Behandlungskonzept bei Schenkelhalsfrakturen

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Transkript:

Wolfgang Schlickewei (Hrsg.) Behandlungskonzept bei Schenkelhalsfrakturen Geleitwort von M. Allgöwer Mit 63 Abbildungen und 31 Tabellen Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York London Paris Tokyo Hong Kong Barcelona Budapest

Inhaltsverzeichnis Behandlungskonzept bei medialen Schenkelhalsfrakturen (W. Schlickewei) Biologische Grenzen des Menschen (H.Mohr) Zur Anatomie des Schenkelhalses (R. Putz) Bildgebende Untersuchungen bei der Schenkelhalsfraktur (J. Laubcnbcrger, B. Wimmer, M. Windfuhr, G. Sigmund, C. Buitrago-Tcllez, B. Müller und F. Bonnaire) Behandlungskonzept bei kindlichen Schenkelhalsfrakturen (W. Schlickewei und Ch. Paul) Kopfcrhaltende Operationsmethoden bei der Schenkelhalsfraktur des Erwachsenen (F. Bonnaire, B. Müller und E. Kohlberger) Fcmurkopffrakluren bei vorderen und hinteren Hüftgclcnkluxationen (C. Haag und W. Schlickewei) Die mediale cingestauchte Schenkelhalsfraktur des älteren Menschen: Ist die konscrvativ-frühfunktioncllc Behandlung heule noch vertretbar? (H. Berwarth und W. Schlickewei) 1 3 10 16 27 44 76 91 Die Versorgung der Schenkelhalsfraktur mit der Totalendoprothese (P. Münst und M. Seif-El-Nasr) Behandlungskonzept bei pathologischen Frakturen und frakturgefährdeten Metastasen am proximalen Fcmurendc Indikation, Technik, Ergebnisse (H.-P. Mayer und P. Münst) 121 Sachverzeichnis 135 101

10 Zur Anatomie des Schenkelhalses R. Putz Anatomische Anstalt, Ludwig-Maximilians-Universität, Pettenkoferstr. 11, W-8000 München 2, Bundesrepublik Deutschland Im Bewußtsein um die Häufigkeit von Schenkelhalsfrakturen ist die Frage nach der Bedeutung der Ausbildung eines Schenkelhalswinkels beim Menschen als aufrecht gehendem Primaten zu stellen. Die Entwicklung eines Winkels am proximalen Femurende ist dann einsichtig, wenn man sich die Kräfteverhältnisse im Hüftgelenk einerseits und die für die Balance des Körpers auf dem Standbein notwendigen Hebelarme der Hüftmuskulatur andererseits vor Augen hält. Die Anatomie des Schenkelhalses wird also maßgeblich von der Art der Krafteinteilung im Bereich des Hüftgelenks und von den im Bereich des Trochanter major angreifenden Kräften bestimmt. Dies auf der Grundlage der sich im Laufe des Lebens ändernden Materialcigenschaften der Knochensubstanz. Wie vor allem von Pauwels [13] gezeigt wurde, stehen Schenkclhalswinkcl (CCDWinkel) und resultierende Druckkraft im Hüftgelenk in enger Wechselbeziehung. Mit zunehmendem CCD-Winkel nimmt zwar die Biegebeanspruchung des Schenkelhalses ab, die resultierende Druckkraft erhöht sich aber. Diese Verschiebung ist nicht zuletzt auf eine Änderung der Hebelarme, insbesondere eine Verkürzung des Hebelarmes der Abduktoren zurückzuführen. Da sich der Durchstoßpunkt der Resultierenden aufgrund der Winkelverhältnisse dem Pfannendacherker nähert, wird die Druckverteilung im Hüftgelenk darüber hinaus dadurch negativ beeinflußt, daß sich die Tragfläche verkleinert [5,6]. Bei kleineren CCD-Winkeln drehen sich die Verhältnisse um. Die Resultierende im Hüftgelenk verringert sich und verschiebt sich vom Pfannendacherker weg nach medial. In Abhängigkeit vom realen Abstand vom Acctabulumrand kann sich dadurch wiederum die Tragfläche vergrößern. Der geringere CCD-Winkel führt allerdings zu einer Erhöhung der Biegebeanspruchung des Schenkelhalses. Dies spielt zwar beim jüngeren Individuum nur eine geringe Rolle, bei abnehmender Knochenfestigkeit in der zweiten Lcbcnshälfte kann bei dynamischen Kräften, insbesondere bei Stürzen, die Bruchgrenze jedoch leicht erreicht werden. Eine Osteoporose erhöht die Frakturbercitschaft verständlicherweise noch mehr. Die Verteilung der Beanspruchung innerhalb des Schenkelhalses spiegelt sich in der Materialverteilung wider. Im a.-p.-röntgenbild deutet sich dies zwar an, im Summationsbild kann jedoch die Mineralisation den Gelenkstrukturen nicht ausreiabb. 1 a-c. Kortikalisdicke und lokale Knochendichte des Schenkelhalses, röntgendensitometrische Darstellung von 4 mm dicken Knochenscheiben, a Orientierungsskizze mit Kennzeichnung der Schnittebenen (a, b), b 88jährige Frau, CCD-Winkel 105, c 77jährige Frau, CCDWinkel 135

12 chend exakt lokal zugeordnet werden. Dies ist aber mit Hilfe einer quantitativen Auswertung der Computertomographic möglich, wobei sich ein realistischer Eindruck der Materialverteilung ergibt. Primär scheint dabei in bezug auf die Kortikalis der wesentliche Parameter die Querschnittsfläche und nicht so sehr die Mineralisierung zu sein. In Abb. 1 sind die Verhältnisse an 2 Extrembeispiclen dargestellt. Bei einer 88jährigen Frau mit einem CCD-Winkel von 105 ist die Kortikalis an der Innenseite des Schenkelhalses sehr dick ausgebildet. An der Außenseite ist aber in der niedrigsten Dichtestufe, die einen Anhalt über die Materialverteilung des kompakten Knochengewebes an sich gibt, nur eine dünne Linie darstellbar. Bei einer 77jährigen Frau mit einem CCD-Winkel von 135 findet sich dagegen auch lateral eine deutlich breite Kortikalis. Die Dichteverteilung, die sich aus dem Isodensitenbild ergibt, unterstreicht die Polarität dieser beiden Fälle, wenn daraus auch kein direkter Schluß auf die lokale Festigkeit gezogen werden darf. Neben dem CCD-Winkel ist der Antetorsionswinkcl (AT-Winkel) für die Dauerbelastung des Hüftgelenks von entscheidender Bedeutung. Er beträgt beim Erwachsenen im Mittel um 20, unterliegt allerdings einer größeren individuellen Schwankung. Die Bedeutung dieses Winkels wird dann klar, wenn man sich die Kräfteverteilung des Hüftgelenks in der Sagittalcbenc vor Augen hält. Dabei zeigt sich, daß v.a. bei der Fortbewegung die Resultierende in einem von der Frontalcbenc nach dorsal-kaudal abweichenden Winkel auf das Hüftgelenk trifft. Eigene Untersuchungen an Präparaten bezüglich der Muskelbalance am Hüftgelenk [3] haben ergeben, daß bereits für die normale aufrechte Haltung von einem Antetorsionswinkcl zwischen 11 und 47 ausgegangen werden muß (Abb. 2). Die Messungen von Bergmann et al. [2] an einer instrumentierten menschlichen Hüftprothese unterstützen diese Berechnungen nachdrücklich. Nach diesen Untersuchungen liegt die Resultierende bezogen auf das Femur bei den meisten Bewegungen tatsächlich etwa in der Achse des Schenkelhalses. Die Spongiosa des Schenkelhalses gehört zu den bestuntersuchten Bereichen des menschlichen Skelettsystems. Hier soll nur die funktionelle Wertigkeit der einzelnen Spongiosabündel im Altersgang aufgezeigt werden. Von verschiedensten Untersuchern wurde gerade am Beispiel der Osteoporose klar gezeigt, daß bei Vorliegen dieser Erkrankung und zunehmendem Alter eine Regelmäßigkeit im Erhalt einzelner X Abb. 2. Rechnerische Ermittlung der Lage der Gelenkresultierendcn an 4 Präparaten mittels eines optimierten Muskclmodells [3]. (a Winkel zur Frontalebene, ß Winkel zur Sagittalcbenc)

Abb. 3. Proximale und distale Epiphysenfugen des Schenkelhalses bei einem älteren Jugendlichen, Schnitt in der Antelorsionsebene. Die Fuge zum Femurkopf hin ist an den Rändern abgewinkelt als Ausdruck der Anpassung an die Aufnahme von Scherkräften 13 Spongiosabündel besteht [14]. Ist beim jüngeren Menschen die sich durchflechtende Vielfalt der Spongiosabälkchen oft noch schwer zu durchschauen, so reduziert sie sich im Altersgang mehr und mehr auf die medialen, direkt nach proximal in den Femurkopf ziehenden Bündel. Auch hier scheint ein Zusammenhang mit dem Schenkelhalswinkel vorzuliegen, indem sich bei kleineren CCD-Winkeln deutliche Zugbündcl nach lateral zum Trochanter major hin ausbilden. Die Morphologie des Schenkelhalses wird über die Größe und Richtung der Kräfte im Hüftgelenk hinaus im Detail maßgeblich von der Art der Krafteinteilung beeinflußt. Dies kommt im Entwicklungsablauf besonders in der Ausrichtung der Knorpclfugen zum Ausdruck. Die proximale Epiphysenfuge zeigt, wie in der Literatur verschiedentlich dargestellt [7] in der Frontalebene eine charakteristische doppelte Abknickung (Abb. 3). Aus ihrer Konstanz muß geschlossen werden, daß eine direkte Wechselbildung zum lokalen Kraftfluß besteht. Offenbar treten im Bereich der proximalen Wachstumsfuge nicht unbeträchtliche Scherkräfte auf, die eine entsprechende Ausrichtung der Randpartien der Epiphysenfuge provozieren. Mit Hilfe der CT-Osteoabsorptiometrie [8, 11, 12] konnte gezeigt werden, daß das Pauwels-Modell der Spannungsverteilung im Hüftgelenk [13] nur für den älteren Menschen zutrifft. Die Spannungsverteilung, die sich in der flächenhaften Verteilung der subchondralen Mineralisierung widerspiegelt, zeigt nur beim älteren Menschen eine Ausdehnung und einen Dichtegradienten, der dem oben genannten Modell entspricht (Abb. 4). Beim jüngeren Menschen hingegen finden sich Dichtemaxima vorwiegend in den ventralen und dorsalen Randpartien, was auf eine funktionsbezogene Inkongruenz der Gelenkkörper schließen läßt. Diese Art der exzentrischen Krafteinteilung macht die Entstehung von Kippbewegungen bzw. Scherbeanspruchungen im

14 Abb. 4 a, b. Flächenhafte Verteilung der subchondralen Knochendichte als Ausdruck der hauptsächlichen Spannungsverteilung im Acetabulum, a Typisches Muster bis ca. in das 4. Lebensjahrzehnt, b Typisches Muster ab ca. dem 5. Lebensjahrzehnt Bereich des Femurkopfes plausibel. Es muß daraus gefolgert werden, daß die Spongiosa des Femurkopfes selbst und die des proximal anschließenden Halsantciles exzentrische Kräfte aufzunehmen haben, auch wenn man eine reibungsfreie Druckübertragung im Gelenk unterstellt. In der vorherrschenden Schcrbcanspruchung des Übergangs von Schenkelhals zum Femurkopf könnte auch ein Grund für die vaskuläre Trennung dieser beiden Gebiete gesehen werden. Es ist unserer Auffassung nach nicht auszuschließen, daß die örtliche Scherbeanspruchung im Bereich der ehemaligen Epiphysenfuge lokal zu einer Versteifung und damit verbunden zu einer Verdichtung der Spongiosa führt, was zur Aufrechlerhaltung der getrennten Blutversorgung beitragen könnte. Im Vergleich zur Epiphyse anderer Röhrenknochen sind ansonsten kaum andere Gründe für die Aufrechterhaltung einer eigenen arteriellen Blutversorgung zu sehen. Auch für den distalen, insbesondere den lateralen Bereich des Schenkelhalses läßt sich anhand der Ausbildung der dortigen Knorpelfuge zum Trochanter major eine Aussage über die lokale Beanspruchung ableiten. Baumann hat 1951 auf Grundlage der Untersuchung der Orientierung der Spongiosa des Trochanter major darauf hingewiesen, daß der Trochanter major im wesentlichen einer Druckbeanspruchung unterliegen müsse [1]. Dies steht etwas im Gegensatz zur landläufigen Meinung, die den Trochanter major in erster Linie als Hebel für die Zugkraft der Abduktoren im Hüftgelenk sieht. Nun konnten Heimkes et al. [4] an Verlaufsbildern von gesunden und gelähmten Kindern nachweisen, daß sich die Wachstumsfuge zum Trochanter major exakt nach dem lokalen Kräftespiel orientiert. Sie ist beim gesunden Kind senkrecht zur Resultierenden des Trochanter major ausgerichtet (Abb. 5), die sich in ihrer Größe und Rieh-

Abb. 5. Kräfteschema für das proximale Femurende unter Einbeziehung der Verspannung des Trochanter major (Nach [4]). (M Zugkraft der Abduktoren, M Zugkraft des Tractus iliotibialis, des M. vastus lateralis und des M. vastus intermedius, R Resultierende Druckkraft auf die Trochantcrfuge, R Resultierende im Hüftgelenk, G Körperteilgewicht) 15 Tr T 5 tung aus den Zugkomponenten der Abduktoren des Hüftgelenks und dem Tractus iliotibialis gemeinsam mit Anteilen des Vastus intermedius ergibt. Gerade diese Verspannung zum Schaft des Femurs hin wurde offensichtlich bislang zu wenig beachtet. Der Trochanter major, der wesenüichcn Anteil an der Ausformung des distalen Anteils des Schenkelhalses hat, ist demnach als nach proximal und nach distal verspannte Druckkonstruktion aufzufassen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß unserer Auffassung nach die individuelle Morphologie des Schenkelhalses als komplexer Kompromiß an die lokalen mechanischen Faktoren, wie sie beim Individuum wirksam werden, anzusehen ist. Sowohl seine Einstellung zu den angrenzenden Skelettclementen als auch seine Form und seine Materialverteilung im Detail sind nur im Zusammenhang mit dem auf den Schenkelhals durch den direkten Kontakt oder indirekte Einflußnahme rundum wirkenden Kräfte zu verstehen. Die Wiederherstellung der individuellen Anatomie nach Schenkelhalsfrakturen ist deshalb ohne Zweifel der sicherste Weg, um die Funktionsgerechtigkeit dieses komplexen Gefüges zu erhalten. Literatur 1. Baumann W (1951) Die Bedeutung des Trochanter major für die Festigkeit des Oberschenkelknochens. Dissertation, Frankfurt

16 2. Bergmann G, Graichen F, Rohlmann A (1989) Load directions at hip protheses measured in vivo. XII. Congress of Biomechanics, Los Angeles 3. Dunkelberg DT (1989) Die Muskel- und Gelenkresultierende am Hüftgelenk (Individuelle Muskelfunktionsanalysen in der Standbeinphase). Dissertation, Freiburg 4. Heimkes B, Posel P, Plitz W (1991) The importance of trochanteric apophysis for hip growth. Transact EORS 5. Kummer B (1985) Einführung in die Biomechanik des Hüftgelenks. Springer, Berlin Heidelberg New York 6. Kummer B (1991) Die klinische Relevanz biochemischer Analysen. Z Orthop 129:285 7. Morscher E (1961) Die mechanischen Verhältnisse des Hüftgelenkes und ihre Beziehungen zum Halsschaftwinkel und insbesondere zur Antetorsion des Schenkelhalses während der Entwicklungsjahre. Z Orthop 94:374 8. Müller-Gerbl M, Putz R, Hodapp N, Schulte E, Wimmer B (1989) CT-ostcoabsorptiometry (CT-OAM) for assessing the density distribution of subchondral bone as a measure of longterm mechanical adaptation in individual joints. Skeletal Radiol 18:507-512 9. Müller-Gerbl M, Putz R, Hodapp N, Schulte E (1990) CT-osteoabsorptiometry as a biochemical method for investigating living patients. Clin Biomech 5:193-198 10. Müller-Gerbl M, Putz R, Hodapp N, Schulte E (1990) Die Darstellung der subchondralen Dichtemuster mittels der CT-Osteoabsorptiometrie (CT-OAM) zur Beurteilung der individuellen Gelenkbeanspruchung am Lebenden. Z Orthop 128:128-133 11. Müller-Gerbl M, Putz R, Kenn R (1992) Demonstration of subchondral bone density patterns by three-dimensional CT-Osteoabsorptiometry (CT-OAM) as a non-invasive method for in vivo assessment of individual long-term stresses in joints. J Bone Mineral Research (in press) 12. Müller-Gerbl M, Putz R, Kierse R (1992) People in different ages do show a different hip joint mechanics. Clin Biomech (in press) 13. Pauwels F (1965) Gesammelte Abhandlungen zur funktionellen Anatomie des Bewegungsapparates. Springer, Berlin Heidelberg New York 14. Singh M, Nagratz AR, Maini PS, Rohtak PS (1970) Changes in the trabecular pattern of the upper end of the femur as an index of osteoporosis. J Bone Joint Surg [Am] 52:456