WIRKUNGSSTUDIE SERVICE LEARNING IN SCHULEN

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Transkript:

WIRKUNGSSTUDIE SERVICE LEARNING IN SCHULEN Forschungsbericht über eine repräsentative Befragung von Schülerinnen und Schülern aus sozialgenial-schulprojekten in Nordrhein-Westfalen im Auftrag der Aktiven Bürgerschaft e.v. Karsten Speck, Oxana Ivanova-Chessex, Carmen Wulf unter Mitarbeit von Kristina Benten und Alexander Langerfeldt Oldenburg, den 26. Juni 2013

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns über Ihr Interesse an den repräsentativen Forschungsergebnissen zu Service Learning an Schulen in Deutschland. Der vorliegende Forschungsbericht dokumentiert den quantitativen Teil der Wirkungsstudie Service Learning. Die Aktive Bürgerschaft, Projektträger der Service Learning-Initiative sozialgenial Schüler engagieren sich der WGZ BANK, hat diesen Teil der Wirkungsstudie im Jahr 2011 in Auftrag gegeben, um Wissenslücken zu dem Bildungskonzept Service Learning zu schließen. Die Wirkungsstudie soll zum einen Service Learning an Schulen genauer beschreiben. Welche Schüler engagieren sich? Was sind ihre Motive und Einstellungen? Wo und wie engagieren sie sich und wie findet Service Learning den Weg in Stundenplan und Unterricht? Zum anderen war es uns ein Anliegen, die Wirkungen von Service Learning-Projekten auf die Bildungs- und Engagementbereitschaft sowie die Kompetenz- und Persönlichkeitsentwicklung von Schülern zu untersuchen, um viele angenommene und postulierte Wirkungen auf eine Faktenbasis zu stellen. Mit Prof. Dr. Karsten Speck vom Institut für Pädagogik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg haben wir einen in der quantitativen Bildungsforschung ausgewiesenen Experten dafür gewonnen. Er verfügt über langjährige und vielfältige Forschungserfahrungen zum Service Learning, zur Ganztagsschule und zur Schulsozialarbeit. Das ehrgeizige Ziel, an mehr als 40 Schulen verschiedener Schulformen in Nordrhein-Westfalen Schülerinnen und Schüler zu befragen, haben wir gemeinsam erreicht. Unser herzlicher Dank geht an Prof. Dr. Karsten Speck und seine Mitarbeiterinnen Dr. Oxana Ivanova-Chessex und Dr. Carmen Wulf sowie das gesamte Team der Arbeitsgruppe Forschungsmethoden in den Erziehungs- und Bildungswissenschaften für ihre Analysen und die konstruktive sowie stets unkomplizierte Zusammenarbeit. Der fachliche Austausch, das gemeinsame Entwickeln von Fragestellungen und nicht zuletzt das Mitdenken in der Auswertung der Daten haben uns Freude gemacht. 2

Einen praxisorientierten und kompakten Einstieg in die Komplexität des vorliegenden Forschungsberichtes bieten wir mit unserer Broschüre Wirkungsstudie Service Learning: Wie lassen sich Unterricht und Bürgerengagement verbinden?. Darin enthalten sind auch Fragestellungen und Ergebnisse des qualitativen Teils der Wirkungsstudie. Wenn Sie mehr über die Service Learning-Initiative sozialgenial Schüler engagieren sich erfahren wollen, empfehlen wir Ihnen unsere Broschüre zur Zwischenbilanz: Fünf Jahre sozialgenial. Beide Broschüren und weiterführende Informationen erhalten Sie auf unserer Internetseite www.sozialgenial.de. Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre des Forschungsberichts. Dr. Stefan Nährlich Geschäftsführer der Aktiven Bürgerschaft 3

GLIEDERUNG Einleitung... 6 KAPITEL I: WIRKUNGSSTUDIE SERVICE LEARNING IN SCHULEN: EINBETTUNG UND KONZEPTION... 8 1. Lehr- und Lernansatz Service Learning... 8 1.1. Was ist Service Learning?... 8 1.2. Service Learning in der Initiative sozialgenial Schüler engagieren sich...10 2. Forschung zu Engagement und Service Learning...11 2.1. Forschung zum außerschulischen Engagement...12 2.2. Forschung zu Service Learning...14 3. Fragestellung und Design der Untersuchung...18 3.1. Ziele und Fragestellung der Untersuchung...18 3.2. Initiative sozialgenial als Untersuchungsfeld...19 3.3. Merkmale der beteiligten Schüler/innen...20 3.4. Design und Modell der Untersuchung...23 3.5. Methodische Anmerkungen und Einschränkungen...24 KAPITEL II: SERVICE LEARNING-PROJEKTE AUS DER SICHT DER SCHÜLER/INNEN...27 1. Schwerpunkte und Typen des Engagements...27 2. Dauer und Intensität des Engagements...29 3. Verankerung des Engagements an der Schule und im Unterricht...30 4. Freiwilligkeit der Teilnahme...33 5. Mitbestimmung in sozialgenial-projekten...37 6. Schüler/innen-Projektverantwortliche-Beziehung...39 7. Allgemeine Projektzufriedenheit der Schüler/innen...42 KAPITEL III: WIRKUNGEN VON SERVICE LEARNING...44 1. Lernzuwächse aus der Sicht der Schüler/innen und Projektverantwortlichen...44 1.1. Lernzuwachs aus der Sicht der Schüler/innen...45 1.2. Lernzuwachs aus der Sicht der Projektverantwortlichen...48 2. Wirkungen im Bereich Engagement...49 2.1. Veränderungen im engagementbezogenen Wissen...49 2.2. Veränderungen in den Einstellungen zum Engagement...51 4

2.3. Veränderungen im Engagementverhalten...54 3. Wirkungen im Bereich Bildung...56 3.1. Veränderungen in den schulischen Leistungen...56 3.2. Veränderungen im selbstregulierten Lernen...57 3.3. Veränderungen in der Sicherheit über die Berufswahl...59 3.4. Veränderungen in der Selbstwirksamkeit...60 4. Wirkungen im Bereich Schulqualität...61 4.1. Veränderungen in der Schulzufriedenheit...61 4.2. Veränderungen in der Schüler/innen-Lehrer/innen-Beziehung...62 4.3. Veränderungen im Klassenklima...63 5. Einfluss der Projektqualität auf die Wirkungen...64 KAPITEL IV: ZUSAMMENFASSUNG...67 ANLAGEN...75 Anlage 1: Literaturverzeichnis...75 Anlage 2: Abbildungsverzeichnis...81 Anlage 3: Tabellenverzeichnis...82 5

Einleitung Seit einigen Jahren wird in Deutschland der Ansatz Service Learning als eine Möglichkeit zur Förderung des freiwilligen Engagements und zur Unterstützung von schulischen Lern- und Entwicklungsprozessen diskutiert. Service Learning verknüpft schulische Lerninhalte mit einer gemeinnützigen Tätigkeit im Gemeinwesen und ist insofern sowohl an die Bildungs- als auch die Engagementdebatte anschlussfähig. Nicht zuletzt aus dieser Anschlussfähigkeit gewinnen Projekte und Programme von Service Learning in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Die intensive Fachdiskussionen sowie das Engagement der Stiftungen, Ministerien und Freiwilligenagenturen haben in den letzten Jahren zu einer deutlichen Ausweitung von Service Learning-Projekten in Schulen in Deutschland beigetragen. Im schulischen Bereich werden mit Service Learning dabei Erwartungen auf verschiedenen Ebenen verbunden (vgl. bspw. Sliwka, 2002: 5f.): Erstens wird eine Förderung der Schüler/innen im kognitiven und sozialen Bereich sowie in der Persönlichkeitsentwicklung erwartet. Zweitens wird Service Learning an Schulen mit der Erwartung verknüpft, Schulentwicklungsprozesse durch die Implementierung anderer didaktischer Ansätze und den Ausbau außerschulischer Kooperationen zu initiieren. Drittens wird ein Nutzen von Service Learning-Projekten für die Gemeinde erwartet (stärkere Identifikation der Schüler/innen mit ihrem sozialen Umfeld, Förderung der Verantwortungsübernahme, Lösung konkreter infrastruktureller oder sozialer Probleme). In der Engagementdebatte und -forschung spielt das freiwillige Engagement von Jugendlichen bereits seit vielen Jahren eine bedeutende Rolle (vgl. Hoffmann-Lange, 1995; Gensicke, Picot, & Geiss, 2006; Picot, 2011; Picot & Geiss, 2007; Shell Deutschland Holding, 2010). An das freiwillige Engagement von Jugendlichen werden dabei in der Politik, aber auch der Fachdiskussion sehr hohe Wirkungs- und Integrationserwartungen geknüpft. Die Wirkungserwartungen reichen von einer Förderung der politischen Partizipation (vgl. Reinders, 2006; Prein, Sass & Züchner, 2009) über die Bestandssicherung und den Zusammenhalt der Demokratie (vgl. Schneekloth, 2010) bis hin zur Entwicklung und Gestaltung einer Bürgergesellschaft (vgl. Enquete-Komission 2002). Über die Wirkungen freiwilligen Engagements, aber auch die konkreten Wirkungen von Service Learning in Schulen liegen bis heute nur wenige belastbare Befunde in Deutschland vor. Entsprechende Forschungsaktivitäten zum Thema sind bislang eher gering ausgeprägt. Während über das außerschulische, freiwillige Engagement im Jugendalter zumindest zahlreiche Untersuchungen vorliegen (vgl. bspw. Abs, 2001; Brandes, 2000; Braun, 2011; Calmbach, Thomas, Borchard & Flaig, 2012; Gille, Sardei-Biermann, Gaiser & de Rijke, 2006; Hofer, 1999; Jütting, 2003; Picot, 2011; Picot & Geiss, 2007; Reinders, 2006, 2009; 6

Shell Deutschland Holding, 2010), steht die Erforschung von Service Learning in Schulen erst am Anfang (vgl. Frey, o.j.; Sliwka, 2002; Speck, Backhaus-Maul & Reichenau, 2007). An diesem Forschungsdesiderat setzt die an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg angesiedelte Wirkungsstudie Service Learning an. Die Wirkungsstudie Service Learning hatte zwei Ziele: Mit der Wirkungsstudie sollen zum einen Veränderungen in den engagementbezogenen Einstellungen, Kompetenzen und Wissensbeständen von Schüler/innen aufgrund der Teilnahme an Service Learning-Projekten untersucht werden. Zum anderen sollen die Sichtweisen und Urteile der Schüler/innen und Projektverantwortlichen in den Schulen zu Service Learning-Projekten ermittelt werden. Diesen Zielen wurde im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung der Service Learning-Initiative der WGZ Bank und der Aktiven Bürgerschaft sozialgenial Schüler engagieren sich in Nordrhein-Westfalen nachgegangen. Grundlage der Ergebnisdarstellung ist eine standardisierte Befragung von sozialgenial-schüler/innen mit Messwiederholung und Kontrollgruppenvergleich sowie eine standardisierte Befragung von sozialgenial- Projektverantwortlichen in den Schulen. Der vorliegende Bericht stellt ausgewählte, zentrale Befunde der Wirkungsstudie vor. Er ist folgendermaßen aufgebaut: Im ersten Kapitel wird zunächst auf das Lehr- und Lernkonzept Service Learning, den Stand der Forschung zum Thema Service Learning und das methodische Design der Wirkungsstudie eingegangen. Im zweiten Kapitel werden erste Ergebnisse der Analyse zu den sozialgenial-projekten aus Sicht der Schüler/innen beschrieben. Das dritte Kapitel widmet sich schwerpunktmäßig ausgewählten Wirkungsbefunden von Service Learning. Abschließend erfolgt im fünften Kapitel eine Zusammenfassung und Einordnung der Befunde. Wir möchten uns an dieser Stelle bei den zahlreichen Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften und Projektverantwortlichen in den Schulen in Nordrhein-Westfalen für ihre aktive Mitwirkung bei den Befragungen bedanken. Ohne ihre Unterstützung hätten die Untersuchungen nicht stattfinden und dieser Bericht nicht erstellt werden können. Ein besonderer Dank gilt darüber hinaus der Aktiven Bürgerschaft für die finanzielle Förderung der Untersuchung sowie den Mitarbeiterinnen des Projektbüros der Aktiven Bürgerschaft in Münster für die Unterstützung der Befragungen in den Schulen. Oldenburg, den 20.06.2013 Karsten Speck, Oxana Ivanova-Chessex, Carmen Wulf 7

KAPITEL I: WIRKUNGSSTUDIE SERVICE LEARNING IN SCHULEN: EINBETTUNG UND KONZEPTION Im Folgenden soll die Konzeption der Wirkungsstudie Service Learning erläutert werden sowie die Einbettung in den bisherigen Stand der Forschung vorgenommen werden. Hierfür ist von besonderer Bedeutung, wie der Begriff Service Learning definiert wird (Teil 1), an welche Befunde bisheriger Forschung die vorliegende Studie anknüpft (Teil 2) und wie in der Studie methodisch vorgegangen wird (Teil 3). 1. Lehr- und Lernansatz Service Learning Nachfolgend wird eine Begriffsklärung zu Service Learning vorgenommen, auf die sich die Wirkungsstudie stützt. Dabei werden zwei Zugänge gewählt: Zum einen wird auf die begriffliche Auseinandersetzung und die Standards einer guten Service Learning-Praxis in der US-amerikanischen Fachdebatte zurückgegriffen (vgl. 1.1). Zum anderen wird auf den Service Learning-Begriff und die Standards der Initiative sozialgenial Schüler engagieren sich eingegangen (vgl. 1.2). 1.1. Was ist Service Learning? Service Learning ist ein vergleichsweise neues Phänomen an deutschen Schulen. Bei der Planung und Umsetzung von Service Learning-Projekten und Programmen sowie bei der Entwicklung von Forschungsdesigns wird sich häufig auf die Erfahrungen und Befunde aus den USA gestützt, wo Service Learning maßgeblich entwickelt wurde und seit nun mehr als zwanzig Jahren staatlich gefördert wird (vgl. bspw. Adloff, 2001: 8). Was wird unter dem Service Learning verstanden? Eine häufig zitierte Definition liefern Bringle und Hatcher, die Service Learning als a course-based, credit-bearing educational experience in which students (a) participate in an organized service activity that meets identified community needs, and (b) reflect on the service activity in such a way as to gain further understanding of course content, a broader appreciation of the discipline, and an enhanced sense of personal values and civic responsibility (2009: 38). Folgende Merkmale von Service Learning lassen sich aus dieser Definition entnehmen: Erstens handelt es sich bei Service Learning um eine Bildungserfahrung, die curricular über die Integration in einen Unterrichtskurs sowie eine Leistungsbewertung verankert ist. Zweitens muss diese Bildungserfahrung mit einer Teilnahme an einer organisierten Engagementaktivität einhergehen, die zudem einige Bedingungen erfüllt: Eine Service Learning-Aktivität muss sich an den Bedürfnissen des Umfeldes orientieren und von der Schule bzw. Hochschule 8

gemeinsam mit außerschulischen Partnern konzipiert werden. Die Aktivität soll sowohl für den außerschulischen Partner als auch für die Beteiligten der Schule oder Hochschule sinnvoll sein. Und drittens muss diese Bildungserfahrung mit einer Reflexion der Engagementaktivitäten verbunden werden, die eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Inhalten des Unterrichtskurses und eigenen Wertvorstellungen ermöglicht sowie das bürgerschaftliche Verantwortungsbewusstsein fördert. Service Learning unterscheidet sich bei genauerer Betrachtung von anderen Aktivitäten, bei denen das freiwilliges Engagement oder Praktika im Vordergrund stehen. So ist Service Learning durch seine curriculare Verankerung, die Strukturierung und die Formulierung von Lernzielen von anderen Formen des freiwilligen Engagements abzugrenzen (z.b. vom Community Service oder einem projektbezogenen Engagement ohne Anbindung an einen Kurs oder den Unterricht) (vgl. Skinner & Chapman, 1999). Eine Abgrenzung von Service Learning gegenüber klassischen Praktika lässt sich anhand der Bedarfsorientierung, der Einbeziehung der Lernprozesse im bürgerschaftlichen Spektrum vornehmen. Diese Abgrenzung von Service Learning gegenüber anderen Zugängen und Ansätzen ist jedoch nicht immer einfach, nicht zuletzt weil auch innerhalb der Angebote, die sich als Service Learning beschreiben eine große Variabilität vorzufinden ist. So stellt beispielweise Sigmon (1996, in: Eyler & Giles, 1999) verschiedene Modelle dar, welche den Service oder das Learning unterschiedlich gewichten. In Abhängigkeit davon, ob entweder die Lernziele oder aber die Serviceziele als prioritär angesehen werden, findet eine Gewichtung auf Learning oder Service statt. Insbesondere dort, wo eine Balance zwischen den Lern- und Servicezielen erreicht wird, kann vom Service Learning im eigentlichen Sinne gesprochen werden. In der Fachdebatte werden neben diesen Merkmalen von Service Learning auch Qualitätsstandards intensiv diskutiert, denn auch wenn sich Service Learning-Projekte merkmalsspezifisch beschreiben lassen, reichen diese Merkmale nicht aus, um große Wirkungspotenziale zu entfalten. Die US-amerikanische Wirkungsdebatte zum Thema Service Learning wurde vor allem durch die Veröffentlichung von Schlüsselelementen von Service Learning (Essential Elements of Service Learning) angestoßen (vgl. National Service Learning Cooperative, 1999). Die Handreichung der National Service Learning Cooperative beschrieb elf Schlüsselelemente von Service Learning, welche aus der Sicht der Verfasser zu einem effektiven Service Learning beitragen sollten. Es handelte sich somit weniger um den Versuch, Merkmale von Service Learning zu benennen, sondern viel mehr um den Versuch, die Praxis durch die Festlegung von Schlüsselelementen im Sinne von Mindeststandards zu optimieren. Die Schlüsselelemente umfassten unter anderem Forderungen zur Einbindung der akademischen Inhalte, Konzepte und Fähigkeiten, zur 9

klaren Zielsetzung und Bedarfsorientierung der Engagementaktivitäten sowie zur Anerkennung und Wertschätzung der Aktivitäten der Lernenden. Diese Gedanken wurden in die K-12 Service-Learning Standards for Quality Practice integriert, die vom National Youth Leadership Council 2008 publiziert wurden. Bei der Entwicklung der K-12 Service-Learning Standards wurden vor allem jene Schlüsselelemente berücksichtigt, bei denen empirische Belege vorlagen, dass sie die Wirkung von Service Learning-Projekten maßgeblich beeinflussen. Zu den Standards für eine gute Praxis von Service Learning gehören: ein für das Umfeld und für Schüler/innen sinnvolles Engagement (Meaningful Service), die curriculare Einbindung des Engagements in den Unterricht (Link to Curriculum), die Reflexion (Reflection), die Förderung des verstehenden und respektvollen Umgangs mit Diversität (Diversity), die Einbeziehung der Schüler/innen und die Berücksichtigung ihrer Interessen (Youth Voice), das Eingehen von Partnerschaften, die gegenseitig gewinnbringend sind (Partnerships), die Evaluation (Progress Monitoring) und eine ausreichende Dauer und Intensität der Service Learning-Angebote (Duration and Intensity) (vgl. National Youth Leadership Council, 2008). Die Standards erweitern die Definition von Bringle und Hatcher (2009) um Merkmale, die Service Learning nicht nur von anderen Lernansätzen und der Engagementförderung unterscheiden, sondern auch intendieren, dass Service Learning eine Wirkung erzielen soll. 1.2. Service Learning in der Initiative sozialgenial Schüler engagieren sich Die vorliegende Wirkungsstudie wurde im Rahmen der Initiative sozialgenial Schüler engagieren sich durchgeführt. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, den zugrundeliegenden Service Learning-Begriff und die Standards dieser Initiative angemessen zu berücksichtigen. Service Learning wird in der Initiative sozialgenial als ein Bildungsansatz verstanden, der Unterrichtsinhalte mit dem bürgerschaftlichen Engagement verbindet (vgl. Zängerling, 2011a: 69), bedarfs- und projektorientiert ist und das Ziel verfolgt, zur Lösung von gesellschaftlichen Herausforderungen beizutragen (ebd.: 71). Aus dieser Definition gehen vier Merkmale von Service Learning hervor: 1. die Verbindung des Engagements mit dem Unterricht, 2. die Bedarfsorientierung, 3. der Projektansatz und 4. die Gemeinwohlorientierung. Aus den Veröffentlichungen der Initiative sozialgenial lässt sich eine Gewichtung dieser Merkmale erkennen (vgl. Schröten & Zängerling, 2011). Aus Sicht 10

der Initiative sozialgenial kann vor allem die Verbindung des Engagements mit dem Unterricht als ein zentrales Merkmal für Service Learning-Projekte rekonstruiert werden. Für die besondere Bedeutung dieses Merkmals spricht auch, dass es in die formulierten Service- Learning Standards der Initiative sozialgenial integriert wurde. Die Initiative sozialgenial hat vier Standards für ihre Service Learning-Projekt formuliert, und zwar: 1. die Ideensuche und Recherche, 2. die Umsetzung und Verknüpfung mit Unterrichtsinhalten, 3. die Reflexion und Evaluation sowie 4. die Anerkennung und Wertschätzung (vgl. Schröten & Zängerling, 2011). Die Qualitätsstandards der Initiative bieten eine wichtige Orientierung für die Ausgestaltung von Service Learning-Projekten und die vorliegende Wirkungsstudie. Vergleicht man das Verständnis und die Standards der Initiative sozialgenial mit der Definition von Bringle und Hatcher (2009) und den K-12 Service-Learning Standards for Quality Practice, so fallen zahlreiche Gemeinsamkeiten und einige Unterschiede auf. Die Gemeinsamkeiten lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Der sozialgenial-standard Ideensuche und Recherche ist mit dem youth voice vergleichbar; die Umsetzung und Verknüpfung mit den Unterrichtsinhalten entspricht dem link to curriculum; die Reflexion und Evaluation stellt eine Zusammenführung der reflection und des progress monitoring dar. Ein Unterschied bezieht sich zunächst auf die Anzahl der Standards. Es fällt auf, dass den vier Standards der Initiative sozialgenial acht US-amerikanische Standards mit weiteren Ausführungen gegenüber stehen. Darüber hinaus gibt es inhaltliche Unterschiede: der Standard Anerkennung und Wertschätzung bei sozialgenial hat kein Äquivalent in USamerikanischen K-12-Standards (der Standard wird lediglich in der Fassung von 1999 als Schlüsselelement benannt). Die US-amerikanischen K-12-Standards wiederum gehen mit meaningful service, diversity, partnerships sowie duration und intensity deutlich über die Standards der Initiative sozialgenial hinaus. 2. Forschung zu Engagement und Service Learning Nachfolgend wird ein kurzer Überblick über den Forschungsstand zu den Wirkungen von Service Learning an Schulen und Hochschulen gegeben. Hierzu wird zunächst kurz auf den Forschungsstand zum freiwilligen Engagement von Jugendlichen außerhalb von Schulen und Hochschulen in Deutschland eingegangen (2.1). Danach werden zentrale Forschungsergebnisse zu Service Learning an Schulen und Hochschulen unter Berücksichtigung nationaler und internationaler Studien dargestellt (2.2). Abschließend erfolgt ein kurzes Fazit (2.2). 11

2.1. Forschung zum außerschulischen Engagement Zum freiwilligen Engagement Jugendlicher außerhalb von Schulen und Hochschulen liegen seit längerem umfangreiche Studien in Deutschland vor (vgl. Beher, Liebig & Rauschenbach, 2000), wobei in den letzten zehn Jahren nochmals ein deutlicher Aufschwung der Forschung zum Jugendengagement zu konstatieren ist. Die empirischen Aussagen über das freiwillige Engagement im Jugendalter in Deutschland stützen sich in erster Linie auf die Befunde a) des repräsentativen Freiwilligensurveys (vgl. Gensicke, 2005; Gensicke & Geiss, 2010; Gensicke, Picot & Geiss, 2006; Picot, 2011; Picot & Geiss, 2007; von Rosenbladt, 2001), b) der Shell-Jugendstudien (vgl. bspw. Shell Deutschland Holding, 2010), c) des Jugendsurveys (vgl. Gille, 2000, 2008; Gille et al., 2006; Hoffmann-Lange, 1995), d) vereinzelter Milieustudien (vgl. Calmbach et al., 2012; Wippermann & Calmbach, 2008) sowie e) ausgewählter Forschungsprojekte und Dissertationen (vgl. Abs, 2001; Düx, Prein, Sass & Tully, 2009; Hofer, 1999; Hübner, 2010; Prein, Sass & Züchner, 2009; Reinders, 2005, 2006, 2009; Reinders & Youniss, 2005). Die übergreifenden Studien zum freiwilligen Engagement von Jugendlichen sind durch spezifische Untersuchungen und Analysen zum politischen Jugendengagement (vgl. bspw. Helsper et al., 2006; Oesterreich, 2002), zum sportlichen Jugendengagement (vgl. Braun, 2011) und zum Jugendengagement in den verschiedenen Freiwilligendiensten (vgl. Brandes, 2000; Budesministerium für Familie, o.j.; Jütting, 2003; Roth & Lang, 2007) erweitert worden. Im Mittelpunkt der Forschung stehen in erster Linie das längerfristige, an eine Organisation gebundene, freiwillige Engagement und das politische Engagement von Jugendlichen. Das flexible und punktuelle sowie das nichtorganisierte Engagement von Jugendlichen wird hingegen eher selten untersucht. Welche Befunde liefern die vorliegenden Studien nun zum Umfang, den Themenbereichen und den Einflussfaktoren des freiwilligen Engagements? Aus den repräsentativen Untersuchungen geht zunächst hervor, dass sich etwa ein Drittel der 14- bis 19-Jährigen in Deutschland freiwillig engagiert (vgl. Picot, 2011: 6). Der Anteil der Engagierten bewegt sich seit 1999 etwa auf dem gleichen, allenfalls geringfügig abnehmendem, Niveau (vgl. Picot, 2011: 8,14; Schneekloth, 2010: 153). Engagiert sind vor allem Jugendliche mit einem höheren Bildungsstatus (vgl. Calmbach et al., 2012: 83; Düx et al., 2009: 270; Gaiser & de Rijke, 2006: 226f.; Picot, 2011: 16; Schneekloth, 2010: 154). Der Anteil von engagierten Jugendlichen mit Migrationshintergrund, insbesondere in der ersten Generation, ist etwas niedriger als bei den in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Jugendlichen (vgl. Gaiser & de Rijke, 2006; Picot, 2011: 22). Traditionell engagieren sich junge Leute eher in den Bereichen, die ihrer Lebenswelt nahe stehen. Hierzu gehören die Themenbereiche Sport und Bewegung, Freizeit und Geselligkeit sowie Schule und Kindergarten (vgl. Gaiser & de Rijke, 2006: 215f.; Picot, 2011: 11; Schneekloth, 2010: 153). Grundsätzlich wird für das 12

Engagement im sozialen Bereich mehr Interesse gezeigt als für das Engagement im politischen Bereich (vgl. Calmbach et al., 2012: 83; Picot, 2011: 11; Schneekloth, 2010: 153). Hinsichtlich geschlechtsspezifischer Präferenzen ist bekannt, dass sich weibliche Jugendliche häufiger als ihre männlichen Gleichaltrigen in den Bereichen Ökologie und Hilfe für bedürftige Gruppen engagieren. Männliche Jugendliche hingegen zeigen mehr Interesse für soziale und politische Veränderungen in Deutschland sowie für die Pflege deutscher Kultur und Tradition und sind häufiger bei Vereinen, Verbänden und Organisationen engagiert (Gaiser & de Rijke, 2006: 217, 224f.). Die so genannten Neuen Sozialen Bewegungen (z.b. Menschenrechtsgruppen, Tierschutzinitiativen, Globalisierungskritiker) treffen zwar auf eine hohe Sympathie der Jugendlichen, jedoch sind nur wenige Jugendliche in diesen Gruppierungen wirklich aktiv (ebd.: 234f.). Sowohl für das politische als auch für das soziale Engagement gilt, dass sich ein hoher Anteil von Jugendlichen vom organisierten Engagement distanziert (z.b. Partei- oder Vereinsmitgliedschaft) und ohne Anbindung an eine konkrete Institution gesellschaftlich aktiv wird (vgl. Böhm-Kasper, 2006: 54; Gaiser & de Rijke, 2006: 224; Oesterreich, 2002: 71f.; Schneekloth, 2010: 156). Für die Förderung des freiwilligen Engagements von Jugendlichen ist vor allem die Berücksichtigung ihrer Engagementmotive von Bedeutung. In der Forschung lassen sich diesbezüglich drei Motivbündel unterscheiden. Erstens sind das inhaltliche Interesse und der spätere (berufliche) Nutzen wichtige Motive, die ein Engagement im Jugendalter initiieren (Interessenorientierung). Zweitens scheinen sich junge Menschen vor allem dann zu engagieren, wenn sie für ihr Umfeld etwas Gutes tun können (Gemeinwohlorientierung). Drittens wird sich dann freiwillig engagiert, wenn die Jugendlichen Spaß an der Interaktion mit anderen haben (Geselligkeitsorientierung) (vgl. Düx et al., 2009: 40; Picot, 2011: 26ff.). Die Beweggründe verknüpfen somit traditionell pflicht- und normgeleitete Motive mit individualistischen, nutzenorientierten Motiven, was auf eine Koexistenz verschieden motivierter Engagementformen hindeutet (vgl. zum Strukturwandel des Ehrenamtes Beher et al., 2000). Welche Befunde liegen nun zu den Wirkungen des freiwilligen Engagements vor? In Studien von Reinders (2005, 2006, 2009; Reinders & Youniss, 2006) wird ein Zusammenhang zwischen dem freiwilligen Engagement und der politischen Partizipations- und Engagementbereitschaft nachgewiesen. Ein freiwilliges Engagement fördert demnach die politische Partizipations- und Engagementbereitschaft (vgl. hierzu auch Prein et al., 2009). Das empirisch erarbeitete Modell macht allerdings darauf aufmerksam, dass nicht das Engagement per se, sondern die Erfahrung der Selbstwirksamkeit, die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Weltsichten während der gemeinnützigen Tätigkeit sowie die im Prozess des Engagements entwickelte Prosozialität die spätere Bereitschaft zum politischen 13

und sozialen Engagement bedingen (vgl. Reinders, 2006). Aus qualitativen Untersuchungen deutet sich des Weiteren an, dass das Wissen von Jugendlichen über das Engagement und Engagementmöglichkeiten eher gering ist und vom Bildungsstatus beeinflusst wird (Calmbach et al., 2012: 83). Standardisierte Untersuchungen mit belastbaren Befunden zum Wissens- und Kompetenzerwerb im Rahmen der gemeinnützigen Tätigkeit fehlen jedoch bisher. Einige Anhaltspunkte für künftige systematische Untersuchungen des Lernens durch das Engagement liefert eine Untersuchung zu informellen Lernprozessen beim freiwilligen Engagement, in der qualitative Interviews mit einer retrospektiven Befragung von Erwachsenen, die ihrer Jugend engagiert oder nicht engagiert waren, kombiniert wurden (Düx et al., 2009). Aus den Aussagen der Befragten lassen sich einige Wirkungen identifizieren, die durch das freiwillige Engagement ermöglicht werden können. Hervorgehoben wurden als Wirkungen unter anderem die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und der sozialen Kompetenzen. Das freiwillige Engagement wird letztlich als ein wichtiger Lernort für die Stärkung der Organisations- und Leitungskompetenz sowie die Entwicklung demokratischer Einstellungen und Fähigkeiten erachtet. Aus der Sicht der Befragten ermöglicht das Engagement zudem die Erfahrung gesellschaftlicher Nützlichkeit und scheint das Reflexionsvermögen und die Handlungswirksamkeit zu fördern (ebd.: 262ff.). 2.2. Forschung zu Service Learning Im Gegensatz zum Feld des freiwilligen Engagements, das in Deutschland vergleichsweise gut beforscht ist, stammen die zentralen Erkenntnisse zu den Wirkungen von Service Learning bislang hauptsächlich aus dem US-amerikanischen Raum (vgl. bspw. Caswell et al., 2011; Eyler, Giles, Stenson & Gray, 2001; Furco, 2004; Sliwka, 2004b). Im Folgenden wird daher zunächst auf die US-amerikanische Forschung und danach auf die Forschung in Deutschland eingegangen. Für die Schüler/innen wurden im US-amerikanischen Raum weitgehend positive Wirkungen von Service Learning auf die Entwicklung sozialer Kompetenzen, die Persönlichkeitsentwicklung sowie die Verbesserung der Lernmotivation und der allgemeinen Schulzufriedenheit nachgewiesen (vgl. Billig, 2000, 2009; Billig, Root & Jesse, 2005; Furco, 2004, 2006; Melchior & Bailis, 2002; RMC Research Corporation, 2007). Einige Untersuchungen belegen darüber hinaus positive Veränderungen in bürgerschaftlichen Einstellungen, Kompetenzen und Wissensbeständen (vgl. Melchior & Bailis, 2002; Northup, 2010; Pritzker & McBride, 2006; Youniss & Yates, 1997). Legt man diese Untersuchungen zugrunde, dann fördert Service Learning die soziale Selbstwirksamkeit, das Wissen über und die Sensibilität für soziale Probleme sowie die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und sich mit diesen Problemen zu beschäftigen (vgl. Billig & Welch, 2004b). Zu den 14

Wirkungen von Service Learning auf schulische Leistungen (z.b. Schulnoten) liegen widersprüchliche Befunde vor (vgl. Davila & Mora, 2007; Scales, Blyth, Berkas & Kielsmeier, 2000; Scales, Roehlkepartain, Neal, Lielsmeier & Benson, 2006). Die US-amerikanische Forschung im Hochschulbereich liefert deutlich mehr Befunde zu den Wirkungen von Service Learning bei Studierenden (vgl. Furco, 2009), ohne jedoch eine klare Befundlage zu ermöglichen. Relativ übereinstimmend wird in den Studien berichtet, dass Service Learning zur Förderung des prosozialen Verhaltens, der sozialen Kompetenzen sowie der Persönlichkeitsentwicklung beiträgt (vgl. bspw. Eyler & Giles, 1999; Vogelsang & Astin, 2000). Vor allem zu den Wirkungen von Service Learning auf die akademischen Leistungen sowie die bürgerschaftlichen Einstellungen und Fähigkeiten gehen die Befunde jedoch auseinander. Während einige Studien beispielsweise eine Förderung des Verantwortungsbewusstseins und der Engagementbereitschaft bei Studierenden belegen (vgl. Dorfman, Murty, Ingram, Evans & Power, 2004; Eyler & Giles, 1999), konnte dies in anderen Studien nicht bestätigt werden (vgl. Bernacki & Bernt, 2007; Furco, 2006; Reinke, 2003; Steinke, Fitch, Johnson & Waldstein, 2002). Eine ähnliche Situation zeigt sich auch bei der Förderung des Fachwissens durch Service Learning (vgl. Furco, 2009; Knee, 2002; Toews & Cerny, 2005). Eine mögliche Erklärung für die divergierenden Befunde könnte darin bestehen, dass sich positive Wirkungen von Service Learning nicht per se ergeben, sondern erst bei der Einhaltung bestimmter Qualitätsstandards möglich sind (vgl. bspw. Billig, 2009). Beispielsweise könnte eine angemessene Dauer und Intensität von Service Learning, die Einbindung des Engagements in das Curriculum, die Kooperation mit Organisationen im Umfeld, die Durchführung von relevanten, bedarfsbezogenen Service-Angeboten, die direkte Beteiligung und Verantwortungsübernahme der jungen Menschen, die Beachtung der Diversität der Studierenden, die Reflexion der Aktivitäten und die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle in der Gesellschaft sowie die regelmäßige Zielüberprüfung die positiven Wirkungen moderieren. Die Datenlage zu den Wirkungen von Service Learning an Schulen in Deutschland ist demgegenüber eher rar. Veröffentlichungen liegen fast ausschließlich als Praxisberichte und Handreichungen für Service Learning-Projekte vor (vgl. Boeser, 2011; Eikenbusch, 2011; Engels & Kolasinski, 2011; Erben, 2010; Heckel, 2008; Hesse, 2004; Nagy & Zentner, 2011; Rosenbaum, 2011; Schröten & Grieger, 2010; Seifert & Zentner, 2010; Strehler, 2011; Veith, 2009; Zängerling, 2011a). Vereinzelte empirische Befunde stammen aus Evaluationsstudien, welche sich mit der Implementierung und den Wirkungen konkreter Projekte und Programme beschäftigen (vgl. Frey, o.j.; Sliwka, 2002, 2004a; Speck et al., 2007). 15

Sliwka (2002) begleitete in ihrer Evaluation des Pilotversuchs der Freudenberg Stiftung die Umsetzung von Service Learning-Projekten an zehn Schulen in Deutschland. Über eine schriftliche Befragung sowie in Fokusgruppen wurden die Erfahrungen und Urteile über die Projekte aus der Sicht der Schüler/innen, der Lehrkräfte sowie der Partner/innen im Gemeinwesen erfasst (ebd.: 8). Die Befunde deuten darauf hin, dass durch Service Learning die Lernmotivation, die Problemlösungsfähigkeit, die Mitbestimmung sowie die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme der Schüler/innen gefördert werden können (ebd.: 10). Die befragten Lehrkräfte berichteten, dass insbesondere jene Schüler/innen vom Angebot profitieren können, die in der Schule eher negativ auffallen (ebd.: 11). Beobachtet wurden des Weiteren ein verstärkter Zusammenhalt in der Klassengemeinschaft sowie ein gestiegenes Elternengagement (ebd.: 10f.). Die Lehrkräfte berichteten von ihrer veränderten Rolle, die sich über ihre Funktion als Ansprechpartner/innen in Projektfragen definiert, und gaben an, dass die Projektarbeit ihr fachliches Spektrum erweitere, bemängelten jedoch zugleich die fehlende Anerkennung ihres Engagements (ebd.: 12f.). Als besondere Herausforderungen wurden die außerschulische Vernetzung von Schulen sowie die Partnerschaft zwischen der Schule und den Organisationen im Gemeinwesen, die auf beiden Seiten gewinnbringend ist, hervorgehoben. Schwierigkeiten ergeben sich offenbar auch bei der stundenplantechnische[n] und curriculare[n] Verankerung (ebd.: 13) von Service Learning an Schulen in Deutschland. Speck, Backhaus-Maul und Reichenau (2007) führten eine Evaluation des Programms Service Learning Schule gestaltet Gemeinwesen im Land Sachsen-Anhalt durch. Im Fokus der Untersuchung standen die Erfahrungen mit und die Beurteilung des Programms durch die Akteure, die Kooperation zwischen den Akteuren, die Öffnung der Schulen sowie förderliche und hinderliche Faktoren für die Programmqualität (ebd.: 3). Diese Fragestellung wurde hauptsächlich mit qualitativen Verfahren bearbeitet. Im Mittelpunkt der Datenerhebung standen Fallstudien an fünf Schulen, die fünf Gruppendiskussionen mit Schüler/innen und neun Interviews mit Schulleiter/innen und Lehrer/innen beinhalteten. Die Sichtweisen der Schulleiter/innen, Lehrer/innen und Schüler/innen wurden den Aussagen der verantwortlichen Programminitiator/innen zur Konzeption und zu den Zielvorstellungen des Programms gegenüber gestellt. Ergänzend wurde eine standardisierte Befragung der Lehrkräfte durchgeführt (ebd.: 14). Im Ergebnis wird Service Learning als ein klarer Gewinn für die Schulen (ebd.: 100) bezeichnet. Laut Aussagen der Lehrkräfte gelingt es in den untersuchten Schulen, das Engagement und die sozialen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen zu fördern sowie zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung beizutragen. Als weitere Gewinne werden die Erweiterung der Handlungsspielräume der Lehrer/innen sowie die positiven Effekte für die öffentliche Präsenz der Schule aufgeführt (ebd.: 101f.). Hinsichtlich der Öffnung von Schulen liefert die Evaluation Belege dafür, dass Service Learning-Projekte 16

eine engere Verknüpfung zwischen Schulen und Gemeinwesen anregen und von außerschulischen Akteuren begrüßt werden (ebd.: 104f.). Neben den offensichtlich positiven Wirkungen von Service Learning wird in dem Forschungsbericht auf die zusätzliche Belastung der Lehrkräfte sowie die fehlende institutionalisierte Anerkennungskultur hingewiesen (ebd.: 101). Als herausfordernd und problematisch wird die curriculare Verankerung der Service Learning-Projekte beschrieben (Speck et al., 2007: 102, 107; vgl. auch Sliwka, 2002: 13). Als begünstigende Implementationsbedingungen werden das Einrichten des Ganztagsbetriebs, eine dialogische Schulkultur, ein besonderes Engagement im Lehrerkollegium sowie die explizite Anerkennung der Service Learning-Aktivitäten in der Öffentlichkeit beschrieben (ebd.: 106, 109). Eine positive Wirkung attestierte auch die Evaluation des Zentrums für Nonprofit- Management ggmbh dem Service Learning-Programm Verantwortung lernen (vgl. Frey, o.j.: 2). In der Untersuchung wurden die Lern- und Nutzeffekte des Projekts (ebd.: 6) für die beteiligten Schüler/innen analysiert. Hierfür wurden Schüler/innen mit einem standardisierten Fragebogen befragt. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Lerneffekte, so wie sie von Schüler/innen selbst angegeben wurden, vorrangig in folgenden Bereichen eintreten: Umgang und Respekt vor Menschen, die anders sind, Stärkung der sozialen Kompetenzen, Unterstützung bei der Berufsorientierung sowie Persönlichkeitsentwicklung (ebd.: 23). Zusammenfassend betrachtet liegen aus Deutschland erste Untersuchungen zum Thema Service Learning vor; die Forschung zum freiwilligen Engagement von Jugendlichen im Rahmen von Service Learning steht in Deutschland jedoch erst am Anfang. Die Annahmen über die möglichen Wirkungen dieses Lehr-Lern-Ansatzes stützen sich hauptsächlich auf die Befunde der US-amerikanischen Forschung. Hinsichtlich der Wirkungen von Service Learning auf die Schüler/innen sowie die Studierenden zeigen sich dort vor allem im Bereich der sozialen Kompetenzen und der Persönlichkeitsentwicklung positive Befunde. Zu den Wirkungen im bürgerschaftlichen Bereich sowie im Bereich akademischer Leistungen fallen die Befunde hingegen widersprüchlich aus. In Deutschland werden neben den erwähnten Gewinnen auch die Grenzen der Implementierung von Service Learning thematisiert. Vor allem die curriculare Verankerung der Engagementförderung sowie die Vernetzung der Schulen mit dem Gemeinwesen erweist sich offenbar als herausfordernd. Zudem behindert die oft fehlende Anerkennung die Umsetzung der Projekte und die Motivation zur Ausweitung der Service Learning-Angebote. Insgesamt muss der Forschungsstand zu den Potenzialen und Grenzen von Service Learning in Deutschland als defizitär betrachtet werden. Die Untersuchungen in Deutschland weisen zudem deutliche methodische Grenzen auf. In der Regel werden lediglich einmalige Befragungen bei Schüler/innen und Akteur/innen durchgeführt und Selbsteinschätzungen als 17

Bewertungsgrundlage genutzt. Eine belastbare Analyse in Form einer Vorher-Nachher- Messung mit einem Kontrollgruppenansatz steht noch aus. In Deutschland bisher nicht bearbeitet ist darüber hinaus die Frage der Abhängigkeit der Wirkungen von Service Learning von der Projektqualität. Auch hier lässt sich ein Forschungsbedarf konstatieren, welches die Wirkungsstudie minimieren soll. 3. Fragestellung und Design der Untersuchung Der vorliegende Bericht stützt sich auf eine schriftliche Befragung von Schüler/innen und Projektverantwortlichen von Projektschulen der Service Learning-Initiative sozialgenial Schüler engagieren sich sowie einen Vergleich mit einer Kontrollgruppe von Schüler/innen. Nachfolgend wird auf die Ziele und Fragestellung der Untersuchung (3.1), eine kurze Beschreibung der Initiative sozialgenial Schüler engagieren sich (3.2) sowie die Merkmale der untersuchten Schüler/innen (3.3) und das Design der Untersuchung (3.4) eingegangen. Abschließend werden methodische Besonderheiten und Einschränkungen der Studie skizziert (3.5). 3.1. Ziele und Fragestellung der Untersuchung Die Wirkungsstudie Service Learning hatte zwei Ziele: Mit der Wirkungsstudie sollten zum einen Veränderungen in den engagementbezogenen Einstellungen, Kompetenzen und Wissensbestände von Schüler/innen im Zuge der Service Learning-Projekte der Initiative sozialgenial Schüler engagieren sich untersucht werden. Zum anderen sollten die Sichtweisen und Urteile der Schüler/innen und Projektverantwortlichen in den Schulen zu den Service Learning-Projekten ermittelt werden. Darauf aufbauend sollten Gesamteinschätzungen und Schlussfolgerungen für die Weiterentwicklung der Initiative sowie die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements von Schüler/innen in Form von Service Learning-Angeboten formuliert werden. Im Mittelpunkt der Untersuchung standen dabei zwei Forschungsfragen: 1. Wie beurteilen Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer (sowie andere Projektverantwortliche) die Service Learning-Projekte? 2. Welchen Kompetenz- und Erkenntnisgewinn erzielen Schülerinnen und Schüler aus den Service Learning-Projekten? Die erste Forschungsfrage zielte darauf ab, die Einschätzungen zu Service Learning- Projekten im Rahmen der Initiative sozialgenial aus der Perspektive der Schüler/innen und Projektverantwortlichen zu erfassen. Unter Projektverantwortlichen wurden diejenigen 18

Lehrer/innen, Schulsozialarbeiter/innen und pädagogische Mitarbeiter/innen verstanden, die im Land Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Initiative sozialgenial Service Learning- Projekte initiiert und begleitet haben. Im Fokus des vorliegenden Forschungsberichtes sind allerdings lediglich die Einschätzungen der Schüler/innen. Die Urteile der Projektverantwortlichen werden in anderen Veröffentlichungen vorgestellt. Hinsichtlich der zweiten Forschungsfrage waren für die Aktive Bürgerschaft insbesondere die Wirkungen im Bereich der Bildung (z.b. Lernstrategien und schulische Leistungen), im Bereich des Engagements (z.b. Engagementbereitschaft, Einstellungen zum Engagement, Kooperativität und prosoziales Verhalten), im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung (z.b. Selbstwirksamkeit) sowie im Bereich der Schulqualität (z.b. Schulzufriedenheit, Klassenklima, Schüler/innen-Lehrer/innen-Beziehung) von Interesse. 3.2. Initiative sozialgenial als Untersuchungsfeld Die Initiative sozialgenial Schüler engagieren sich versteht sich als ein Service Learning- Programm der WGZ BANK in Trägerschaft der Aktiven Bürgerschaft und wird vom Land Nordrhein-Westfalen unterstützt. Die Initiative ist darauf ausgerichtet, teilnehmende Schulen und Unterstützer von Service Learning zu gewinnen und schulische Service Learning- Projekte anzustoßen. Die Umsetzung der Projekte wird dabei fachlich begleitet. Die Ziele der Initiative bestehen darin, die sozialen und kognitiven Kompetenzen der Schüler/innen zu stärken, ihr Engagement zu fördern sowie Prozesse der Schulentwicklung anzustoßen. Das Angebot der Initiative richtet sich an Schulen in Nordrhein-Westfalen. Laut den Angaben der Aktiven Bürgerschaft waren 2011 insgesamt 200 Schulen mit 7.205 Schülerinnen und Schüler an der Initiative beteiligt (Zängerling, 2011b: 169). Dabei engagieren sich Schüler/innen verschiedener Jahrgangsstufen und Schulformen. Im Rahmen der Initiative werden Schulen angeregt, Service Learning-Projekte zu initiieren und umzusetzen. Dabei werden die Schulen vom Projektbüro der Aktiven Bürgerschaft durch Materialien, Fachtagungen, Kreativwerkstätten sowie persönliche Beratung begleitet (Zängerling, 2011a). Mit der Initiative wird eine niedrigschwellige Verbreitung von Service Learning angestrebt. Schulen können sich daher sowohl mit vorhandenen als auch neuen Projekten für die Initiative anmelden. Für alle Projekte ist die Einhaltung der sozialgenial-qualitätsstandards eine wichtige Voraussetzung. Die Qualitätsstandards sind im Sinne von inhaltlichen Arbeitsschritten formuliert, an denen sich die Schulen bei ihren Service Learning-Projekten orientieren sollen (vgl. Schröten & Zängerling, 2011). Folgende Standards bzw. Arbeitsschritte müssen von den Service Learning-Projekten eingehalten werden: 1. Ideensuche und Recherche, 2. Umsetzung und Verknüpfung mit Unterrichtsinhalten, 3. Reflexion und Evaluation 4. sowie Anerkennung und Wertschätzung. 19

3.3. Merkmale der beteiligten Schüler/innen Die Stichprobe für die Wirkungsstudie Service Learning wurde auf der Grundlage der Datenbank der Aktiven Bürgerschaft e.v. gezogen. Vier Kriterien waren für die Stichprobenzusammensetzung leitend: 1. Die beteiligten Schulen sollten Mitglieder der Initiative sozialgenial Schüler engagieren sich sein. 2. Es sollten Haupt-, Real-, Gesamtschulen und Gymnasien in die Untersuchung einbezogen werden. 3. Es sollten die Schüler/innen des 8. und des 9. Jahrgangs im Alter von 13 bis 16 Jahren befragt werden. 4. Es sollten Schulen berücksichtigt werden, an denen im Schuljahr 2011/2012 ein sozialgenial-projekt umgesetzt wurde. Angestrebt wurde zum einen eine Vollerhebung an den Schulen, die diese vier Kriterien erfüllten. Anvisiert wurde zudem eine Befragung von mindestens 1000 Schüler/innen, die an sozialgenial-projekten beteiligt waren (Interventionsgruppe = IG) und ergänzend von mindestens 500 Schüler/innen ohne Beteiligung an sozialgenial-projekten (Kontrollgruppe = KG). Von 67 Schulen, welche die gesetzten Kriterien erfüllten, erklärten sich 42 Schulen bereit, an der Untersuchung teilzunehmen. Die Beteiligungsquote bei den Schulen lag somit bei 63%. Die anvisierten Stichprobengrößen wurden deutlich übertroffen. Im Rahmen des ersten Messzeitpunktes (MZP1) wurden 1.248 Schüler/innen der Interventionsgruppe und 805 Schüler/innen der Kontrollgruppe erreicht (vgl. Tabelle 1). Tabelle 1: Stichprobe der Untersuchung Stichprobe MZP1, Anzahl Stichprobe Längsschnitt MZP1 & MZP2, Anzahl Schüler/innen (gesamt) 2053 1575 Interventionsgruppe (IG) 1248 1028 Kontrollgruppe (KG) 805 547 Aufgrund der in Längsschnitt-Untersuchungen auftretenden Drop-out-Rate ist die Anzahl der Schüler/innen, die zu beiden Zeitpunkten an der Befragung teilgenommen haben (Stichprobe Längsschnitt) geringer als die Anzahl der Schüler/innen zum Messzeitpunkt 1 (MZP1) oder zum Messzeitpunkt 2 (MZP2). Die Längsschnittstichprobe setzte sich aus 1028 Schüler/innen der Interventionsgruppe und 547 Schüler/innen der Kontrollgruppe zusammen, die an beiden Messzeitpunkten (MZP1 und MZP2) an der Untersuchung teilgenommen 20

haben. Die Schüler/innen im Längsschnitt sind an insgesamt 40 Schulen erreicht worden. Der Rücklauf auf der Schulebene liegt somit im Längsschnitt bei 60%. Die Berechnungen zu den Schüler/innen im vorliegenden Abschlussbericht beziehen sich im Regelfall auf die Längsschnittstichprobe. Innerhalb der Längsschnittstichprobe liegt der Anteil der Schülerinnen bei 56% und somit etwas höher als der Anteil der befragten Schüler (vgl. Tabelle 2). Das Alter der Befragten variiert zwischen dreizehn und sechzehn Jahren. Etwa die Hälfte der befragten Schüler/innen ist zum Zeitpunkt der Befragungen 14 Jahre alt, etwa ein weiteres Drittel ist 15 Jahre alt. Die Mehrheit der befragten Schüler/innen besucht eine Realschule (42%), gefolgt von Schüler/innen des Gymnasiums (35%). Gesamtschüler/innen sind in der Befragung mit 17% vertreten, während Hauptschüler/innen die in der Stichprobe am schwächsten vertretene Gruppe sind (5%). Etwa zwei Drittel der Befragten sind in der Jahrgangsstufe neun, die restlichen Schüler/innen sind zum Zeitpunkt der Befragung im achten Schuljahr. Hinsichtlich des Migrationsstatus teilt sich die Stichprobe in drei Gruppen auf. Mit Abstand die größte Gruppe stellen Schüler/innen ohne Migrationshintergrund dar. Der Anteil der Schüler/innen mit Migrationshintergrund liegt bei 21%. Davon 17% haben eine familiäre Migrationsgeschichte (Migranten 2. Generation) und 4% eine eigene Migrationserfahrung (Migranten 1. Generation) vorzuweisen. Ein Vergleich mit der amtlichen Statistik für das Schuljahr 2011/2012 in Nordrhein-Westfalen deutet auf einige Besonderheiten der Stichprobe hin. Erstens zeigt sich im Bericht des statistischen Landesamtes eine ausgeglichenere Geschlechterverteilung an allgemeinbildenden Schulen (Anteil Schülerinnen: 49%; Anteil Schüler: 51%) (vgl. Information und Technik Nordrhein-Westfalen, 2012a: 9). Eine Erklärung für die Überrepräsentation weiblicher Befragter in der Stichprobe der vorliegenden Untersuchung könnte ein stärkeres Interesse der weiblichen Jugendlichen am freiwilligen Engagement sein. So macht der letzte Freiwilligensurvey darauf aufmerksam, dass weibliche Befragte im Alter von vierzehn bis neunzehn etwas häufiger engagiert sind als ihre männlichen Gleichaltrigen (vgl. Picot, 2011: 23). Laut amtlicher Statistik besuchen die meisten Schüler/innen in NRW das Gymnasium, gefolgt von Gesamt- und Realschulen (vgl. Information und Technik Nordrhein-Westfalen, 2012a: 9). Hauptschulen, Förderschulen sowie freie Waldorfschulen versorgen im Bereich der allgemeinbildenden Schulen einen vergleichsweise geringen Anteil der Schülerschaft. In der vorliegenden Untersuchung werden im Vergleich überproportional viele Realschüler/innen erreicht. Da sich die Auswahl der Schulen im ersten Schritt an der Mitgliedschaft in der Initiative sozialgenial orientierte, wird hier deutlich, dass sozialgenial- Projekte für die achte und neunte Jahrgangsstufe insbesondere an Realschulen weit 21

verbreitet sind. Abgesehen davon verteilen sich die Anteile der in die Untersuchung eingegangen Schulformen ähnlich wie im statistischen Bericht zum Schulwesen in NRW angegeben. Tabelle 2: Soziodemographisches Profil der befragten Schüler/innen im Längsschnitt Gültiges Anzahl Anteil Anzahl Anteil Anzahl Anteil N in % IG IG in % KG KG in % Geschlecht 1526 weiblich 860 56% 624 62% 236 45% männlich 666 44% 381 38% 285 55% Alter 1526 13 230 15% 176 17% 54 10% 14 796 52% 511 51% 285 54% 15 463 30% 296 29% 167 31% 16 53 3% 27 3% 26 5% Schulform 1575 Hauptschule 79 5% 34 3% 45 8% Realschule 66 42% 428 42% 240 44% Gesamtschule 274 17% 135 13% 139 25% Gymnasium 554 35% 431 42% 123 23% Jahrgang 1575 Jahrgang 8 577 37% 418 41% 159 29% Jahrgang 9 998 63% 610 59% 388 71% Migrationsstatus 1548 Keine Migration 1227 79% 807 79% 420 80% Migration, 259 17% 174 17% 85 16% 2. Generation Migration, 62 4% 40 4% 22 4% 1. Generation Mit Blick auf den Migrationsstatus der befragten Schülerschaft ergeben sich ähnliche, wenngleich nicht identische Befunde mit der amtlichen Statistik. Sowohl das statistische Landesamt als auch das Ministerium für Schule und Weiterbildung geben für das Schuljahr 22