Pflege von demenziell erkrankten Menschen: Zwischen Resignation und Innovation?

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Transkript:

Evangelische Fachhochschule Berlin Studiengang Pflege/Pflegemanagement 4. DGPPN-Haupstadtsymposium Pflege von demenziell erkrankten Menschen: Zwischen Resignation und Innovation? Eine Herausforderung für Wissenschaft und Praxis Prof. Dr. O. Dibelius

Gliederung Demografische Ausgangslage Pflegeforschung: - Pflegerische Aufgaben - Versorgungsstrukturen - Besonderheiten Thesen 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 2

Demografische Ausgangslage Erkrankte: Im Jahr 2000: eine Million Patienten Jährliche Neuerkrankungsrate: 200.000 Erkrankungsrisiko bei heute 65-jährigen: Männer 16 %; Frauen 34,5 % 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 3

Demografische Ausgangslage Pflegepersonalabbau im Krankenhaus(Statistisches Bundesamt 2006): 1995: 350.571 2006: 299.328 D.h. minus 14,6 % 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 4

Demografische Ausgangslage Pflegepersonalsituation im stationären Altenpflegebereich (Statistisches Bundesamt 2005): 2005: 546.000 Beschäftigte bei 677.000 Pflegebedürftigen Im Vergleich zu 2003: 4,4 % Zuwachs von Beschäftigten bei gleichzeitigem Anstieg von 5,7 % pflegebedürftiger Menschen 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 5

Demografische Ausgangslage Pflegepersonalsituation im ambulanten Pflegebereich (Statistisches Bundesamt 2005): 2003: 4,8 % mehr Pflegebedürftige nehmen 2005 ambulante Pflegedienste in Anspruch Der Anstieg der Beschäftigten nur 2,2 % 2005: 71 % Teilzeitstellen 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 6

Demografische Ausgangslage Zukünftiger Pflegekräftebedarf (Masterplan NRW) Bis 2020: Zuwachs der Leistungsempfänger der Pflegeversicherung um 40 % Pflegekräftebedarf in der BRD müsste sich verdreifachen! 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 7

Demografische Ausgangslage Pflegepersonal (Next-Studie, 2003): Im europäischen Vergleich hohe Ausstiegsquote von 18,5% ; 1-2 Jahre nach Berufseinmündung Berufsausstieg: die Motivierten und Resignierten Zunahme von körperlichen und psychischen Belastungen Ausbildungskapazitäten werden nicht genutzt 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 8

Demografische Ausgangslage Familiäre Pflege: Ehefrauen, Töchter, Schwiegertöchter 92% aller älteren Menschen mit erhöhtem Pflegebedarf; davon 48 % bei den demenziell Erkrankten 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 9

Demografische Trends Fehlendes Pflegepotential: Rückgang von professioneller Pflege Rückgang von Familienpflege (Blinkert, Klie 1999) Zunahme von Einpersonenhaushalten 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 10

Demografische Trends Demenz als globales Phänomen: Größte Zuwachs von demenziell erkrankten Menschen in den sog. Entwicklungsländern Wachsender Anteil von pflegebedürftigen Menschen mit Migrationshintergrund in der BRD 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 11

Transkulturelle Pflegeforschung Demenz als globales und kulturell bedingtes Phänomen Demenz als Erkrankung (biomedizinisches Menschenbild) Demenz als psychosoziale Krise Demenz als Teil des normalen Alterns Demenz als spirituelle/religiöse Erfahrung 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 12

Transkulturelle Pflegeforschung Überwindung des biomedizinischen Menschenbildes: Humanistische Ansätze (Feil 1992, Kitwood 2000, Richard 2001) Forschungsbegriff: Sozial-; Geisteswissenschaft 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 13

Pflegerische Aufgaben Stärkung des Personengefühls und Verhinderung von Diskriminierung Steigerung der Lebensqualität durch Anwendung von psychosozialen Methoden Intensivpflege: ausreichende Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme; palliative Pflege 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 14

Pflegerische Aufgaben Diagnostik Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen Beratung von Angehörigen Casemanagement Umgang mit neuen Zielgruppen: Migranten, behinderten Personen 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 15

Versorgungstrukturen Ambulante Pflege Teilstationär: Tages- und Nachtpflege Stationäre Pflege: Heime der zweiten bis vierten Generation Neue Wohnformen: betreutes Wohnen; Wohngruppenkonzept; Oase 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 16

Versorgungsstrukturen Vorteile durch betreutes Wohnen: Längere Selbständigkeit Größere Autonomie Höhere Mobilität Weniger herausfordernde Verhaltensweisen Mehr Sicherheit Geringere Vereinsamung 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 17

Besonderheit: Hohe Vulnerabilität Erkrankte Personen Veränderung der Persönlichkeit Verlust an Selbstständigkeit und Autonomie im Alltag Veränderung des sozialen Netzwerkes 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 18

Besonderheit: Hohe Vulnerabilität Angehörige Überdurchschnittlich gesundheitliche Belastung (Multimorbidität) Finanzielle Belastung (Arbeitslosigkeit, geringe Rente) Isolation 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 19

Spannungsfelder Personalmangel Netzwerkbildung: Überwindung der alten Gräben zwischen Berufsgruppen Stigmatisierung der stationären Einrichtungen Qualitätsstandards 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 20

Thesen 1. Die Versorgungsforschung sollte zur Überwindung des dominant biomedizinischen Krankheitsbildes von Demenz beitragen. 2. Die Verbesserung der Versorgung ist nur durch das bessere Schnittstellenmanagement der Dienstleistenden zu erreichen. 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 21

Thesen 3. Demenziell erkrankte Menschen können länger in ihrer Häuslichkeit verweilen, wenn es demenzfreundliche -Kommunen gibt. 4. Grundlagen- und Versorgungsforscher sollten den Dialog intensivieren. 26.06.2008 Prof. Dr. O. Dibelius 22