23 Laurentreihen und Residuen

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23 Laurentreihen und Residuen 23. Laurentreihen Ist eine Funktion f in einem Punkt z nicht holomorph (oder nicht einmal definiert), so läßt sich f nicht durch eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt z darstellen. Mitunter hat man als Ersatz aber eine Darstellung von f als Laurentreihe. Definition 23. Eine unendliche Reihe der Form a n (z z ) n = a n (z z ) n + a n (z z ) n (23.) n= n= heißt Laurentreihe mit Entwicklungspunkt z, und die Reihen a n (z z ) n bzw. a n (z z ) n n= heißen der Nebenteil bzw. der Hauptteil der Laurentreihe. Man sagt, dass eine Laurentreihe im Punkt z C konvergiert, wenn sowohl ihr Haupt- und ihr Nebenteil in diesem Punkt konvergieren. Wie sieht das typische Konvergenzgebiet einer Laurentreihe aus? Der Nebenteil ist eine gewöhnliche Potenzreihe. Für ihn gibt es also ein R (den Konvergenzradius) so, dass er auf der offenen Kreisscheibe B R (z ) = {z C : z z < R} konvergiert. Den Hauptteil schreiben wir als n= a n w n mit w = z z. Der Konvergenzradius dieser Reihe sei ρ. Ist ρ >, so konvergiert der Hauptteil für w < ρ bzw. z z < ρ bzw. z z > ρ. Der Hauptteil konvergiert also auf {z C : z z > r} mit r =, d.h. auf ρ dem Außengebiet einer Kreisscheibe. Damit ist klar, dass im Falle r < R die Laurentreihe (23.) auf dem Kreisring K r,r (z ) := {z C : r < z z < R} konvergiert (in einigen Punkten des Randes dieses Kreisrings kann ebenfalls Konvergenz vorliegen). 366

Konvergenz des Hauptteils R r z Konvergenz des Nebenteils Umgekehrt kann man tatsächlich jede auf einem Kreisring holomorphe Funktion in eine Laurentreihe entwickeln. Satz 23.2 (Entwicklungssatz von Laurent) Die Funktion f sei auf dem Ringgebiet K r,r (z ) mit r < R holomorph. Dann läßt sich f auf diesem Gebiet in eine (eindeutig bestimmte) Laurentreihe n= a n (z z ) n = a n (z z ) n + a n (z z ) n (23.2) entwickeln. Diese konvergiert auf jeder kompakten Teilmenge von K r,r (z ) gleichmäßig. Für die Koeffizienten gilt a n = f(ζ) dζ, n Z, (23.3) 2πi (ζ z ) n+ ζ z =ρ wobei ρ (r, R) beliebig gewählt werden kann (man beachte unsere Vereinbarung, wonach die Kreislinie {ζ C : ζ z = ρ} im Gegenuhrzeigersinn orientiert ist). Der Beweis benutzt das Entwicklungslemma 22.6 und den Entwicklungssatz 22.7. Wir wollen uns lediglich die Formel (23.3) für die Laurentkoeffizienten a n überlegen. Diese leiten wir aus der Reihenentwicklung (23.2) ab. Für ρ (r,r) konvergiert (z z ) n m= a m+n+ (z z ) m + 367 n= a m+n+ (z z ) m m=

auf {z C : z z = ρ} gleichmäßig. Gliedweises Integrieren dieser Reihe ist daher erlaubt, und wir erhalten f(ζ) (ζ z ) dζ = a dζ n+ n = 2πia n, ζ z ζ z =ρ ζ z =ρ da die Integrale über alle übrigen Summanden verschwinden (vgl. Beispiel aus Abschnitt 22.). Die Bestimmung einer Laurentreihe mit Formel (23.3) ist oft schwierig. Man versucht daher, Laurentreihen aus bekannten Reihen zu gewinnen. Beispiel Die Funktion ist auf C mit Ausnahme der Punkte (z )(z 2) und 2 holomorph. Sie läßt sich also auf D := {z C : z < } in eine gewöhnliche Potenzreihe (Taylorreihe) entwickeln und auf D 2 = {z C : < z < 2} sowie D 3 := {z C : z > 2} in Laurentreihen. Die Partialbruchzerlegung von f ist und z z 2 z = z + z z 2 finden wir mit der geometrischen Reihe: z 2 = 2 (z/2) z = z /z z 2 = z (2/z) =, und für die Summanden z n für z <, = ( z ) n für z < 2, 2 2 = z z = für z >, n z n n= = ( ) n 2 z = 2 n für z > 2. z z n n= Hieraus erhalten wir z n ( z ) n ( = ) z n auf D 2 2 2 n+, z ( z ) n = z n auf D n 2 2 2 n+zn 2, n= n= z + 2 n = (2 n )z n n z n = n= n= 2 n= n= (2 n )z n auf D 3. 368

23.2 Isolierte Singularitäten Sei z C, U Umgebung von z, und f sei eine auf U\{z } definierte und dort holomorphe Funktion. Dann heißt z eine isolierte Singularität von z. Die Funktion f kann in jedem Kreisring K,R (z ), der ganz in U liegt, in eine Laurentreihe entwickelt werden: n= a n (z z ) n = n= a n (z z ) n + a n (z z ) n. Man klassifiziert isolierte Singularitäten nach dem Verhalten des Hauptteiles dieser Laurentreihe. Definition 23.3 a) z heißt hebbare Singularität, wenn alle Laurentkoeffizienten im Hauptteil der Laurentreihe (d.h. alle a n mit n ) verschwinden. b) z heißt Pol, wenn z keine hebbare Singularität ist, aber nur endlich viele Koeffizienten des Hauptteiles ungleich Null sind. Ist a m, aber a n = für alle n > m, so heißt z Pol der Ordnung m. c) Ist z weder hebbare Singularität noch Pol, so heißt z wesentliche Singularität. In diesem Fall sind also unendlich viele der Koeffizienten des Hauptteiles der Laurentreihe ungleich Null. Beispiel 2 Für jede der Funktionen sin z,g(z) =,h(z) = z z 2 e/z (z )(z 2) ist z = eine isolierte Singularität. Im ersten Fall ist diese hebbar, da ) (z z3 z 3! + z5 5! = z2 3! + z4 5! die Laurententwicklung von f ist und der Hauptteil gleich ist. Aus Beispiel wissen wir weiter, dass g(z) = z 2 ( ) z n = 2 n+ 2 z 2 + 3 4 z + ( ) z n 2 n+3 auf D = {z C : < z < }. Also ist z = ein Pol 2. Ordnung von g. Schließlich ist h(z) = e /z = n! z n die Laurententwicklung von h in C\{}. In diesem Fall ist z = eine wesentliche Singularität. Wir sehen uns kurz das Verhalten einer holomorphen Funktion f in der Nähe einer isolierten Singularität z an. Ist z eine hebbare Singularität, so kann f auf 369

einer punktierten Kreisscheibe B\{z } = {z C : < z z < R} in eine Laurentreihe mit Hauptteil entwickelt werden: a n (z z ) n. Die Potenzreihe auf der rechten Seite konvergiert auch für z = z, und zwar gegen a. Es liegt daher nahe, den Wert von f in z mit a festzusetzen. Die so abgeänderte Funktion ist dann auf ganz B = {z C : z z < R} holomorph; die Singularität ist behoben. Ist z ein Pol m. Ordnung von f, so konvergiert die Laurentreihe n= m a n (z z ) n in einer punktierten Kreisscheibe B\{z } = {z C : < z z < R}. Die Funktion g(z) := (z z ) m n= m a n (z z ) m+n = a n m (z z ) n kann dann durch Wahl von g(z ) := a m zu einer auf ganz B holomorphen Funktion fortgesetzt werden. Es ist also g(z) (z z ) m (23.4) mit einer in einer Umgebung von z holomorphen Funktion g mit g(z ). Ist umgekehrt g eine in einer Umgebung von z holomorphe Funktion mit g(z ), so besitzt die durch (23.4) erklärte Funktion f in z einen Pol der Ordnung m. Aus (23.4) folgt lim z z f(z) = an allen Polstellen z von f. Über das Verhalten an wesentlichen Singularitäten gibt folgender Satz Auskunft. Satz 23.4 (Casorati/Weierstraß) Sei z eine isolierte Singularität von f. Dann ist z genau dann eine wesentliche Singularität, wenn zu jedem ω C eine Folge (z n ) mit limz n = z und limf(z n ) = ω existiert. Mit anderen Worten: für jede punktierte Umgebung U\{z } von z im Holomorphiebereich von f ist das Bild f(u\{z }) dicht in C. 37

23.3 Residuen Der Begriff Residuum wird in mehreren Teilgebieten der Mathematik in unterschiedlicher Weise verwendet. In der Funktionentheorie sind Residuen Wegintegrale über Kreislinien. Definition 23.5 Die komplexe Funktion f sei in der punktierten Kreisscheibe K,R (z ) = {z C : < z z < R} holomorph, und sei < ρ < R. Dann heißt das Kurvenintegral 2πi z z =ρ das Residuum von f an der Stelle z. f(z)dz =: Res (f,z ) Nach Satz 22.4 ist diese Definition unabhängig von der Wahl von ρ (,R). Die Orientierung der Kreislinie {z C : z z = ρ} ist wieder im Gegenuhrzeigersinn gewählt. Stellen wir f auf K,R (z ) durch die Laurentreihe n= a n (z z ) n dar und integrieren gliedweise über {z C : z z = ρ}, so folgt f(z)dz = 2πi z z =ρ 2πi n= a n z z =ρ (z z ) n dz = a nach Beispiel in Abschnitt 22.. Das Residuum von f in z ist also dass Überbleibsel bei Integration der Laurentreihe und stimmt mit dem Laurentkoeffizienten a überein. Ist f auch in z holomorph oder ist z eine hebbare Singularität von f, so ist Res (f,z ) =. Klar ist auch, dass Res (f + g,z ) = Res (f,z ) + Res (g,z ). Der folgende Satz ist ein wichtiges Werkzeug zur Integralberechnung. Satz 23.6 (Residuensatz) Sei Γ eine geschlossene, stückweise glatte, doppelpunktfreie und im Gegenuhrzeigersinn orientierte Kurve im Inneren eines einfach zusammenhängenden Gebietes D. Weiter sei f auf D mit Ausnahme endlich vieler Punkte, von denen keiner auf Γ liegt, holomorph. Bezeichnen wir die im Inneren von Γ liegenden isolierten Singularitäten von f mit z,z 2,...,z n, so gilt Γ f(z)dz = 2πi 37 Res (f,z k ). (23.5) k=

D z z2 Beweisidee Für jeden der Punkte z k schneiden wir das Gebiet D entlang einer in z k beginnenden Strecke S k bis zum Rand von D auf, wobei keine zwei der Strecken S k einen nichtleeren Durchschnitt haben sollen. Weiter wählen wir zu jedem z k eine Kreisscheibe B k um z k mit B k B l = für k l und so, dass B k komplett im Inneren von Γ liegt. Wie in der Skizze bilden wir aus Γ, den Strecken S k und den Kreisrändern B k eine geschlossene stückweise glatte Kurve Γ. Nach dem Cauchyschen Integralsatz ist f(z)dz =. Γ Da sich die Integrale längs der Strecken S k aufheben, folgt Γ f(z)dz = k= B k f(z)dz = 2πi Res (f,z k ). k= Damit Satz 23.6 wirklich effektiv zur Integralberechnung eingesetzt werden kann, benötigen wir einfache Möglichkeiten zur Berechnung von Residuen. Wir haben bereits bemerkt, dass Res (f,z ) der Laurentkoeffizient a in der Laurentreihenentwicklung von f um z ist. Für e /z ist daher Res (f, ) =. Weitere Möglichkeiten zur Bestimmung von Residuen bieten die folgenden Lemmas. Lemma 23.7 Ist z ein einfacher Pol von f, so ist Dies folgt sofort aus Res (f,z ) = lim z z (z z )f(z). (23.6) a z z + 372 a n (z z ) n

bzw. (z z ) a + a (z z ) + a (z z ) 2 +... Lemma 23.8 Sind g und h holomorph in einer Umgebung von z und ist g(z ), h(z ) = und h (z ), so hat f := g/h einen Pol erster Ordnung in z, und es ist Res (f,z ) = g(z )/h (z ). (23.7) Wegen (23.6) ist nämlich Res (f,z ) = lim z z (z z ) lim z z z z h(z) h(z ) g(z) = g(z ) h (z ). Für z2 +4 sin z ist beispielsweise Res (f, ) = z2 + 4 cos z = 4. z= Für z finden wir an den Stellen z z n k := e 2πik/n, k =,...,n Res (f,z k ) = z nz n z=zk = z k nz n k = z2 k n = n e4πik/n (man berücksichtige, dass die z k die einfachen Nullstellen des Nennerpolynoms und damit einfache Pole von f sind). Etwas weniger handlich ist die Residuenbestimmung an Polen höherer Ordnung. Lemma 23.9 Ist z ein Pol k-ter Ordnung von f, so ist ( ) d k Res (f,z ) = (k )! lim z z dz (z z ) k f(z). (23.8) k Wie wir aus (23.4) wissen, gibt es eine in einer Umgebung U von z holomorphe Funktion g mit g(z) = (z z ) k f(z) für z U. Ist n= k a n(z z ) n die Laurentreihenentwicklung von f, so ist g(z) = a n k(z z ) n die Potenzreihenentwicklung von g. Der Koeffizient a steht vor (z z ) k, ist also gleich Hieraus folgt (23.8). a = (k )! g(k ) (z ). 373

Als Beispiel betrachten wir die Funktion ( + z 2 ) n = (z + i) n (z i) n, die in ±i jeweils einen Pol der Ordnung n besitzt. Um Res (f,i) zu bestimmen, bilden wir die in einer Umgebung von i holomorphe Funktion Für diese ist und folglich Res (f,i) = g(z) = (z i) n (z + i) n. g (n ) (z) = ( n)( n )...( n n + 2)(z + i) n n+ = ( ) n (2n 2)! (n )! 2)! ( )n (2n (n )! (n )! (z + i) 2n (2i) = i (2n 2)! 2n ( ) 2 (n )! 2 2n. Für die Funktion eiz z 3 erhält man ähnlich Res (f, ) = 2! lim d 2 = z dz 2eiz 2 lim z i2 e iz = 2. Lemma 23. a) Seien g und h holomorph in einer Umgebung von z, und sei z eine Nullstelle der Ordnung n von g (d.h. es gibt eine in einer Umgebung U von z holomorphe Funktion g mit g(z) = (z z ) n g(z) und g(z ) ). Dann ist ) res (h g g,z = h(z ) n. (23.9) b) Sei h holomorph in einer Umgebung von z, und g habe in z einen Pol der Ordnung p. Dann ist ) res (h g g,z = h(z )p. (23.) 23.4 Anwendungen des Residuensatzes zur Integralberechnung Der Residuensatz ermöglicht die Berechnung einiger reeller Integrale, die mit Methoden der reellen Analysis nur schwer zugänglich sind. Wir sehen uns einige Beispielklassen an. 374

23.4. Integrale der Form f(x)dx Satz 23. Sei D C eine offene Menge, die die obere Halbebene {z C : Im z } umfasst. Die Funktion f sei auf D mit Ausnahme endlich vieler Punkte z,...,z n mit Im z k > (k =,...,n) holomorph, und es gelte lim z z. Dann existiert das Integral und es ist f(x)dx := lim R f(x)dx = 2πi R R f(x)dx, Res (f,z k ). (23.) k= Beweis Für R > sei Γ R := {z C : z = R, Im z }. Für hinreichend große R liegen alle Singularitäten z k in {z C : z < R, Im z > }. Nach dem Residuensatz ist also Nun ist aber R R R f(x)dx + f(z)dz = 2πi Γ R Γ R R Res (f,z k ). (23.2) k= f(z)dz πr max f(z) Γ z Γ R R und lim R R max z ΓR f(z) = nach Voraussetzung. Der Grenzübergang R in (23.2) liefert die Behauptung (23.). Die Bedingung lim z z ist z.b. erfüllt, wenn f = p/q eine rationale Funktion ist, bei der der Grad von q um mindestens 2 größer ist als der von p. Beispiel 2 Die Funktion hat genau vier einfache Pole z +z 4 k := e i π+2kπ 4, k =,, 2, 3, von denen z und z in der oberen Halbebene liegen. Die übrigen Voraussetzungen des Satzes sind ebenfalls erfüllt. Aus (23.) folgt also dx + x = 2πi( Res (f,z 4 ) + Res (f,z ) ) ( = 2πi + ). 4z 3 4z 3 Nach kurzer Rechnung erhält man dx + x 4 = 2 2 π. 375

Beispiel 3 Wir berechnen 2x 2 x 5 dx. Die Nullstellen des Nennerpolynoms x 4 +3x 2 +2 q(z) = z 4 + 3z 2 + 2 = (z 2 + )(z 2 + 2) sind z /2 = ±i und z 3/4 = ±i 2. Nach (23.) ist Mit Lemma 23.8 findet man und 2x 2 x 5 x 4 + 3x 2 + 2 dx = 2πi( Res (f,i) + Res (f,i 2) ). Res (f,i) = 2i2 i 5 4i 3 + 6i = 7 i 2i Res (f, 2i) = 2 2i2 2i 5 4 2 2i 3 + 6i 2 = 9 2i 2 2i = 2 + 7 2 i = 2 9 2 2 i. Also ist das gesuchte Integral gleich 2πi ( 2 + 7 2 i + 2 9 2 2 i) = π ( 9 2 7). 23.4.2 Integrale der Form cos αxf(x)dx Satz 23.2 Sei D wie in Satz 23.. Die Funktion f sei auf D mit Ausnahme endlich vieler Punkte z,...,z n mit Im z k > für k =,...,n holomorph, und es gelte lim z. Dann ist für alle α > cosαxf(x)dx + i sin αxf(x)dx = 2πi Res ( e iαz f(z),z k ). (23.3) Die linke Seite schreibt man auch als eiαx f(x)dx und man nennt dies die Fouriertransformation von f. Man beachte, dass die Voraussetzungen in Satz 23.2 schwächer sind als in Satz 23.. Die Bedingung lim ist für eine rationale Funktion f = p/q bereits dann erfüllt, wenn der Grad des Nennerpolynoms um mindestens größer als der des Zählerpolynoms ist. Beispiel 4 Wir berechnen k= cos αx dx für α >. Die Funktion f(z) := (+x 2 ) 2 ( + z 2 ) 2 erfüllt die Voraussetzungen des Satzes. Ihre einzige Singularität in der oberen Halbebene ist der Punkt z = i, wo eine doppelte Polstelle vorliegt. Nach Satz 23.2 ist Da x cos αx ( + x 2 ) 2 dx + i sin αx eine ungerade Funktion ist, ist (+x 2 ) 2 sin αx ( + x 2 ) 2 dx = 2πi Res (eiαz f(z),i). sin αx R sin αx dx = lim dx =. ( + x 2 ) 2 R R ( + x 2 ) 2 376

Mit Lemma 23.9 erhalten wir cos αx ( ( + x 2 ) dx = 2πi Res e iαz ) 2 ( + z 2 ) 2,i = 2πi lim z i ( d dz e iαz ) (z + i) 2 = 2πi lim z i iαe iαz (z + i) 2 e iαz 2(z + i) (z + i) 4 = 2πi iαe α (2i) 2 e α 4i 6 = α + πe α. 2 23.4.3 Trigonometrische Integrale 2π R(cost, sin t)dt Satz 23.3 Sei R = R(z) = R(x, y) eine komplexe rationale Funktion, die keine Pole auf der Einheitskreislinie hat, und sei R(z) := ( z + z zi R, z ) z. 2 2i Dann ist 2π R(cos t, sin t)dt = 2πi Res ( R,z k ), (23.4) wobei z,...,z n die isolierten Singularitäten von R in {z C : z < } sind. Mit z = e it, t [, 2π] ist nämlich cos t = z+z und sin t = z z. Also ist 2 2i 2π ( z + z R(cost, sin t)dt = R, z ) z z = 2 2i zi dz = R(z) dz, z = woraus (23.4) mit dem Residuensatz folgt. Beispiel 5 Wir berechnen 2π R(z) = zi ( ) 2 ( z+z 2 k= cos 2t dt. Wegen cos 2t = 5/4 cos t cos2 t sin 2 t ist 5 z+z 4 2 ) 2 z z 2i = i 2z 4 + 2 2z 4 + 5z 3 2z 2. 377

Das Nennerpolynom hat eine doppelte Nullstelle z = z 2 = und einfache Nullstellen z 3 = /2 und z 4 = 2. Nach Lemma 23.8 ist Res ( R, /2) = und mit Lemma 23.9 finden wir ( Res ( R, d ) = i lim z dz 2i ( + ) 6 8 + 5 4 8 4 2 ) 2z 4 + 2 2z 2 + 5z 2 = 7 6 i, = i lim z 8z 3 ( 2z 2 + 5z 2) (2z 4 + 2)( 4z + 5) ( 2z 2 + 5z 2) 2 = 5 2 i. Also ist 2π 5 4 cos 2t dt = 2πi cos t ( 5 2 i 7 ) 6 i = 2 3 π. Beispiel 6 Als weitere Anwendung von Satz 23.3 berechnen wir 2π mit p C, p. Dann ist R(x,y) = 2px+p 2, also dt 2p cos t+p 2 R(z) = zi p(z + z ) + p 2 = i (z p)( pz). Die Funktion R hat genau einen Pol in {z C : z < }, nämlich p falls p < und /p falls p >. In beiden Fällen ist der Pol einfach, und Lemma 23.7 ergibt Res ( R,p) = i Res ( R, p ) = i p 2 für p <, p 2 für p >. Also ist 2π dt 2p cos t + p 2 = 2π p 2 für p < 2π p 2 für p >. Zahlreiche weitere Anwendungen des Residuensatzes zur Integralberechnung finden Sie in Lehrbüchern zur Funktionentheorie wie Remmert: Funktionentheorie I sowie in Burg/Haf/Wille IV. 378