Renate Künast Doppelt gut: Für die Bauern und für die Natur Lehren aus der BSE-Krise

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Transkript:

Renate Künast Doppelt gut: Für die Bauern und für die Natur Lehren aus der BSE-Krise Die BSE-Krise und andere Missstände beim Umgang mit Lebensmitteln zeigen: Es kann so nicht weitergehen! Selbst wenn BSE inzwischen nicht mehr im Mittelpunkt der öffentlichen Berichterstattung steht und die Menschen wieder vermehrt Rindfleisch kaufen, darf diese Entwicklung nicht dazu führen, in den Anstrengungen für sichere Lebensmittel nachzulassen und nach ein paar neuen Vorschriften und Kontrollen zur alten Tagesordnung überzugehen. Das wäre zu kurz gesprungen. Rückblickend haben die Land- und Ernährungswirtschaft sowie die Agrarpolitik in Bund und Ländern zu wenig getan, um Auftreten und Ausbreitung der Rinderkrankheit BSE in Deutschland zu verhindern. Darum ist die derzeitige Krise nicht allein mit einem kurzfristigen Krisenmanagement zu bewältigen. Was ist zu tun? Rund 50 Prozent der Ausgaben des Europäischen Haushaltes werden für die Europäische Agrarpolitik veranschlagt. Eine Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher zweifelt daran, dass diese Mittel im Sinne einer nachhaltigen Landwirtschaft eingesetzt werden. Noch herrscht in weiten Bereichen der Landwirtschaft ein starker Druck zur Kostensenkung, zur Rationalisierung und Spezialisierung und zur Ausdehnung der Produktion, ohne dass sich die Einkommen der Landwirte befriedigend entwickelten. Gleichzeitig kommt es zu Belastungen von Umwelt und Natur, zu langen Transportzeiten für die Schlachttiere sowie zu Defiziten beim Verbraucherschutz. Für mich zählt, was ich in vielen Gesprächen mit Verbraucherinnen und Verbrauchern, mit Umwelt- und Naturschützern und mit Landwirten erfahre und so auf den Punkt bringen möchte: Das Vertrauen in die Sicherheit und Gesundheit der Lebensmittel ist erschüttert. Die gegenwärtige Lebensmittelerzeugung und Ernährung ist nicht immer und überall nachhaltig.

Die Agrar- und Ernährungspolitik haben noch nicht durchgreifend etwas geändert. Wir brauchen daher eine grundlegende Neuorientierung in der Agrar- und Ernährungspolitik. In dieser Einschätzung werde ich im Übrigen auch von den Agrar- und Umweltministern der Länder unterstützt. Sie haben sich auf ihrer gemeinsamen Konferenz in Potsdam am 13. Juni 2001 für eine ökologische Wende ausgesprochen. Mit diesem Beschluss bekräftigen sie einen Wechsel in der Agrar- und Ernährungspolitik hin zu mehr Verbraucherschutz, Umwelt- und Naturschutz, artgerechter Tierhaltung und Entwicklung der ländlichen Räume. Auf europäischer Ebene ist für Kommission und Rat die Integration des Verbraucher- und Umweltschutzes ein wichtiges Ziel. Maßnahmen zur Bewältigung der BSE-Krise Die BSE-Krise ist in Deutschland noch nicht überwunden für eine Entwarnung sehe ich keine Veranlassung. So lange noch an BSE erkrankte Rinder in Deutschland und Europa entdeckt werden, können wir keinen Schlussstrich unter die BSE-Krise setzen. Es ist nötig, weiterhin mit allem Nachdruck daran zu arbeiten, BSE zu verhindern und über BSE hinaus die Lebensmittelsicherheit zu verbessern. Die Bundesregierung hat die notwendigen Konsequenzen gezogen, um den Verbraucherschutz zu stärken und verloren gegangenes Vertrauen zwischen landwirtschaftlicher Erzeugung und Verbrauchern wieder zurückzugewinnen. Eine der ersten Sofortmaßnahmen war die Schaffung eines Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Der Name ist Programm. Verbraucherschutz steht an erster Stelle und wird umfassend wahrgenommen. Wir haben inzwischen umfangreiche Maßnahmen beschlossen, um die Lebensmittelsicherheit zu verbessern. Besonders hervorheben möchte ich: Die Herausnahme der sogenannten Risikomaterialien bei Schlachtrindern aus der Nahrungsmittelkette seit Oktober 2000. Das vollständige Verfütterungsverbot seit Anfang Dezember 2000 von tierischen Eiweißen und Fetten an Tiere, die der Lebensmittelgewinnung dienen. Wir mussten das vollständige Verbot auch auf Nicht-Wiederkäuer ausdehnen, weil offenbar das bereits 1994 eingeführte Verfütterungsverbot von Tiermehl an Wiederkäuer nicht effektiv durchgeführt worden war. Darauf deuten Spuren von Tier-

mehl, die immer wieder bei Stichprobenkontrollen im Rinderfutter festgestellt wurden. Mit dem Totalverbot haben wir jedenfalls den Eintrag von infektiösen Agens durch gegebenenfalls mit Tiermehl verunreinigtes Rinderfutter oder über Fette in Milchaustauschfutter für Kälber in die Rinderbestände unterbunden. Bestandstötung bei BSE-Befall. Diese Maßnahme war innerhalb und außerhalb der Landwirtschaft umstritten. Daher bin ich froh, dass die Europäische Kommission auch auf mein besonderes Drängen hin im Agrarrat im Juni 2001 einen gemeinsamen Beschluss ermöglicht hat, nunmehr von der Bestandstötung abweichen zu können und die reine Kohortentötung rechtlich zuzulassen. Es liegen mittlerweile neue Erkenntnisse vor, die eine Kohortentötung aus Sicht des gesundheitlichen Verbraucherschutzes vertretbar machen. Einführung des BSE-Tests. Seit Anfang Dezember 2000 werden alle über 30 Monate alten geschlachteten Rinder mit einem BSE- Schnelltest getestet. Ende Januar 2001 haben wir in Deutschland diese Altergrenze gesenkt; seither werden alle Rinder, die älter als 24 Monate sind, getestet. Auch wenn die Testung der mehr als 24 Monate alten Rinder auf europäischer Ebene noch nicht konsensfähig ist, halten wir die Maßnahmen weiterhin für erforderlich, denn immerhin wurden zwei Rinder als BSE-infiziert ermittelt, die erst 28 Monate alt waren und somit bei einer 30-Monatsgrenze nicht entdeckt worden wären. Von Januar bis Ende Mai 2001 sind in Deutschland mehr als 1 Million (1 090 209) Rinder auf BSE getestet worden. Davon fielen 79 der Proben positiv aus. Noch kann der Test letztlich keine absolute Sicherheit bieten. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse lassen allerdings die Hoffnung zu, dass wir bezüglich der Testsicherheit, auch an lebenden Tieren, in absehbarer Zeit weiter sein werden. Das Fazit der bisherigen Erfahrungen und Erkenntnisse bei der BSE-Bekämpfung ist: Wir werden den eingeschlagenen Weg konsequent fortsetzen. Dabei werden wir mit größter Sorgfalt darauf achten, dass die eingeleiteten Maßnahmen wirksam fortgesetzt werden, damit mögliche Fehlerquellen vermieden und notwendige Kontrollmöglichkeiten eingebaut werden.

Konzeption der Agrarwende Vorsorgender Verbraucherschutz hat absoluten Vorrang vor wirtschaftlichen Überlegungen. Dieser Vorsatz wird sich auch in der Konzeption der Agrarwende widerspiegeln. Grundanliegen der neuen Agrar- und Ernährungspolitik ist es, den Schutz der Verbraucher zu verbessern, umweltgerechtere Wirtschaftsweisen und artgerechtere Tierhaltung in der Landwirtschaft zu fördern sowie neue Perspektiven für die Landwirtschaft und den ländlichen Raum zu eröffnen. Um die Agrarwende politisch umzusetzen, nutzen wir sowohl die nationalen als auch die europäischen Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten. Den Gegensatz Deutschland gegen die EU gibt es nicht. Und die Reaktionen im Rat und bei anderen Mitgliedstaaten sind positiv, wenn es darum geht, Verbraucherschutz, Tierschutz, nachhaltige Landwirtschaft und Entwicklung ländlicher Räume voranzubringen. Um Wettbewerbsnachteile für die deutschen Bauern zu vermeiden, will ich soviel Verbraucherschutz wie möglich EU-weit und international absichern. Wo aber die Dinge im Argen liegen, können und dürfen wir nicht auf den Letzten im internationalen Geleitzug warten. Darum werde ich auch nationale Lösungen erwägen. Was in Deutschland für den Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutz getan wird, setzt im Übrigen auch Signale in anderen Ländern. Es erhöht dort den Anpassungsdruck, denn der deutsche Markt gehört zu den größten und begehrtesten in Europa. Wer sich hier behaupten will, muss sich an den Anforderungen unserer Verbraucherinnen und Verbraucher ausrichten. Mehr Lebensmittelsicherheit ist vorsorgender Verbraucherschutz Sicherheit und gesundheitliche Unbedenklichkeit sind Grundvoraussetzungen dafür, dass Lebensmittel überhaupt angeboten werden dürfen. Drei Viertel unserer Lebensmittel sind mittlerweile keine landwirtschaftlichen Rohprodukte mehr, sondern werden von der Ernährungswirtschaft be- und verarbeitet. Dies ist u.a. die Folge veränderter Lebens- und Ernährungsgewohnheiten. Lebensmittelsicherheit ist daher eine Aufgabe, um die sich alle Beteiligten in der Lebensmittelkette kümmern müssen. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz nimmt deshalb seine Aufgabe, für mehr Lebensmittelsicherheit zu sorgen, auch durch die stufenübergreifende Integration im magischen Sechseck aus

Vorleistungswirtschaft, Landwirtschaft, Lebensmittelwirtschaft, Handel, Verbrauchern und Politik wahr. Kernaufgabe der Politik im Sinne des vorsorgenden Verbraucherschutzes ist und bleibt es, durch rechtliche Vorgaben und Kontrollen sichere Lebensmittel zu gewährleisten. Ansatzpunkte, um die Lebensmittelsicherheit zu verbessern, werden deutlich, wenn wir uns die wesentlichen Ursachen dafür, dass BSE zu einer europaweiten Gefahr werden konnte, anschauen. Sie liegen vor allem in den arbeitsteiligen Strukturen der Futtermittelindustrie und der Landwirtschaft einschließlich des intensiven Handels mit Futtermitteln und Tieren, sowie nicht ausreichenden rechtlichen Regelungen und mangelnden Kontrollen durch die zuständigen Behörden. Erste sicherheitsverbessernde Maßnahmen sind erfolgt. Das Tiermehlverfütterungsverbot sorgt dafür, dass eine wesentliche Infektionsquelle von BSE ausgeschaltet wurde. Mehr Transparenz und Sicherheit wird auch mit einer offenen Deklaration der Futtermittelbestandteile geschaffen. Wir wollen eine EU-einheitliche Positivliste aller zugelassenen Einzelfuttermittel. Von ihr versprechen wir uns eine wichtige Orientierungshilfe insbesondere für die Verbraucher, Landwirte und für die Futtermittelwirtschaft. Mit einer solchen Liste könnten Kontrollen künftig einfacher und zielgenauer durchgeführt werden. Eine EU-weite Regelung ist aber nicht von heute auf morgen zu erreichen. Darum unterstütze ich die Initiative der Wirtschaft, bereits im Vorgriff darauf ein nationales Futtermittelbuch einzuführen, in dem alle zugelassenen Futtermittel aufgelistet werden. Die Mischfuttermittelwirtschaft hat bereits eine Selbstverpflichtung abgegeben, nach der sie alle Einzelbestandteile angeben will. Unter dem Aspekt des vorsorgenden Verbraucherschutzes werde ich ein EU-weites Verbot der vier noch verbliebenen Antibiotika in der Tierfütterung betreiben. Ich strebe dabei einen Ausstieg bis spätestens 2003 an. Flankierend dazu müssen entsprechende Regelungen im Tierarzneimittelrecht dafür sorgen, dass der Einsatz dieser Stoffe in der Tierhaltung insgesamt reduziert wird. Wie in der Humanmedizin sollen Antibiotika in der Tierhaltung nur im Krankheitsfalle mit ärztlicher Indikation verabreicht werden dürfen. Ich würde es daher sehr begrüßen, wenn Futtermittelwirtschaft und landwirtschaftlicher Berufsstand gemeinsam freiwillig auf den Einsatz antibiotischer Leistungsförderer verzichten.

Sichere Futtermittel sind logischerweise eine zwingende Voraussetzung für sichere Lebensmittel. Die Bundesregierung wird daher die Anforderungen an Futtermittelhersteller, -importeure, -händler und -transporteure verschärfen. Hierzu kann auch die Wirtschaft einen Beitrag leisten, indem sie beispielsweise Branchenleitlinien für eine gute Herstellungspraxis entwickelt. Durch ein Zertifizierungssystem kann sie selbst für mehr Transparenz und Sicherheit im Futtermittelsektor sorgen. Wer in Zukunft dennoch gegen rechtliche Regelungen verstößt, muss mit verschärften Sanktionen rechnen. Qualität den Verbrauchern nahe bringen Qualität muss künftig neben dem Preis zu einem Hauptargument werden; darum ist es wichtig, die Verbraucher über Qualität und Herstellung der Lebensmittel zu informieren. Je mehr Wissen sie haben, desto größer ist die Chance, dass die Verbraucher ihr Kaufverhalten danach ausrichten. Dabei soll es keine Einheitsqualität geben, sondern eine (regionale) Produktvielfalt mit unterschiedlichen Qualitäten. Umfassend definierte Qualität ist für die Wirtschaft auch in Zukunft Ansatzpunkt für Produktdifferenzierung. Wichtig ist dabei, dass die Angaben auf den Etiketten stimmen. Was drauf steht, muss auch eingehalten werden. Jedes Unternehmen haftet nicht nur mit seinem Ruf für die Richtigkeit der Angaben, sondern muss bei Verstößen auch mit Strafen rechnen. Der Staat hat die Aufgabe, den Zugang zu objektiver Information sicherzustellen. Das kann über Kennzeichnungsregelungen oder über Qualitätszeichen geschehen. Ergänzend dazu kann die Wirtschaft mit umfassenden Qualitätssicherungssystemen über alle Verarbeitungsstufen nachweisen, dass sie die in der EU und in Deutschland geltenden Rechtsvorschriften einhält. Ich will den Verbraucherinnen und Verbrauchern mit der Einführung von zwei Qualitätszeichen eine Orientierungshilfe für den Einkauf an die Hand geben. Ein Ökolabel für Produkte aus dem ökologischen Landbau und ein Premiumlabel für Produkte aus dem konventionellen Landbau, die Anforderungen erfüllen, die über denen der guten fachlichen Praxis liegen. Qualität soll auf dem ersten Blick erkannt werden können. Denn immer mehr Menschen definieren Qualität nicht nur über die Inhaltsstoffe eines Produktes, sondern auch

über die Art der Tierhaltung und Herstellung also nach ökologischen Aspekten. Nachhaltige Landwirtschaft und ländliche Räume Die Menschen wollen, dass die Landwirtschaft über das Produzieren von Lebensmitteln hinaus Leistungen für die Gesellschaft erbringt: umweltverträgliche Landbewirtschaftung, artgerechte Formen der Tierhaltung genauso wie die Pflege der Kulturlandschaft und Aufgaben im Umwelt- und Naturschutz. Solche ökologischen und sozialen Leistungen der Landwirtschaft müssen honoriert werden. Hierzu muss die Förderung schrittweise auf die Entlohnung gesellschaftlich erwünschter Leistungen umgestellt werden. Ich will, dass die Landwirtschaft mit der Solidarität der Steuerzahler rechnen kann. Die Landwirtschaft muss sich künftig stärker als bisher am Markt und den Wünschen der Verbraucher orientieren. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft ist die Abkehr von produktionsgebundenen Zahlungen hin zur Entwicklung der ländlichen Räume. Mittel aus dem Marktbereich sind umzuschichten, um neue Maßnahmen einer Politik für den ländlichen Raum zu fördern, z.b. die Umstellung auf den ökologischen Landbau und tierartgerechte Haltungsformen sowie die Verarbeitung und Vermarktung ökologischer, regional erzeugter Produkte. Hierfür werde ich in Brüssel und in Berlin zugleich werben. Der Landwirtschaft und dem ländlichen Raum sollen neue Perspektiven eröffnet werden. Zusammen mit meinem niederländischen Kollegen bin ich einer Meinung, dass Tierhaltung in Deutschland, den Niederlanden und den anderen EU-Mitgliedsstaaten nur Zukunft hat, wenn sie im Einklang mit den gesellschaftlichen Anforderungen steht. Wir brauchen den Rückhalt in der Gesellschaft, wenn wir weiterhin Steuergelder für die Agrarpolitik aufwenden wollen. Nur wenn die Verbraucher sagen "Dafür zahlen wir gern!", wird dieses ein auf Jahre verlässliches neues System sein. Die neue Agrar- und Ernährungspolitik steht für eine multifunktionale Landwirtschaft. Die Bäuerinnen und Bauern im Lande werden nicht nur kostengünstig landwirtschaftliche Erzeugnisse produzieren, sondern darüber hinaus wichtige Leistungen im Naturschutz, im Tierschutz und für die Pflege und den Erhalt der Kulturlandschaft

erbringen. Auf diese Weise entsteht ein Mehrwert, der der Gesellschaft, den ländlichen Räumen sowie dem Erhalt von Arbeitsplätzen zugute kommt. Die Beteiligten sind entscheidend für den Erfolg der neuen Politik Vieles ist in Bewegung gekommen. Die derzeit intensive politische Diskussion über die Neuausrichtung der Agrar- und Ernährungspolitik bietet die Chance, die Zukunft der bäuerlichen Landwirtschaft neu zu organisieren. Im Dialog mit allen Beteiligten, mit den Verbrauchern, der Ernährungswirtschaft, dem Handel, den Landwirten, den Naturschützern und Tierschützern, den Bundesländern und den europäischen Nachbarn. Auch die WTO-Verhandlungen und die EU-Osterweiterung erfordern eine Änderung der gegenwärtigen Agrarpolitik. Die neue Agrar- und Ernährungspolitik ist ein wichtiger und notwendiger Schritt für den vorsorgenden Verbraucherschutz. Doch kann die Politik allein den Erfolg nicht verordnen. Sie ist auf die Mitarbeit und Unterstützung aller Beteiligten angewiesen. Qualität hat jede Menge Chancen. Die Frage ist, wer daran verdient. Ich meine: Was gut ist für die Natur, ist auch gut für die Bauern. ***** Die Tatsache, dass jemand neben mir tot umfällt, ist noch kein Beweis für meine Gesundheit. Reinhard Höppner *****