Ihr habt... das Wasser in den Köpfen oder warum der Neptunbrunnen auf den Jakobsplatz gehört

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Transkript:

Ihr habt... das Wasser in den Köpfen oder warum der Neptunbrunnen auf den Jakobsplatz gehört Die Kopie des Neptunbrunnens auf dem Hauptmarkt (Grafik: rijo) Einleitung Im Nürnberger Kommunalwahlkampf 2008 erhob die Gruppierung Die Guten eine Forderung, die zunächst ebenso skurril anmutete wie ihr Name: Die Versetzung des Neptunbrunnens vom Stadtpark auf den altstädtischen Jakobsplatz. Dass man es damit durchaus ernst meinte, bewies im Juli ein entsprechender Antrag im Kulturausschuss des Stadtrates, der qualifizierte Kommentare anderer Parteien ( Das ist ein Schmarrn! ) und hinhaltenden Widerstand der Verwaltung mit Verweis auf die Kosten hervorrief.

2 Den Kombattanten in diesem scheinbar belanglosen lokalpolitischen Scharmützel dürfte kaum bewusst sein, dass sie mit ihrem (Nicht-)Handeln bezüglich des Neptunbrunnens, den das Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte als eine in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts alleinstehende großartige Leistung bezeichnet, eine mittlerweile 340jährige Tradition fortschreiben, deren Bestimmungsfaktoren zeitlos sind. Schlag nach bei Mulzer Dabei hat es vergleichsweise leicht, wer sich verlässlich über die Tragikomödie des originalen Neptunbrunnens und seiner Kopie informieren will, denn 1988, also vor genau zwanzig Jahren, trug Erich Mulzer in seinem Beitrag Neptuns Irrfahrten für die Nürnberger Altstadtberichte gewohnt akribisch alle bis dahin vorliegenden Fakten zusammen. Obwohl er sich sicher nicht als Satiriker verstand, fühlte sich Mulzer angesichts der haarsträubenden Biografie des Kunstwerks gezwungen, seinen Text mit einem beißend sarkastischen Vergleich zwischen Schilda und Nürnberg zu beginnen. Auch bei der sachlichen Schilderung der Abläufe bricht beim Autor immer wieder der heilige Zorn des Lokalpatrioten und Altstadtpapstes durch. Es ist zu vermuten, dass er von seinem jetzigen olympischen Logenplatz aus die aktuelle Diskussion mit Kopfschütteln und wissendem Lächeln über die als Realitätssinn getarnten Engstirnigkeit seiner Nürnberger beobachtet. Neptun II. an seinem heutigen Standort im Stadtpark (Foto: Susanne Rieger)

3 Der Nürnberger Neptunbrunnen, erster Akt Die Langzeit-Realsatire begann 1668 mit der Fertigstellung der vom Rat in Auftrag gegebenen und von Ritter und Schweigger entworfenen Brunnenfiguren - oder eigentlich schon zuvor, denn der Bronzegießer Wolf Hieronymus Herold tritschelte neun Jahre an ihnen herum, entweder aus Umstandskrämerei oder um bei seinen Kunden möglichst viel Geld herauszuschinden. Jedenfalls nahm diese Verzögerung den patrizischen Ratsmitgliedern den ursprünglichen Impetus zu einer barocken Verschönerung ihrer im Niedergang begriffenen Stadt. Das trotz Zeitlupentempo ansprechende Werk der Heroldschen Werkstatt landete unter Verweis auf drohende Kriegsgefahren - die Türken im Osten, der Franzosenkönig Ludwig XIV. im Westen - und deshalb zu befürchtender finanzieller Belastungen des Ministaates Nürnberg im Bauhof. Eine gut verstecktes Highlight: Nixe, Putto und Fabelwesen (hier wasserlos) am Neptunbrunnen (Fotos: Susanne Rieger) Dort entwickelten sich die Plastiken geradezu zu einem Wahrzeichen der ihrem Ende entgegendämmernden Reichstadt, die gelähmt war durch eine oligarchische Regierung sowie eine mit ihr personell wegen Ämtern und Pfründen verfilzten, uneffektiven Verwaltung. Vorstöße zur Aufstellung des Brunnens auf dem Hauptmarkt versandeten im Inkompetenzwirrwarr der beteiligten Stellen. Besonders bezeichnend für deren Problembewusstsein ist die vom Rat 1763 eingeholte Stellungnahme des Bauamtes zu längst gehegten Verkaufsplänen für die mittlerweile in einem eigens für sie errichteten Schuppen präsentierten und dort zur Touristenattraktion avancierten mythologischen Gestalten: Die Sachverständigen fürchteten nicht etwa

4 um den unwiederbringlichen Verlust eines Kunstschatzes, sondern das Ausbleiben der Douceurs (Trinkgelder), gegen die sie auf eigene Rechnung Auswärtige und Einheimische Neptun & Co. sehen ließen, weshalb sie für den Fall einer Veräußerung ihre hochedel wohlgeborenen Herren in zeitgemäß kriecherischem Ton, aber nichts desto weniger nachdrücklich um Ausgleichszahlungen angingen. Künstlerisch ausdrucksstark, handwerklich exquisit: die beiden Seepferdreiter (Fotos: Susanne Rieger) 1797 fand sich mit dem russischen Zaren Peter schließlich ein Abnehmer für die gut erhaltenen, weil unbenutzten Antiquitäten aus dem Nürnberger Schlussverkauf und die Bronzen wurden zur Aufstellung im Park des Schlosses Peterhof bei Sankt Petersburg abtransportiert. In einem Gelegenheitsgedicht eines Nürnbergers, der offenbar am Krämergeist seiner Landsleute verzweifelte, richtete der hier fast 130 Jahre auf dem Trockenen gesessenen Meeresgott damals an die Stadt und ihre Bewohner unmissverständliche Abschiedsgrüße: Doch ich verlange nimmer her. Ihr habt - drum ist s so wasserleer! - das Wasser in den Köpfen. Traditionell trübe Aussichten für göttliche Größen in Nürnberg (Foto: Susanne Rieger)

5 Obwohl diese Wertschätzung offenkundig auf Gegenseitigkeit beruhte, sollte der russische Neptun seine Geburtsstadt gut 140 Jahre später gegen seinen Willen tatsächlich für ein kurzes unrühmliches Intermezzo wiedersehen - um an der Pegnitz wieder wasserlos in einem Depot zu verschwinden. Phönix auf der Asche Zur Ehrenrettung der Nürnberger Kunstbanausen trug nur eine Minderheit bei, die in der Folgezeit dieser kulturelle Ausverkauf wurmte, so Prof. Friedrich Wanderer, der den damaligen Ersten Bürgermeister von Schuh so lange mit dem Plan einer Kopie des Brunnens für den Hauptmarkt nervte, bis dieser 1896, unterstützt von der bayerischen Regierung, den Münchner Gipsformer Ludwig Leichmann nach Peterhof schickte, um Abgüsse vom Original anzufertigen. Bürgermeister von Schuh passte das Vorhaben zwar ins politische Konzept und die positiven Reaktionen auf die öffentlich gezeigten Repliken bestätigten seine populistischen Instinkte, aber so weit, dass er für die Realisierung Geld ausgeben wollte, ging seine Begeisterung dann doch nicht. Da war es gut, wenn man persönliche Beziehungen zu Leuten wie dem jüdischen Ehrenbürger, Kommerzienrat und Hopfenhändler Ludwig Gerngros pflegte, die in großzügigen Stiftungen eine Chance sahen, der mehr oder minder antisemitischen Umwelt gegenüber Loyalität und Gemeinsinn zu beweisen. 1901 erklärten sich Gerngros und seine Frau Julie bereit, die Kosten für den Guss der Figuren und die Aufstellung des Brunnens zu übernehmen, selbstverständlich aber unter der Voraussetzung, dass der Brunnen auf dem Marktplatz [Hauptmarkt], für den ihn die Künstler geschaffen und bestimmt hätten, aufgestellt werde, wie der städtische Verwaltungsbericht den Stifterwillen protokolliert. Stiftertafel am Neptunbrunnen (Foto: Susanne Rieger)

6 Nach derselben Quelle traten bei den nötigen Tiefbaumaßnahmen am Hauptmarkt unerwartete technische Schwierigkeiten und damit erhebliche Mehraufwendungen auf, die das Ehepaar Gerngros gemäß seiner Selbstverpflichtung klaglos übernahm. Eine besondere Note bekommt dieser Sachverhalt durch die Vermutung des Chronisten, die Fundierungsprobleme seien auf Aufschüttungen infolge der Vernichtung des ersten jüdischen Wohnviertels in Nürnberg im Jahre 1349 zurückzuführen, da das ausgehobene Erdreich mit Brandresten durchsetzt war. Die symbolische Überwindung dieser düsteren Zeiten durch die feierliche Einweihung des Neptunbrunnens am 22.10.1902, zu der sich sogar der bayerische Innenminister von Feilitzsch die Ehre gab, war jedoch nicht von langer Dauer. Des Judenbrunnens Wanderschaft vom Adolf-Hitler-Platz vor die Gauleitung Der mit seinem ebenso imposanten wie eleganten neubarocken Bassin 9 m hohe Brunnen entwickelte sich an diesem zentralen Standort zu einer Sehenswürdigkeit Nürnbergs, die in keinem Reiseführer fehlte, und machte so Stiftern und Kommune alle Ehre. Doch auch an der hochwertigen Kopie aus der Gießerei Lenz haftete der Fluch des Neptunbrunnens, der weniger mit schwarzer Magie als den Gegebenheiten der hiesigen Gummunolboliddig zu tun hat. Die bis heute andauernde Posse begann, als in Staat und Stadt fanatische Narren ohne nennenswerten Widerstand das Steuer übernahmen: Bereits im Mai 1933 denunzierte ein eifriger Nazi den Neptunbrunnen bei seinem Parteifreund, dem Oberbürgermeister Liebel, schriftlich (Grußformel: Heil Deutschland - Heil Nürnberg - Heil Hitler! ) als jüdische Stiftung, was auf dem gerade umbenannten Adolf-Hitler-Platz doch nicht angehen könne. Liebel, noch gehemmt durch formaljuristische Bedenken, ordnete daraufhin zunächst nur die diskrete Entfernung der Stiftertafel von der Beckenbrüstung an, wobei die verbleibenden Befestigungslöcher verkittet werden sollten, um ihren ursprünglichen Zweck unkenntlich zu machen. Doch die von der Nürnberger Zeitung angeführte Kampagne zum Abbau des Judenbrunnens entwickelte eine Eigendynamik, der sich die neuen Machthaber nicht entziehen konnten, obwohl ihnen soviel bürgerschaftliches Engagement in dieser Frage wegen anderer Prioritätensetzungen nicht gelegen kam. Ab Herbst 1933 betrieb OB Liebel schließlich mit Rückendeckung des Gauleiters Streicher und dem Einverständnis Hitlers konsequent die Entfernung des Neptunbrunnens. In seiner Faschingsnummer vom 13.02.1934 resümierte das 8- Uhr-Blatt den Vorgang ironisch: Neptun konnte den Nachweis seiner arischen Abstammung nicht erbringen. Es ist daher dem Meergott seitens der Stadtverwaltung gekündigt wor-

7 den. Vier Monate später, am 12.06.1934, konnte die Bevölkerung der Lokalpresse entnehmen: Wie schon vor längerer Zeit beschlossen, soll der Neptunbrunnen vom Adolf-Hitler-Platz entfernt werden. Diese Maßnahme ist notwendig, um einerseits dem Adolf-Hitler-Platz sein ursprüngliches Aussehen wiederzugeben, andererseits aber auch deswegen, weil der Neptunbrunnen bei den Veranstaltungen am Reichsparteitag zweifelsohne gestört hat. Das Argument, er stehe von Lokalpolitikern jeweils als wichtiger eingeschätzten Dingen - braunen Marschkolonnen, bunten Blechlawinen oder der grenzenlosen Spaßgesellschaft - im Wege bzw. dürfe dies unter keinen Umständen, klingt seitdem dem bronzenen Rauschebart in den Ohren. Wie flexibel selbst die Nürnberger Nazis in ästhetischen und weltanschaulichen Fragen sein konnten, bewiesen sie schon vier Jahre später, als der zuvor als protzig bezeichnete Judenbrunnen auf dem umgestalteten Marienplatz wieder auftauchte - justament vor dem mittelfränkischen NSDAP-Gauhaus, wo ihm nun amtlich bescheinigt wurde, durch seine Größe und monumentale Auffassung ausgezeichnet auf diesen neu erstandenen und großzügig gestalteten Platz zu passen, der damals den Namen des Nazi-Märtyrers Leo Schlageter trug. Der doppelte Neptun Das dunkelste Kapitel in der an Verwicklungen reichen Geschichte des Neptunbrunnens stellt der Raub des Originals durch die deutsche Wehrmacht nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 dar. Diese montierte die Figuren in den zusammengeschossenen Ruinen des Zarenschlosses Peterhof ab, das im Belagerungsring um Leningrad lag, und ließ sie nach Nürnberg transportieren, wo sie nach Kriegsende wieder aufgestellt werden sollten. Die Rekonstruktion dieses unsinnigen Aktes kultureller Barbarei - was hätte man hier mit zwei nahezu identischen Brunnen anfangen sollen?! - ist eine nach mehr als sechzig Jahren noch offene Aufgabe für die Historiker, vergleichbar dem Fall des Krakauer Marienaltars, der auch als Kriegsbeute nach Nürnberg gelangte. Jedenfalls ließen die Verantwortlichen auch die Chance nicht aus, ihre an sich harmlose Brunnenposse mit dem schlimmsten Angriffs- und Vernichtungskrieg der Menschheit in Verbindung zu bringen. 1945 gaben die Amerikaner die Bronzen an die Sowjetunion zurück. Verbannung ins Grüne Nachdem sogar die alliierten Bomber eine endgültige Lösung des Dauerproblems Neptunbrunnen, der den ganzen Krieg hindurch ungeschützt auf dem Marienplatz stand, verweigert hatten, war es nach der bisherigen Dramaturgie klar, dass er wieder als Ärgernis auf der Ta-

8 gesordnung des Stadtrats erscheinen würde. Und so ergab sich 1960 für dessen Mitglieder eine erneute Gelegenheit zu weitsichtigen Entscheidungen: Diesmal war er der Zufahrt zum geplanten Zentralen Omnibusbahnhof im Wege und aus dem Rathaus ertönte laut Nürnberger Nachrichten vom 22.04.1960 der schon einmal gehörte Kampfruf Der Brunnen muss weg!. Fehlt nur noch der Tarnanstrich: durch den planschbeckenartige[n] Wassernapf und die Nähe zum Baumbestand verschenkte Wirkung des Neptunbrunnens im Stadtpark (Foto: Susanne Rieger) Um den Willen der längst verstorbenen Stifter, deren Nachkommen aus bekannten Gründen nicht mehr vor Ort waren, scherte sich jetzt niemand mehr, da der etappenweisen Abbau auf dem Hauptmarkt durch die Nazis einen Präzedenzfall geschaffen hatte. Schon beim Wiederaufbau des Stadtzentrums war keiner auf den Gedanken gekommen, den Brunnen an seinen ursprünglichen Standort zurückzuführen. Deshalb konnte er im Juli 1962 nach einem entsprechenden Stadtratsbeschluss aus dem Vorjahr kurzerhand im Stadtpark in einen flachen Napf gestellt (Erich Mulzer) bzw. entsorgt werden. Dort ist er nun zwar vor den Nachstellungen des Straßenverkehrs und von Veranstaltungsfanatikern sicher, doch hätte man auch gleich ein Tarnnetz über ihn werfen können, denn die Wirkung patinierter Bronzefiguren vor Laubbäumen in geringer Entfernung entspricht in etwa einem Schneehasen am Nordpol. Dass sich jemals ein Besucher Nürnbergs zu ihm verirrt hätte, um dort ein frühbarockes Brunnenbeispiel [...] wie es in Deutschland nicht mehr erhalten ist (Elke Masa) zu bestaunen, ist nicht überliefert.

9 Zurück in die Altstadt! Amtliches Modell der Planungen für den Jakobsplatz mit Neptunbrunnen (links unten) bis 1981 (Quelle: Mulzer, S. 56) Angesichts dieser offenkundigen Fehlentscheidung schlug der Verein der Altstadtfreunde bereits 1976 die Aufstellung des Neptunbrunnens auf dem erst durch den Wiederaufbau entstandenen, unhistorischen Freiraum zwischen Elisabeth- und Jakobskirche vor, der bis 1945 mit einer Häuserzeile bebaut war, die zugunsten des Auto- und Straßenbahnverkehrs nicht rekonstruiert wurde. Seine Argumentation ist noch heute städtebaulich überzeugend - weshalb sie auch immer wieder aufgegriffen wird: Der zentrale Platz bietet eine freie Fläche, die den Neptunbrunnen voll zur Geltung kommen lässt und stellt seine Barockformen in ein spannungsreiches Verhältnis zur gotischen Jakobs- und klassizistischen Elisabethkirche. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Annäherung an den Wunsch des Stifters Gerngros und seiner Frau. Als Gründer und langjähriger Vorsitzender der Altstadtfreunde reflektiert Erich Mulzer dieses Motiv in seinem Aufsatz selbstkritisch: Hätte eine solche Lösung auch als Wiedergutmachung gegenüber dem Stifter gelten können? Sicher nicht völlig - denn der von ihm gewählte Ort war und blieb der Hauptmarkt. Aber als belebter und bevölkerter Altstadtplatz lag der neu vorgeschlagene Standort den Vorstellungen von Gerngros, der ja der Stadt eine ihrer Sehenswürdigkeiten zurückgeben wollte, zweifellos unvergleichlich näher als ein vorstädtischer Park. Tatsächlich schienen vor dreißig Jahren die Entscheidungsträger ihren Fehler einzusehen und beschlossen am 16.12.1977 im Kulturausschuss des Stadtrates ohne Gegenstimmen in seltener Eintracht die Versetzung des Neptunbrunnens an die Jakobskirche. Der damalige Baureferent

10 Görl schwärmte schon von einem Platz mit römischem Flair und am 26.10.1981 legte der Bauausschuss die technische Umsetzung fest, nachdem eine bis 1980 bestehende Straßenbahnwendeschleife den Fortgang des Vorhabens verzögert hatte. Real existierender Städtebau in Nürnberg 2008: Pflasterwüste Jakobsplatz, garniert mit Onkel Toms Bratwursthütte nebst exklusiver Parkfläche, Werbemüll und umzingelt von willkürlich verteilten Alibibäumen - Hauptsache die Eventfläche bleibt frei (Foto: Susanne Rieger) Mit etwas Phantasie: Montage des Neptunbrunnens in seinem Originalbecken am bis 1981 vorgesehenen Ort, zur Veranschaulichung der Dimensionen v.l.n.r. mit den Herren von Schuh, Gerngros und dem Stadtrat Heße; nach der Sperrmüllabfuhr würde aus der Fläche ein Platz mit einer Mitte (Grafik: rijo)

11 Doch wie schon 1668 nahm dieser Durchhänger dem Stadtrat im entscheidenden Moment den Elan zur Realisierung bzw. eine veränderte Konstellation im Kommunalparlament und eine flankierende Pressekampagne, in der Kindergartenplätze und Intensivbetten gegen die Kosten der Umsetzung aufgerechnet wurden, schmiedeten eine historische Koalition aus CSU, DKP, FDP und Grünen, die am 04.11.1981 für die Rücknahme der Verlegung votierte, um der bis dahin seit 1945 mehr oder weniger unbeschwert allein vor sich hinregierenden SPD zumindest auf einem Nebenkriegsschauplatz erstmals ihre Grenzen aufzuzeigen. Seitdem liegt das sprichwörtliche Kind endgültig im Neptunbrunnen - in dessen nach Mulzer planschbeckenartige[m] Wassernapf es wenigstens nicht ertrinken kann. Als Lösung ist diesmal kein ausländischer Käufer in Sicht, der ihm ein angemessenes Asyl bieten könnte, wobei man sich bei einem solchen Angebot auf dem internationalen Kunstmarkt oder - als Variante des geschichtlichen Motivs - einem Geschenk an eine aufstrebende Partnerkommune auf eine notorische Tradition berufen könnte und keine wegfallenden Douceurs kompensiert werden müssten. Ironischerweise ist es 1967 dem Zweitguss eines der Neptunbrunnen-Reiter, der 1902 in München angefertigt wurde, gelungen, sich über einen Zwischenstopp am Volksbad (seit 1914) auf der Konrad-Adenauer-Brücke am Wöhrder See näher an die Altstadt heranzupirschen als das komplette Ensemble. Pizza to go statt Piazza to stay 27 Jahre sind in der nach Jahrhunderten zählenden Geschichte des Neptunbrunnens ein Augenzwinkern. Deshalb kann nur der historisch Unwissende den aktuellen Vorschlag als irre Idee abqualifizieren, wie es die Boulevardpresse getan hat, da er ja nichts anderes ist als das Wiederaufgreifen eines Planes, der schon einmal fast umgesetzt worden wäre. Der Aufhänger, die sich 2009 zum 75. Mal jährende, schmähliche Entfernung des Kunstwerks vom Hauptmarkt, sollte wenigstens Anlass zu ernsthaftem Nachdenken sein, egal aus welcher Ecke die Anregung kommt. Doch die bisherigen Reaktionen lassen wenig Einsicht erkennen und folgen dem althergebrachten Muster. In gewisser Weise originell sind lediglich die vor drei Jahren geschaffenen Fakten, als bei der Umgestaltung des Jakobsplatzes die am ursprünglich vorgesehenen Standort bereits vorhandenen Installationen beseitigt wurden. Wen die wohl gestört haben? Nun sei das Umsetzen zu teuer und man habe Bäume gepflanzt - die sich in ihren bescheidenen Pflanzlöchern zweifelsohne zu einem prachtvollen innerstädtischen Urwald mit faszinierender

12 tropischer Fauna und Flora auswachsen werden, einem mehr als gleichwertigen Ersatz für den Neptunbrunnen. Angesichts der tatsächlichen, mit viel Steuergeld erpflasterten Öde des Platzes, der in seiner jetzigen Form nichts anderes ist als ein trostlos amorpher Durchgangsbereich zwischen Ludwigstraße und Weißem Turm, klingt die Aussage eines Vertreters der SPD (Spaßpartei Deutschlands?), er wolle statt des Neptunbrunnens einen freien Jakobsplatz als innerstädtische Eventzone ehrlicher. Im Klartext heißt dies, dass in der Realpolitik nicht die dauerhafte Gestaltung des Stadtraums Vorrang hat, sondern die Bevorratung von buchbaren Freiflächen für Werbetrucks, Plastikzelte und Biertische (s.u. Fotos). Kikifatz wie Brunnen oder Freiplastiken darf die multifunktionale Nutzbarkeit als Lagerplatz für die Nomadendörfer der Gastronomie, Werbewirtschaft oder jeden, der sich die Miete leisten kann, nicht beeinträchtigen. Auf den Gedanken, die letzten Exemplare der aussterbenden Spezies von nur noch eingeschüchtert herumschleichenden Eventzonenanwohnern nach ihrer Meinung zu fragen, kommt sowieso niemand mehr. In den kurzen eventfreien Intervallen wird der angeblich so aufwändig hergerichtete Platz mit Imbissbuden, Werbetafeln und elektrischen Verteilerkästen zugemüllt. Anything goes, wer zahlt, schafft an - o tempora, o mores! Technikmeile auf dem Jakobsplatz, Juli 2008: Freigehege für Eventkaschperl, nur die Elisabethkirche beeinträchtigt noch etwas die fulminante ästhetische Wirkung der Partyzelte und Blechhaufen (Fotos: Susanne Rieger) In dieses Denkmuster passt die ebenfalls von diesem Volksvertreter eröffnete, grandiose Perspektive einer irgendwann doch einmal geplanten Neugestaltung des Obstmarktes, auf den man dann irgendwo und irgendwie den Neptunbrunnen klatschen könne. Logisch: Der Brunnenaufbau auf einem auf weiten Strecken abschüssigen Areal in X Jahren wird sicherlich nur einen Bruchteil der Summe kosten, die jetzt am Jakobsplatz fällig würde, ganz zu schweigen von seiner Wirkung an diesem wiederum völlig andersartigen Standort. Fest steht nur, dass der Obstmarkt wegen seines für Dauersausen ungünstigen Gefälles und durch die unmittelbare Nachbarschaft zum Hauptmarkt vorerst keine Begehrlichkeiten als disponible Kommerz-

13 wüste wecken dürfte und der Meeresgott nebst Hofstaat deshalb dort keinem Megascreen, Bratwurstfestival oder Beachvolleyballfeld im Wege sein würde - außer Nürnberg bewirbt sich auch noch als Veranstaltungsort der Vierschanzentournee. Unsere Ideallösung für das Dauerärgernis Neptunbrunnen (kost nix & steht nie wieder im Weg): Nutzung als gehobener gastronomischer Gimmick auf einem verfahrbaren Pegnitz-Ponton, natürlich privatwirtschaftlich finanziert (Grafik: rijo) Die Hoffnung stirbt zuletzt Trotzdem lassen wir uns nicht entmutigen, denn wie die Odyssee des Neptunbrunnens zeigt, sind zeitlos gute, sachliche Argumente auch durch kurzsichtige Anbiederei an den jeweiligen Zeitgeist und den monotonen Verweis auf die (selbst geschaffenen) Tatsachen nicht tot zu kriegen. Denken in geschichtlichen Zusammenhängen könnte dieser Prozess allerdings wesentlich beschleunigen und eine Lösung bringen, bevor wir im himmlischen Fachbeirat für Bildende Kunst im öffentlichen Raum mit Schweigger, Gerngros, von Schuh und Mulzer die immer noch offenen Fragen diskutieren müssen. rijo

14 Quellen und Literatur http://www.abendzeitung.de/nuernberg/39248 (10.07.2008): Irre Idee: Der Neptun- Brunnen soll in die City zurück! http://www.abendzeitung.de/nuernberg/39485 (11.07.2008): Debatte um Neptunbrunnen voll entfacht. Martina Bauernfeind: Bürgermeister Georg Ritter von Schuh. Stadtentwicklung in Erlangen und Nürnberg im Zeichen der Hochindustrialisierung. Nürnberg 2000. Elke Masa: Freiplastiken in Nürnberg. Neustadt a.d. Aisch o.j. Erich Mulzer: Neptuns Irrfahrten. In: Nürnberger Altstadtberichte Nr. 13 / 1988, S. 21-64. Stadtmagistrat Nürnberg (Hg.): Verwaltungsbericht der Stadt Nürnberg für das Jahr 1902. Nürnberg 1904. Nürnberger Zeitung vom 05.03.2008: Neptun soll zurück. Vorstoß der Guten zum Stadtpark-Brunnen. Nürnberger Zeitung vom 24.07.2008: Ist der Neptunbrunnen im Stadtpark fehl am Platze? (Leserbriefe). Index* Home* http://rijo research.de Susanne Rieger, Gerhard Jochem; Stand: 08.08.2008