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Art. 10 EMRK - Vergleich von Abtreibungen mit. Verbindung der beiden Beschwerden

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Entschädigung nach Art. 41 EMRK: 1.000,- für immateriellen Schaden, 3.500, für Kosten und Auslagen (einstimmig).

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Keine Verletzung von Art. 14 EMRK ivm. Art. 8 EMRK (6:1 Stimmen).

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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Große Kammer, Beschwerdesache Aksu gg. die Türkei, Urteil vom , Bsw. 4149/04 und Bsw /04.

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Zulässigkeit der Beschwerden (einstimmig). Keine Verletzung von Art. 14 EMRK ivm. Art. 8

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Transkript:

Bsw 10883/05 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer V, Beschwerdesache Willem gegen Frankreich, Urteil vom 16.7.2009, Bsw. 10883/05. Art. 10 EMRK - Aufruf zum Boykott israelischer Produkte. Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig). Keine Verletzung von Art. 10 EMRK (6:1 Stimmen). B e g r ü n d u n g : Sachverhalt: Der Bf. war Bürgermeister der Gemeinde Seclin in Frankreich. Während einer Gemeinde ratssitzung am 3.10.2002 teilte er sein Vorhaben mit, israelische Produkte auf dem Gebiet seiner Gemeinde zu boykottieren. Dieser Gemeinderatssitzung wohnten Journalisten bei. Die vom Bf. getätigten Aussagen wurden am 5.10.2002 in der Zeitung la Voix du Nord wiedergegeben. Aufgrund der Reaktionen, die dieser Artikel hervorrief, veröffentlichte der Bf. auf der Internetseite der Gemeinde einen offenen Brief, der die Beweggründe seiner Position erklärte. Seine Entscheidung sei vor allem eine Reaktion auf die täglichen Massaker und Morde, die an palästinensischen Kindern, Frauen und Greisen begangen würden. Sie sei ein Protest gegen die Politik, die die israelische Regierung gegen das palästinensische Volk führe. Der Boykott drücke die Weigerung aus, die militärische Macht von Ariel Sharon bei seinen Invasionen und militärischen Besetzungen finanziell zu unterstützen. Diese

2 Bsw 10883/05 Haltung würde auch durch eine Ausstellung und eine Diskussion zu Palästina in Seclin zum Ausdruck gebracht. Vertreter der israelitischen Gemeinschaft erstatteten Anzeigen gegen den Bf. Die Staatsanwaltschaft beschloss, Anklage zu erheben wegen Aufforderung zu Diskriminierung aufgrund von Nationalität, Rasse oder Religion gemäß Art. 23 und Art. 24 des französischen Pressegesetzes vom 29.7.1881. Am 26.3.2003 wurde der Bf. vom Strafgericht Lille freigesprochen. Nach Ansicht des Gerichts war die Aufforderung zum Boykott kommerzieller Natur, da sie auf Produkte abzielte. Es handle sich somit nicht um eine Diskriminierung von Personen oder einer Gruppe von Personen aufgrund ihrer Nationalität, Rasse oder Religion. Der Bf. habe nur von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht. Das Berufungsgericht Douai sprach den Bf. am 11.9.2003 der Aufforderung zur Diskriminierung schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 1.000,. Begründend stellte es fest, dass der Bf. in seinen Aussagen dazu angestiftet hätte, die Herkunft der Produkte zu beachten, was zu einer Einschränkung der wirtschaftlichen Tätigkeit der Produzenten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Nation führe. Der Beweggrund, gegen die israelische Politik zu protestieren, sei ohne Bedeutung. Der Revisionsantrag des Bf. wurde zurückgewiesen. Rechtsausführungen: Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 10 EMRK (Recht auf freie Meinungsäußerung). Zur Zulässigkeit der Beschwerde:

3 Bsw 10883/05 Die Beschwerde ist weder offensichtlich unbegründet noch aus einem anderen Grund unzulässig. Sie muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig). Zur behaupteten Verletzung von Art. 10 EMRK: Der Bf. bringt vor, seine Verurteilung stelle eine Verletzung von Art. 10 EMRK dar. Sein Aufruf zum Boykott israelischer Produkte sei im Rahmen einer politischen Debatte über den Konflikt zwischen Israel und Palästina getätigt worden und falle unbestritten in den Bereich des allgemeinen Interesses. Der GH anerkennt, dass die Verurteilung einen Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit darstellt. Dieser Eingriff war gesetzlich vorgesehen in Art. 23 und Art. 24 des Pressegesetzes und verfolgte ein legitimes Ziel, nämlich den Schutz der Rechte anderer, im vorliegenden Fall jene der israelischen Produzenten. Es bleibt zu prüfen, ob der Eingriff notwendig in einer demokratischen Gesellschaft und verhältnismäßig war. Die Eigenschaft des Bf. als Bürgermeister stellt im vorliegenden Fall ein wichtiges Element dar. Vor allem für einen vom Volk Gewählten ist die freie Meinungsäußerung besonders bedeutend, da er seine Wählerschaft vertritt, auf ihre Sorgen aufmerksam macht und ihre Interessen verteidigt. Aus diesem Grunde fordern Eingriffe in die Meinungsfreiheit eines Bürgermeisters eine besonders strenge Kontrolle. Es ist von ungemeiner Wichtigkeit in einer demokratischen Gesellschaft, die uneingeschränkte politische Diskussion zu schützen, die zentrales Element in einer demokratischen Gesellschaft ist. Der Meinungsäußerungsfreiheit ist im Kontext einer politischen Diskussion höchste Bedeutung beizumessen und sehr wichtige Gründe sind notwendig, um Einschränkungen politischer

4 Bsw 10883/05 Äußerungen zu rechtfertigen. In einer öffentlichen Debatte ist ein jeder dazu angehalten, gewisse Grenzen nicht zu überschreiten, um unter anderem den Respekt der Rechte anderer zu gewährleisten. Jedoch ist es ebenfalls gestattet, in gewissem Maße auf Übertreibung und Provokation zurückzugreifen und somit ein wenig überzogene Äußerungen zu tätigen. Der GH stellt fest, dass der Bf. nicht aufgrund seiner politischen Meinung verurteilt wurde, sondern wegen Anstiftung zu einer diskriminierenden Handlung. Der Bf. begnügte sich nicht damit, die Politik zu Zeiten von Ariel Sharon zu kritisieren, sondern ging darüber hinaus, indem er einen Boykott israelischer Nahrungsmittel ankündigte. Die Tatsache, dass der Bf. seine im Gemeinderat getätigte Aussage auf der Internetseite der Gemeinde wiederholte, erschwert laut GH den diskriminierenden Charakter der Stellungnahme des Bf., auch weil er dabei polemische Begriffe verwendete. Als Bürgermeister hat der Bf. Pflichten und Verantwortungen. Er muss eine gewisse Neutralität bewahren und hat die Pflicht, eine gewisse Zurückhaltung in seinen Handlungen zu zeigen, wenn diese das Gebiet betreffen, das er in seiner Gesamtheit vertritt. Ein Bürgermeister verwaltet die öffentlichen Gelder der Gemeinde und soll diese nicht nach einer diskriminierenden Logik ausgeben. Die Beweggründe des Bf. waren, die Politik Israels anzuprangern, jedoch stellen die Rechtfertigungen des Boykotts, die sowohl im Gemeinderat als auch auf der Internetseite geäußert wurden, ein diskriminierendes Vorgehen dar und sind somit verwerflich. Seine politische Meinung, für welche der Bf. weder verfolgt noch verurteilt wurde, fällt in den

5 Bsw 10883/05 Anwendungsbereich der Meinungsäußerungsfreiheit. Jedoch rief der Bf. seine Gemeindedienste zu einer diskriminierenden Handlung auf, nämlich zur Weigerung, mit Produzenten israelischer Staatsbürgerschaft kommerzielle Verbindungen zu unterhalten. Indem er solche Aussagen in einer Gemeinderatssitzung tätigte, ohne sie einer Debatte oder Abstimmung zu unterziehen, und sie auf der Internetseite der Gemeinde veröffentlichte, kann der Bf. nicht behaupten, die freie Diskussion über ein Thema öffentlichen Interesses gefördert zu haben. Die von den französischen Gerichten vorgebrachten Beweggründe sind treffend und ausreichend gemäß Art. 10 Abs. 2 EMRK, um den Eingriff in das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit zu rechtfertigen. Die verhängte Geldstrafe von geringer Höhe ist nicht unverhältnismäßig zu den verfolgten Zielen. Der beanstandete Eingriff ist verhältnismäßig zu den verfolgten legitimen Zielen. Es liegt keine Verletzung von Art. 10 EMRK vor (6:1 Stimmen; Sondervotum von Richter Jungwiert). Vom GH zitierte Judikatur: Lingens/A v. 8.7.1986, A/103, EuGRZ 1986, 424. Jerusalem/A v. 27.2.2001, NL 2001, 52; ÖJZ 2001, 693. Feldek/SK v. 12.7.2001, NL 2001, 149; ÖJZ 2002, 814. Mamère/F v. 7.11.2006. Almeida Azevedo/P v. 23.1.2007. Hinweis: Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 16.7.2009, Bsw. 10883/05, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2009, 221) bzw.

6 Bsw 10883/05 der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt. Das Urteil im französischen Originalwortlaut (pdf-format): www.menschenrechte.ac.at/orig/09_4/willem.pdf Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.