Schneller, höher, weiter.



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Transkript:

Gesundheitsbarometer GESUNDHEITSWIRTSCHAFT Ausgabe 3 / 2012 Heft 17, 5. Jahrgang Inhalt Schneller, höher, weiter. Gastbeitrag Thomas Ilka, Staatssekretär, Bundesministerium für Gesundheit 2 Liebe Leserinnen, liebe Leser, eine Welle olympischer Euphorie überschwemmte sprichwörtlich den Globus und begeisterte die Menschen aller Kontinente. Auf der Suche nach Parallelen zwischen Sport und Wirtschaft stellt sich die Frage: Wie schnell, wie hoch und wie weit kann es in der Gesundheitswirtschaft eigentlich noch gehen? Um im Wettbewerb bestehen zu können, muss man ein klares Ziel definieren, eine Strategie entwickeln und geeignete Methoden erarbeiten. In unserem aktuellen Gesundheitsbarometer sprechen wir unter anderem mit Harvard-Professor Michael E. Porter, einem der weltweit führenden Experten für Wettbewerbsstrategie, über das deutsche Gesundheitssystem und unser Schwerpunktthema integrierte Versorgung. Wir freuen uns über den Gastbeitrag von Staatssekretär Thomas Ilka vom Bundesministerium für Gesundheit. Er stellt die Bedeutung der betrieblichen Gesundheitsfürsorge für die Gesunderhaltung erwerbstätiger Menschen in den Mittelpunkt. Neben Beiträgen zu den Änderungen des Arbeitnehmerüberlassungsrechts und ihren Auswirkungen auf Krankenhäuser sowie zum neuen Anwendungserlass zur Abgabenverordnung enthält diese Ausgabe ein Gespräch mit Professor Dr. Herbert Rebscher, Vorsitzender des Vorstands der DAK, mit dem wir uns über die seit Beginn des Jahres wirksame Prüfungspflicht für gesetzliche Krankenkassen unterhalten. Außerdem diskutieren wir über die Rolle und den Wertbeitrag der pharmazeutischen Industrie im Gesundheitswesen und erläutern den Nutzen von Hinweisgebersystemen zur Vermeidung von Compliance-Verstößen. Unsere Benchmarking-Kennzahlen stellen heraus, dass den ambulanten Erlösen im Krankenhaus eine sehr unterschiedliche Bedeutung zukommt. Wir bedanken uns für die wertvollen Beiträge unserer Autoren und Interviewpartner und wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, viel Freude mit unserem aktuellen Gesundheitsbarometer. Mit besten Grüßen Ulrich Maas Mitglied des Vorstands Prof. Dr. Volker Penter Partner, Head of Healthcare Schwerpunkt Quo vadis wohin entwickelt sich die integrierte Versorgung? Leitartikel und Interviews Krankenhaus Wie Hinweisgebersysteme Regelverstöße in Krankenhäusern verhindern können Der neue Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) Änderungen im Arbeitnehmerüberlassungsrecht und die Auswirkungen auf Krankenhäuser Rehabilitation Die ambulante Rehabilitation als wichtige Säule der medizinischen Rehabilitation Die Entwicklung der ambulanten Rehabilitation Pflegeeinrichtungen Darlehensfinanzierung für Pflegeeinrichtungen Kapitaldienstfähigkeit nachweisen Sozialversicherungsträger Externe Prüfungspflicht für die Jahresrechnung gesetzlicher Krankenkassen Die Prüfung der Jahresrechnung GKV: Auf dem Weg zu mehr Transparenz? Internationales Das Gesundheitssystem von Polen Nachgefragt Rolle und Wertbeitrag der pharmazeutischen Industrie in der Gesundheitswirtschaft Benchmarking Kennzahlen vorgestellt: Ambulante Leistungen Nachrichten Neues aus dem Gesundheitswesen SERVICE Fachbeiträge Veranstaltungen 4 12 14 16 18 20 22 25 28 30 33 35 37 39 39

Im Fokus: Die Gesunderhaltung der Menschen Gastbeitrag von Thomas Ilka, Staatssekretär, Bundesministerium für Gesundheit 2012 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative ( KPMG International ), In den vergangenen Jahren hat die betriebliche Gesundheitsförderung zunehmend größeres Interesse gefunden. Zu Recht, denn ein Unternehmen, das auf Prävention am Arbeitsplatz setzt, darf langfristig auf die Gesundheit seiner Belegschaft hoffen. Es liegt in seiner Hand, für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die nötigen Voraussetzungen zu schaffen, um gemeinsam Tag für Tag auf die Unternehmensziele hinzuarbeiten. Kreativität, Engagement und Motivation hängen dabei unabdingbar mit einem gesunden und sicheren Arbeitsumfeld zusammen. Geht es also darum, die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft eines Unternehmens zu fördern, ist betriebliche Gesundheitsvorsorge von erheblicher Bedeutung. Insbesondere große Unternehmen haben bereits erfolgreich Präventionsansätze im Rahmen ihres betrieblichen Gesundheitsmanagements eingeführt. In den kleinen und mittelständischen Unternehmen ist die betriebliche Gesundheitsförderung hingegen weniger verbreitet. Ein Grund hierfür ist die unzureichende Information über die Chancen und Möglichkeiten betrieblicher gesundheitsfördernder Maßnahmen. Mit unserer Präventionsstrategie wollen wir die Rahmenbedingungen für die betriebliche Gesundheitsförderung verbessern. Wir wollen den Anteil insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen erhöhen, die Maßnahmen zur Gesunderhaltung ihrer Belegschaft ergreifen. Denn betriebliche Gesundheitsförderung lohnt sich in mehrfacher Hinsicht: Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in Deutschland sind Investitionen in die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft, sondern auch in die Zukunft der Unternehmen selbst. Die Zahl der Erwerbstätigen wird in den nächsten Jahren zurückgehen. Gleichzeitig wird das Durchschnittsalter der Beschäftigten steigen. Nach den Prognosen des Statistischen Bundesamts wird es bis zum Jahre 2025 eine Arbeitskräftelücke von 6,5 Millionen Personen geben. Gleichzeitig ist ein Anstieg der über 50-jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um etwa zehn Prozent zu erwarten. Betriebliche Gesundheitsförderung kann dazu beitragen, die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf unsere Volkswirtschaft und unsere Sozialversicherungssysteme abzumildern. Darüber hinaus gewinnt sie aber auch bei der Personalgewinnung, im Wettbewerb um die besten Köpfe, zunehmend an Bedeutung. 2 Gesundheitsbarometer Ausgabe 3 / 2012

Die Gesunderhaltung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist ein Ziel, an dem sich alle Akteure im Unternehmen beteiligen können und sollten: sowohl die Unternehmensleitung als auch die Beschäftigten, die Betriebsräte sowie das medizinische Personal. Das Spektrum möglicher Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung ist vielfältig. Es fängt bei einer gesunden Kantinenkost an, mit der Übergewicht und die damit verbundenen Risiken von Folgeerkrankungen, wie insbesondere Herz-Kreislauf- Erkrankungen und Diabetes, vermieden werden können. Erkrankungen des Bewegungsapparats kann durch rückenschonende Bewegungsangebote für Zwischendurch vorgebeugt werden. Ferner können die Umgestaltung von Arbeitsabläufen und Kurse zum Stressmanagement zum Erhalt der psychischen Gesundheit beitragen. Alles in allem gilt, dass auch schon kleine Veränderungen oftmals Großes bewirken können und damit gesundheitlichen Problemen, wie sie zum Beispiel durch einseitige körperliche Belastungen, langes Sitzen oder Stress verursacht werden, wirksam vorgebeugt werden kann. Zentrale Ansprechpartner für die Unternehmen in der betrieblichen Gesundheitsförderung sind die gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz wurde 2007 die betriebliche Gesundheitsförderung zu einer Pflichtleistung der Krankenkassen aufgewertet. Die Krankenkassen haben die Leistungen unter Beteiligung der Versicherten und der Verantwortlichen für den Betrieb zu erbringen. Im vergangenen Jahr haben sie für Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung und zur Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren rund 42 Millionen Euro aufgewendet. Die Krankenkassen verfügen also über einen großen Wissens- und Erfahrungsschatz auf dem Gebiet der betrieblichen Gesundheitsförderung. Im Rahmen der Präventionsstrategie soll es daher auch um die Frage gehen, wie wir den Zugang insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen zu diesen Informationen verbessern können. Erste Schritte in diese Richtung hat das Bundesministerium für Gesundheit bereits unternommen. Im Rahmen der Initiative Unternehmen unternehmen Gesundheit zeigen wir kleinen und mittelständischen Unternehmen internetgestützt anhand vieler guter Beispiele Wege auf, wie das Thema Gesundheitsförderung in Betrieben umgesetzt werden kann. Die unter www.unternehmen-unternehmengesundheit.de vorgestellten Modelle zeigen, wie eine Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und den Präventionsexperten der Krankenkassen in vorbildlicher Weise und zum Nutzen aller Beteiligten funktionieren kann. Hieran wollen wir mit der Präventionsstrategie anknüpfen. Wir wollen die betriebliche Gesundheitsförderung stärken und auf eine in den Unternehmen umfassende Präventionskultur hinwirken. Hierzu bedarf es der Mitarbeit aller Akteure. Denn die Gesunderhaltung der Menschen ist unser gemeinsames Interesse. Thomas Ilka Thomas Ilka (Jahrgang 1965) ist seit Juni 2011 Staatssekretär beim Bundesminister für Gesundheit. Er hat Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel studiert und leitete anschließend von 1993 bis 1999 das Büro des wirtschaftspolitischen Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion, MdB Paul K. Friedhoff. Ab 1999 war er in verschiedenen leitenden Funktionen beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in Berlin und Brüssel tätig, darunter von 2001 bis 2004 als Büroleiter des Hauptgeschäftsführers des DIHK, Dr. Martin Wansleben, und seit 2007 als Bereichsleiter des DIHK für Europa, Umwelt und Energie, sowie als Leiter der Vertretung des DIHK bei der Europäischen Union in Brüssel. Ausgabe 3 / 2012 Gesundheitsbarometer 3

Quo vadis wohin entwickelt sich die integrierte Versorgung? 2012 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative ( KPMG International ), Die Idee der integrierten Versorgung basiert auf einer sektorenübergreifenden Versorgungsform. Sie fördert eine stärkere Vernetzung der verschiedenen Fachdisziplinen und Sektoren, um die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern und gleichzeitig die Kosten im Gesundheitswesen zu senken. Erste Ansätze zur Ablösung der sektoralen Trennung im deutschen Gesundheitswesen gab es bereits Mitte der siebziger Jahre. Dennoch ist Deutschland das einzige Land in Europa, das weiterhin eine sektorale Versorgung aufweist. Welche Fortschritte wurden seitdem erzielt und wo liegen die Chancen und Hürden der integrierten Versorgung? Autor: PD Dr. med. habil. Sören Eichhorst, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Berlin Das deutsche Gesundheitssystem steht vor zwei großen Herausforderungen: Erhöhung der Wirtschaftlichkeit: Deutsche Krankenhäuser klagen über den Jahr für Jahr zunehmenden Kostendruck, Arztpraxen sind unter anderem aufgrund der Kosten-Erlös-Situation nicht mehr zu besetzen und auch aus anderen Bereichen der deutschen Gesundheitswirtschaft hört man keine Rufe über im Überfluss vorhandene finanzielle Mittel. Verbesserung der Qualität: Patienten sollten im Mittelpunkt des medizinischen Versorgungsgeschehens stehen und alle ambulanten und stationären Prozesse sollten koordiniert sein, um sowohl subjektiv als auch objektiv die höchste Qualität sicherstellen zu können. Die Realität sieht jedoch anders aus: Es gibt weiterhin zwischen den Sektoren genügend Beispiele für Doppeluntersuchungen, nicht abgestimmte Behandlungsprozesse oder medizinische Informationen, die nicht ausreichend weitergegeben werden. 4 Gesundheitsbarometer Ausgabe 3 / 2012

Das Werkzeug, das beide Missstände lösen könnte, gibt es bereits: integrierte Versorgung (IV). Allerdings wird sie bei Weitem nicht in dem Umfang eingesetzt, wie das vielleicht wünschenswert wäre. Integrierte Versorgungsprojekte Integrierte Versorgungsprojekte gibt es in verschiedenen Ausprägungen: Populationsbasierte Ansätze, die regional umfassend die medizinische Versorgung indikationsunabhängig sicherstellen (zum Beispiel prosper- Netzwerke der Knappschaft-Bahn- See, Gesundes Kinzigtal) Indikationsbasierte Ansätze, die für eine umgrenzte Indikationsgruppe sektorenübergreifend die Versorgung optimieren (zum Beispiel INTEGRA-Vertrag) Gezielte Verträge mit Verbünden einzelner Leistungserbringer wie beispielsweise Praxisnetzen (zum Beispiel UGOM in der Oberpfalz, Bayern; siehe dazu Seite 7) Die Überwindung der sektoralen Grenzen und die Betrachtung des Behandlungsprozesses aus der Patientensicht heraus erfordern ein übergreifendes oder auch integriertes Denken. Neben dem Qualitätsaspekt für den Patienten spielen hier Kostenaspekte eine große Rolle. Die Verluste, die an den Schnittstellen von stationär und ambulant entstehen, sind weder aus Qualitätssicht noch aus Kostensicht zu vernachlässigen. Entsprechend können gut umgesetzte integrierte Versorgungsprojekte erhebliche Kosteneinsparungen realisieren. Die integrierte Versorgung kann folgende Wirkungen erzeugen: Evidenzbasierung und stärkere Qualitätsorientierung medizinischer Prozesse: Einführung von transsektoralen Behandlungspfaden und Arbeitsanweisungen (Standard Operating Procedures, SOPs). Anreizsetzung zu höherer Qualität: Leistungserbringer, die im fortschreitenden Effizienz- und Effektivitätswettbewerb stehen, müssen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit ihre Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität erhöhen und können dies durch integrierte Versorgungsstrukturen erreichen. Vermeidung medizinisch nicht notwendiger Krankenhauseinweisungen: Integrierte Versorgung ermöglicht über die Einführung definierter Behandlungsleitlinien und die forcierte Verlagerung von Behandlungsfällen in den ambulanten Bereich eine deutliche Reduzierung von Verweildauern und Fallzahlen. Bei konsequenter Anwendung dieser Selektionsmechanismen lassen sich auch die Selbsteinweisungsraten auf ein Minimum reduzieren. Umsteuerung von Patienten: Stationäre Behandlungsfälle werden konsequent auf teilnehmende Krankenhäuser umgelenkt und können so zu einer Effizienzerhöhung beitragen. Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit: Besser abgestimmte Prozesse, optimierte Kommunikation und Datenverfügbarkeit sowie stärkere Einbindung führen zu einer Verbesserung des Arbeitsumfelds und damit auch der Mitarbeiterzufriedenheit. Insbesondere die Möglichkeit der populationsbasierten Versorgung bietet sowohl Wirtschaftlichkeitspotenziale als auch eine Ausrichtung auf ein umfassendes Versorgungsmanagement. Die Grundidee populationsbasierter Modelle ist es, durch eine Pauschale eine von der Einzelleistung unabhängige Vergütung eine qualitativ hochwertige und zugleich ökonomisch zweckmäßige Patientenbetreuung sicherzustellen. Integrierte Versorgungsansätze weisen in den Aspekten Wirtschaftlichkeit, Qualität und Patientenzentrierung signifikante Erfolge auf. Viele Modelle verbessern die Prozessqualität im medizinischen und administrativen Bereich durch verstärkte Leitlinienorientierung der Behandlung. Sie verbessern die Wirtschaftlichkeit durch Reduktion von Krankenhauseinweisungen und bessere Verzahnung der Sektoren und stellen Mittel zur finanziellen Incentivierung der beteiligten Gruppen bereit. Die Zufriedenheit von Patienten und Mitarbeitern des ambulanten und stationären Sektors erhöht sich und die wahrgenommene Qualität der medizinischen Behandlung steigt. Es stellt sich daher die Frage, warum es nicht bereits eine flächendeckende Versorgung mit diesen Angeboten gibt, wenn für alle Beteiligten bei Kostenreduktion, Erhöhung der medizinischen Qualität und Steigerung der Attraktivität des Arbeitsumfeldes eine Win-win-Situation entsteht? Dafür gibt es verschiedenste Gründe: Know-how: Erfolgreiche integrierte Versorgungsprogramme sind komplexe Strukturen, da sie sowohl von der medizinischen Seite als auch von der organisatorischadministrativen Seite optimal betrieben werden müssen, um die gewünschten Effekte zu erreichen. Selbst solche Programme, die gut gestartet sind, müssen nicht unbedingt langfristig erfolgreich sein, sondern erfordern fortlaufendes aktives Management. Das hierfür notwendige medizinische und betriebswirtschaftliche Wissen sowie die Praxiserfahrung sind häufig nicht ausreichend vorhanden oder nicht unmittelbar verfügbar. Kommunikation: Integrierte Versorgung ist die Überbrückung von sektoralen Grenzen. Entsprechend müssen mindestens zwei Sektoren miteinander kommunizieren. Sie müssen sich regelmäßig abstimmen, gemeinsame Prozesse aufsetzen und Daten austauschen. Dabei geht es einerseits darum, Plattformen zu schaffen, um die Kommunikation zu ermöglichen, wie zum Beispiel entsprechende IT-Lösungen, andererseits aber auch um die Moderation des intersektoralen Austauschs. Dies ist in der Regel mit hohem Aufwand verbunden. Finanzierung: Gut gemanagte IV-Modelle erzeugen Einsparungen in signifikanter Höhe, sind also selbstfinanzierend. Allerdings werden diese Einsparungen mit einem Nachlauf von ein bis zwei Jahren zum Anfall der Kosten generiert, sie müssen also vorfinanziert werden. Die am Anfang zur Verfügung gestellten Mittel werden zwar später refinanziert, stel- Ausgabe 3 / 2012 Gesundheitsbarometer 5

len jedoch zu Beginn des IV-Projekts eine nicht unerhebliche Hürde dar. Die früher gewährte Anschubfinanzierung durch die Krankenkassen ist 2008 weggefallen, sodass die Finanzierung aus anderen Quellen erfolgen muss. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich die Erfolgsfaktoren für die Umsetzung von integrierten Versorgungsprogrammen ableiten: Management-Expertise gebündelt, die typischerweise erforderlich ist, um die teilweise jahrzehntelang eingefahrenen Prozesse ändern und optimieren zu können. Die Managementgesellschaft sucht dann ihrerseits Subunternehmer, um das erforderliche Wissen verfügbar zu haben oder andere hoch spezialisierte Aufgaben bestmöglich lösen zu können. und weiteren Komponenten angeflanscht. Ein sehr wichtiges Element ist dabei die Wahrung der Datensicherheit durch entsprechende Data Security und Data Privacy Layers. Die Einführung einer technologiegestützten Kommunikationslösung sollte heute zum Standard gehören und von Projektbeginn an intensiv verfolgt werden. 2012 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative ( KPMG International ), 1. Aktives Management der Integration und Einbindung von Expertenwissen Dreh- und Angelpunkt transsektoraler Versorgung sind Behandlungsprozesse, die durch optimale Koordination ambulanter und stationärer Leistungen eine möglichst schnelle Gesundung des Patienten sicherstellen basierend auf den,,state of the Art -Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften. Ausgangspunkt muss eine verlässliche Diagnostik im niedergelassenen Bereich sein. Die Patienten werden auf den am besten geeigneten transsektoralen Behandlungspfad gesetzt, der eine Orchestrierung der ambulanten und stationären Leistungen bietet. Solche Pfade dienen nicht nur der Durchsetzung verbindlicher medizinischer Standards, sondern in gleicher Weise auch der Ablaufsteuerung und -kontrolle sowie der lückenlosen Dokumentation aller Behandlungsschritte. Festgelegt werden die Pfade im Zusammenwirken beider Sektoren; dabei sind neben den ärztlichen Belangen auch die Belange der Pfleger und Spezialisten angemessen zu berücksichtigen. Die für die Behandlungspfade und Administration der Netze erforderliche Abstimmung kann durch ein Projektmanagementoffice oder idealerweise durch eine unabhängige Managementgesellschaft erfolgen, die das Knowhow für die medizinische Prozessoptimierung (Disease Management, Case Management, Versorgungssteuerung, Gesundheitsanalytik und Patientenstratifizierung) bündeln, die grundlegende Aufbau- und Ablauforganisation definieren und aufbauen, die Kommunikation sicherstellen und die für die betriebswirtschaftlichen Aspekte (Erstellung Business Case, Finanzplanung und Erfolgscontrolling) verantwortlich sind. In einer Managementgesellschaft wird auch die Change 2. Aufbau der Kommunikationsinfrastruktur Voraussetzung für die erfolgreiche transsektorale Integration ist die Bereitstellung einer entsprechenden Kommunikationsinfrastruktur. Dazu gehört eine durchgängige Technologieinfrastruktur (E-Health-Plattform). Diese E-Health- und Technologie- Komponente kann weiter untergliedert werden in eine Konnektivitätsplattform (Health Information Exchange, HIE) und in elektronische Patientenakten (Electronic Health Record, EHR), die mittels eines Patientenidentifizierungssystems (Patient Master Index) aus einer Datenspeicherungslösung (Data Warehouse) gefiltert werden können. An dieses Kernsystem werden dann eine Benutzeroberfläche, Analytiktools (zum Beispiel Business Intelligence-Lösungen) und auch Schnittstellen zu den vorhandenen Praxissoftwarelösungen sowie dem Krankenhausinformationssystem Eine weitere Option ist der forcierte Einsatz von telemedizinischen und mobilen Lösungen (M-Health). Bereits heute lassen sich entscheidende Parameterdaten zu Hause beim Patienten erfassen. Mit ihrer Hilfe kann der Patient über Fernbeobachtung direkt in die am besten geeignete ambulante oder stationäre Einrichtung eingesteuert werden. Auf längere Sicht sollte es möglich sein, via Telemedizin einen transsektoralen Behandlungsablauf zu koordinieren und die Patientenbetreuung schrittweise anhand der laufend übermittelten Vitalparameter zu steuern und sogar mittels M-Health-Lösungen wieder Feedback an die Patienten zu geben. Beispielsweise zeigen erste Versuche mit einer mobilen Erinnerung an eine Arzneimitteleinnahme signifikantes Potenzial zur Verbesserung der Arzneimittel-Compliance. Neben der IT-Struktur sollten weitere institutionalisierte Foren zum Austausch von Informationen eingerichtet 6 Gesundheitsbarometer Ausgabe 3 / 2012

werden, zum Beispiel Qualitätszirkel zur Erarbeitung und laufenden Aktualisierung transsektoraler Behandlungspfade und transsektorale Fallkonferenzen für onkologische Fälle. Diese Foren sollten am besten als persönliche Meetings aufgesetzt werden. Der Aufbau der Strukturen sollte zentral gesteuert und organisiert werden und ist eine Aufgabe, die bei einer Managementgesellschaft ebenfalls gut aufgehoben ist. 3. Etablierung von Finanzierungsund Anreizsystemen Nach dem Wegfall der Anschubfinanzierung 2008 ist es schwieriger geworden, mit IV-Lösungen in einer einigermaßen finanziell abgesicherten Umgebung zu experimentieren. Inzwischen muss auch die Wirtschaftlichkeit einer IV-Lösung vorab den Aufsichtsbehörden gegenüber nachgewiesen werden. Zusätzlich wurden neue Aspekte relevant, wie beispielsweise die Optimierung der Codierqualität oder der Zuweisungen aus dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA). Zielorientierte Planung und solide Finanzierung sind daher zu größeren Hürden am Beginn eines IV-Projekts geworden. Das führt naturgemäß dazu, dass nur noch gut durchdachte und geplante Lösungen realisiert werden und damit einhergehend die Innovationen in der Versorgungslandschaft zurückgehen. An dieser Stelle ist der Gesetzgeber gefragt, unterstützend tätig zu werden. Das ist auch im Sinne der deutschen Gesundheitspolitik, deren erklärtes Ziel es schon lange ist, die sektoralen Grenzen zu überwinden und eine weiter reichende, umfassende integrierte Versorgungslandschaft zu schaffen. Neue leistungsstarke transsektorale Versorgungsstrukturen bilden sich auf Dauer nur, wenn auch entsprechende ökonomische Anreize gegeben sind. Als erster Schritt bietet sich die Standardisierung von Leistungen und Vergütungen über die jeweilige Sektorgrenze hinaus an, verbindlich für alle Leistungserbringer und alle Krankenkassen. Die Kopplung von Leistungen und Vergütungen erfolgt sektorenübergreifend im Rahmen von modularen Komplexpauschalen. Solche Regelungen können auf individueller Basis zwischen einzelnen Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten und Krankenkassen getroffen werden. Das Management dieser unterschiedlichen Verträge ist allerdings für alle Beteiligten sehr mühsam und auch die Aushandlung individueller Vereinbarungen braucht viel Zeit. Daher wäre es wünschenswert, dass der Gesetzgeber hier die Initiative ergreift und vereinfachend tätig wird. Beispielsweise könnten für,,integrierte Leistungserbringer Leistungsumfänge und Vergütungsansprüche durch einen separaten Katalog geregelt werden. In Deutschland gibt es hierzu allenfalls erste Versuche, etwa das,,unternehmen Gesundheit Oberpfalz Mitte (UGOM). Im Rahmen von UGOM verfolgen niedergelassene Ärzte, Krankenhäuser und Kassen der Region einen populationsbasierten Versorgungsansatz über die Sektorengrenzen hinweg. Eine flächendeckende Implementierung erscheint kaum realisierbar, solange noch eine detaillierte gesetzliche Ausgestaltung fehlt. Von gleicher Bedeutung ist die Incentivierung der an der IV beteiligten Ärzte und Krankenhäuser über finanzielle oder anderweitige Anreizsysteme. Neben einer Umverteilung der Einsparungen aus der IV kann beispielsweise auch über Weiterbildungen und Trainings wie zum Beispiel zu Lean in der Gesundheitswirtschaft nachgedacht werden, die kostenfrei angeboten werden. Wichtig für die Gestaltung eines Anreizsystems sind ein klares Regelwerk und eine hohe Transparenz. Die Gestaltung und die operative Umsetzung eines Anreizsystems kann wiederum durch eine Managementgesellschaft geleistet werden. Fazit Zusammenfassend bietet die integrierte Versorgung vielfältige Optionen und hat das Potenzial, zentrales Bindeglied zwischen der Verbesserung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit in der Gesundheitswirtschaft zu werden. Als einziges Land in Europa hat Deutschland eine sektorale Abgrenzung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Vieles spricht dafür, dass diese Abgrenzung auf Dauer keinen Bestand haben wird und die Bedeutung der IV langfristig zunimmt. Die gesetzlichen Grundlagen für die IV bestehen zwar mittlerweile, insgesamt gibt es aber deutlichen Spielraum, um die Rahmenbedingungen zu optimieren. Die derzeit absehbaren Entwicklungen lassen erkennen, dass eine engere Verzahnung der Sektoren aus Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsaspekten unausweichlich kommen wird. Alle Interessierten können also damit rechnen, dass sich die Gestaltungsmöglichkeiten in der IV über die kommenden Jahre verbessern werden. Ausgabe 3 / 2012 Gesundheitsbarometer 7

InTERVIEW Integrierte Versorgung als Lösungsansatz im deutschen Gesundheitssystem Prof. Dr. Michael E. Porter, Professor an der Harvard Business School, und Dr. Clemens Guth, Geschäftsführer der Artemed Kliniken GmbH, im Gespräch mit Prof. Dr. Volker Penter, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Berlin Redefining Health Care wie reformiert man die Gesundheitsversorgung eines Landes? Was muss sich aus Ihrer Sicht verändern, damit die medizinische Versorgung in Deutschland besser wird, aber auch bezahlbar bleibt? Das zentrale Ziel eines jeden Gesundheitssystems muss der maximale Patientennutzen (Patient Value) sein, wobei sich Patientennutzen als erzieltes Behandlungsergebnis im Verhältnis zu den dafür anfallenden Kosten definiert. Weitere Reformen der Krankenversicherung reichen allein nicht aus, um den Patientennutzen zu steigern, denn die meisten Reformen drehen sich um Kostenkontrolle und die Verlagerung von Kosten von einem Akteur auf den anderen. Um den Patientennutzen jedoch nachhaltig zu steigern, braucht es in Deutschland eine Veränderung in der Art und Weise der Leistungserbringung, -messung und -bewertung. Wesentliche Strukturveränderungen in der Art, wie Krankenhäuser organisiert sind, sich stationäre und ambulante Versorgung integrieren und wie medizinische Fachkräfte zusammenarbeiten, sind notwendig. Der Fokus auf eine Verbesserung des Patientennutzens wird nicht nur die Kosten senken und die Qualität der Versorgung steigern, sondern zugleich das Gesundheitssystem auf das fokussieren, wofür es geschaffen ist, nämlich den Patienten und nicht einseitigen Partikularinteressen zu dienen. Wie sieht Ihrer Meinung nach ein perfektes Gesundheitssystem aus? Gibt es das und was ist dafür nötig? Um es vorwegzunehmen, das deutsche Gesundheitssystem hat viele positive Aspekte vorzuweisen. Dazu zählen unter anderem der Zugang zu einer einkommensunabhängigen Gesundheitsversorgung, der breite Leistungskatalog oder die freie Wahl der Krankenversicherung und Leistungserbringer. Das sind im Vergleich zu anderen Ländern bedeutende Errungenschaften. Die Struktur der Gesundheitsversorgung ist jedoch nicht mehr zeitgemäß. Die Versorgung organisiert sich an einzelnen Fachgebieten und ihren spezifischen Angeboten, anstatt um Patienten mit ihren Krankheitsbildern. Die Versorgungsqualität ist äußerst heterogen und schwankend, oftmals deutlich steigerbar. Um mehr Nutzen zu stiften, muss sich die Leistungserbringung zukünftig in integrierten Behandlungseinheiten organisieren, die sich auf Krankheitsbilder wie Brustkrebs und Diabetes oder auf Patientengruppen mit besonderen Bedürfnissen fokussieren. Integrierte Behandlungseinheiten vereinen alle medizinischen und nicht medizinischen Fachdisziplinen und Fähigkeiten, die es benötigt, um ein Krankheitsbild interdisziplinär entlang der gesamten Behandlungskette zu behandeln. Mit der integrierten Versorgung sollte in Deutschland die Vernetzung zwischen den medizinischen Fachdisziplinen und den ambulanten und stationären Sektoren gestärkt werden. Eine Quasi-Revolution in der interdisziplinären und sektorenübergreifenden Patientenversorgung. Ist die integrierte Versorgung ein Zukunftsmodell für die deutsche Gesundheitsversorgung? Absolut, es gibt heute eine Vielzahl medizinischer Fachdisziplinen und Versorgungseinrichtungen, die sich auf die Behandlung von Teilaspekten des Krankheitsbildes spezialisiert haben, statt auf das gesamte Krankheitsbild. Integrierte Versorgung ist wichtig, um das sektoren- und fachabteilungsbezogene Denken zu durchbrechen. Deutschland zahlt einen hohen Preis für die Trennung von ambulanter und stationärer Versorgung und das stellt im Vergleich zu anderen Ländern eine große Schwäche dar. Um den Nutzen einer Behandlung zu verbessern, muss das deutsche Gesund- heitswesen die Behandlungsergebnisse von Patienten und die dafür benötigten Ressourcen beziehungsweise Kosten systematisch messen. Aktuell werden lediglich die fachabteilungsspezifischen beziehungsweise sektoralen Kosten betrachtet, nicht jedoch die Gesamtkosten über die gesamte Behandlungskette. Behandlungsergebnisse werden oftmals überhaupt nicht gemessen. Wo sehen Sie Schwierigkeiten bei der Umsetzung der integrierten Versorgung und welche Rolle spielen die einzelnen Player in der deutschen Gesundheitswirtschaft dabei? In den letzten 30 Jahren gab es 15 große Gesundheitsreformen in Deutschland. Sie haben im Wesentlichen die Versicherungsstruktur und die Regulierung der pharmazeutischen Industrie betroffen. Darüber hinaus sind verschiedenste Formen der Preiskontrolle und Budgets für Leistungserbringer eingeführt worden. Mit den Reformen in den Jahren 2004 und 2007 hat man erstmalig versucht, die Strukturen der Leistungserbringung zu verändern. Die integrierte Versorgung nach 140 des fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) ist ein Beispiel dafür. Doch die anfänglichen Bemühungen waren in vielerlei Hinsicht problematisch. Zum einen hatten die beteiligten Vertragspartner zu hohe administrative Kosten und das Patientenvolumen war zu gering, um von den entscheidenden Vorteilen der integrierten Versorgung profitieren zu können. Zum anderen wurden die Versorgungsverträge oft nicht dazu genutzt, den Patientennutzen zu verbessern, sondern eher um Mengenrabatte zu verhandeln, um damit die Kosten zu senken. Nicht zuletzt bleiben die Barrieren für die Vernetzung unter den Anbietern ein schwerwiegendes Problem. Wäre der Erfolg einer besseren medizinischen Versorgung tatsächlich messbar beziehungsweise wie könnte man den Erfolg der integrierten Versorgung realistisch messen? Erfolge zu messen ist bereits in vielen Ländern gängige Praxis und ist für sich genommen der wichtigste Schritt, um die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Der Patientennutzen gliedert sich in zwei Komponenten: zum einen das objektive Behandlungsergebnis und 8 Gesundheitsbarometer Ausgabe 3 / 2012

zum anderen die verursachten Kosten, um dieses Ergebnis zu erreichen. Beide Komponenten sind messbar und müssen bereits während des gesamten Behandlungsprozesses des Patienten gemessen werden. In Deutschland existieren bereits sehr gute Beispiele in diesem Bereich, die zeigen, dass es möglich ist, Ergebnisse und Kosten zu messen! Das Messen von Behandlungsergebnissen ist aber auch für die Reduzierung der Kosten von großer Bedeutung. Studien haben gezeigt, dass verbesserte Behandlungsergebnisse Kosten reduzieren. Es wurde beispielsweise nachgewiesen, dass ein Hüftgelenkersatz bei qualitativ überdurchschnittlichen Leistungserbringern bis zu 15 Prozent günstiger ist als bei unterdurchschnittlichen Anbietern. Die Verbesserung der Behandlungsqualität ist aus unserer Sicht der einzige Weg, die Gesundheitsversorgung auch in Zukunft bezahlbar und angemessen zu halten. Eine korrekte Messung von Ergebnissen und Kosten wird schneller zu systematischen Verbesserungen führen, als Veränderungen dem Zufall zu überlassen. Was kann das deutsche Gesundheitssystem zu diesem Thema oder anderen Gesundheitsthemen von anderen Ländern lernen? Welche Strategie geben Sie den Entscheidern der deutschen Gesundheitswirtschaft mit? Praktisch stehen heute alle Gesundheitssysteme vor den gleichen Problemen: steigende Kosten, schwankende und unzureichende Qualität sowie Finanzierungsprobleme. Obwohl jedes Land individuelle Stärken und Schwächen hat, ist es bemerkenswert, dass sich bisher fast alle Länder stärker auf die Reformierung der Finanzierungsund Versicherungsformen stürzen, als auf die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Obwohl es bereits viele Länder gibt, die mit positiven Beispielen vorangehen und auch weitere Schritte in die richtige Richtung machen, gibt es noch kein Land, das ernsthaft den Patientennutzen maximiert. Mit dem Patientennutzen als zentralem Ziel kann Deutschland zu einem Reformmodell werden. Die notwendigen Schritte dahin stellen wir detailliert in unserem Buch vor. Alle Schritte sind machbar und realistisch. Vieles kann bereits heute ohne neue Reformen im Sinne der Patienten verbessert werden. In ihrem Buch Redefining Health Care (2006) stellen die Autoren Michael E. Porter und Elizabeth Olmsted Teisberg eine neue Vision für nationale Gesundheitssysteme vor: Systeme, in denen jeder Akteur das Ziel einer maximalen Nutzenstiftung für Patienten verfolgt. Das Buch hat zusammen mit einer Reihe weiterer Veröffentlichungen das neue Forschungsfeld Value-Based Health Care etabliert. In Chancen für das deutsche Gesundheitssystem (Springer 2012) wenden Michael E. Porter und Clemens Guth die Leitlinien eines nutzenorientierten Gesundheitssystems auf Deutschland an. Die Autoren geben einen klaren Überblick über die Historie und derzeitige Struktur des deutschen Systems und liefern konkrete Vorschläge für eine umfassende Reform (englische Version: Redefining German Health Care, Springer 2012). Prof. Dr. Michael E. Porter Prof. Dr. Michael E. Porter ist ein international führender Experte für Wettbewerbsstrategie sowie Wettbewerbsfähigkeit von Staaten und Regionen. Eines seiner Spezialgebiete ist die Anwendung von Methoden der Unternehmensstrategie auf gesellschaftliche Probleme. Mit seinen Ideen hat er unzählige Regierungen, Unternehmen und Fachkollegen rund um die Welt beeinflusst. Michael E. Porter studierte zunächst Luftfahrttechnik in Princeton, danach wechselte er an die Harvard Business School in Cambridge, Massachusetts. Als George F. Baker Scholar erwarb er zunächst den MBA, nach erfolgter Promotion wurde er dort zum Professor für Betriebswirtschaftslehre berufen. Seit inzwischen mehr als zehn Jahren beschäftigt er sich auch mit der Reform des Gesundheitswesens. Als Wissenschaftler und Autor hat er im In- und Ausland zahlreiche Preise und Ehrungen erhalten, darunter sechs McKinsey Awards sowie die höchste Auszeichnung der Academy of Management für seine Beiträge zur Managementtheorie. Dr. Clemens Guth Dr. Clemens Guth ist Geschäftsführer von drei Krankenhäusern und Mitglied der Geschäftsführung der Artemed Kliniken, einem privaten Betreiber von Krankenhäusern und Senioreneinrichtungen. Clemens Guth studierte Medizin am Imperial College London und war als Assistenzarzt am Universitätsklinikum Chelsea & Westminster Hospital in London tätig. Danach arbeitete er als Unternehmensberater im Gesundheitssektor von McKinsey & Company. Nach seinem MBA an der Harvard Business School kehrte er zurück ins Krankenhaus, nun allerdings als Manager. Er war Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Für seine Studien erhielt er Preise und Auszeichnungen. Clemens Guth arbeitet seit 2006 mit Michael E. Porter und ist Senior Institute Associate am Institute for Strategy and Competitiveness, Harvard Business School. Ausgabe 3 / 2012 Gesundheitsbarometer 9

INTERVIEW Beitrag der Krankenkasse zur Qualitätsverbesserung und Entwicklung der integrierten Versorgung Martin Steidler, Bereichsleiter Versorgungsmanagement, AOK Bayern, im Gespräch mit PD Dr. med. habil. Sören Eichhorst, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Berlin Kann sich eine große Krankenkasse in einem auf Kostenminimierung orientierten System einen Qualitätswettbewerb zum Beispiel über IV- Verträge finanziell noch leisten? Tatsächlich bedingt der Wettbewerb unter den Krankenkassen eine ausgeglichene und stabile Finanzierung. Die finanziellen Rahmenbedingungen gilt es auch beim Abschluss von integrierten Versorgungsverträgen zu beachten, wobei Qualität und Wirtschaftlichkeit in Einklang zu bringen sind. Beides ist vereinbar. Abstriche bei Qualitätsstandards sind keinesfalls vorstellbar. Die AOK Bayern kann bereits seit Jahren auf solche erfolgreiche Verträge verweisen. Wo wird die Entwicklung hingehen: Wird es einen noch stärkeren Wettbewerb der Kassen beim Thema Qualität geben? Das Thema Qualität wird weiterhin ein entscheidendes Kriterium sein und im Kassenwettbewerb auch sein müssen. Allerdings ist feststellbar, dass der selektivvertragliche Wettbewerb seit Beendigung der Anschubfinanzierung bundesweit ins Stocken geraten ist. Welche IV-Verträge sind Ihrer Meinung nach zurückgegangen? Kann argumentiert werden, dass die verbliebenen Verträge die sind, die eine bessere Qualität liefern? Mit Einführung der Anschubfinanzierung im Jahr 2004 waren sicherlich auch Fehlentwicklungen bei der IV zu beobachten. Oftmals wurde der Fokus der Verträge auf einseitige Fallgestaltungen gelenkt. Als Beispiel dafür seien die bundesweit zahlreichen Verträge für Hüft- und Knieendoprothesen genannt. Die bei der AOK Bayern nach wie vor bewirtschafteten Integrationsverträge stehen für Qualität und Wirtschaftlichkeit. Gibt es in Ihren Augen heute überhaupt noch eine Chance, populationsbasierte IV-Systeme aufzusetzen? Auf jeden Fall. Gerade die AOK Bayern hat, zum Teil seit vielen Jahren, zehn Ärztenetze unter Vertrag. Daneben befinden wir uns in Verhandlungen mit weiteren Interessenten. In diesem Bereich sehe ich durchaus Zukunft, basierend auf erfolgsorientierten Vergütungen. Wie definieren Sie diese erfolgsabhängigen Faktoren? Sind es reine Qualitäts- oder auch Kostenfaktoren? Das sind zum einen natürlich Qualitätsfaktoren. Wir bieten unseren Versicherten mit Integrationsverträgen nicht weniger, sondern ein Mehr an Qualität. Dabei darf die Wirtschaftlichkeit natürlich nicht zu kurz kommen. Unter Fondsbedingungen gilt es ökonomischen Aspekten jedenfalls Rechnung zu tragen. Telemedizinische Angebote sind ein solches Mehr an Leistungen, die zugleich zu einer Veränderung der Leistungsausgaben führen können. Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung der integrierten Versorgung? Die Krankenkassen werden unter den geltenden Finanzierungsbedingungen Qualität und Wirtschaftlichkeit ausgewogen gegenüberstellen müssen. Das Ende der Anschubfinanzierung hat zwar einerseits eine Bremswirkung beim Abschluss von IV-Verträgen ausgelöst, andererseits zeigen uns die Zuweisungsbeträge aus dem seit Anfang 2009 geltenden Morbi-RSA deutlich auf, bei welchen Krankheiten und Diagnosen Handlungsfelder für Optimierungen zu vermuten und anzugehen sind. Und Ärztenetze sind immer ein geeignetes Thema für eine integrierte Versorgung. Welches Ziel verfolgen Sie mit der AOK Bayern: eine Flächendeckung oder eine Fokussierung auf bestimmte Themen? Beides. Wir werden uns bestimmter Handlungsfelder flächendeckend annehmen, gleichzeitig aber auch für regionale Besonderheiten regionale Lösungen anbieten können. So bieten wir zum Beispiel bayernweit die telemedizinische Versorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz an und konnten vor Kurzem einen Vertrag zur Versorgung von Patienten mit einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) schließen. Mit dem Europäischen CyperKnife-Zentrum in München-Großhadern bieten wir zum Beispiel weltweit modernste Hightech-Medizin an, die erforderlichenfalls allen AOK Bayern-Versicherten ohne Zusatzkosten zur Verfügung steht. Stellt die Nachweisführung der Wirtschaftlichkeit von neuen IV-Verträgen eine große Hürde für Sie dar? Im Einzelfall ist es nicht immer ganz einfach, verschiedene Versorgungswege eindeutig miteinander vergleichbar zu machen. Zunehmend setzen wir auf Pay for Performance-Instrumente, die sich bereits in vielen unserer Verträge wiederfinden. Bei Verträgen mit Präventionsansätzen ist der Nachweis der Wirtschaftlichkeit ungleich schwieriger und erfordert zumeist lange Wegstrecken. Dennoch hat die AOK Bayern auch in solchen Verträgen belegen können, dass zum Beispiel eine Reduzierung der Langzeitpflegebedürftigkeit um zehn Prozent erreicht werden konnte. Der Nachweis der Wirtschaftlichkeit ist zwar im Einzelfall eine Hürde, aber machbar. Welche Rolle wird der Patient dabei spielen? Wird die Nachfrage nach mehr Qualität und Transparenz kurzfristig steigen oder handelt es sich dabei eher um einen langfristigen Trend? Bereits heute ist belegbar, dass sich Patienten genau erkundigen, welche Leistungen wo, wie oft und mit welchem Erfolg erbracht beziehungsweise angeboten werden. Bei Integrationsverträgen sollen sich unsere Versicherten von vornherein darauf verlassen können, dass beste Quali- 10 Gesundheitsbarometer Ausgabe 3 / 2012

tät als Mehrwert angeboten wird. Der Informationseinholung über das Internet oder sonstige, zum großen Teil bereits mobile Medien wird eine zentrale Bedeutung zukommen. Ich denke dabei zunächst an die etwas jüngere Generation. Zeitnah wird es noch nicht geschehen, aber stetig. KPMG hat einen Gesprächskreis aus Vertretern von Krankenkassen, IT-Dienstleistern, Leistungserbringern und Verbänden ins Leben gerufen, um aktuelle Entwicklungen des Gesundheitssystems zu diskutieren. Ein Aspekt ist dort, dass es verstärkt sektorenübergreifende Kooperationen geben wird, zum Beispiel Beteiligungen von Pharmafirmen an IV-Verträgen, was den Firmen einen Zugriff auf die Daten der Krankenkassen und damit eine bessere Grundlage für Studien gibt. Ist das ein Weg, den Sie heute auch schon beschreiten? Zunächst ist festzustellen, dass der Gesetzgeber die Beteiligung von Pharmaunternehmen ausdrücklich angesprochen und damit gewünscht hat. Nach wie vor wird dies wohl noch wenig genutzt, was aber auch nachvollziehbare Gründe hat. Selbst bei noch so guten Angeboten und vielleicht auch Konsensgesprächen stehen das Vergaberecht und die damit verbundenen Regularien im Raum. Aber ja, ich glaube, dass es berechtigte Ansätze und Möglichkeiten gibt, die Interessen aller Beteiligten in Einklang zu bringen und die Pharmaindustrie in Verträgen stärker einzubeziehen. Was den Datenzugriff betrifft, gilt es stets und streng die einschlägigen Vorschriften zu beachten. Gibt es Überlegungen, dass der AOK-Bundesverband Ideen und Konzepte zu IV-Verträgen bundesweit verbreitet? Der AOK-Bundesverband stellt kontinuierlich Überlegungen zu verschiedenen Angeboten an und bietet in Zusammenarbeit mit den AOKs konkrete Umsetzungshilfen an. Derzeit wirkt die AOK Bayern zum Beispiel im Bereich psychiatrischer Erkrankungen und Depressionen beim AOK-Bundesverband mit. Für eine Reihe von Themen und Handlungsfeldern muss nicht mehrfach an unterschiedlichen Stellen gegebenenfalls Gleiches geleistet werden. Ob die Vorstellungen und Ergebnisse im Einzelfall für jede Landes- AOK zutreffen beziehungsweise von jeder übernommen werden, bleibt den AOKs vorbehalten. Die Entscheidung ist unter anderem davon abhängig, ob es sich zum Beispiel um einen Flächen- oder einen Stadtstaat handelt. Welche Unterstützung wünschen Sie sich aus den Reihen der Politik in Ihrer Rolle im Bereich der IV? Der Gesetzgeber hat der integrierten Versorgung im Jahr 2004 viel und aussichtsreichen Schwung verliehen. Seitdem haben sich die Rahmenbedingungen mit Abschaffung der Anschubfinanzierung nachdrücklich verändert, nicht zuletzt auch durch die Rechtsfortentwicklung der Gerichte, die Einführung des Gesundheitsfonds und einige andere Dingen mehr. Die gesetzlichen Voraussetzungen für das Zustandekommen von IV-Verträgen müssen wieder einfacher gestaltet werden. Allein die Ausschreibungspflicht macht ein sehr aufwendiges und langwieriges Verfahren erforderlich. Und die Nachweisführung der Wirtschaftlichkeit gegenüber Aufsichtsbehörden hemmt die Idee der integrierten Versorgung eher. Ich hätte mir gewünscht, dass ein Teil des derzeitigen Gesamtbudgets verbindlich für sektorenübergreifende Angebote zu verwendet wäre. Dabei gilt es mit Blick auf die demografische Entwicklung der Prävention mehr Bedeutung beizumessen. Schließlich haben wir die Verantwortung, im Gesundheitswesen weit vorausschauend zu agieren. Ich glaube, dass der Abbau von sektoralen Grenzen und Budgets durchaus ein geeigneter Weg ist, schon frühzeitig die richtigen Weichen zu stellen. Martin Steidler Martin Steidler ist seit 2004 bei der AOK Bayern in München als Leitender Verwaltungsdirektor und Bereichsleiter für Versorgungsmanagement tätig. Zu seinem Verantwortungsbereich gehören die strukturierten Behandlungsprogramme bei chronischen Krankheiten (DMPs), die Einnahmesicherung, die integrierte Versorgung und das Versorgungsmanagement. Bis 1989 arbeitete Martin Steidler in der Landesversicherungsanstalt Oberbayern, anschließend in unterschiedlichen Funktionen in der Krankenhausabteilung im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit. Ausgabe 3 / 2012 Gesundheitsbarometer 11

Compliance: Wie Hinweisgebersysteme Regelverstöße in Krankenhäusern verhindern können 2012 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative ( KPMG International ), Schwächen im Compliance Management-System, das die Einhaltung von Gesetzen, vertraglichen Verpflichtungen sowie internen Regelungen sicherstellen soll, können zu signifikanten Vermögensverlusten und darüber hinaus auch zu schweren, teilweise langwierigen Reputationsschäden führen. Vor diesem Hintergrund gewinnen Hinweisgebersysteme zunehmend an Bedeutung. Wie sollte ein ideales Hinweisgebersystem beschaffen sein, um einen wertvollen Beitrag zur Reduktion von Regelverstößen leisten zu können? Eine vertrauensvolle Kommunikation und die Wahrung der Anonymität bilden die Basis. Autor: Jürgen Kunz, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Frankfurt am Main Die jüngst aufgedeckten Compliance-Verstöße in Krankenhäusern, die von Abrechnungsbetrug gegenüber den Krankenkassen bis hin zu Bestechung und Bestechlichkeit bei Beschaffungsentscheidungen, aber auch bei Beraterverträgen reichen, zeigen die Notwendigkeit, die Compliance-Strukturen im Gesundheitswesen an die jüngsten Ereignisse anzupassen. Um derlei Verstöße nicht nur zu verhindern, sondern auch den Reputationsschaden in der öffentlichen Diskussion und Wahrnehmung zu vermeiden, bedarf es wirkungsvoller Instrumente. Als Instrument, das sowohl detektivisch als auch präventiv wirkt, werden vielfältig Hinweisgebersysteme diskutiert. Vereinfacht dargestellt schafft ein Hinweisgebersystem die Möglichkeit, beobachtete Verstöße oder Hinweise zu melden und hierdurch eine Ermittlung in dem Fall zu initiieren, eine Aufdeckung zu ermöglichen und entsprechende Konsequenzen anzustoßen. Bei nachhaltiger Wirksamkeit und Akzeptanz eines Hinweisgebersystems können Verstöße ebenfalls verhindert werden. Bei der Implementierung von Hinweisgebersystemen in Unternehmen sind zwei wesentliche Komponenten zu beachten, um einen wirksamen Prozess zur Aufdeckung von Missständen im Unternehmen zu etablieren. Zum einen ist die Bereitstellung verschiedener Kommunikationskanäle von Bedeutung, über die Hinweise auf Verdachtsfälle oder konkrete Compliance-Verstöße abgegeben werden können. Zum anderen müssen diese Kanäle auch unter Mitarbeitern und externen Dritten publik gemacht werden. Prinzipiell ist bei der Ausgestaltung eines Hinweisgebersystems zwischen unternehmensinternen und -externen Möglichkeiten zu unterscheiden. Neben internen Kommunikationskanälen, wie etwa Hotline, Posteingang (elektronisch und postalisch), Intranetund Internet-Eingabemaske, wird häufig auch eine als Ombudsmann bezeichnete Vertrauensperson hinzugezogen, die über die gleichen Medien über Verstöße informiert werden kann. Durch diesen externen Kanal wird den Hinweisgebern sowohl Unabhängigkeit signalisiert als auch die Anonymität glaubhaft gewährleistet. Angaben zur Person sind möglich, aber nicht erforderlich und werden nur bei ausdrücklicher Freigabe durch den Hinweisgeber weiter kommuniziert. Ist ein Unternehmen international organisiert, dann bietet es sich zusätzlich an, einen externen Hotline-Dienstleister zu beauftragen. 12 Gesundheitsbarometer Ausgabe 3 / 2012

Die Nutzung des Hinweisgebersystems sollte grundsätzlich allen Stakeholdern offenstehen und transparent und nachhaltig vorgelebt werden. Ein durchkonstruiertes System ist dann wirkungslos, wenn die Mitarbeiter es nicht nutzen. Grundsätzlich kann aus ausbleibenden Fallmeldungen nicht geschlossen werden, dass es keine Compliance-Verstöße im Unternehmen gibt. Zur Sicherstellung eines wirksamen Hinweisgebersystems sind drei Aspekte unerlässlich: Wissen über die Existenz der angebotenen Kommunikationskanäle, Verständnis, dass die Hinweisabgabe auch erwünscht ist, und schließlich Vertrauen, dass Hinweisen nachgegangen wird und, wenn sie sich als zutreffend bewahrheiten, Verfehlungen transparent sanktioniert werden. Mit der Schaffung eines Hinweisgebersystems können Krankenhäuser eine Compliance-Kultur etablieren, bei der sie zum einen ein System institutionalisieren, mit dem sie ihren Aufsichtspflichten nachkommen, und zum anderen ein klares Signal für eine normkonforme und integere Unternehmenskultur geben. Ein wirksam implementiertes Hinweisgebersystem kann Compliance-Verstöße frühzeitig aufdecken und dazu beitragen, sie in Zukunft zu vermeiden. Auch die öffentliche Wahrnehmung stellt sich positiv dar, da den vielfältigen Forderungen nach Transparenz noch stärker entsprochen wird. Generell wird insbesondere die präventive Wirkung von Hinweisgebersystemen noch unterschätzt. Die frühzeitige Meldung und entsprechende Abwendung möglicher Compliance- Verstöße vermeidet die mit Sicherheit eintretenden negativen Konsequenzen, die mit einer späteren Aufdeckung einhergehen würden. Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht sind die gesetzlichen Vertreter eines Krankenhauses über ihre Sorgfaltspflichten ( 93 Abs. 1 AktG) angehalten, Maßnahmen zu ergreifen, die sicherstellen, dass die gesetzlichen Bestimmungen und unternehmensinternen Vorgaben (Compliance) eingehalten werden. Dies gilt für börsennotierte Krankenhäuser und wegen der Strukturähnlichkeit auch für GmbHs oder Personengesellschaften. Sofern ein Aufsichtsrat existiert, besteht seine Aufsichtspflicht ( 107 Abs. 3 AktG) auch darin, die Maßnahmen der gesetzlichen Vertreter zur Einhaltung der Compliance-Vorgaben zu überwachen. Im Falle von Compliance-Verstößen ist es für gesetzliche Vertreter und Aufsichtsorgane deshalb entscheidend, nachweisen zu können, dass sie diesen Pflichten nachgekommen sind, um die persönliche Haftung auszuschließen oder zu reduzieren. Effektive Compliance-Management-Systeme (CMS), deren wesentlicher Bestandteil unter anderem ein Hinweisgebersystem ist, dienen diesem Zweck. Ausgabe 3 / 2012 Gesundheitsbarometer 13

Der neue Anwendungserlass zur Abgabenordnung: Handlungsbedarf und Gestaltungsalternativen für gemeinnützige Krankenhäuser Mit Wirkung vom 17. Januar 2012 hat das Bundesfinanzministerium (BMF) den Anwendungserlass zur Abgabenordnung in zahlreichen Punkten geändert. Insbesondere wurden die neue Rechtsprechung sowie Verwaltungsanweisungen eingearbeitet. Der nachfolgende Beitrag zeigt die für Krankenhäuser besonders relevanten Änderungen, deren praktische Auswirkung sowie offene Fragen. Autor: Frank Nordhoff, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Dortmund 2012 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative ( KPMG International ), Satzungserfordernis für Zahlungen an den Vorstand und andere Organe Tätigkeitsvergütungen an Vorstände eines Krankenhauses in der Rechtsform eines Vereins oder einer Stiftung sind nur zulässig, wenn die Satzung sie vorsieht. Für letztere sieht der neue Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) keine Übergangsfrist vor. Zwar wird die Vorschrift heftig kritisiert, wer aber Diskussionen mit dem Betriebsprüfer vermeiden möchte, sollte die Satzung durch eine Öffnungs- oder Ermächtigungsklausel ergänzen. Obwohl der Wortlaut des AEAO nur Vorstände erwähnt, gilt die Vorschrift auch für die weiteren Organe des Vereins oder der Stiftung. Deshalb fallen auch Sitzungsgelder von Kontroll- oder Beratungsgremien darunter. Und sie gilt auch, wenn die Vergütung unter dem Steuerfreibetrag von 500 Euro pro Jahr liegt, die Vergütung zurückgespendet oder auf die Auszahlung verzichtet wird. Auf den reinen Auslagenersatz (Telefon, Reisen) findet die Vorschrift keine Anwendung, weil hierauf ein gesetzlicher Anspruch besteht. Pflicht zur Anpassung der Satzung Gemeinnützige Einrichtungen müssen sich an die gesetzliche Mustersatzung halten. Das gilt auch für Krankenhäuser. Ob eine wörtliche oder nur sinngemäße Übernahme erforderlich ist, lässt der AEAO offen. Jedoch ist zur Vermeidung von Streit eine wörtliche Übernahme anzuraten. Der gleiche Aufbau oder dieselbe Reihenfolge werden nicht verlangt. Außerdem sollen Regelungen nur verbindlich sein, soweit sie für die jeweilige Rechtsform der Einrichtung einschlägig sind. Da die Aufzählung der Ausnahmen im AEAO nicht abschließend ist, empfiehlt sich bei darüber hinausgehenden Abweichungen von der Mustersatzung eine vorherige Abstimmung mit der Finanzverwaltung. In Bezug auf den Anwendungszeitpunkt gibt der neue AEAO die gesetzliche Regelung wieder. Danach müssen vor dem 1. Januar 2009 gegründete Körperschaften ihre Satzung nicht allein deshalb ändern, um sie an das Muster anzupassen, spätestens aber dann, wenn aus anderen Gründen eine Satzungsänderung erfolgt. Wirtschaftliche Betätigung ohne inhaltlichen Bezug zum Krankenhaus Nach bisheriger Meinung der Finanzverwaltung kam eine Steuerbegünstigung nicht in Betracht, wenn die wirtschaftliche Tätigkeit der Einrichtung bei einer Gesamtbetrachtung das Gepräge gegeben hat. Diese Ansicht war heftiger Kritik ausgesetzt. Für Krankenhäuser stellte sich dieses Problem wegen der überwiegenden Einnahmen aus dem Krankenhausbetrieb nicht. Das Thema trat bei gemeinnützigen Tochtergesellschaften mit umfangreichen unternehmerischen Tätigkeiten auf. Diesem Problem begegnete man durch Ausgliederung der Aktivitäten auf eigenständige Gesellschaften. Zukünftig kommt es nicht mehr auf die Mittelherkunft an. Deshalb wird selbst die vollständige Finanzierung durch einen steuerpflichtigen Geschäftsbetrieb oder die Vermögensverwaltung unschädlich sein. Ihre Grenze findet die wirtschaftliche Aktivität allerdings, wenn es um die Frage geht, ob die Erträge nur für steuerbegünstigte Zwecke eingesetzt werden. Schädlich sind wirtschaftliche Dauerverlustbetriebe ohne inhaltlichen Bezug zum steuerbegünstigten Zweck. Es bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung zukünftig auf den Verlust eines einzelnen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs abstellen oder wie bisher eine Gesamtbetrachtung der Ergebnisse aller vornehmen wird. Wer allerdings Diskussionen vermeiden möchte, sollte sich bei Dauerverlustbetrieben ohne inhaltlichen Bezug zum steuerbegünstigten Zweck Gedanken über ihre Zukunft machen. Offen ist, wann ein solcher Bezug zum Krankenhausbetrieb angenommen wird. Einen Anhaltspunkt liefert die im Umsatzsteuerrecht diskutierte Frage nach dem mit dem Betrieb eines Krankenhauses eng verbundenen Umsatz. Verneint wird dieser Bezug bei Warenund Speisenlieferungen, Beherbergung und Verpflegung oder Sachmittel- und Personalüberlassung, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Versorgungsauftrag des Krankenhauses stehen. 14 Gesundheitsbarometer Ausgabe 3 / 2012

Überlassung von Anlagevermögen an Tochtergesellschaften Überlässt ein Krankenhaus einer steuerpflichtigen Tochtergesellschaft eine wesentliche Betriebsgrundlage (Firmenname, Erfindung, Apparate, Räume, Gebäude), liegt regelmäßig ein Fall der Betriebsaufspaltung vor, mit der Folge, dass die Erträge im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb anfallen. Zukünftig sollen diese Grundsätze auch für steuerbegünstigte Tochtergesellschaften gelten, insoweit diese die Wirtschaftsgüter in einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb einsetzen. Nutzt die Tochtergesellschaft die überlassenen Wirtschaftsgüter sowohl im steuerbegünstigten als auch im steuerpflichtigen Bereich, wird man die Lizenz-, Miet- oder Pachteinnahmen des Krankenhauses aufteilen müssen. Nach welchen Kriterien eine Zuordnung erfolgen soll, ist unklar (Umsatz, Fläche, Nutzungsdauer). Offen ist auch, ob Gewinnausschüttungen von Tochtergesellschaften, die die ihr überlassenen Wirtschaftsgüter im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb einsetzen, dadurch teilweise steuerpflichtig werden. Gerade der unerkannte wirtschaftliche Geschäftsbetrieb beinhaltet ein erhebliches Betriebsprüfungsrisiko. Das gilt für die Betriebsaufspaltung durch Überlassung wesentlicher Betriebsgrundlagen sowie aufgrund einer Einflussnahme auf die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft. Durch die Ergänzung des AEAO werden diese Verbindungen bei Betriebsprüfungen verstärkt in den Fokus geraten. Wer Überraschungen vermeiden möchte, sollte gezielt danach suchen und über Alternativen nachdenken. Zentraleinkauf, Küche, Rettungsdienst und andere Zweckbetriebe Wenn es sich nicht um einen gesetzlichen Fall handelt (Krankenhaus, Kindergarten, Altenheim, Behindertenwerkstatt), kann ein Zweckbetrieb nur vorliegen, wenn er zu steuerpflichtigen Betrieben nur insoweit in Konkurrenz tritt, als es zur Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist. Nach dem neuen AEAO kommt es dabei nur auf einen potenziellen Wettbewerb an. Nach welchen Kriterien er ermittelt werden soll, lässt der AEAO offen. Er stellt lediglich klar, dass Beschaffungsstellen (zentraler Einkauf und Verkauf, Auftragsbeschaffung) keinen Zweckbetrieb darstellen. Rettungsdienste und Krankentransporte sind auch dann Zweckbetriebe, wenn die Leistungen von gewerblichen Unternehmen erbracht werden. Wie bisher müssen mindestens zwei Drittel der Leistungen gegenüber hilfsbedürftigen Personen erbracht werden. Dabei muss die Berechnung dieser Grenze anhand der konkreten Umsatzerlöse erfolgen. Die Berechnung des Verhältnisses Anzahl hilfsbedürftige zu übrigen Personen ist weiterhin unzulässig. Selbstversorgungseinrichtungen (Gärtnerei, Tischlerei, Schlosserei, Küche, Wäscherei) sind Zweckbetriebe, wenn die Leistungen an Dritte 20 Prozent der Umsätze nicht überschreiten. Nunmehr fallen nur noch Handwerksbetriebe unter die Begünstigung, nicht aber reine Verwaltungsstellen. Zudem sollen nur Einrichtungen begünstigt sein, die nicht regelmäßig ausgelastet sind und nur gelegentlich Leistungen an Dritte erbringen. Das ist realitätsfern, weil der Dritte ein Interesse an einer fortlaufenden Geschäftsbeziehung hat (Lieferung von Mittagessen an einen Kindergarten). Für Betriebe, die am 1. Januar 2010 bestanden, gilt eine Übergangsfrist bis Ende 2012. Wer von der Neuregelung betroffen ist, sollte sich Gedanken über Alternativen machen, da Gestaltungen (Einstellung von Drittbeziehungen oder Aufteilung in einen steuerbegünstigten Zweckbetrieb und eine steuerpflichtige Gesellschaft) bis zum Ende des Jahres abgeschlossen sein müssen. Kooperation zwischen Gemeinnützigen Krankenhäuser müssen ihre Zwecke unmittelbar, also selbst verwirklichen. Sie erfüllen dieses Erfordernis auch, wenn sie eine Hilfsperson einschalten. Hierfür kommt auch eine Tochtergesellschaft (Servicegesellschaft oder Medizinisches Versorgungszentrum, MVZ) in Betracht. Bislang sollte das Handeln als Hilfsperson keine eigene Steuerbegünstigung begründen. Der neue AEAO erleichtert die Anerkennung der Gemeinnützigkeit, wenn mit der Hilfstätigkeit zugleich eigene Satzungszwecke verfolgt werden. Originär gemeinnützige Tätigkeiten (pflege- oder medizinische Dienste, erzieherische oder pädagogische Hilfen) können damit auf gemeinnützige Servicegesellschaften ausgelagert werden. Auch die Frage, ob ein MVZ im Einzelfall gemeinnützig ist, dürfte durch die Neuregelungen in vielen Fällen zu bejahen sein. Deshalb sollten Krankenhäuser den Sachverhalt neu prüfen, die aufgrund der Aberkennung der Gemeinnützigkeit eine Umstrukturierung unterlassen haben oder denen die Steuerbegünstigung für Tochtergesellschaften versagt wurde oder die sie nicht beantragt haben. Nach der neuen Sichtweise kann die Gemeinnützigkeit ausschließlich über Hilfspersonen erreicht werden (wenn eine Trägerin ohne eigenen Förderzweck ein Krankenhaus von einer Tochtergesellschaft betreiben lässt). Damit lässt sich auch die Frage, ob eine Trägerin (Holding) mit gemeinnützigen Tochtergesellschaften, aber ohne eigene Fördertätigkeit selbst gemeinnützig sein kann, in der Zukunft bejahen. Insgesamt werden Umstrukturierungen erleichtert, bei denen die Gemeinnützigkeit unabdingbare Voraussetzung ist. Krankenhäuser, die keine Holding- oder Servicegesellschaften gegründet haben, sind durch den neuen AEAO aufgerufen, noch einmal über wirtschaftlich sinnvolle Strukturen nachzudenken. Fazit Die Änderungen des AEAO können für Krankenhäuser von erheblicher Bedeutung sein. Neben dem Satzungserfordernis für Organvergütungen und der Pflicht zur Anpassung der Satzung stehen die Zweckbetriebe und wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe im Fokus des AEAO und damit der Betriebsprüfung. Vor diesem Hintergrund sollten sich Krankenhäuser die kritische Frage stellen, ob alle wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe und Zweckbetriebe als solche erkannt sind und ob sie steuerlich richtig abgebildet werden. Die Änderungen des AEAO sollten zum Anlass genommen werden, um eine Bestandsaufnahme und bei Bedarf eine Umstrukturierung der Geschäftsaktivitäten vorzunehmen. Ausgabe 3 / 2012 Gesundheitsbarometer 15

Änderungen im Arbeitnehmerüberlassungsrecht und die Auswirkungen auf Krankenhäuser Bis zur Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes im vergangenen Jahr kam dem Gesetz im Krankenhaus keine allzu große Bedeutung zu. Allerdings nicht, weil im Krankenhausbetrieb keine Arbeitnehmer überlassen werden, sondern weil hierfür bislang in der Regel keine Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit erforderlich war. Nun zwingen aber die seit dem 1. Dezember 2011 geltenden Gesetzesänderungen zu einem Umdenken. 2012 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative ( KPMG International ), Autor: Dr. Stephan Fahrig, KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft mbh, Essen Merkmale der Arbeitnehmerüberlassung Kennzeichen der Arbeitnehmerüberlassung ist ein Dreiecksverhältnis. Beteiligte sind der Verleiher, der Entleiher und der formal beim Verleiher angestellte Leiharbeitnehmer. Bei der Anstellung der Leiharbeitnehmer gilt die Besonderheit, dass sie für einen Dritten tätig werden können, da der Anspruch auf die Arbeitsleistung andernfalls nicht übertragbar wäre. Die entsprechenden Abreden finden sich in der Praxis entweder unmittelbar im Arbeitsvertrag oder gegebenenfalls in Tarifverträgen. Daneben steht der (Dienstleistungs-)Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Entleiher, der die Verpflichtung des Verleihers regelt, dem Entleiher die Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen, sowie die entsprechende Vergütung durch den Entleiher. Gleichzeitig wird in diesem Verhältnis die Berechtigung des Entleihers geregelt, die typischen arbeitgeberseitigen Weisungsrechte wahrzunehmen und dadurch Anordnungen zu Zeit, Ort und Inhalt der Arbeitsleistung zu erlassen. Abgrenzung von der Gestellung der Schwestern des Deutschen Roten Kreuzes Im Krankenhausbereich ist die Arbeitnehmerüberlassung insbesondere von der Gestellung der Schwestern des Deutschen Roten Kreuzes abzugrenzen. Obwohl die Schwestern des Deutschen Roten Kreuzes einem Krankenhaus überlassen werden, handelt es sich hierbei nicht um Arbeitnehmerüberlassung. Hintergrund ist schlichtweg, dass es sich bei den Schwestern nicht um Arbeitnehmer handelt, da sie ihre Tätigkeit allein auf Basis des Verbandsrechts und nicht aufgrund eines Einzelarbeitsvertrags verrichten. Abgrenzung von Dienst- und Werkverträgen Abzugrenzen ist die Arbeitnehmerüberlassung zudem von externen Dienstleistern oder Werkunternehmern, die mit der Erbringung bestimmter Leistungen beauftragt werden, die dann durch Arbeitnehmer des beauftragten Unternehmens erbracht werden. Abgrenzungsmerkmal zur Arbeitnehmerüberlassung ist in diesem Zusammenhang, dass die Weisungsbefugnis bezüglich der zum Einsatz kommenden Arbeitnehmer nicht übertragen wird. Zudem werden diese Arbeitnehmer auch nicht in den operativen Betrieb des Entleihers eingegliedert. Ein Beispiel hierfür ist eine bloße Großgerätekooperation, bei der vereinbart wird, dass das zur Bedienung erforderliche Fachpersonal zur Verfügung gestellt wird, ohne dass dem Kooperationspartner arbeitgebertypische Weisungsrechte zu Ort, Inhalt und Zeit der Tätigkeit übertragen werden. Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung Für die Arbeitnehmerüberlassung braucht der Verleiher die Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit, was seit dem 1. Dezember 2011 auch uneingeschränkt im Krankenhausbereich gilt. Denn während nach der bisherigen Gesetzeslage die Erlaubnis nur erforderlich war, wenn die Überlassung gewerbsmäßig erfolgte, ist nunmehr grundsätzlich jede Form der Arbeitnehmerüberlassung erlaubnispflichtig. Es kommt im Krankenhausbereich daher wie bei Wirtschaftsunternehmen nicht mehr darauf an, ob die Überlassung gewerbsmäßig, das heißt auch mit Gewinnerzielungsabsicht, erfolgt oder was in einer Vielzahl der Fälle im Krankenhausbetrieb der Fall war beziehungsweise auch noch ist ob sie kostenneutral ausgestaltet ist. Krankenhäuser können sich damit nicht mehr darauf berufen, dass die Arbeitnehmerüberlassung gemeinnützig oder kostenneutral erfolgt, also durch sie keine wirtschaftlichen Vorteile erzielt werden sollen. Hinzu kommt, dass seit den Gesetzesverschärfungen das Konzernprivileg in der bisher geltenden Form aufgehoben wurde, wonach das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht anzuwenden war, wenn die Überlassung zwischen Konzerngesellschaften stattfand. 16 Gesundheitsbarometer Ausgabe 3 / 2012

Dieses Konzernprivileg, das bisher die Beschäftigung von Arbeitnehmern in einer anderen Konzerngesellschaft von keiner vorherigen Erlaubnis abhängig machte, ist nunmehr ausschließlich auf Arbeitnehmer begrenzt, die nicht zum ausdrücklichen Zweck der Arbeitnehmerüberlassung eingestellt wurden; es gilt also grundsätzlich nicht mehr für die beabsichtigte Personalleihe. Im Ergebnis bedeutet das, dass die Arbeitnehmerüberlassung nun grundsätzlich erlaubnispflichtig ist. Missachtung der Erlaubnispflicht Sofern der Verleiher nicht die erforderliche behördliche Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung besitzt, sind sowohl der entsprechende Überlassungsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Entleiher als auch die Arbeitsverträge mit den Leiharbeitnehmern unwirksam. Zum Schutz der Leiharbeitnehmer bestimmt das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zudem, dass bei fehlender Erlaubnis ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher besteht, das heißt, es entsteht in einem solchen Fall ein Arbeitsverhältnis aufgrund gesetzlicher Anordnung mit dem Entleiher. Er trägt damit das wirtschaftliche und rechtliche Risiko für die Gesetzeswidrigkeit beziehungsweise Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer, die aus der fehlenden Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung folgt. Zudem kann ein entsprechender Verstoß ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 30.000 Euro nach sich ziehen. Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer Wie seit jeher hat der Verleiher dem Leiharbeitnehmer während der Überlassung grundsätzlich die Vergütung zu zahlen, die er erhalten würde, wenn er nicht als Leiharbeitnehmer, sondern als unmittelbarer Arbeitnehmer des Entleihers beschäftigt wäre, sogenanntes Equal Payment. Gleiches gilt in Bezug auf sämtliche sonstigen wesentlichen Arbeitsbedingungen und Sozialbedingungen, sogenanntes Equal Treatment. Zu beachten ist jedoch, dass das Gleichbehandlungsgebot tarifdispositiv ist, das heißt, es besteht die Möglichkeit, vom Gleichbehandlungsgebot durch einen einschlägigen Tarifvertrag abzuweichen. Das setzt allerdings voraus, dass der Tarifvertrag für sich genommen wirksam ist und nicht, wie im Fall der Regelungswerke der CGZP (Tarifgemeinschaft christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und Personal-Service- Agenturen), mangels der notwendigen Tariffähigkeit rechtsunwirksam ist. Gleiches dürfte für die Regelungswerke der Medsonet die Gesundheitsgewerkschaft gelten, der es nach der herrschenden Meinung ebenfalls an der Tariffähigkeit mangelt. Dauer der Arbeitnehmerüberlassung Bislang regelte das Gesetz für die Arbeitnehmerüberlassung keine zeitliche Höchstgrenze. Neu ist daher jetzt, dass die Arbeitnehmerüberlassung nur noch vorübergehend möglich ist, wobei offenkundig problematisch ist, dass das Gesetz weiterhin keine zeitliche Höchstgrenze definiert, bis wann von einem vorübergehenden Einsatz auszugehen ist. Berücksichtigt man, dass das Bundesarbeitsgericht schon früher zur vorübergehenden Konzernüberlassung vertreten hat, dass auch ein jahrelanger Einsatz von Leiharbeitnehmern noch als vorübergehend angesehen werden könne, wird deutlich, dass diese Formulierung Probleme aufwirft. In Anlehnung an diese Rechtsprechung sind beispielsweise die Krankenhausgesellschaften der Auffassung, dass es genügt, wenn Verleiher und Entleiher bei Abschluss des Dienstleistungsvertrags zumindest nicht ausschließen, dass das überlassene Personal noch einmal in den Betrieb des Entleihers zurückkehren wird. Diese Sichtweise dürfte jedoch problematisch sein, da es nicht mit dem Gesetzeszweck vereinbar ist, dass die Arbeitnehmerüberlassung unüberschaubar lange andauert. Vorübergehend dürfte daher wohl nur noch zu bejahen sein, wenn es letztlich nicht auf eine dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung hinauslaufen kann. Unklar ist allerdings auch, welche Folgen eine dauerhafte unzulässige Personalüberlassung nach sich zieht. Das neu gefasste Arbeitnehmerüberlassungsgesetz enthält auch hierzu keine Regelungen. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang aktuell Bußgeldzahlungen genauso wie gegebenenfalls der Entzug der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung oder auch in diesen Fällen das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Entleiher und dem betroffenen Arbeitnehmer. Fazit Dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz kommt zukünftig auch im Krankenhausbereich eine immense Bedeutung zu. Wie andere Wirtschaftsunternehmen werden sich ab sofort auch Krankenhäuser mit der Erlaubnispflicht bei der Arbeitnehmerüberlassung befassen müssen. Krankenhäuser, die Arbeitnehmer verleihen, werden eine entsprechende Erlaubnis beantragen müssen beziehungsweise Entleiher nicht umhin kommen, den Verleiher hierzu anzuhalten. Gleichzeitig sind die Vertragsverhältnisse mit den betroffenen Leiharbeitnehmern daraufhin zu überprüfen, ob sie den Anforderungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes genügen. Daneben steht, dass der dauerhafte Verleih von Arbeitnehmern nicht mehr möglich ist. In der Gesamtschau ist daher zu erwarten, dass wie andere Wirtschaftsunternehmen auch Krankenhäuser häufiger alternative Mitarbeiterkonzepte erwägen werden, wie zum Beispiel die Wiedereingliederung der betroffenen Arbeitnehmer oder sogar die Umstrukturierung hin zu einem Gemeinschaftsunternehmen, bei dem der übergreifende Personaleinsatz dann keinen Fall der erlaubnispflichtigen Arbeitnehmerüberlassung darstellt. Ausgabe 3 / 2012 Gesundheitsbarometer 17

Die ambulante Rehabilitation als wichtige Säule der medizinischen Rehabilitation Die medizinische Rehabilitation gilt in der Gesundheitsbranche als Wachstumsund Jobmotor. Über 1.200 Einrichtungen und rund 150.000 Arbeitsplätze bestätigen das. Innerhalb der medizinischen Rehabilitation kristallisiert sich heraus, dass die ambulante Rehabilitation eine tragende Rolle übernimmt. Das zwingt die Betreiber zum Umdenken. Autoren: Stefan Friedrich und Henri Ritschel, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Berlin 2012 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative ( KPMG International ), Die ambulante Rehabilitation macht große Fortschritte. Waren es 1995 nur 13 Einrichtungen, stehen heute allein von der deutschen Rentenversicherung über 150 Einrichtungen für die ambulante Rehabilitation bereit. Dabei sind ambulante Angebote in stationären Rehabilitationseinrichtungen nicht mit eingerechnet. Die ambulanten Leistungen für Erwachsene sind seit 1997 fast um das Fünfzehnfache, von etwa 8.400 auf 122.800 Fälle (siehe Abbildung 1), gestiegen. Dagegen stagnieren stationäre Leistungen seit 1995 auf einem konstant hohen Niveau. Insgesamt machen ambulante Leistungen bereits 12 Prozent der gesamten medizinischen Rehabilitationsfälle aus, wohingegen stationäre Leistungen um 7 Prozent auf 84 Prozent gesunken sind. Die deutsche Rentenversicherung zeigt im Reha-Bericht 2012 auf, dass eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme mit 21 Tagen im Schnitt zehn Tage kürzer als ein stationärer Aufenthalt ist. Die Kosten sind mit 1.456 Euro im Durchschnitt im Vergleich zur stationären Rehabilitationsmaßnahme mit 2.469 Euro deutlich geringer. Trend zur ambulanten Rehabilitation aufgrund von Kostenvorteilen und gesetzlicher Novellierungen Auf dem Reha-Kongress 2012 fand die Entwicklung der ambulanten Rehabilitation große Beachtung. Ihr Wachstum dürfte sich weiter fortsetzen. Auch der zuvor genannte Kostenvorteil zugunsten der ambulanten Rehabilitation dürfte einen positiven Effekt haben. Stationäre Betreiber sollten den Trend nutzen, um die Ergebnisauswirkung einer sinkenden Bettenauslastung im stationären Rehabilitationsbereich zu kompensieren. Weitere Gründe für die Zunahme ambulanter Rehabilitationsfälle sind zum einen gesetzliche Normen, wie der Ansatz Reha vor Pflege nach 31 SGB XI oder auch die im SGB V und IX konstituierten Richtlinien, nach denen die ambulante Rehabilitation der stationären Rehabilitation vorgezogen werden sollte. Die prognostizierte Zunahme der Rehabilitationsfälle von 1,82 auf 2,04 Millionen bis 2020 schafft Spielraum für die ambulante Rehabilitation. Knappe Ressourcen der Leistungserbringer und die Kosten- Nutzen-Orientierung der Leistungsträger rücken weiter in den Vordergrund. Andere Länder wie Schweden, die Niederlande oder die Schweiz haben ambulante Rehabilitationsmaßnahmen bereits institutionalisiert. Medizinisches Leistungsspektrum für eine größere Patientenreichweite ausbauen Die Grundlage für die ambulante Rehabilitation bilden die auf der Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation vereinbarten Rahmenbedingungen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft definiert darin besondere Anforderungen für die einzelnen Indikationsbereiche. In der Praxis halten ambulante Rehabilitationseinrichtungen bisher überwiegend medizinische Leistungsangebote für Orthopädie und Kardiologie vor. Anbieter sollten versuchen, ihr Leistungsspektrum um weitere Indikationsbereiche zu ergänzen und die gleichen innovativen Konzepte voranbringen wie bei den in der Praxis ausgeprägten Indikationsbereichen. Mit der Erweiterung des medizinischen Leistungsangebots erhöhen ambulante Rehabilitationseinrichtungen ihre Patientenreichweite und stellen sich strategisch besser für Einweiser auf. Auch in Bezug auf eine zunehmend auftretende Multimorbidität von Patienten muss ein indikationsübergreifendes Leistungsangebot geschaffen werden. Standort ambulanter Einrichtungen und Kooperationen strategisch wählen Stationäre Einrichtungen finden sich überwiegend außerhalb von Ballungszentren und damit fern vom Wohnort des Patienten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, die Patienten aus ihrem häuslichen Umfeld herauszunehmen, um den Prozess der Krankheitsbewältigung zu fördern und die vielerorts vorhandenen geografischen Heilmittel zu nutzen. Nicht zuletzt setzen stationäre Rehabilitationseinrichtungen ihren gesundheitsunterstützenden Standort werbewirksam ein. Eine besondere Herausforderung stellt dagegen die Standortwahl für ambulante Einrichtungen dar. Ambulante Rehabilitation lässt sich aufgrund einer benötigten Mindestauslastung nur in Ballungszentren realisieren. Investitionen in neue ambulante Rehabilitationszentren müssen strategisch und geografisch optimal geplant werden. Frühestmöglich sollte versucht werden, Kooperationsmöglichkeiten 18 Gesundheitsbarometer Ausgabe 3 / 2012

mit stationären Rehabilitationseinrichtungen und Krankenhäusern einzugehen. Patienten können dadurch gezielt gesteuert werden und Rehabilitationsmaßnahmen, die zunächst stationär begonnen haben, bei entsprechender Stabilisierung des Patienten ambulant fortgesetzt werden. Praxisbeispiele zeigen, dass ambulante Rehabilitationszentren an die Krankenhausumgebung angeschlossen oder am Rand von Ballungszentren betrieben werden können. Eine positive Außendarstellung für Kooperationspartner und Patienten herbeiführen Abbildung 1 Leistungen zur medizinischen Rehabilitation 1995 bis 2010 Quelle: Statistiken der Deutschen Rentenversicherung Rehabilitation 1995 2010 Betreiber ambulanter Rehabilitationseinrichtungen sollten sich nicht nur gegenüber Krankenhäusern und stationären Einrichtungen positiv darstellen, auch eine entsprechende Außenwirkung auf Patienten sollte bedacht werden. Ambulante Einrichtungen können sich durch aktive Kommunikation und Werbung explizit von stationären Einrichtungen abgrenzen. Aufklärung über den Nutzen ambulanter Rehabilitation oder ergänzende Leistungen, wie Übergangsgeld oder Reisekosten, können als Entscheidungshilfe für eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme dienen. Insofern wirkt aktives Marketing in mehrfacher Weise: Zum einen ermöglicht es ambulanten Einrichtungen, sich durch ihr medizinisches Leistungsangebot und ihre Qualität als präferierter Partner für das Akutkrankenhaus oder die stationäre Rehabilitationseinrichtung zu profilieren, zum anderen erhöht es die Akzeptanz und Aufmerksamkeit des Patienten. Sektorenübergreifende Vernetzung als Vorteil und Chance sehen Die Vorteile der ambulanten Rehabilitation liegen nicht nur auf der ökonomischen Seite. Ihr werden besonders inhaltlich-konzeptuelle Vorzüge eingeräumt. Vor allem der Verbleib im häuslichen und sozialen Umfeld bietet Synergiepotenziale. Zudem besteht die Möglichkeit, andere Angebote des Gesundheits- und Sozialsystems mit den ambulanten Rehabilitationsleistungen zu vernetzen. Beispielsweise bietet sich die medizinische interdisziplinäre Vernetzung mit dem ortsnahen Krankenhaus und dem weiterbehandelnden Hausarzt zur Nachsorge an. Somit können Schnittstellenprobleme zwischen Krankenhaus, medizinischer Rehabilitation und Nachsorge vermieden werden. Weiterhin wird die Vernetzung der Rehabilitationseinrichtung mit dem Versicherten und seiner Arbeitsstätte ermöglicht. Das ist besonders im Hinblick auf die berufliche (Wieder-)Eingliederung des Patienten relevant. In manchen Jahr Insgesamt Stationäre Ambulante Kinder- und (inklusive Leistungen Leistungen Jugendlichen- Mischfälle 1 ) für Erwachsene für Erwachsene 2 rehabilitation 1995 928.295 843.853 3 91 % 24.368 3 % 1996 960.622 869.330 3 90 % 24.392 3 % 1997 629.752 600.447 95 % 8.418 1 % 20.748 3 % 1998 642.436 603.848 94 % 14.115 2 % 23.740 4 % 1999 717.388 671.291 94 % 18.391 3 % 26.250 4 % 2000 835.878 778.789 93 % 25.257 3 % 29.908 4 % 2001 892.687 826.014 93 % 30.472 3 % 33.751 4 % 2002 894.347 813.362 91 % 41.714 5 % 36.682 4 % 2003 845.618 752.426 89 % 52.285 6 % 37.846 4 % 2004 803.159 702.122 87 % 60.557 8 % 37.276 5 % 2005 804.064 696.731 87 % 67.975 8 % 36.759 5 % 2006 818.433 704.004 86 % 75.850 9 % 36.443 4 % 2007 4 903.257 771.782 85 % 92.038 10 % 37.498 4 % 2008 942.622 804.006 85 % 99.820 11 % 37.568 4 % 2009 978.335 829.822 85 % 111.022 11 % 36.254 4 % 2010 996.154 837.864 84 % 122.835 12 % 34.223 3 % Fällen ist sogar eine teilweise begleitende Berufstätigkeit problemlos möglich. Ein weiterer Anreiz für Patienten besteht in der täglichen Rückkehr in das gewohnte Umfeld. Fazit Allen Beteiligten muss klar sein, dass die ambulante Rehabilitation die stationäre nicht ersetzen kann. Sie soll als zusätzliche Säule innerhalb der medizinischen Rehabilitation gesehen werden. Anstatt zu konkurrieren sollten Kooperationen und Partnerschaften mit stationären Rehabilitationseinrichtungen und Krankenhäusern angestrebt, Synergien genutzt und die Vorteile ambulanter Rehabilitationsmaßnahmen aktiv dargestellt werden. Mit der richtigen Standortwahl für die ambulante Rehabilitationseinrichtung wird die Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg geschaffen. 1 Stationäre und ambulante Reha-Anteile in Kombination erbracht; nur in Insgesamt-Spalte enthalten; Summe der Leistungen insgesamt übersteigt somit Summe der rechtsstehenden Spalten 2 Ambulante Leistungen erst ab 1997 statistisch auswertbar 3 Ohne Auftragsheilbehandlungen für die Krankenversicherung ( 40 Abs. 2 SGB V) 4 Sondereffekt im Jahr 2007; inklusive zusätzlich nachgemeldeter Fälle der Vorjahre (rund 1,5 Prozent) Ausgabe 3 / 2012 Gesundheitsbarometer 19

INTERVIEW Die Entwicklung der ambulanten Rehabilitation Detlef Bätz, Geschäftsführer Gräfliche Kliniken, Bad Driburg, sowie Geschäftsführer und Vorstand des Verbandes der Privatkliniken in Thüringen e. V., Bad Klosterlausnitz, im Gespräch mit Jörg Schulze, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Berlin Die ambulante Rehabilitation hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Welchen weiteren Weg wird sie Ihrer Sicht nach nehmen und welcher wäre der sinnvollste? Die ambulante Rehabilitation hat sich seit ihrem Aufkommen Anfang der 1990er-Jahre zweifelsohne emanzipiert. Allein die Entwicklung der Fallzahlen bei der Rentenversicherung und der gesetzlichen Krankenversicherung belegt, dass die ambulante Rehabilitation heute integrativer Bestandteil der Gesundheits- beziehungsweise rehabilitativen Versorgung ist. Der Grundsatz ambulant vor stationär und die Knappheit der finanziellen Ressourcen der Kostenträger werden weiterhin dafür sorgen, dass die ambulante Rehabilitation forciert wird. Dass ambulante Rehabilitationsangebote sinnvoll sind, steht außer Frage. Mit einem gemeinsamen Angebot aus ambulanter und stationärer Rehabilitation kann individueller und flexibler auf die unterschiedlichsten Bedürfnisse von Patienten reagiert werden. Gleichzeitig gilt es aber zu bedenken, dass die ambulante Rehabilitation nach wie vor Einschränkungen unterliegt. Dazu zählen insbesondere die Erreichbarkeit der Einrichtungen, die Akzeptanz für das ambulante Angebot und damit die Mitwirkungsbereitschaft der Patienten sowie deren notwendige Mobilität. Angesichts des zuletzt starken Wachstums der ambulanten Rehabilitation ist auch sicherzustellen, dass die Einrichtungen einer regelmäßigen und vergleichenden Qualitätsprüfung unterliegen. Auf der Hand liegende Potenziale des ambulanten Ansatzes, wie Einbeziehung der Familie, des Arbeitsumfeldes und gegebenenfalls von Betriebsärzten, werden zudem anscheinend noch zu wenig genutzt. Hier müssten die Voraussetzungen für noch flexiblere Formen der Rehabilitation von den Einrichtungen im Zusammenspiel mit den Kostenträgern gestaltet werden. Bei einigen Experten herrscht die Meinung vor, dass ambulante Rehabilitation den stationären Einrichtungen Patienten entzieht. Wie sehen Sie die Rolle der ambulanten Rehabilitation in der aktuellen medizinischen Versorgungslandschaft und welche Argumente gibt es gegen die Meinung der Patientenverschiebung von stationär zu ambulant? Zweifelsohne gibt es eine Schnittmenge von geeigneten Patienten für die ambulante und stationäre Rehabilitation. Aufgrund des Vorrangs ambulant vor stationär werden dem stationären Bereich sicherlich auch Patienten entzogen. Trotzdem wäre es ungerechtfertigt, eine komplette Substitution der stationären durch die ambulante Rehabilitation zu erwarten. Faktoren wie die Zunahme der Komorbiditäten bei Patienten oder die frühere Verlegung von Patienten aus den Krankenhäusern führen dazu, dass auch zukünftig die Mehrzahl der Patienten stationär versorgt werden. Aufgrund der demografischen Entwicklung, dem späteren Rentenbeginn und der Zunahme chronischer Erkrankungen steigt zudem die Zahl rehabilitationsbedürftiger Menschen in Deutschland. Bei der Frage, ob stationäre oder ambulante Rehabilitation sinnvoll ist, sollte zudem weniger eine schematische, sondern eher eine individuelle Betrachtung des Einzelfalls zur Entscheidung über die am besten geeignete und auszuwählende Rehabilitationsform führen. Oft erscheint die Verteilung wie nach einem Gießkannenprinzip. Fachlich sollte aber die Forderung der richtigen Reha-Allokation im Vordergrund stehen. Das heißt, Reha-Leistungen müssen immer mehr den individuellen Anforderungen des Patienten im Sinne der Zielstellung des Patienten in Abhängigkeit vom biopsychosozialen Krankheitsmodell (ICF) entsprechen. Danach ist für gewisse Patienten mit bestimmten Erkrankungen zwangsläufig eine Distanzierung vom häuslichen Umfeld notwendig, für andere ist die häusliche Umgebung auch mit steigender Belastung im Wohnumfeld hilfreich und für andere sind Reha-Leistungen begleitend zur beruflichen Wiedereingliederung erforderlich und hilfreich oder auch als generelle berufliche Begleitung gewollt. Ein bisschen ist das also wie im richtigen Leben. Die Welt ist eben nicht schwarz oder weiß, sondern in der Regel bunt und so werden sich auch ambulante und stationäre Rehabilitation eher ergänzen. Wie sollten sich stationäre Rehabilitationseinrichtungen auf den Trend der ambulanten Rehabilitation einstellen? Ein Beispiel: Die Gräflichen Kliniken sind seit den 1970er-Jahren ein Anbieter stationärer Rehabilitationsleistungen. Seit vielen Jahren bieten sie an den Standorten Bad Driburg und Bad Klosterlausnitz auch ambulante Leistungen und Nachsorgeangebote in den Kliniken an. Über diesen Einstieg in das ambulante Segment wurde nun das Projekt eines großen ambulanten Rehabilitationszentrums in Jena, unweit der Moritz Klinik Bad Klosterlausnitz, entwickelt. Es bieten sich durch die räumliche und inhaltliche Nähe zwischen der etablierten stationären Rehabilitationsklinik und dem geplanten ambulanten Rehabilitationszentrum gute Startvoraussetzungen und Synergien an. Dabei spielte aber auch eine wesentliche Rolle, dass der Bedarf an ambulanten Rehabilitationsleistungen aus unserer Sicht im Bereich Jena noch nicht ausreichend gedeckt ist. Dabei wissen wir aber natürlich auch, dass ambulante Rehabilitation kein Selbstläufer ist und viele Einrichtungen gescheitert sind. Sofern aber das grundsätzliche Know-how vorhan- 20 Gesundheitsbarometer Ausgabe 3 / 2012