Staatliches Gericht hebt Schiedsspruch im JUKOS- Verfahren auf

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Transkript:

Staatliches Gericht hebt Schiedsspruch im JUKOS- Verfahren auf Autor: Hans-Joachim Schramm 1 Stand: 18.7.2016 Die Auseinandersetzung um die Zerschlagung des JUKOS-Konzerns vor dem Internationalen Schiedsgerichtshof in Den Haag ist um eine aufsehenerregende Volte reicher. 2 Der erste Paukenschlag erfolgte mit dem Schiedsspruch des Gerichtshofs vom 18 Juli 2014, 3 in dem den drei klagenden Gesellschaften ein Schadensersatzanspruch gegen die Russische Föderation in Höhe von insgesamt über 50 Mrd. US-Dollar zugesprochen wurde. 4 Gegen diesen Schiedsspruch hatte die Russische Föderation vor dem zuständigen Bezirksgericht in Den Haag gemäß Art. 1065 der Niederländischen ZPO Klage auf Aufhebung des Schiedsspruchs erhoben. Mit seinem Urteil vom 20.April 2016 hat das Gericht dieser Klage stattgegeben. 5 Dies ist der zweite Paukenschlag, denn die Aufhebung von Schiedssprüchen durch staatliche Gerichte stellt eine seltene Ausnahme dar, ist doch eine Aufhebung nur aus einem eng begrenzten Kreis von Gründen möglich. 6 Nach Ansicht des Bezirksgerichts fehlt es an einer Rechtsgrundlage, aus der sich die Schiedsfähigkeit der Streitigkeit ableiten lässt. Der Schiedsgerichtshof habe deshalb seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen. Zitierweise: Schramm, H.-J., Staatliches Gericht hebt Schiedsspruch im JUKOS-Verfahren auf, O/L-2-2016, http://www.ostinstitut.de/documents/schramm_staatliches_gericht_hebt_schiedsspruch_im_jukos_verfahr en_auf_ol_2_2016.pdf. 1 Dr. Hans-Joachim Schramm, Ostinstitut Wismar. 2 Vgl. auch Brown End of the Affair? The Journal of World Investment and Trade 17 (2016) 126 139; Schramm Investitionsschiedsgerichtsbarkeit und Systemtransformation, Ost/Letter 4/2014; http://www.ostinstitut.de/documents/publikationen/investitionsschiedsgerichtsbarkeit_und_systemtransforma tion.pdf. 3 Hulley Enterprises Limited (Cyprus) vs. Russian Federation, http://www.pcacases.com/web/sendattach/418 Die Urteile in den parallelen Verfahren Yukos Universal vs. Russian Federation und Vetern Petroleum vs. Russian Federation sind inhaltlich weitgehend deckungsgleich. 4 Dies ist mit Abstand die höchste Summe, die je in einem Schiedsverfahren zugesprochen wurde und entspricht knapp ¼ des russischen Staatshaushalts 2016. Die Prognose der Einnahmen für das Jahr 2016 liegt bei 215 Mrd US-Dollar. 5 Das Urteil kann eingesehen werden unter http://uitspraken.rechtspraak.nl/inziendocument?id=ecli:nl:rbdha:2016:4230. 6 Art. 1065 Niederländische ZPO setzt Art. V der New Yorker Konvention über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche um. Die Aufhebungsgründe entsprechen denen der Konvention. Schramm - Staatliches Gericht hebt Schiedsspruch im JUKOS-Verfahren auf, Ost/Letter-2-2016 (Juli 2016) 1

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Klage verschiedener Investmentgesellschaften mit Sitz auf Zypern bzw. der Isle of Man gegen die Russische Föderation auf Schadensersatz wegen der rechtswidrigen Enteignung ihrer Anteile an der JUKOS-Aktiengesellschaft. Anlass der Klage ist das Verfahren der Feststellung und zwangsweisen Durchsetzung von angeblichen rückständigen Steuerforderungen der Russischen Föderation gegen JUKOS aus den Jahren 2000-2004. Zur Deckung offener Steuerschulden wurden die Anteile von JUKOS an Juganskneftegaz zu einem Preis von 9,3 Mrd US-$ versteigert, in etwa der Hälfte des Wertes, den eine US-amerikanische Gesellschaft ermittelt hatte. 7 Die Rechtmäßigkeit dieses Verfahrens wird unter verschiedenen Aspekten in Frage gestellt, zum einen, was die Geltendmachung der angeblich rückständigen Steuern betrifft, zum anderen hinsichtlich ihrer zwangsweisen Durchsetzung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte in mehreren Verfahren, die aus dem gleichen Anlass angestrengt wurden, verschiedene Rechtsverstöße festgestellt, darunter Verletzungen sowohl des Rechts auf Eigentum als auch des Rechts auf ein faires Verfahren fest. 8 Mit Urteil vom 31.Juli 2014 billigte der EuGMR JUKOS einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1,8 Mrd EURO zu. 9 Der EuGMR berechnete die Höhe des Schadensersatzes ausgehend von der Feststellung, dass zwar die Strafzahlungen wegen der Steuerrückstände der rechtlichen Grundlage entbehrten, die Geltendmachung der Steuernachzahlung an sich aber gerechtfertigt sei. Eine rechtswidrige Enteignung hat der EuGMR deswegen nicht festgestellt. Die Klage vor dem Ständigen Schiedsgerichtshof in Den Haag beruht auf einer anderen Grundlage. Hier berufen sich die Kläger auf den Energy Charter Treaty (ECT) von 1994, der seit 1998 in Kraft ist und dem Ziel dient, die langfristige Zusammenarbeit im Energiebereich zu fördern. 10 Gemäß Art. 13 ECT genießen die Investitionen, die Investoren einer Vertragspartei auf dem Gebiet einer anderen Vertragspartei tätigen, Schutz vor Enteignung. Eine Enteignung ist nur unter den dort genannten Voraussetzungen zulässig. Zu diesen Voraussetzungen gehört auch eine angemessene Entschädigung in Höhe des Marktwertes zum Zeitpunkt der Enteignung. Darüber hinaus enthält der ECT noch eine bedeutsame verfahrensrechtliche Bestimmung insofern, als gemäß Art. 26 (3) (a) ECT die Vertragsparteien ihre Zustimmung erklären, Streitigkeiten aufgrund des Vertrages vor einem Schiedsgericht auszutragen. 7 Vgl. Brown End of the Affair? The Journal of World Investment and Trade 17 (2016) 126 (130) unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe. 8 Entscheidung des EuGMR vom 20.9.2011 in der Sache OAO Neftyanaya Kompaniya Yukos vs. Russia, http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-106308. 9 Entscheidung des EuGMR vom 31.7.2014 in der Sache OAO Neftyanaya Kompaniya Yukos vs. Russia http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-145730. 10 Art. 2 ECT: This Treaty establishes a legal framework in order to promote long-term cooperation in the energy field, based on complementarities and mutual benefits, in accordance with the objectives and principles of the Charter. Schramm - Staatliches Gericht hebt Schiedsspruch im JUKOS-Verfahren auf, Ost/Letter-2-2016 (Juli 2016) 2

Streitentscheidend für das Bezirksgericht war die Frage, ob die Kläger die Russische Föderation aufgrund des Art. 26 (3) ECTS vor einem Schiedsgericht verklagen durften. Voraussetzung dafür ist, dass der Vertrag zwischen den Parteien Anwendung findet. Dazu müssten die Beteiligten des Rechtsstreits Parteien des Energy Charter Treaty bzw. Bürger einer Partei sein. Problematisch ist dies für die Russische Föderation. Der ECT wurde zwar am 17.12.1994 vom damaligen Vize- Premierminister Davydov im Namen der Russischen Föderation unterzeichnet. Eine völkerrechtliche Bindung tritt aber allein aufgrund der Unterschrift des Vertreters grundsätzlich nicht ein. Notwendig ist die Zustimmung des dafür nach nationalem Verfassungsrecht zuständigen Organs, in Russland der Duma. Die Duma hat diesen Vertrag jedoch zu keinem Zeitpunkt ratifiziert. Allerdings ist im Fall des ECT die Besonderheit zu beachten, dass Art. 45 ECT eine Formulierung zur vorläufigen Anwendbarkeit des Vertrages enthält. Dort ist niedergelegt, dass jeder Signatarstaat die Bestimmungen des Vertrages...bis zu dessen Inkrafttreten vorläufig anwendet soweit eine solche vorläufige Anwendung nicht der Verfassung, den Gesetzen oder sonstigen Bestimmungen widerspricht. 11 Der Ständige Schiedsgerichtshof hatte aus dieser Bestimmung seine Zuständigkeit abgeleitet. Er interpretiert sie dahingehend, dass sich die Formulierung soweit eine solche Anwendung nicht widerspricht auf die vorläufige Anwendbarkeit des Vertrages insgesamt bezieht. Da die vorläufige Anwendbarkeit eines völkerrechtlichen Vertrages als solche aber weder der Verfassung noch sonstigen Rechtsvorschriften der Russischen Föderation widerspreche, vielmehr in Art. 23 des Gesetze der RF über internationale Verträge ausdrücklich anerkannt werde, ergebe sich aus Art. 45 ECTS, dass der Vertrag in seinem ganzen Umfang Anwendung finde. Das Bezirksgericht weist diese Ansicht zurück. Es ist der Auffassung, dass die Vorbehaltsklausel des Art. 45 (1) ECT sich nicht auf den Vertrag insgesamt beziehe, sondern eine Prüfung jeder einzelnen Bestimmung des ECT voraussetze. Es leitet dies aus einer systematischen Auslegung ab, weil in Art. 45 (1) ECT auf sonstige Rechtsvorschriften ( regulations ) Bezug genommen werde. Eine Frage der Tragweite der vorläufigen Anwendbarkeit von völkerrechtlichen Verträgen werde aber nicht auf der Ebene sonstiger Rechtsvorschriften entschieden. Damit sei entscheidend, ob durch Art. 26 (3) ECT bei lediglich vorläufiger Anwendung des Vertrages wirksam die Zuständigkeit privater Schiedsgerichte vereinbart wurde. Das Schiedsgericht hatte auch zu dieser Frage, wenn auch hilfsweise, Stellung genommen und geprüft, ob die Vereinbarung über die Zuständigkeit von Schiedsgerichten in Art. 26 (3) ECT im Widerspruch zum Recht der Russischen Föderation im Sinne des Art. 45 (1) ECT steht. Der 11 Art. 45 (1) ECT: Each signatory agrees to apply this Treaty provisionally pending its entry into force for such signatory in accordance with Article 44, to the extent that such provisional application is not inconsistent with its constitution, laws or regulations. Schramm - Staatliches Gericht hebt Schiedsspruch im JUKOS-Verfahren auf, Ost/Letter-2-2016 (Juli 2016) 3

einschlägige Art. 9 des Gesetzes der RF über ausländische Investitionen sieht dazu vor, dass Investitionsstreitigkeiten zwischen Investoren und dem Staat durch staatliche Gerichte entschieden werden sollen, es sei denn, aus internationalen Verträgen, die auf dem Territorium der RSFSSR in Kraft sind, oder aus einer Vereinbarung zwischen den Parteien ergibt sich etwas anders. Der Schiedsgerichtshof meint hier, aus der Zustimmung zur vorläufigen Anwendbarkeit ableiten zu können, dass mit Art. 26 ECT eine solche völkerrechtliche Erklärung zur Zuständigkeit von Schiedsgerichten abgegeben wurde. Den Einwand, dies könne nur durch einen völkerrechtlichen Vertrag geschehen, der in Kraft sei, weist das Gericht mit der These zurück, der Wille, durch einen internationalen Vertrag gebunden zu sein, könne nicht nur durch die Ratifikation zum Ausdruck gebracht werden, sondern auch durch die bloße Zeichnung, wenn dies im Vertrag selbst so vorgesehen ist. Dies ergebe sich aus Art. 23 des Gesetzes der RF über internationale Verträge, der eine vorläufige Anwendbarkeit anerkenne, und dem allgemeinen Prinzip, dass Verträge eingehalten werden müssen (pacta sunt servanda). Auch diese Argumentation weist das Bezirksgericht zurück. Es untersucht zunächst, ob das russische Recht der Schiedsfähigkeit von Investitionsstreitigkeiten generell entgegen steht. Es folgt hier dem Vorbringen der Russischen Föderation, die geltend gemacht hat, dass nach russischem Recht zwischen privatrechtlichen und öffentlich rechtlichen Investitionsstreitigkeiten zu unterscheiden sei. Wie sich aus dem Auslandsinvestitionsgesetz der RF in der seinerzeit gültigen Fassung ergebe, können zivilrechtliche Investitionsstreitigkeiten durch eine Schiedsvereinbarung privaten Schiedsgerichten übertragen werden. Investitionsstreitigkeiten auf einer öffentlich rechtlichen Grundlage müssten dagegen grundsätzlich vor den staatlichen Gerichten der RF ausgetragen werden, es sei denn, dass sich aus einem internationalen Vertrag etwas anderes ergibt. Damit ist die Frage fallentscheidend, ob ein vorläufig anwendbarer internationaler Vertrag in diesem Sinne ausreichend ist. Der Schiedsgerichtshof hatte diese Ansicht vertreten und zur Begründung u.a. auf das Gesetz der Russischen Föderation über internationale Verträge verwiesen. Dieses listet in Art. 6 verschiedene Akte auf, aus denen sich die Bindung an internationale Verträge ergeben könne. Das Bezirksgericht hält dem Schiedsgerichtshof in diesem Punkt vor, den falschen Bezugsrahmen gewählt zu haben. Maßgeblich für die Frage, ob ein von einem Vertreter der Exekutive unterzeichneter internationaler Vertrag Bindungswirkung entfalte, sei allein die Verfassung. In der russischen Verfassung sei aber das Prinzip der Gewaltenteilung verankert ebenso wie Regel, dass die Ratifikation internationaler Verträge in die Zuständigkeit der Duma fällt. Wenn in Art. 15 (4) der russischen Verfassung niedergelegt ist, dass internationale Verträge in der Russischen Föderation Vorrang vor den nationalen Gesetzen haben, ergebe sich aus dem Prinzip der Gewaltenteilung, dass nur die Duma einem internationalen Vertrag diesen Vorrang einräumen kann. Im Ergebnis kommt das Bezirksgericht damit zu dem Ergebnis, dass es keine rechtliche Grundlage gibt, aus der der Schramm - Staatliches Gericht hebt Schiedsspruch im JUKOS-Verfahren auf, Ost/Letter-2-2016 (Juli 2016) 4

Schiedsgerichtshof seine Zuständigkeit ableiten kann. Das wiederum führt zur Aufhebung des Schiedsspruchs. Wie bereits andernorts dargelegt ist dieser Entscheidung uneingeschränkt zuzustimmen. 12 Bedauerlich ist allein, dass der Streit auf der Verfahrensebene entschieden wurde. Dadurch bleiben verschiedene materiell-rechtliche Fragen offen, deren Klärung im Rahmen internationaler Investitionsstreitigkeiten von Interesse gewesen wäre. Allerdings sind einer Überprüfung von Schiedssprüchen durch staatliche Gerichte insoweit enge Grenzen gezogen. Deswegen überrascht es nicht, wenn das Bezirksgericht sich auf die Frage der Zuständigkeit konzentriert. Hier ist es bemerkenswert und aus Sicht der Akzeptanz der Einschaltung privater Schiedsgerichte zur Entscheidung von öffentlich-rechtlichen Investitionsstreitigkeiten zweifelhaft, mit welcher Rabulistik der Schiedsgerichtshof versucht, seine Zuständigkeit zu begründen. Er argumentiert spitzfindig anhand des Wortlauts und der Systematik, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, welchen Sinn eine Vorschrift zur vorläufigen Anwendbarkeit eines internationalen Vertrages hat. Das dieser nicht darin liegen kann, die Rechtsfolgen herbeizuführen, die nach herkömmlichen Verständnis erst aufgrund der Ratifikation durch das Parlament eintreten, sollte auf der Hand liegen. Wie die Schiedsrichter stattdessen zu der Auffassung gelangen konnten, ein Vertreter könne dadurch den Vertretenen binden, dass er seiner Erklärung den Zusatz beifügt, der Vertrag sei vorläufig anwendbar, ist nicht nachvollziehbar. Die Zurückweisung einer Klage aus prozessualen Gründen erweist sich allerdings als unbefriedigend, wenn die Sache des Klägers als gerechtfertigt erscheint. Aber auch in dieser Hinsicht begegnet der Schiedsspruch erheblichen Bedenken, ohne dass das Bezirksgericht hierzu Stellung genommen hat. Zweifelhaft ist bereits, ob der ECT seinem Zweck nach Anwendung findet. Der Energy Charter Treaty dient dazu, ausländische Investitionen im Energiebereich zu schützen. Darum ging es hier aber gar nicht. Die Gesellschafter der Kläger sind allesamt Anteilseigner von Yukos der ersten Stunde, die ihre Anteile ebenfalls unter zweifelhaften Umständen aufgrund einer Privatisierung erworben hatten. Es handelt sich der Sache nach um einen internen russischen Streit. Der Schiedsgerichtshof weist den ersten Aspekt des Gedankens mit dem formalen Argument zurück, wer ausländischer Investor sei, bestimme sich nach dem Sitz des Betroffenen. Den zweiten Aspekt erörtert er im Rahmen des Einwands der schmutzigen Hände. Danach könne es nicht die Aufgabe eines Schiedsgerichts sein, Klägern bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche zu helfen, wenn sich diese selber ein Fehlverhalten haben zu Schulden kommen lassen. Der Schiedsgerichtshof hatte diesem Einwand die Anerkennung mit dem Hinweis versagt, dass es sich hierbei nicht um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz handele. Auch dies wird angezweifelt. 13 Schließlich ist umstritten, ob nicht der Ausschluss der Anwendung des ECT in Steuerangelegenheiten hier zur Unzulässigkeit der Klage hätte führen müssen. Allein in diesem 12 Schramm Investitionsschiedsgerichtsbarkeit und Systemtransformation, Ost/Letter 4/2014; http://www.ostinstitut.de/documents/publikationen/investitionsschiedsgerichtsbarkeit_und_systemtransforma tion.pdf 13 Brown End of the Affair? The Journal of World Investment and Trade 17 (2016) 126 (137 f.). Schramm - Staatliches Gericht hebt Schiedsspruch im JUKOS-Verfahren auf, Ost/Letter-2-2016 (Juli 2016) 5

Punkt erscheint das klägerische Vorbringen überzeugend, wonach die Anwendbarkeit des ECT zumindest dann gegeben ist, wenn die Geltendmachung von Steuerforderungen einer Enteignung gleichzustellen ist. Mit diesem Urteil des Bezirksgerichts Den Haag ist das Verfahren nicht an sein Ende gelangt. Nach Aussage der klägerischen Anwälte war die Einlegung von Rechtsmitteln beabsichtigt. 14 Auch entfaltet das Urteil nur für die Niederlande Wirkung. Vollstreckungsmaßnahmen in anderen Ländern bleiben davon unberührt. Vermutlich werden sich die dortigen Richter allerdings auf die Entscheidung des niederländischen Bezirksgerichts beziehen. Ostinstitut Wismar, 2016 Alle Rechte vorbehalten Der Beitrag gibt die Auffassung des Autors wieder Redaktion: Prof. Dr. Otto Luchterhandt, Dimitri Olejnik, Dr. Hans-Joachim Schramm Prof. Dr. Andreas Steininger Ostinstitut Wismar Philipp-Müller-Straße 14 23966 Wismar Tel +49 3841 753 75 17 Fax +49 3841 753 71 31 office@ostinstitut.de www.ostinstitut.de ISSN: 2366-2751 14 http://globalarbitrationreview.com/news/article/35248/us50-billion-yukos-awards-set-aside-hague/ Schramm - Staatliches Gericht hebt Schiedsspruch im JUKOS-Verfahren auf, Ost/Letter-2-2016 (Juli 2016) 6