Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) im Rahmen der EBM-Weiterentwicklung / Vorschläge zur strukturellen Anpassung des EBM einschließlich seiner Kalkulationsgrundlagen Die EBM Reform sollte in dem Geiste erfolgen, dass die Gremien der Selbstverwaltung die Verpflichtung zur Honorargerechtigkeit verantwortungsvoll berücksichtigen. Das bedeutet, dass eine erfolgreiche Gestaltung im Rahmen der von den Krankenkassen geforderten Kostenneutralität dieser Reform zwangsläufig mit Umverteilungen einhergehen muss. Die Vertreterversammlung der KBV hat sich am 26.5.2014 und am 18. und 19.9.2014 für eine Stärkung der persönlichen Leistung und für die Höherbewertung der psychotherapeutischen, psychosomatischen, psychiatrischen und kinder- und jugendpsychiatrischen Gesprächsleistungen ausgesprochen. Die genannten Arztgruppen sollten einen den anderen Arztgruppen entsprechenden Arztlohn je Zeiteinheit erreichen können. Die DGPT sieht dies ebenso: Eine leistungsgerechte Vergütung ist dann erreicht, wenn eine Psychotherapiepraxis bei Durchschnittsauslastung einen gleich hohen Überschuss erzielen kann, wie eine durchschnittlich ausgelastete Praxis der übrigen Arztgruppen. Dieses Ziel ist unserer Meinung nach durch folgende Maßnahmen erreichbar. 1
1. Absenkung der Produktivität Die im EBM für psychotherapeutische Leistungen festgesetzte Produktivität von 67,5% fußt auf dem durch das BSG im Urteil zur Mindestvergütung festgelegten Umfang der Vollauslastung von 36 x 43 (Wochen) = 1.548 Behandlungsstunden im Jahr und nicht auf der im EBM kalkulierten Durchschnittsauslastung. Damit ließe sich mit 36 Behandlungsstunden im Rahmen genehmigungspflichtiger Psychotherapie zu je 84,11 pro Stunde bei einem Arbeitsumfang von 43 Wochen pro Jahr ein Umsatz von maximal 130.204 erzielen. Alle zur Verfügung stehenden Daten weisen jedoch nach, dass es Psychotherapeuten bei einer mit Kassenpatienten voll ausgelasteten Praxis im Sinne der BSG- Rechtsprechung nicht möglich ist, das kalkulatorische Arztgehalt zu erreichen. So weist etwa die ZiPP-Erhebung des ZI (2013) aus, dass die durchschnittliche Praxis im Bereich Psychotherapie in direktem Patientenkontakt nur etwa 29 Behandlungsstunden in der Woche erbringen kann. Dazu kommen 9 Stunden Arbeitszeit ohne Patientenkontakt sowie 5 Stunden, die für das Praxismanagement aufgewendet werden müssen. Aber auch in absoluten Beträgen zeigt sich, wie sehr die Vergütung von ärztlichen und psychologischen Psychotherapiepraxen hinter der Entwicklung der anderen Arztvergütungen hinterher hinkt: Setzt man das den Inhabern von ärztlichen und psychologischen Psychotherapiepraxen maximal zugestandene Honorar in Relation zu der ausgewiesenen durchschnittlichen Arbeitszeit von 44 Stunden, so liegt die durchschnittliche Vergütung bei 68,82 / Stunde. Abzüglich der Kosten für eine voll ausgelastete Praxis in Höhe von 42.974 (normative Kosten einer BSG-Praxis gemäß BSG- Rechtsprechung) verbleibt ein maximaler Überschuss von 87.230 oder von 46,11 / Stunde vor Steuern. Führt man sich dann vor Augen, dass der aktuelle kalkulatorische Arztlohn von 105.572 nach Angaben der KBV im Jahr 2016 (absehbares Tarifgehalt eines leitenden Oberarztes) auf 157.437 erhöht werden müsste, so wird überdeutlich, wie groß der Abstand der Honorare der Inhaber von ärztlichen und psychologischen Psychotherapiepraxen zu somatischen Praxen jetzt schon ist und zukünftig noch größer werden würde. Die Situation wird noch verschärft, da sich bekanntermaßen Inhaber von ärztlichen und psychologischen Psychotherapiepraxen im Gegensatz zu allen anderen Ärzten bei Krankheit und im Urlaub nicht vertreten lassen dürfen, und dass psychotherapeutische Leistungen nicht delegierbar sind. 2
Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass die kalkulatorisch angesetzten 36 Stunden genehmigungspflichtiger Psychotherapie von den meisten psychotherapeutisch tätigen Ärzten und psychologischen Psychotherapeuten nicht leistbar sind, nur 10% aller Psychotherapiepraxen rechnen mehr als 30 Behandlungsstunden pro Woche auf der Basis von direktem Patientenkontakt ab. Die Produktivität ist demnach auf Grundlage einer realistischen wöchentlichen Behandlungszeit unter Berücksichtigung der tatsächlichen Arbeitszeit neu festzusetzen. 2. Anhebung der Kalkulationszeiten 2.1 Genehmigungspflichtige Psychotherapie Die Mindestdauer einer Behandlungsstunde ist im EBM mit 50 Minuten festgelegt. Faktisch dauern die Sitzungen meist einige Minuten länger. Deshalb ist die Kalkulationszeit von 60 Minuten im EBM zu niedrig angesetzt, die notwendigen patientenbezogenen Arbeiten jenseits des persönlichen Kontakts zum Patienten wie Vorbereitung der Sitzung, Dokumentation des Behandlungsverlaufs und das Verfassen von Arztbriefen beanspruchen deutlich mehr Zeit. Dies verdeutlichen auch die Zahlen der oben genannten ZiPP-Erhebung (2013): Danach beträgt das Verhältnis der reinen Behandlungsstunden zum (sonstigen) Arbeitsaufwand 29:14. Würde man dies auf die kalkulierten 36 Behandlungsstunden hochrechnen, käme man auf ein Verhältnis von 36:17 oder 53 Stunden / Woche. Der zu niedrige Kalkulationsansatz wird auch durch die Umfrage der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung DPtV bestätigt, die mit einem Rücklauf von über 60% als sehr aussagekräftig gelten kann. Danach beträgt der reale patientenbezogene und nicht mit anderen EBM-Ziffern zusätzlich abrechenbare Zeitaufwand 77 Minuten je Sitzung. 2.2 Probatorik Noch größer stellt sich die Diskrepanz zwischen Kalkulationszeit und tatsächlich benötigtem Zeitaufwand bei den probatorischen Sitzungen dar, da diese einen noch größeren Dokumentationsaufwand erfordern. Der reale patientenbezogene und nicht mit anderen EBM-Ziffern abrechenbare Zeitaufwand je Sitzung beläuft sich hier auf Grundlage der DPtV-Umfrage auf 82 Minuten. Bei der bisher im EBM festgelegten Dokumentationszeit ging man davon aus, dass diese Dokumentation in den wenigen Minuten bis zur vollen Stunde, also innerhalb der 10-Minuten-Pause bis zum Beginn der nächsten Stunde zu leisten sei. Diese Annahme entspricht nicht mehr den aktuellen Gegebenhei- 3
ten. So hat sich durch die Anforderungen des Patientenrechtegesetzes der Dokumentationsaufwand erheblich erhöht. Eine adäquate Dokumentation ist deshalb inzwischen in der Regel nur noch in längeren Zeitfenstern zwischen den einzelnen Therapiesitzungen oder in größeren Pausen nach mehreren Sitzungen durchführbar. 2.3 Kalkulationszeiten für Berichte Die im EBM angesetzte Kalkulationszeit für Berichte an den Gutachter weicht in eklatantem Maße vom realen Zeitbedarf ab. So wird der Bericht an den Gutachter für eine Kurzzeittherapie nach EBM-Ziffer 35130 mit einer Kalkulationszeit von 30 Minuten bemessen, die Umfrage der DPtV ergab jedoch einen realen Zeitaufwand von 168 Minuten. Der Bericht für eine Langzeittherapie nach EBM-Ziffer 35131 wird mit 60 Minuten kalkuliert, der reale Zeitaufwand beträgt laut Umfrage der DPtV 260 Minuten. Die auch von der KBV im G-BA vorgeschlagene Erweiterung des Umfangs der Behandlungskontingente pro Bewilligungsschritt würde es gestatten, die Kosten für eine sich an die Realität annähernde Erhöhung der Kalkulationszeit zu berücksichtigen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Kalkulationszeiten bei den psychotherapeutischen Leistungen deutlich zu niedrig angesetzt sind und zwingend noch oben angepasst werden müssen. 3. Anhebung der Bewertung der Gesprächsziffern: Die Gesprächsziffern (Kapitel 22 und 23 im jetzigen EBM) sollen die niederschwellige Langzeitbehandlung schwer psychisch kranker Patientinnen und Patienten ermöglichen. Zunehmend werden sowohl auf Wunsch der Politik als auch auf Wunsch der Krankenkassen zeitnahe Erstversorgungs- und akute Kriseninterventionsaufgaben sowie aufgrund fehlender Behandlungskapazitäten in psychiatrischen Praxen, klassisch psychiatrische Versorgungsaufgaben von Psychotherapeuten übernommen. Die Abrechnung der damit verbundenen zeitgebundenen, nicht delegierbaren Leistungen fällt in Psychotherapiepraxen dann an, wenn eine Richtlinientherapie nicht indiziert ist. Eine Angleichung der Bewertung dieser Leistungen an die der genehmigungspflichtigen Psychotherapie ist erforderlich, damit nicht diejenigen KollegInnen finanzielle Einbußen erleiden, die diese dringend notwendigen Versorgungsaufgaben übernehmen. 4
Eine unverträgliche Ausweitung dieser Leistungen kann auch weiterhin durch die derzeit schon im EBM festgeschriebene Begrenzung der Abrechnungshäufigkeit pro Patient verhindert werden. Eine Verbesserung der Bewertung dieser Leistungen ist daher dringend geboten. 4. Anpassung der Betriebskosten an die Vollauslastung: Obwohl die Produktivität von 67,5% der Vollauslastung einer psychotherapeutischen Praxis gemäß BSG-Rechtsprechung entspricht, werden im EBM bei den Betriebskosten die einer Durchschnittspraxis in Höhe von 35.700 angesetzt. Hier werden zu Ungunsten der Psychotherapeuten zwei Systematiken miteinander vermischt: Vollauslastung bei der Arztminute und Durchschnittsauslastung beim technischen Leistungsanteil. Die Betriebskosten müssen deshalb an die Fiktion der Vollauslastung und des sich daraus ergebenden Umfangs an Behandlungsstunden im Jahr angepasst werden. Bei kalkulatorischer Vollauslastung dürfen demnach keine durchschnittlichen Praxiskosten angesetzt werden. 5. Kooperations- und Koordinationsziffern Die KBV hat einen Vertragsentwurf erarbeitet ( Vertrag zur Versorgung von Patienten mit neurologischen und psychischen Erkrankungen ), auf dessen Basis gegebenenfalls als bundesmantelvertragliche Lösung die Kooperation von Hausärzten und Fachärzten mit Psychiatern, Fachärzten für Psychosomatische Medizin sowie allen weiteren Psychotherapeutengruppierungen verbessert werden soll. Damit wurde auch seitens der KBV explizit anerkannt, dass Kooperationen förderungswürdig sind. Man sollte diesen Ansatz auch seitens des Bewertungsausschusses entsprechend fördern und damit erst ermöglichen. Dazu ist eine Zuschlags-GOP für Kooperationsleistungen (Zusammenarbeit in GP oder fachgruppengleichen MVZ) bzw. für praxisübergreifenden Kooperationen bereits im EBM anzulegen. Ansonsten werden sich die zusätzlichen Overheadkosten (ggf. Wartezimmer im MVZ, zusätzliches Personal und weitere sprungfixe Gemeinkosten) nicht finanzieren lassen und den Kooperationswillen im Keim ersticken. 5
Die Möglichkeit der zusätzlichen Honorierung von notwendigen Kooperationsanstrengungen ist im EBM explizit vorzusehen. Berlin, 14. Juli 2015 Dipl.-Psych. Susanne Walz-Pawlita Vorsitzende Dr. med. Beate Unruh Stellv. Vorsitzende Dr. med. Bernhard Janta Stellv. Vorsitzender 6