Die Konstruktion des Realismus und seine geschichtlichen Ursprünge

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Transkript:

Politik Hannes Kuhl Die Konstruktion des Realismus und seine geschichtlichen Ursprünge Studienarbeit

Inhaltsverzeichnis 1. VORWORT... 0 2. VORSTELLUNG DER REALISTISCHEN DENKSCHULE... 1 A. ORDNUNG, STRUKTUR UND ARBEITSTEILUNG... 1 B. PROZESSE UND INTERAKTIONEN... 3 C. DYNAMIK... 4 3. KRITIK AN DER REALISTISCHEN DENKSCHULE... 5 1. VORWORT 431 v. Chr. brach der Peloponnesische Krieg aus. Sein endgültiges Ende sollte dieser erst 27 Jahre später, nämlich 404 v. Chr. finden. Auslöser dieses, im heutigen Griechenland stattfindenden Krieges, waren unterschiedliche Konflikte zwischen dem attischen Seebund, zu dem an erster Stelle Athen zählte, und dem Peloponnesischen Bund, der von Sparta angeführt wurde. Zu diesen Konflikten zählen unter anderen Aufrüstungs- und Expansionsbestrebungen einzelner Parteien oder Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Bündnisse selbst, die dazu führten, dass die Bündnisse fragiler wurden, wie beispielsweise im Falle der Stadt Potidaia geschehen, die den attischen Seebund verließ 1. Thukydides allerdings erkannte damals bereits in seinem achtteiligen Werk über den Peloponnesischen Krieg (431 411 v. Chr.), dass diese Konflikte lediglich die Auslöser, nicht jedoch die Ursachen waren und zwischen den beiden Begriffen ein deutlicher Unterschied zu machen sei. Als Ursachen ermittelte er als erster die Tatsache, dass Macht und außen- bzw. sicherheitspolitische Interessen der beiden Bündnisse zu der kriegerischen Auseinandersetzung geführt hatten. Festgehalten hat er dies im ersten Teil seiner Oktologie wie folgt: The Lacedaemonians [Spartans] gave sentence that the peace was broken and that war was to be made, not so much for the words of the confederates as for fear the Athenian greatness 1 Kagan - The Peloponnesian War - S. 25ff.

should still increase. For they saw that a great part of Greece was fallen already into their hands. 2 Von Thukydides damaligen Grundgedanken ausgehend, wurden spätere realistische Theorien entwickelt - so auch die Theorie des Neorealismus, dessen bekanntester Vertreter Kenneth Waltz ist. 2. VORSTELLUNG DER REALISTISCHEN DENKSCHULE Der Neorealismus ist vom klassischen Realismus nach Hans Morgenthau abzugrenzen. Während sich Morgenthau auf die drei Basistriebe des Menschen (Überlebenstrieb, Fortpflanzungstrieb, Trieb zu dominieren) beruft, diese auf den Staat und sein Handeln überträgt und dadurch schließlich das Machtstreben der einzelnen Akteure begründet, argumentiert Waltz, dass Staaten sich aufgrund der Anarchie mit einem Sicherheitsdilemma konfrontiert sehen, dessen einzige erfolgsversprechende Lösung das Streben nach Macht ist. a. ORDNUNG, STRUKTUR UND ARBEITSTEILUNG Anarchie stammt von der verneinten Form des altgriechischen ἀρχία (archía Herrschaft) und bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sämtliche Staaten sowohl gleichrangig als auch gleichartig sind ( like units 3 ). Daraus folgt, dass sich alle Nationen stets in ihrer Überlebenssicherung bedroht fühlen und alle politischen Ziele (ökologisch/ökonomisch/etc.) dem sicherheitspolitischen Ziel untergeordnet werden müssen. Und das wirksamste Instrument zur Gewährleistung der Sicherheit eines Staates ist eben eingangs erwähnte Macht - die Währung der internationalen Politik -, wobei die militärische Macht sicherlich das größte Gewicht innehat. Macht im Allgemeinen jedoch ist stets relativ zu denjenigen zu betrachten, deren eigene Kapazitäten bei der Durchsetzung unserer Ziele relevant sind. Ergo ist es wichtig entweder einen quantitativen oder aber einen qualitativen Machtvorteil zu haben. Schimmelfennig umschreibt das Zustandekommen von Macht wie folgt: Militärische Macht setzt natürlich andere Ressourcen voraus. Eine große Bevölkerung erlaubt die Aufstellung umfangreicher Streitkräfte; ein großes Territorium macht Staaten bei 2 Thukydides - History of the Peloponnesian War - Buch 1 - Kapitel 88 3 Waltz, Kenneth International Politics Is Not Foreign Policy, - in: Security Studies 6: S. 54 1

Angriffen weniger verwundbar; die Produktion schlagkräftiger Waffen verlangt technologische Kenntnisse, technische Fertigkeiten und die Verfügung über die notwendigen Rohstoffe und eine leistungsfähige Industrie. Die Beschaffung der Waffen und der Unterhalt und die Organisation der Streitkräfte verlangen schließlich umfangreiche finanzielle Mittel und administrative Kapazitäten des Staates. Insofern gehören auch solche Ressourcen zur Machtbasis des Staates. Wirklich relevant für die Macht eines Staates in der internationalen Politik werden sie aber erst in dem Maße, in dem sie sich in (militärische) Zwangsmacht umwandeln lassen. Rein friedlich genutzte ökonomische Macht hilft letztlich gegen militärische Bedrohungen nicht. 4 Die Tatsache, dass Staaten permanent ihre Macht zu maximieren ersuchen, führt in einem anarchisch organisierten System neben der omnipräsenten Furcht vor Sicherheitsbedrohungen - zu einer dreifachen Angst bei den Einzelstaaten: 1. Angst vor Abhängigkeit 2. Angst vor Betrug 3. Angst vor relativen Verlusten Erstere nimmt Einfluss auf die internationalen wirtschaftlichen Beziehungen. Hier werden teils erhebliche Ineffizienzen verursacht, welche dadurch zustande kommen, dass Volkswirtschaften sich auf der einen Seite auf das spezialisieren, was sie im internationalen Wettbewerb in die bestmögliche Position bringt. Auf der anderen Seite versuchen sie gleichzeitig im Bereich der Grundgüterversorgung möglichst autark und unabhängig von anderen Volkswirtschaften zu bleiben - und das unter Inkaufnahme eben jener Ineffizienzen. Die Angst vor Betrug bewirkt eine gewisse Lethargie bei der Bildung von politischen Bündnissen, Vereinbarungen oder Kooperationen, die die weltweite Sicherheitslage stabilisieren würden. So wird Land A beispielsweise nur zögerlich auf das verfeindete Land B zugehen, um ein gemeinsames Abrüstungsabkommen auszuarbeiten; ganz einfach aus dem Grund, dass man sich gegenseitig nicht traut und es zudem keine Instanz gibt, die ein mögliches Nichteinhalten von Vereinbarungen überprüft und gegebenenfalls sanktioniert. Die letztgenannte, dritte Angst vor relativen Verlusten beruht darauf, dass bei zu großen, langfristigen relativen Gewinnen zugunsten von Land B, die Bedrohung für das unbeschadete Fortbestehen von Land A zunimmt. Vor dem Hintergrund meiner vorangehenden Erörterungen ist es plausibel, dass die ausschlaggebende Variable für die Stabilität und Sicherheit eines internationalen Systems, die 4 Frank Schimmelfennig - Internationale Politik - Seite 70 - Militärische Macht 2