit (z. B. Conjoint Measurement, Success Resource Deployment, Wertkettenlandkarten), die auch für die Rekombination und Konstruktion von neuen und überlegenen Einheiten einsetzbar sind.[12] Überzeugte Anhänger der Postmoderne würden allerdings vor der damit intendierten Verbindung der durch Dekonstruktion erhaltenen Einzelteile zu neuen Einheiten aufgrund der Kritik an (totalisierenden) Einheitspostulaten eher zurückschrecken. Ihnen geht es vor allem um eine radikale und schonungslose Zerlegung sowie um eine vielfältige Neuinterpretation der Einzelteile. So ist vor der Dekonstruktion nichts sicher. Auch Menschen in ihren verschiedenen Rollen (Mutter, Vater, Führungskraft, Top-Manager) und ihre vielfältigen Erzählungen unterliegen stets dem scharfen Schwert der Dekonstruktion postmoderner Philosophen. Reproduktion im Alltagsleben Man muss die philosophischen Auffassungen der Postmoderne nicht teilen, man kann sich aber auch des Eindrucks nicht erwehren, dass die Alltagsrealität in der Privat-, Berufs- und Geschäftswelt zahlreiche Belege für den philosophischen Überbau liefert. In der postmodernen Gesellschaftsdiagnose findet die postmoderne Philosophie ihre vielschichtigen Spiegelbilder, die hier nur in Ausschnitten referierbar sind: - Pluralität zeigt sich u. a. in anhaltenden Individualisierungsprozessen, in der Entstehung von Parallelgesellschaften, in differenziert-pluralen Konsum- und Lifestylemustern sowie in der Dekonstruktion individueller Lebens- und Karriereverläufe. Und die Pluralität an Wahrheit und Rationalität tritt u. a. dadurch zu Tage, dass dem wissenschaftlichen Gutachten eines Forschungslabors das Gutachten der nächsten Forschergruppe entgegengehalten wird. Dadurch entsteht ein scheinbar endlos drehendes (Dekonstruktions-) Karussell. Wissenschaftliche Erkenntnisse drohen damit zu individuellen und partikulären Meinungen zu degenerieren. Besonders Beck hat vor diesem Hintergrund in viel beachteten Publikationen auf die selbstverschuldete dekonstruktivierende Wirkung für den Wissenschaftsbetrieb und die damit verbundene Verunsicherung der Öffentlichkeit aufmerksam gemacht.[3] - Empirische Studien (und inzwischen auch Massenmedien) berichten von immer oberflächlicheren Patchwork-Identitäten sowie von der Auflösung (Dekonstruktion) gesellschaftlicher Mikro-Institutionen (z. B. Partnerschaft, Ehe, Familie) und Makro-Institutionen (z. B. Mitgliederverlust von Verbän-

den und Parteien, Erosion der sozialen Sicherungssysteme, ständige Restrukturierungen in Unternehmen, Verfall des Nationalstaats). In der Vergangenheit konnten sie noch Sinn, Zusammengehörigkeit und Einheit stiften und für Halt und Orientierung sorgen. In postmodernen Zeiten sind sie dagegen von Flüchtigkeit gekennzeichnet, gehorchen immer mehr den kurzzyklischen marktlichen Flexibilitätserfordernissen und/oder stehen vor dem endgültigen Verfall.[2, 3, 13, 14] - Die postmoderne Gesellschaftsdiagnose zeichnet ein Bild des Menschen, der aus den genannten Gründen zwangsläufig an Identitätsverlusten, Desorientierung, Unsicherheit und Selbstzweifeln leidet auch und gerade dann, wenn der (postmoderne/moderne) Mensch nach außen das Gegenteil signalisiert und eine souveräne Fassade demonstriert.[7, 13] Aber auch aufgestellte Fassaden unterliegen stets dem latenten Dekonstruktionsrisiko. Von Menschen wird zwar kurzfristig und flexibel gehandelt, aber wie bei Rationalität und Wahrheit schimmern auch hier Doppeldeutigkeiten, Widersprüchlichkeiten und Unsicherheiten durch. Ob menschliches Handeln unter derartigen postmodernen Bedingungen richtig oder falsch, rational oder irrational, konstruktiv oder destruktiv, moralisch oder unmoralisch ist, lässt sich wenn überhaupt nur noch relativierend entscheiden. Werte und Überzeugungen, aber auch Partnerschaften im Privat-, Berufs- und Geschäftsleben, unterliegen der ständigen Relativierung, Auflösung und beliebigen Austauschbarkeit. Die hier zum Ausdruck gebrachte Wertgleichheit von Entscheidungsalternativen sowie die Unentschiedenheit und Unentscheidbarkeit können aus philosophischer Sicht ebenso rasant in Standpunktlosigkeit, Indifferenz, kognitiver Dissonanz und/oder Gleichgültigkeit umschlagen,[17] z. B. gegenüber Werten, Menschen, Parteien, Ideologien; aber ebenso gegenüber Unternehmensstrategien, Arbeitgebern, Vor-gesetzten, Unternehmensführern und Managementinstrumenten. Reproduktion in der Arbeitswelt und Folgen für die Führung Fasst man Führung als zielorientierte Verhaltensbeeinflussung auf, die aufgrund der personellen Teilung von Willensbildung und Willensdurchsetzung erforderlich ist,[8] so deuten die skizzierten Überlegungen enorme Schwierigkeiten und Probleme an. Sie bäumen sich gegenüber der Personal- und Unternehmensführung auf und drohen, die Handlungs- bzw. Willensdurchsetzungsfähigkeit des Managements in Unternehmen zu torpedieren. Das Management gerät in den Würgegriff der postmodernen Widersprüchlichkeiten.[12] Es liegt auf der Hand, dass die für eine erfolgreiche Führung von Menschen und Unternehmen wichtigen Eigenschaften wie Charisma, Visions- und Überzeugungskraft, Leadership, Glaubwürdigkeit und Begeisterungsfähigkeit an De-

konstruktionsbefall leiden. Gleiches gilt für typische Einheitsbeschwörungen und Identitätsappelle, die das Management nicht selten an die Beschäftigten richtet ( wir sitzen alle in einem Boot, wir müssen zusammenhalten, nur gemeinsam können wir erfolgreich sein und im globalen Wettbewerb bestehen ). Manager mobilisieren sie meist dann, wenn sie sich selbst und/oder wenn sich die ihnen anvertrauten Unternehmen in prekärer Lage befinden. Allerdings sehen sie sich stets der Gefahr ausgesetzt, dass sich ihre Einheitsappelle nicht selten als Meta-Erzählungen entlarven, schon bald der Dekonstruktion zum Opfer fallen und statt Identifikation und Engagement nur Indifferenz, Ungläubigkeit oder sogar Abneigung ernten, weil die Widersprüche in den Aussagen und Texten immer wieder aufbrechen und für jedermann deutlich sichtbar hervortreten. Dies gilt besonders in einer Zeit, in der zahlreiche Unternehmen und ihre Manager mit Skandalen, Betrugs-, Bestechungs- und Korruptionsvorwürfen kämpfen und sich immer wieder mit Fragen konfrontiert sehen, ob sie zu viel verdienen und Mängel an ethischer und moralischer Integrität aufweisen.[15, 16] Obwohl sie mit anderen Begriffen arbeiten, widmen sich in der Managementlehre auch Vertreter des so genannten Darwiportunismus [11] dem Dekonstruktionspotenzial einheitsbekundender Meta-Erzählungen, den Legitimationsund Glaubwürdigkeitsproblemen und der dadurch in Auflösung befindlichen Identifikation mit (Arbeitgeber-) Unternehmen. Danach unterliegen Unternehmen u. a. aufgrund steigender Konkurrenzintensität einem zunehmenden Ausleseprozess (darwinistische Komponente), während Mitarbeiter (offen oder verdeckt) versuchen, sich selbst zu optimieren (Bild 1). niedrig Darwinisums hoch Feudalismus klare Trennung in oben und unten ; Mitarbeiter interessieren nur am Rande, fühlen sich aber doch an das Unternehmen gebunden; dauernde Effizienzsteigerungen führen im Extremfall zur Ausbeutung Gute alte Zeit traditionelle Arbeitswelt; hohe Loyalität und Sicherheit; gegenseitige Verlässlichkeit; allerdings Erstarrungsgefahr und Gefahr geringer Effizienz; bei steigendem Wettbewerb Selektion des Unternehmens Darwiportunismus pur Offener Umgang mit Darwinismus und Opportunismus; positiver Fall: dynamischflexible High Performance ; negativer Fall: hire and fire, Kurzlebigkeit, Oberflächlichkeit und schmutziger Darwiportunismus Kindergarten einseitige Mitarbeiterorientierung; Gefahr der Selbstbedienungsmentalität und geringen Effizienz; bei steigendem Wettbewerb Selektion des Unternehmens niedrig Opportunismus hoch Bild 1: Darwiportunismus-Matrix

Daher verhalten sie sich gegenüber ihren Arbeitgebern immer opportunistischer und springen ab, wenn sich extern günstigere Karriere- und Einkommensperspektiven eröffnen (opportunistische Komponente). Das Konzept des Darwiportunismus beschreibt viele Merkmale der postmodernen (Arbeits-) Welt (z. B. Oberflächlichkeit, Kurzlebigkeit, Auflösung langfristiger Bindungen, Indifferenz, Opportunismus). In der neuen Arbeitswelt des Darwiportunismus haben Mitarbeiter vom Lower- bis zum Top-Management keine Stammplatzgarantie mehr, während sich Unternehmen damit abfinden müssen, dass sich Loyalität, Engagement und Identifikation des Personals immer mehr verflüchtigen. Steigende Arbeitsplatz- und Arbeitgeberwechsel und immer kürzere Verweildauern von Führungskräften und Top-Managern sind empirische Belege für diese Tendenz. Ein Plädoyer für Instrumente trotz und aufgrund postmoderner Relativierungen Postmoderne Philosophie und Gesellschaftsdiagnose lassen erhebliche Zweifel an der umfassenden Plan-, Gestalt- und Kontrollierbarkeit von wirtschaftlichen Prozessen durch Tools aufkommen. Jeder Praktiker weiß auch unabhängig von postmodernen Relativierungen, dass sich mit Instrumenten die Pluralität und Komplexität der Realität nie einfangen lässt und Machbarkeit wenn auch unterstützt durch beste Instrumente ihre Grenzen hat. Außerdem rivalisieren Instrumente und ihre Promotoren wie Meta-Erzählungen und ihre Verkünder um Gehör und Geltung im Auswahl- und Anwendungswettbewerb und neigen daher nicht selten dazu, mehr zu versprechen als tatsächlich möglich ist. Daraus ergeben sich zwangsläufig offene Flanken für die Dekonstruktion. Daneben ist unbestreitbar, dass den technischen Automatismen von Instrumenten totalitäre Züge anhaften, denen man nicht selten widerspruchslos gehorcht und letztlich verfallen kann. Solche Gefahren sind aus der Techniksoziologie bestens bekannt. Traditionell thematisiert sie das zwiespältige Verhältnis zwischen Mensch und Technik und diagnostiziert dabei häufig genug die Beherrschung des Menschen durch die Technik. Im Management deuten sich im Bereich der IT-, Management- und Controllingsysteme ähnliche Phänomene an, wenn diese ein unkontrolliertes Eigenleben entwickeln und ihre systemtechnischen Ansprüche geschäftliche Inhalte und Menschen quasi unbemerkt und subtil didaktisieren und unterjochen. Am Ende einer solchen Entwicklung kann dann die von dem Postmoderne-Theoretiker

Lyotard befürchtete Umkehrung der Mittel-Zweck-Beziehung stehen: nicht die Mittel (Systeme, Instrumente) müssen den Zielen folgen, sondern die Mittel bestimmen die Ziele.[10] Ist man sich diesen Gefahren bewusst, so scheint allerdings die Gefahr der Diktatur der unreflektierten Instrumentenverwendung gebannt. So stichhaltig eine postmodern relativierende Betrachtung des praktischen Einsatzes von Managementinstrumenten sein mag, so nachhaltig fällt gerade auf postmoderner Basis das Plädoyer für eine instrumentelle Stärkung des Managements aus: Wenn es nur noch kontingente bzw. plurale Wahrheiten gibt, und Rationalität und Irrationalität der Selbstreferenz unterliegen, drohen Wahrheit und Lüge sowie Rationalität und Irrationalität ununterscheidbar zu werden. Managementinstrumente sind aus dieser Perspektive als Kontrast- und Konturierungshilfen sowie als Spaltwerkzeuge interpretierbar. Sie helfen, Rationalität von Irrationalität und Wahrheit von Lüge zu trennen. Sie schärfen den Blick für die Realität und können dazu beitragen, den freundlich präsentierten Schein der abwegigen Simulation von der Realität abzuspalten. Gerade in postmodernen Zeiten, in denen der äußere Schein u. a. durch ein- und antrainierte Präsentationstechniken und allseits eingesetzte Präsentationstechnologien im Zuge des vermutlich immer wichtigeren (sozialen) Auftritts nicht selten über die Inhalte hinwegtäuscht bzw. hinwegtäuschen soll, empfiehlt sich der Einsatz von Instrumenten, um Blick, Verstand und Verständnis zu schärfen. Instrumentell-methodisches Vorgehen schafft Struktur, relative Stabilität und Sicherheit und hilft bei der Standpunktbestimmung und -verteidigung. Es kann helfen, das Management vor dem endgültigen Abgleiten in das beschleunigte, inkrementalistische muddling through zu bewahren und bietet stabilen Rückhalt und wegweisende Leitplanken, um sich im Taumel entlang von Unentscheidbarkeit und Unentschiedenheit, Abwarten und Aktionismus, Standpunktlosigkeit und Indifferenz noch einigermaßen aufrecht zu halten und aufrichtig zu verhalten. Instrumentell fundiertes Management zeigt sich glücklicherweise widerborstig, strukturierend und profilierend, wo dem "hohlen Bauchgefühl", den Ad-hoc- Entscheidungen und den eloquent vorgetragenen Phrasen in den vielfältigen betrieblichen Diskursen und Palavern Widerstand, Struktur und Profil entgegengesetzt werden sollen. Die Kultivierung von Instrumenten läuft dabei genau betrachtet nicht auf eine substitutive oder einschränkende, sondern auf eine komplementäre und fördernde Beziehung zur Kultivierung der unternehmerischen Intuition hinaus.[12] Schließlich muss das Management in der Praxis häufig über enorme Ressourcen entscheiden, um beispielsweise Geschäfte aufzubauen, Strategien umzusetzen

und/oder Kapazitäten neu zu disponieren. Ein (postmoderner) philosophischer Rückzug, der anderen und mitunter suboptimalen Vorgehensweisen und Alternativen aus Toleranz und aus Gründen der Erhaltung von Pluralität (oder gar Indifferenz) Ressourcen zubilligt, kommt im betrieblichen Alltag schon alleine aufgrund begrenzter Mittel meist nicht in Frage. Gerade im Bewusstsein postmoderner Überlegungen ist daher eine instrumentelle Stärkung der Unternehmensführung nötig. Hierfür ist es ganz im Sinne der Erhaltung und Ausweitung der Pluralität erforderlich, die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von Managementinstrumenten in der und für die Praxis aufzuzeigen und zumindest zu versuchen, die geschäftliche Realität anhand eines Netzes vielfältiger Instrumente einzufangen (Bild 2). Insofern ist der Praxis der Einsatz einer Instrumenten-Vielfalt ( Heterodoxie ) gegenüber einer starrhalsigen Istrumenten-Einfalt ( Orthodoxie ) zu raten. Es geht aber auch ganz im Sinne der Dekonstruktion darum, die instrumentenspezifischen Freiheitsgrade für subjektive und manipulative Eingriffe zu erkennen. Sie können dazu beitragen, Sachverhalte manipulativ zu schildern und/oder zu verdrehen und somit kleine Meta-Erzählungen zu produzieren. In der Praxis gibt es (trotz und oft unter dem Deckmantel der genannten Einheitsbeschwörungen versteckt) stets Vertreter unterschiedlichster Interessenlagen, die versuchen, im Ausleseprozess vor allem ihre eigenen Ziele durchzusetzen Darwiportunismus lässt grüßen. Ist man daher instrumentell versiert, so können diese Interessenlagen und ihre Protagonisten samt ihren Meta-Erzählungen entlarvt (dekonstruiert) und mit fundierten konträren Standpunkten konfroniert werden. Aber auch für die postmodernen Job-Hopper, die als Opfer und Täter im Darwiportunismus auftreten, sind ( überlegene ) Instrumente und Methoden von Vorteil. Überlegen sind diese Job-Hopper und ihre Tools dann, wenn ihr Einsatz günstigerweise unabhängig von Branchen und Unternehmen ( quasi überall ) möglich und sinnvoll ist. Zu denken ist beispielsweise an sehr mächtige und branchen- und unternehmensunabhängig einsetzbare Instrumente wie Portfolios, Conjoint-Analysen oder das Success Resource Deployment.[12] Für die damit letztlich aufgeworfene Qualitätsfrage ist es entscheidend, ob und inwieweit der Wettbewerb und die Märkte für Instrumente wie für Manager funktionieren und ihre Selektionsaufgabe wirksam wahrnehmen (können und dürfen). Dass es dabei Wettbewerb und Märkte öffnende und fördernde sowie gleichzeitig abschottende und unterminierende Interessen gibt, liegt u. a. postmodern gesehen auf der Hand. 1) Baudrillard, J.: Agonie des Realen, Berlin, 1978 2) Baumann, Z.: Unbehagen in der Postmoderne, Hamburg, 1999

3) Beck, U.: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/M., 1986 4) Behrens, R.: Postmoderne, Hamburg, 2004 5) Derrida, J.: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt/M., 1976 6) Foucault, M.: Die Ordnung des Diskurses, München, 1991 7) Funk, R.: Ich und Wir Psychoanalyse des postmodernen Menschen, München, 2005 8) Heinen, E.: Führung als Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre. In: Betriebswirtschaftliche Führungslehre, hrsg. v. E. Heinen, 2. Aufl., Wiesbaden, 1984, S. 17-49 9) Horkheimer, M.; Adorno, T.W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, 16. Aufl., Frankfurt, 2006 10) Lyotard, J.-F.: Das postmoderne Wissen, 5. Aufl., Wien, 2005 11) Scholz, C.: Spieler ohne Stammplatzgarantie. Darwiportunismus in der neuen Arbeitswelt, Weinheim, 2003 12) Schneider, D.: Unternehmensführung und strategisches Controlling Überlegene Methoden und Instrumente sowie postmoderne Relativierungen, 5. Aufl., Darmstadt, 2007 13) Schneider, D.: Wirtschaft und Gesellschaft in der UFO-Falle Postmodernes Leben und Handeln am Abgrund zur Neoklassik, bislang unveröffentlichtes Manuskript, Dietramszell, 2007 14) Sennet, R.: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin, 1998 15) Simon, W.: Verdienen Vorstände zuviel? Managergehälter im Widerspruch zur Führungslehre. In: REFA-Nachrichten, Zeitschrift für Industrial Engineering, 60. Jg, H. 2, S. 40-43 16) Thielemann, U.; Weibler, J.: Betriebswirtschaftslehre ohne Unternehmensethik? Vom Scheitern einer Ethik ohne Moral. In: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 77. Jg, H. 2, S. 179-194 17) Zima, P.V.: Moderne/Postmoderne, 2. Aufl., Tübingen u. Basel, 2001