Das Sichtbarwerden des Islam in den europäischen Regionen Ein Friedhofsprojekt als integrationspolitisches Lernfenster für eine Region

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Transkript:

Das Sichtbarwerden des Islam in den europäischen Regionen Ein Friedhofsprojekt als integrationspolitisches Lernfenster für eine Region Dr. Eva Grabherr okay. zusammen leben/information and Advice Centre for Immigration and Integration Issues in Vorarlberg (Austria) www.okay-line.at Presentation at NECE-Conference Rethinking Citizenship Education in European Migration Society /April 26-28, 2007, Lisbon/Portugal WS 4: Religious Identities and Citizenship okay. zusammen leben Projektstelle für Zuwanderung und Integration Dr. Eva Grabherr & Dr. Eva Häfele Färbergasse 15/304 A-6850 Dornbirn Tel. ++43-5572-398102 Fax ++43-5572-398102-4 www.okay-line.at Rechtsträger: Verein Aktion Mitarbeit ZVR-Nr.: 142483657

Das Sichtbarwerden des Islam in den europäischen Regionen Ein Friedhofsprojekt als integrationspolitisches Lernfenster für eine Region Dr. Eva Grabherr okay. zusammen leben/information and Advice Centre for Immigration and Integration Issues in Vorarlberg (Austria) www.okay-line.at Presentation at NECE-Conference Rethinking Citizenship Education in European Migration Society /April 26-28, 2007, Lisbon/Portugal WS 4: Religious Identities and Citizenship Das Projekt: Eine Begräbnisstätte für Muslime in Vorarlberg Im Jahr 2008 soll in Vorarlberg, einem Bundesland im Westen Österreichs an der Grenze zur Schweiz, ein islamischer Friedhof eröffnet werden. Es wird ein konfessioneller Friedhof in islamischer Trägerschaft sein, und es wird eine überregionale Anlage sein, die (zumindest in den ersten Jahren) für Muslime aus allen Gemeinden des Landes offen stehen wird. Dem voraus gegangen ist ein ca. 3- jähriger Prozess, je nach dem, wo und wann man den Beginn dafür ansetzt. Die Besonderheiten des Prozesses und seines Resultats Die Besonderheiten des Prozesses und seines Resultats lassen sich auf drei Ebenen beschreiben: 1) Im religiös seit Jahrhunderten sehr homogenen katholischen Vorarlberg und nach einer weitestgehenden Entkonfessionalisierung und Kommunalisierung des Friedhofswesens im 20. Jahrhundert entsteht derzeit mit einem islamischen Friedhof wieder ein konfessioneller Friedhof einer religiösen Minderheit. Die Etablierung dieser religiösen Institution der in den letzten Jahrzehnten zugewanderten Muslime war und ist trotz der gegenwärtigen islamkritischen Stimmung in Europa von keinen negativen Debatten oder kritischen Gegeninitiativen begleitet. 2) Die Trägerschaft bildet ein gemeinsamer Verein aller islamischer Gemeinschaften des Landes. In ihm sind alle Religionsgemeinden, alle ethnischen Gruppen Vorarlberger Muslime und sowohl Sunniten wie auch Aleviten repräsentiert. 3) Durchbruch im Prozess war im Herbst 2006 die freiwillige Entscheidung einer der 96 Gemeinden des Landes, ein Grundstück zur Verfügung zu stellen und damit Standortgemeinde für einen landesweiten islamischen Friedhof zu werden. 2

Kontexte des Projekts Die Besonderheiten einer Sache können nur in einem Kontext identifiziert werden. Diese Kontextbeschreibung und -analyse soll über die regionale Situation und die Einzelheiten des konkreten Projekts informieren und Züge herausarbeiten, die auf eine gesamteuropäische Entwicklung hinweisen. Beginnen wir mit Punkt 1: der bis dato konfliktfreien Etablierung eines islamischen Friedhofs als einer zentralen Institution einer neuen religiösen Minderheit in einer religiös weitestgehend homogenen katholischen Region zu einer Zeit, in der aufgrund weltpolitischer Ereignisse Islam zunehmend in undifferenzierter Weise auf islamischen Fundamentalismus reduziert wird. Auch in Vorarlberg wie im gesamten deutschsprachigen Raum kam der Islam als die Religion der Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen ins Land. Heute bilden Muslime rund 9 % der Wohnbevölkerung, und rund 2/3 der Muslime Vorarlbergs sind bereits österreichische StaatsbürgerInnen. Sie sind also in knapp 40 Jahren zur nach den Katholiken (mit rund 78 %) und weit vor den Protestanten (rund 2%) zweitgrößten Religionsgemeinschaft des Landes herangewachsen. Der Aufenthalt der Gastarbeiter war nicht auf Dauer gedacht von keiner der beiden Bevölkerungsgruppen. In diesem Sinne wurden auch die muslimischen Toten in die Heimatländer überführt, und die Gebetsstätten waren lange Zeit (und größtenteils auch heute noch) so genannte Hinterhofmoscheen, meist in ehemaligen Industriegebäuden untergebracht. Der Paradigmenwechsel vom Gastarbeiter - zum Bleibemodell und die Einsicht, dass der Islam zu einer Religion von StaatsbürgerInnen und Einheimischen geworden ist, bedurfte also eines Lernprozesses auf beiden Seiten. In Vorarlberg fungierte das Projekt der Errichtung einer Begräbnisstätte für Muslime auch als Lernfenster der Gesellschaft für diese Erkenntnis und die daraus resultierenden Folgen: dass aus den ehemaligen GastarbeiterInnen EinwanderInnen geworden sind, das Land in kultureller und religiöser Hinsicht vielfältiger geworden ist und das auch bleiben wird und diese neue kulturelle und religiöse Vielfalt auf vielen Ebene neue Strukturen und Gestaltungsformen benötigen wird. Dass dieses Projekt trotz schwieriger nämlich stark Islam-kritischer Rahmenbedingungen zu einem produktiven Lernfenster der Region werden konnte, ist mehreren Faktoren zu verdanken. Zum einen verdankt sich das sicher der Bedeutung, die dem Prozess von allen beteiligten Akteuren beigemessen wurde, und die Sorgfalt und Ernsthaftigkeit, mit der er geführt wurde. Zum anderen dürfte es in Friedhofsfragen und Fragen des Sterbens und Todes eine stärkere Beisshemmung bezüglich Polemisierung und Kampagnisierung geben. Gerade dieser Faktor wurde von okay. zusammen leben von Beginn an als Potential gesehen, um aus dem Anliegen, das in erster Linie darauf abzielt, ein wichtiges soziales Angebot für eine religiöse Minderheit zu schaffen, ein integrationspolitisches Lernfenster für die Region zu gestalten. 3

Zu Punkt 2 der Besonderheiten: Der Friedhof wird nicht in kommunaler Trägerschaft organisiert. Er wird von einem Verein getragen, in dem alle islamischen Religionsgemeinden, die verschiedenen Herkunftsgruppen (Türken, Bosnier, Araber etc.) und die verschiedenen Richtungen wie Sunniten und Aleviten vertreten sein werden. Die Frage der Organisation des Islam, der keine zentrale Institution kennt, wie es der Vatikan für die Katholische Kirche darstellt, ist eine Frage, die sich in allen europäischen Ländern stellt. Die islamische Minderheit in Europa leidet unter der Zersplitterung in Einzelgruppierungen mit teilweise starken intra-religiösen Spannungen, die ein gemeinsames Auftreten und eine gemeinsame Interessensvertretung erschweren. Österreich bildet dahin gehend in Europa insofern eine Ausnahme, als es mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) eine Institution gibt, die offiziell alle Muslime des Landes gegenüber dem Staat vertritt. Außerhalb Wiens hat die IGGiÖ aber kaum Strukturen, und sie leidet auch unter dem Problem, von der Mehrzahl der muslimischen Bevölkerung erst zögernd als repräsentatives Organ anerkannt zu werden. In diesem Kontext betrachtet ist die rasche und verhältnismäßig konfliktfreie Herausbildung einer gemeinsamen Trägerschaft der Muslime aller Gemeinschaften, Ethnien und innerislamischen Konfessionen eine Besonderheit des Vorarlberger Friedhofsprojekt, die viel zum guten und relativ raschen Gelingen des Projektes beigetragen hat. Diese Ausbildung neuer repräsentativer Organe für die Mitwirkung und demokratische Teilhabe in der Gesellschaft des Aufnahmelandes ist typisch für den Prozess des Heimisch-Werdens einer Religion in einem neuen Land auch das eine Dynamik, die sich derzeit in ganz Europa zeigt (siehe die Einrichtung eines Rates der Muslime in Frankreich 2003 oder die Gründung des Koordinierungsrates der Muslime in Deutschland jüngst im März 2007). Während die alte Struktur der islamischen Organisationen in den Zeiten des Gastarbeiter- Regimes Fraktionierungen der Herkunftsländer der Muslime spiegelte, richten sich nie neuen Strukturen an Fragen und Anliegen der Muslime im Aufnahmeland, also dem neuen Heimatland, aus. In Vorarlberg war dieses starke alte Fraktionierungen überwindende Moment das vielen Muslimen gemeinsame Anliegen, eine rituell korrekte Begräbnisstätte zu errichten: ein Anliegen vieler Muslime im Land weit über den Kreis der in Vereinen organisierten Muslime hinaus. Für dieses Anliegen eine Lösung zu schaffen, hat den islamischen Gemeinschaften auch die Anerkennung der nicht-organisierten Muslime im Land eingebracht. Zu Punkt 3: Vorarlberg besteht aus 96 Gemeinden. In 93 der 96 Gemeinden lebten im Jahr der Volkszählung 2001 muslimische Bewohner und Bewohnerinnen. Oft sind das nur wenige Familien, aber auch diese haben nach österreichischer Gesetzeslage das Anrecht auf eine Beerdigung nach ihrem religiösen Ritus in ihrer Wohnortgemeinde. Eine österreichische Kommune muss allen ihren BewohnerInnen, ob In- oder Ausländern, einen Beerdigungsplatz zur Verfügung stellen. Die Vorarlberger kommunalen Friedhöfe sind ob der jahrhundertealten homogenen religiösen Landschaft christlich geprägt. Keiner kennt eine abgesonderte jüdische 4

Abteilung, wie sie in den großen Städten der anderen Bundesländer existieren. Und auch die wenigen protestantischen Gräber stehen nicht abgesondert. Die Gräber der Muslime als einer neuen religiösen nicht-christlichen Minderheit würden sich nicht einfach ohne grundlegendere Veränderungen in die bestehenden Friedhofsanlagen integrieren lassen. Es wurde im Verlauf des Prozesses bald deutlich, dass Lösungen für einzelne Kommunen wenig effektiv sein würden. Dennoch war der Tenor der Gemeinden und Städte zunächst, Einzellösungen für sich zu suchen, da keine Kommune zum Standort einer zentralen islamischen religiösen Institution werden wollte. In diesem Punkt war die generelle europa-weite islamisch-kritische Stimmung klar und deutlich spürbar, und lange war nicht sicher, ob sich nicht doch kommunale Einzellösungen in den wenigen größeren Städten durchsetzen würden mit all` den Schwierigkeiten für die vielen muslimischen Familien, die in den vielen kleinen und mittleren Kommunen Vorarlbergs leben. Dass schlussendlich eine gemeinde-übergreifende landesweite Lösung gefunden wurde, verdankt sich mehreren Faktoren: einer generellen Debatte in Vorarlberg, die aus Kosten- und Effizienzgründen eine stärkere Kooperation von Gemeinden favorisiert; die Gewinnung des Vorarlberger Gemeindeverbandes, eines gemeinsamen Gremiums aller Vorarlberger Kommunen, als wichtiger strategischer Partner für das Friedhofsprojekt und eine mutige, verantwortungsvolle und Innovationen wie dem Thema Gemeindekooperation gegenüber offene Gemeinde, die sich, ermutigt vom guten Prozessverlauf des Friedhofsprojekts, dafür entschied, ein Grundstück für den ersten landesweiten islamischen Friedhof zur Verfügung zu stellen. Den Wert einer solchen kommunal-kooperativen Lösung erkennt wahrscheinlich nur, wer sich schon einmal mit dem Thema Gemeindekooperationen beschäftigt hat. Mit dem im Laufe des Prozesses 2004 und 2005 gemeinsam und partizipativ mit den Muslimen erarbeiteten Wissensgrundlagen und mit dem Gewinnen einer Standortgemeinde im Herbst 2006 standen jedenfalls die grundlegenden Bausteine für die Errichtung des ersten islamischen Friedhofs in Vorarlberg. Derzeit arbeiten die muslimische Trägerschaft und der Vorarlberger Gemeindeverband an der Umsetzung. 2008 soll er eröffnet werden. Zur Anlage des Prozesses Den Beginn des Prozesses bildeten meine Sondierungsgespräche für den Aufbau von okay. zusammen leben als Wissens- und Kompetenzort für die Fragen von Migration und Integration in Vorarlberg im Jahr 2002. okay.zusammen leben ist eine NGO, erhielt den Auftrag, sich landesweit um Integrationsangelegenheiten zu kümmern jedoch von der Vorarlberger Landesregierung. Die Stelle orientierte sich in seinem Aufbau einerseits an den internationalen integrationspolitischen Debatten, wollte sein Profil aber auch kontextsensibel also unter starker 5

Berücksichtigung der lokalen und regionalen Kontexte und deren Akteure entwickeln. Vor allem letzteres schien uns eine wichtige Voraussetzung für eine effektive und rasch Resultate zeitigende regionale integrationspolitische Strategie zu sein. Für diese kontextsensible Entwicklung des inhaltlichen Programms der Stelle führte ich im ersten Halbjahr 2002 weit mehr als 100 Gespräche mit unterschiedlichen Akteuren im Land. Mehrere muslimische Vertreter der 1. wie der 2. Generation zugewanderter Arbeitsmigranten erwähnten in diesem Kontext unabhängig von einander die Errichtung einer religiös korrekten islamischen Begräbnisstätte als wichtiges Anliegen. Dieses Anliegen war dann eines von mehreren, die okay. zusammen leben aus diesen Sondierungsgesprächen aufgriff und zu einer Projektidee weiter entwickelte. Worin sahen wir die integrationspolitischen Lerneffekte des Projekts? Für die Mehrheitsgesellschaft sahen wir sie in der Bewusstseinsbildung für die Einsicht, dass die Gastarbeitermigration eine Einwanderungsbewegung war und sich das Land dauerhaft auf die Gestaltung von Integration von Zuwanderinnen sowie auf eine kulturelle und religiöse Vielfalt des Landes einstellen muss. Für die Muslime und MigrantInnen, die noch kaum in politischen oder anderen demokratischen Gremien saßen und sitzen, sahen wir im Projekt das Potential, Erfahrungen mit gesellschaftspolitischen Entscheidungsprozessen im Zuzugsland zu gewinnen und sich in solche demokratische Teilhabeprozesse einzuüben. Der Prozess war als ein Prozess der partizipativen Wissensgenerierung in Zusammenarbeit von Experten und Betroffenen und der Kommunikation dieses Wissens in konzentrischen sich weitenden Kreisen an EntscheidungsträgerInnen und Öffentlichkeit anlegt. Seine milestones bilden 3 Produkte: - Eine Expertenstudie über die Organisation des Islam in Vorarlberg und die allgemeinen Wissensgrundlagen für einen islamischen Friedhof. Diese Studie wurde von okay. zusammen leben an eine Expertin in Auftrag gegeben. Die muslimischen Gemeinschaften waren beratend eingebunden. Die inhaltliche Verantwortung lag bei dieser Studie jedoch noch ausschließlich beim Herausgeber, also bei okay. zusammen leben, und der Autorin. Das betone ich deshalb, weil die Zusammenarbeit mit den muslimischen Gemeinschaften in dieser Phase nicht konfliktfrei verlief. Auf muslimischer Seite musste so etwas wie die Einübung in die Regeln der Wissensgesellschaft stattfinden, und okay. zusammen leben musste spezifische Empfindlichkeiten der muslimischen Gemeinschaften zu berücksichtigen lernen. Die erste Studie richtete sich in erster Linie an Entscheidungsträger auf Landesebene und in den Kommunen und sollte diese auf das Anliegen, das die Vorarlberger Muslime bald an sie herantragen wollten, inhaltlich vorbereiten. Sie führte dann zur offiziellen Initiierung eines Prozesses durch den Vorarlberger Gemeindeverband und damit auch zu einer offiziellen Beauftragung von okay. zusammen leben mit der Prozessleitung durch ein für die Umsetzung zentrales politisches Gremium. 6

- Das 2. Produkt des Prozesses war ein sehr detailliertes und konkret auf die Frage der Errichtung eines islamischen Friedhofs in Vorarlberg eingehendes Empfehlungspapier des Vorarlberger Gemeindeverbandes, das von Vertretern der muslimischen Gemeinschaften und von Vorarlberger Kommunen in Zusammenarbeit mit Experten in 7 gemeinsamen Sitzungen erarbeitet wurde. Dieses Papier war schon Produkt eines partizipativen Prozesses der zentralen Betroffenen des Projekts: der muslimischen Gemeinschaften und der Vorarlberger Kommunen. Dieses Empfehlungspapier bildete dann die Wissensgrundlagen für die Diskussion des Projektes auf der kommunalen Ebene: in den politischen Gremien des Gemeindeverbandes und zahlreicher Gemeinden und Städte im Land. Ein Jahr nach der Präsentation des Empfehlungspapiers und zahlreichen Präsentationen in kommunalen Gremien entschied sich im Herbst 2006 eine Vorarlberger Kommune, als Standortgemeinde für den islamischen Friedhof zu fungieren. - Das 3. Produkt war die Zusammenfassung der Ergebnisse des Prozesses in einer handlichen Broschüre für die breite Öffentlichkeit. Sie wurde nach der Entscheidung für die Standortgemeinde in großen Auflagen gedruckt und dient derzeit der breiten Vermittlung des Projekts an die Vorarlberger Bevölkerung in zahlreichen Veranstaltungen auf kommunaler Ebene. Muslimische Vertreter, die durch den gemeinsamen Prozess, zu Experten des Projekts wurden, und ExpertInnen, die den Prozess begleitet haben, vermitteln nun in Vorträgen im ganzen Land das Projekt. Alle Produkte wurden jeweils über eine öffentliche Veranstaltung und der diesbezüglichen Medienberichterstattung pro Stufe des Prozesses an die interessierte Öffentlichkeit vermittelt. Die Phasen des Prozesses verliefen also von einer noch eher allgemeinen Expertenstudie zu einem von ExpertInnen mit den Betroffenen partizipativ erarbeiteten Empfehlungspapier für die konkrete Umsetzung des Projektes, und er bezog, wie in konzentrischen Kreisen, immer größere Gruppen von EntscheidungsträgerInnen und Öffentlichkeit mit ein. Er startete mit einer Selbstbeauftragung mit dem Anliegen durch eine Experten-NGO und führte über eine freiwillige Verantwortungsübernahme für das Anliegen durch den Vorarlberger Gemeindeverband zur freiwilligen Entscheidung einer Gemeinde, Standortgemeinde für den Friedhof zu werden. Entscheidende Momente für den Prozess - Die muslimischen Gemeinschaften konnten davon überzeugt werden, auf den Prozess zu setzen, und bspw. nicht in erster Linie auf mediale Agitation. Sie schufen mit einer gemeinsamen Initiativgruppe und der damit verbundenen Überwindung von intra-religiösen Fraktionierungen eine entscheidende organisatorische Basis für das Projekt. 7

- Auch der Vorarlberger Gemeindeverband als ein zentrales politisches Gremium für dieses Anliegen der muslimischen Bevölkerung übernahm rasch und freiwillig, das heißt ohne erst durch medialen Druck dazu genötigt zu werden, seine Verantwortung für das Anliegen. - Die Katholische Kirche als die größte Religionsgemeinschaft im Land, die auch ein hohes Vertrauen in weiten Teilen der Bevölkerung besitzt, konnte als ein wichtiger und sich stark engagierender strategischer Partner für das Projekt gewonnen werden. - Mit okay. zusammen leben stand eine Prozessleitung und eine Art Hüterin des Prozesses zur Verfügung, die zum einen Kenntnisse beider Systeme hatte des mehrheitsgesellschaftlichen und des Systems der Migrantengemeinschaften und die grundsätzlich über das Vertrauen aller Beteiligten verfügte. Am Erhalt dieses Vertrauens musste jedoch permanent gearbeitet werden, auch in der Form, dass von Zeit zu Zeit die neutrale Position der Prozessmoderation zu Gunsten der einen oder der anderen Seite aufgegeben werden musste. - In der Wissensgenerierung wurde auch auf neue Fragen reagiert, die teilweise erst in der Vermittlung der Ergebnisse an die Entscheidungsträger und in die Öffentlichkeit auftauchten. So enthielten bspw. die ersten beiden Papiere kaum Informationen zu konkreten rituellen Vorgängen um muslimische Begräbnisse, weil wir das als nebensächlich und wenig relevant erachteten. Bei der Vermittlungsarbeit der Prozessergebnisse in den kommunalen politischen Gremien zeigte sich dann aber, dass es dazu die häufigsten Fragen gab. Also wurden auch dazu Informationen erarbeitet und dann vermittelt. Schlussfolgerungen aus der Vorgehensweise - Durch das frühe Aufgreifen und die frühe Schaffung eines Gefäßes für die Prozessierung des Anliegens behielten die stark an einer sachlichen Lösung interessierten Akteure die Federführung über die Dynamik und verloren diese nicht an Akteure mit anderen als nur lösungsorientierten Interessen, wie bspw. eine populistische Oppositionspolitik oder die Medien sie darstellen. - Die Debatte über das Thema wurde durch die frühe Generierung von Wissensgrundlagen von Anfang an auf einer guten Informationsbasis geführt. Politische EntscheidungsträgerInnen, die in der öffentlichen Debatte zu dem Anliegen Stellung nehmen mussten, taten dies von Anfang an gut informiert, was zu ihrer Souveränität im öffentlichen Umgang mit der Frage beitrug. Durch die partizipative die vom Anliegen Betroffenen einbindende Vorgehensweise wurde auch eine Art Pool öffentlicher ArtikulatorInnen für das Anliegen geschaffen, was eine gute öffentliche Debattenkultur in der Frage unterstützte. 8

Diese beiden erst genannten Faktoren und deren Beitrag zu einer sachlichen und guten Debattenkultur dürfen bei Themen, die in einem kritischen und aufgeregten medialen Rezeptionsrahmen diskutiert werden müssen, was bei Islam-Themen der Fall ist, nicht unterschätzt werden. - Eine wichtige persönliche Erfahrung für mich war, welchen Wert partizipative Vorgehensweisen haben können. Die gemeinsame Arbeit an einer Lösung durch kommunale VertreterInnen und Repräsentanten der muslimischen Vertreter, das gemeinsame Ringen um Formulierungen im Empfehlungspapier und das gemeinsame Vermitteln des Anliegens in politischen Gremien und in der Öffentlichkeit, schuf eine Vertrauensbasis, deren Wert weit über die Wissensgenerierung und die Produktion einer Lösung für ein spezifisches Anliegen hinaus reicht. Das gemeinsame Arbeiten an gemeinsamen Fragen, Anliegen und Problemen des Gemeinwesens das schafft den für unsere demokratischen Gesellschaften so notwendigen inneren Kitt. Die Frage ist, wie repräsentativ unserer demokratiepolitischen Gremien wirklich sind? Welche Gruppen in ihnen vertreten sind und welche fehlen? Muslime und MigrantInnen sind weit über Vorarlberg hinaus in diesen Gremien kaum repräsentiert. Integrationspolitik darf sich nicht darin erschöpfen, MigrantInnen lediglich als (demokratiepolitisch passiv rezipierte) Zielgruppen unserer sozialen Systeme vom Bildungs- bis zum Gesundheitswesen zu adressieren, so wichtig dieser Aspekt aus mehr sozialtechnischer Perspektive auch sein mag. An der Repräsentativität unserer demokratiepolitischen Gremien auch in Bezug auf die Realität unserer Gesellschaften als Einwanderungsländer zu arbeiten, ist eine genau so dringliche integrationspolitische Aufgabe. Details zum Projekt und downloads der Wissensprodukte: www.okay-line.at / Modul Aktuelles 9