Substitutionstherapie Versuch einer Typologie Jugendberatung und Jugendhilfe e.v. www.drogenberatung-jj.de Werner Heinz Suchthilfezentrum Bleichstraße 20 60313 Frankfurt werner.heinz@jj-ev.de 1
Charakteristika, Verläufe, Funktionalität: 5 Typen Substitution als Ausstiegshilfe Ambivalenz auf Dauer gestellt Stagnierende Dauersubstitution Ersatzdroge bei drogen- und szenezentriertem Lebensstil Selbstmedikation bei Depression, ADHS und präpsychotischem Zustand 2
Substitution als Ausstiegshilfe -1- Erfolgreiche Kontrolle über den Umgang mit dem Suchtmittel Stop der Suchtdynamik erfolgreiche psychische und soziale Integrationsprozesse als Voraussetzung für Abdosieren zur Abstinenz 3
Substitution als Ausstiegshilfe -2- Patienten-Charakteristika: vergleichsweise gute soziale und psychische Ressourcen, (vgl. Indikationen zur Ambulanten Rehabilitation) stützendes soziales Umfeld, evtl. familiäre Integration schulische/berufliche Kompetenzen häufig Erfahrungen mit (zeitweise erfolgreichen) Abstinenztherapien und Cleanphasen 4
Substitution als Ausstiegshilfe -3- Eingeschränkte Selbstwirksamkeitserwartungen Patienten erleben sich in der Abstinenztherapie als gescheitert geringe Zuversicht in längerfristig stabile Abstinenzfähigkeit hohe Ängstlichkeit gegenüber Rückfallrisiken und Craving 5
Substitution als Ausstiegshilfe -4- Funktionalität des Substitutionsmittels Risikovermeidung Methadon/Subutex als Filter gegen Überforderung durch o o o Emotionen Spannungszustände äußere Anforderungen Vorsorge gegen Craving Dämpfen von Krisen 6
Substitution als Ausstiegshilfe -5- Charakteristika in der Behandlung: Häufig sehr gute Compliance in der medizinischen und suchtherapeutisch/psychosozialen Behandlung aktive Bewältigung von Risikosituation wird ersetzt durch Dosismodifikation Verhandeln mit der Sucht Verhandeln mit der Dosis 7
Substitution als Ausstiegshilfe -6- Suchttherapie / psychosoziale Interventionen: Rückfallprophylaxetraining ambulante Suchttherapie im Einzel- und Gruppensetting Förderung Arbeitsintegration Aktivierende Begleitung: Anregungen Kultur, Freizeit, soziales Übergangsmilieu Selbsthilfegruppen (geringe Akzeptanz) 8
Ambivalenz auf Dauer gestellt -1- Neuaufnahme zur Substitutionstherapie Substitution alternativ zur Abstinenztherapie häufig als übergangsweise Intervention vereinbart (Ziel: Abdosieren nach Stabilisierung) Patienten nach abgebrochener/gescheiterter Abstinenztherapie Patienten in langfristiger Substitution mit ambivalenter Ausstiegsabsicht 9
Ambivalenz auf Dauer gestellt -2- Charakteristika: Verbesserung der Lebenssituation & Entschärfung / Stillstellen der Suchtdynamik aber Kosten und Konsequenzen in Lebensführung werden vermieden Anhaltend wirksame Defizite bei zentralen Sozialisationsleistungen der Adoleszenz (Konstanz im Leistungsvermögen, Berufs- und Partnerrollen, Selbstständigkeit, Verantwortung, Ablösung von Versorgungssystemen) Abstand zur Szene jedoch geringe Selbstwirksamkeitserwartung und instabile Zielorientierung 10
Ambivalenz auf Dauer gestellt -3- Funktionalität des Substitutionsmittels: Methadon/Subutex als Filter gegen überwältigende Gefühle, Krisen Vorsorge gegen Craving Risikovermeidung Abwägen zwischen Methadon und Subutex unter dem Aspekt der Dämpfung und Klarheit 11
Ambivalenz auf Dauer gestellt -4- Charakteristika in der Behandlung: Zeitweise gute Compliance / zeitweise intensive Inanspruchnahme der Hilfen Wiederholte Versuche der Dosisreduktion und Dosiserhöhungen in Rückfallkrisen und psycho-sozialen Krisen Episodisch heftige Rückfallkrisen mit Beikonsum von Heroin, Alkohol, Benzodiazepinen, Kokain Aufdosieren von zusätzlichem Methadon und Etablierung eines methadonzentrierten Suchtmusters Instabile Teilnahme an Integrationsprojekten, häufige Abbrüche 12
Ambivalenz auf Dauer gestellt -5- Therapie/ Betreuung: Motivierung und Bearbeitung der Ambivalenz Entwicklung von Krankheitseinsicht Psychoedukation ambulante Suchttherapie im Einzel- und Gruppensetting Rückfallprophylaxetraining Ausdauersport-Training Betreutes Wohnen / Arbeitsprojekte / Förderung Arbeitsintegration aktivierende Substitutionsbegleitung - Kultur und Freizeit Selbsthilfegruppen modifizierte stationäre Suchtbehandlung 13
Substitution als verfestigter Lebensstil in einem Substitutionsmilieu Stabilisierung eines randständigen Gleichgewichts ohne nennenswerte Kriminalitätsbelastung, Verelendung und Krankheitsbelastung Substitution überwiegend mit Methadon meist in höherer Dosierung zur Dämpfung sehr häufig in Kombination mindestens mit sedierendem Cannabiskonsum Episodischer oder Low-Level-Beikonsum in Grenzen, die die Fortsetzung der Substitution nicht in Frage stellen Geringe Anforderungen und sinkendes Aktivitätsniveau Erlernte Hilflosigkeit und Versorgungshaltungen Hinweise auf mentale Vergreisung (als Folge einer hochdosierten Dauersubstitution?) Opiatsubstitution als Suchttherapie Stagnierende Langzeitsubstitution 1-14
Stagnierende Langzeitsubstitution -2- Funktionalität des Substitutionsmittels: Mäßige Sedierung Filter gegen Ängstlichkeit und Überforderung Risikovermeidung Bindemittel für ein spezifisches Milieu 15
Stagnierende Langzeitsubstitution -3- Therapie/ Betreuung: Anbindung an Ambulanz und Hilfezentrum (Tagesaufenthalt, Teestube, Beschäftigungsprojekte) Psychoedukationsgruppen, Gesprächsgruppen verbunden mit angeleiteten aktivierenden Projekten in Kultur und Freizeit Angeleitete Arbeitsprojekte Jobbörsen zeitweise Integration in Rehaprojekte Betreutes Einzelwohnen Prüfen: stationäre Behandlungsphasen mit dem Ziel der Nachsozialisation, Förderung von Bewältigungskompetenz und Selbstwirksamkeit, Milieuwechsel - Integration in rehabilitatives Milieu 16
Ersatzdroge bei drogenund szenezentriertem Lebensstil Grundversorgung zur Kontrolle von Entzugserscheinungen hoher Beikonsum von Alkohol/Benzodiazepinen, Kokain/Crack oder Heroin/Methadon i.v. Häufig sehr hohe Dosierung (> 100 / 120 mg) mit dem Ziel einer spürbaren Sedierung Hoher Anteil Langzeit- und Schwerstabhängiger in desolater Lebenssituation mit hoher Szenebindung Die Opiatsubstitution wirkt im Sinne von Harm-Reduction als Entdramatisierung des Beschaffungsdrucks. 17
Ersatzdroge bei drogenund szenezentriertem Lebensstil Funktionalität des Substitutionsmittels: Basisversorgung zur Kontrolle des Entzugs Ausmaß und Dynamik des Abstinenzsyndroms werden verringert Kontrollerleben gegenüber zwanghaftem Opiatkonsum wird erhöht. Sedierung verstärkt mit Alkohol,Benzodiazepinen Heroin Aufdosierung mit Methadon bzw. i.v. Methadon Methadonhandel zur Versorgung mit Heroin/Kokain/Crack 18
Ersatzdroge bei drogenund szenezentriertem Lebensstil Besondere Risiken und Nebenwirkungen: Deutliche Hinweise, dass dieses Muster der Opiatsubstitution den Beikonsum von Alkohol/Benzodiazepinen oder Kokain/Crack fördert und verfestigt. 19
Ersatzdroge bei drogenund szenezentriertem Lebensstil Therapie/Betreuung Häufig sehr geringe Compliance - nachlaufende Interventionen des Behandlungssystems Erreichbarkeit vorrangig über lebenspraktische Versorgung in Krisenzentren Haltekraft herstellen / Ziel: Regelmäßigkeit der Substitution / Mitbehandlung von Begleit- und Folgeerkrankungen Konsumkontrollprogramme: KISS Motivationales Casemanagment MOCA Substitutionsgestützte stationäre Kriseninterventionen Teilentgiftungen in Entgiftungsstationen und Übergangseinrichtungen 20
Ersatzdroge bei drogenund szenezentriertem Lebensstil Entwicklungsbedarf Stationäre soziotherapeutische Einrichtung Indikation zur heroingestützten Behandlung 21
Methadon als Selbstmedikation bei Depression, ADHS und in präpsychotischem Zustand Patienten mit psychiatrischer Comorbidität, die Heroin und unter der Substitution Methadon zur Linderung der psychiatrischen Symptomatik einsetzen Häufig Leidensdruck wegen schwerer Selbstwertstörung, sozialer Isolation, Beziehungsstörungen, Störungen im Leistungsverhalten 22
Methadon als Selbstmedikation bei Depression, ADHS und in präpsychotischem Zustand nicht euphorisieren sondern coolen Befähigung, dem unkontrollierbaren Ansturm von Gedanken und Gefühlen zu begegnen. Eigenmächtige Dosiserhöhung von Methadon (Zukauf) erfolgt mit der gleichen Intention Gefahr einer typischen Suchtdynamik unter der Methadonsubstitution. 23