Warum brauchen wir eine Neuordnung der Pflegefinanzierung?

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Transkript:

Warum brauchen wir eine Neuordnung der Pflegefinanzierung? Enquete Die künftige Pflegefinanzierung 27. September 2010 ao.univ.prof. Dr. August Österle Institut für Sozialpolitik, WU Wien august.oesterle@wu.ac.at Überblick Wer braucht Pflege? Wer leistet Pflege? Wer zahlt für Pflege? Implikationen für die künftige Pflegepolitik 1

Wer braucht Pflege? Pflegebedarf heute (2008) 422.173 PflegegeldbezieherInnen Altersstruktur: 81+: 48% / 61+: 82% 72.358 Plätze in Alten- und Pflegeheimen davon ca. 59.000 Pflegeplätze 134.509 NutzerInnen von sozialen Diensten 13,7 Mio Einsatzstunden 12.000 NutzerInnen von Personenbetreuung (2010) Wer braucht Pflege? Demografische Entwicklungen (2010-2030) 3000 +1,3 Mio 2500 + 800.000 2000 1500 1000 1,5 Mio. 60 + 80 + 500 350.000 + 130.000 + 280.000 0 2010 2020 2030 Quelle: Statistik Austria (2009, 2010) 2

Wer braucht Pflege? Entwicklung PflegegeldbezieherInnen 2008-2030 700000 + 45% 600000 500000 422173 + 8% + 17% + 25% 400000 Status Quo 300000 Lower Bound Upper Bound 200000 100000 0 2008 2020 2030 Quelle: BMASK (2010), WIFO (2008) Wer braucht Pflege? Pflegebedarf morgen? Alter und Pflegebedarf Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit im Alter Kompression oder Expansion der Pflegebedürftigkeit Wachsender Pflegebedarf Gesundes Altern, Prävention, Rehabilitation 3

Wer leistet Pflege? Wer pflegt heute? Pflege und Betreuung im formellen Sektor Beschäftigte in Alten- und Pflegeheimen Beschäftigte in den sozialen Diensten 23.500 PersonenbetreuerInnen Pflege und Betreuung im familiären Bereich 75% - 80% der Betreuungssituationen vorwiegend informell 80% Frauen; 50% in der Altersgruppe 50 69 Jahre 450.000 Personen leisten regelmäßig Pflege und Betreuung Wer leistet Pflege? Wer pflegt morgen? Informelle / Familiäre Pflege und Betreuung Familien- und Haushaltsstrukturen Erwerbstätigkeit und Betreuung Wohnortnähe, Mobilität und Betreuung Wachsender Druck auf familiäre Betreuungskapazitäten Wachsender Bedarf an leistbaren Alternativen 4

Wer leistet Pflege? Wer pflegt morgen? Außerfamiliäre Pflege politische Ziele Sicherstellung von qualitativ hochwertigen Betreuungsund Pflegeleistungen Sicherstellung des Zugangs zu Pflege und Betreuung unabhängig vom ökonomischen Hintergrund der Betroffenen Selbstbestimmung Strukturen und Kapazitäten nicht ausreichend Sicherstellung der notwendigen Finanzierung? Was kostet Pflege heute? Kosten für Betroffene und deren Familien Erbringung von Pflege- und Betreuungsleistungen Ökonomischer Wert: ca. 2 bis 3 Mrd Kostenbeiträge für soziale Dienste Ko-Finanzierung von Alten- und Pflegeheimplätzen Finanzierung von Personenbetreuung und sozialen Diensten Umfassende individuelle bzw. familiäre Verantwortung 5

Was kostet Pflege heute? Öffentliche Finanzierung Öffentliche Pflegeausgaben: 3,3 3,9 Mrd (1,2% / 1,3% des BIP) Pflegegeld als universelle Leistung Ko-Finanzierung von Sachleistungen Pflege als private Verantwortung mit öffentlichen Unterstützungsleistungen Was kostet Pflege morgen? Gesundheitszustand Demografische Entwicklung Werthaltungen Sozialstrukturen Dauer der Pflege Betroffene Betreuungsbedürftigkeit Qualitätsanspruch Verfügbarkeit KOSTEN DER PFLEGE Arbeitskosten Qualität der (Kosten)Strukturen stationärer und im Pflegesektor Pflege und Betreuung ambulanter Pflege, Geldleistungen Wirtschaftliche Entwicklung des Sektors Arbeitsmarktentwicklung Pflegepolitik 6

Entwicklung der Langzeitpflegekosten 12000 10000 9,9 Mrd 8000 6000 6,2 Mrd 5,4 Mrd Status Quo Lower Bound 4,4 Mrd Upper Bound 4000 3,3 Mrd 2000 0 2008 2020 2030 Quelle: WIFO (2008) Entwicklung der Altenpflegekosten (Vollkosten) 9.000.000.000 8.000.000.000 7.000.000.000 6.000.000.000 5.000.000.000 4.000.000.000 3.000.000.000 2.000.000.000 Mobile Pflege Teilstationäre Pflege Stationäre Pflege 1.000.000.000 0 Best Case Baseline Worst Case Best Case Baseline Worst Case Best Case Baseline Worst Case 2008 2020 2030 Quelle: Forschungsinstitut für Altersökonomie (2010) 7

Ausgabenprojektionen für Österreich (Öffentliche Pflegeausgaben / BIP) 2007 2030 2060 Demographischer Effekt 1,3% 1,7% 2,6% Kompression der Pflegebedürftigkeit 1,3% 1,6% 2,3% Verschiebung informell - formell 1,3% 1,8% 2.7% Referenzszenario 1,3% 1,7% 2,5% (Quelle: Europäische Kommission 2009) Europäischer Vergleich: Große Unterschiede in der Dichte sozialer Dienste und im Umfang sozialpolitischer Leistungen Projektionen am Status-Quo des Pflegesystems orientiert Beträchtlicher zusätzlicher Finanzierungsbedarf Wer zahlt für Pflege? Wer zahlt heute für Pflege? Pflegebedürftige Menschen und deren Familien Informelle Betreuungsarbeit in der Familie, 80% Frauen Private (Ko-)Finanzierung von Leistungen Öffentliche Finanzierung Pflegegeld: universell, als Beitrag zu pflegebedingten Kosten Ko-Finanzierung von Sachleistungen Sonstige Unterstützungsleistungen Und morgen? 8

Schlussfolgerungen Pflege als Nachzügler der Sozialpolitikentwicklung Beginn der Neuorientierung: 1993 aber weiterhin umfassende familiäre Verantwortung (und damit: finanzielle Belastungen, familiäre Pflege- und Betreuungsarbeit, Implikationen für Beruf, usw.) Pflege als eigenständiges soziales Risiko von der Logik der Sozialhilfe zur Logik sozialer Rechte Ausbau der sozialpolitischen Leistungen für Pflege Sicherstellung der Finanzierung Department für Sozioökonomie Institut für Sozialpolitik Nordbergstraße 15, 1090 Vienna, Austria ao.univ.prof. Dr. August Österle T +43-1-313 36-5873 F +43-1-313 36-5879 august.oesterle@wu.ac.at www.wu.ac.at/sozialpolitik 9