Hubert Heinhold Rechtsanwalt

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Hubert Heinhold Rechtsanwalt Rottmannstraße 11 a 80333 München Tel: 089/542 75 00 Fax: 089/54 27 50 11 heinhold@waechtler-kollegen.de Aspekte der Rechtswidrigkeit von Abschiebungshaft Daß die Abschiebungshaft als solche verfassungsgemäß ist, hat das BVerfG zumindest inzident entschieden, wenn es in seinen verschiedenen Entscheidungen einzelne Modalitäten bei Verhängung der Abschiebungshaft für verfassungswidrig erklärte. Noch nicht vom BVerfG entschieden ist, ob der Vollzug der Abschiebungshaft verfassungskonform ist. Mit guten Argumenten kann man vertreten, daß es hierzu eines Abschiebungshaftvollzugsgesetzes bedürfte, das zumindest die Rahmenbedingungen des Vollzugs bundeseinheitlich festlegt oder daß jedenfalls einzelne Umstände der Vollstreckung, etwa wenn Abschiebungshaft in normalen Justizvollzugsanstalten vollzogen wird, mit der Verfassung nicht im Einklang stehen. Mein Beitrag soll jedoch keine verfassungstheoretischen Abhandlungen liefern, sondern setzt sich mit der Praxis der Abschiebungshaft auseinander und vergleicht diese mit den gesetzlichen Vorgaben. Die von mir erbetene Kritik an der deutschen Wirklichkeit ist zwangsläufig eine pauschale und kann nicht jedem Einzelnen gerecht werden. Die Bedingungen sowohl der Verhängung der Haft, als auch des Vollzugs von Abschiebungshaft sind zu unterschiedlich, als daß sie über einen Kamm geschert werden könnten. Wenn beispielsweise der Vollzug der Abschiebungshaft kritisiert wird, ist etwa Schleswig-Holstein weit weniger gemeint als Bayern; wenn die amtsrichterliche Praxis in Frage gestellt wird, mag dies dem einen oder anderen Amtsrichter geradezu als Verleumdung erscheinen - weil seine Praxis ein völlig andere ist - und doch existieren die kritisierten Mißstände. Meine nachstehenden Darlegungen sind also nicht so zu verstehen, daß sie die allgemeine Lage in Deutschland beschreiben würden, sondern nur dahingehend, daß sie rechtswidrige Praktiken beschreiben, die es in Deutschland gibt - manche selten, einige öfter. Sie ganz abzustellen, ist Ziel meines Beitrages.

1. Die rechtswidrige Praxis beginnt mit der Festnahme. Bei vielen Ausländerbehörden herrscht die Übung, Ausländer gelegentlich der Vorsprache bei der Ausländerbehörde festzuhalten und verhaften zu lassen. Sie werden dann von der Polizei abgeholt und am nächsten Tag dem Haftrichter zur Verhängung von Abschiebungshaft vorgeführt. Diese Praxis ist rechtswidrig, weil das Abschiebungshaftrecht keine Befugnis der Ausländerbehörden vorsieht, Ausländer festzunehmen. Jede Freiheitsentziehung bedarf gemäß Art. 104 GG der gesetzlichen Grundlage und einer richterlichen Anordnung. Das AuslG sieht jedoch weder in 57, noch in 42 Abs. 7 und 49 eine vorläufige Freiheitsentziehung durch die Behörden vor. Auch das AsylVfG enthält keine entsprechende Bestimmung. Ein Rückgriff auf Gewahrsamsvorschriften der Länderpolizeigesetze mit dem Argument der Verhinderung der Fortsetzung einer Straftat (illegaler Aufenthalt), ist so nicht zulässig. In vielen Fällen liegt überhaupt keine Straftat vor, auch ist der wahre Zweck hier die Verhängung von Abschiebungshaft. Der Rückgriff auf die allgemeinen Polizeinormen ist damit eine Umgehung, motiviert durch einen Praxisbedarf. Wenn allerdings unstrittig eine Straftat vorliegt etwa bei einem Aufgriff nach einem illegalen Grenzübertritt oder nach einem Untertauchen, kommt ausnahmsweise Unterbindungsgewahrsam nach Länderpolizeirecht oder 39 BGSG, oder auch eine vorläufige Festnahme nach der StPO in Betracht. Bei dem jedoch nicht seltenen Praxis-Hauptfall der Festhaltung und anschließenden Festnahme liegt eine Umgehung der gesetzlichen Vorschriften vor und damit eine rechtswidrige Praxis. 2. Nach Art. 104 Abs. 2 GG ist jede Freiheitsentziehung dem Richter vorbehalten. Bei jeder nicht auf richterliche Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Unverzüglich heißt sofort oder jedenfalls so rasch als möglich. Die in Art. 104 Abs. 2 GG eingeräumte Frist einer richterlichen Entscheidung bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen ist eine Höchstfrist, die nicht überschritten werden darf und nicht, wie von der Praxis oft gemeint, eine Frist, die man in Ruhe ausschöpfen kann. Eine unverzügliche Entscheidung, die die Verfassung fordert, meint, daß die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen läßt, nachgeholt werden muss (...). Nicht vermeidbar sind z. B. die Verzögerungen, die durch die Länge des

Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind. 1 Die fehlende Möglichkeit wegen Dienstschluß, einen Richter zu erreichen, stellt in der Regel kein solches Hindernis dar, vielmehr müssen wegen der Bedeutung des Richtervorhaltes geeignete organisatorische Maßnahmen ergriffen werden, damit der Haftrichter jederzeit erreichbar ist. Der bloße Hinweis auf den Dienstschluß des zuständigen Amtsgerichtes reicht nicht aus, weil es allgemein festgelegte Dienstzeiten für Richter nicht gibt. 2 Dieses Gebot wird oft mißachtet. Es entspricht verbreiteter Praxis, Festgenommene nicht unverzüglich, sondern, wie bei der Untersuchungshaft am nächsten Tag im Routinegang dem Haftrichter vorzuführen. 3. Abschiebungshaftsachen unterliegen der Beschleunigungsmaxime. 3 Gleichwohl sind Abschiebungshaftsachen nicht grundsätzlich als Eilsachen ausgestaltet. Nach 8 Abs. 1 Satz 1 FEVG wird der Abschiebungshaftbefehl erst mit der Rechtskraft wirksam, mit anderen Worten frühestens nach 2 Wochen. Damit ist an sich ein Sofortvollzug der Abschiebungshaft nicht möglich. Die gesetzliche Regel wäre, daß Haft angeordnet wird, der Betroffene aber auf freiem Fuß verbleibt, bis die Anordnung rechtskräftig geworden ist. Soll die Abschiebungshaft sofort vollzogen werden, muß das Gericht gemäß 8 Abs. 1 Satz 2 FEVG die sofortige Wirksamkeit anordnen. Dies ist nach der Gesetzeslage die Ausnahme. Die Praxis ist anders. Mir ist kein einziger Fall bekannt geworden, in dem nicht der Sofortvollzug angeordnet worden wäre. Ich verkenne nicht, daß in Abschiebungshaftsachen in vielen Fällen ein Sofortvollzug aus der Natur der Sache gerechtfertigt ist, etwa, wenn die Gefahr des Untertauchens besteht. Insofern mag es gerechtfertigt sein, daß in Abschiebungshaftsachen öfter als in anderen FGG-Verfahren, der Sofortvollzug angeordnet wird. Daß dies aber generell und ausnahmslos der Fall ist, ist rechtswidrig. Es gibt mit Sicherheit nicht nur Einzelfälle sondern durchaus einige, in denen es sachgerecht wäre, die Abschiebungshaft, nicht aber den Sofortvollzug anzuordnen. 4 1 BVerfG v. 15.05.2002, InfAuslR 2002, 406 ff. 2 BVerfG a.a.o. 3 vgl. z. B. OLG Frankfurt, NVwZ 1998 Beilage, 22 4 Eine solche Praxis hätte den Vorzug, daß der Ausländerbehörde bzw. das Gericht während des Rechtsmittellaufes das Verhalten des/der Betroffenen beobachten könnte und daraus

4. Die richterliche Anhörung des Betroffenen ist nach Art. 104 Abs. 4 GG und dem Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs stets vor Anordnung der Haft erforderlich. Aber nicht nur der Betroffene selbst, sondern auch ein gesetzlicher Vertreter und ein Ehegatte, sofern die Eheleute nicht dauernd getrennt leben, sind anzuhören. Eine solche Anhörung ist unverzichtbar, da das Grundgesetz der Ehe und Familie einen besonderen staatlichen Schutz angedeihen läßt und die Intensität der Familienbindungen für die Frage, ob sich jemand seiner Abschiebung durch Untertauchen entziehen könnte, von großer Bedeutung sind. Ist ein Bevollmächtigter oder ein nicht-anwaltlicher Beistand bestellt, hat auch dieser das Recht, an der mündlichen Anhörung teilzunehmen. Nicht immer sind die Ehegatten oder die Beistände erreichbar oder stehen kurzfristig zur Verfügung. Derartige Schwierigkeiten suspendieren nicht ihr Anhörungs- und Teilnahmerecht. Die häufig zu beobachtende Praxis, in diesen Fällen den Haftbefehl einfach zu erlassen und es dem Beschwerdegericht zu überlassen, die Anhörung gegebenenfalls nachzuholen, ist rechtswidrig. Gleiches gilt erst recht, wenn eine Anhörung des Betroffenen nicht durchgeführt werden kann. Verstößt der Richter gegen das Gebot vorheriger mündlicher Anhörung, so drückt dieses Unterlassen der gleichwohl angeordneten Sicherungshaft den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu heilen ist. 5 Die Nachholung der Anhörung durch das Beschwerdegericht hat heilende Wirkung nur für die Zukunft. Sachgerecht ist es bei derartigen Fallkonstellationen, nur eine einstweilige Regelung nach 11 FEVG für ein oder zwei Tage zu erlassen und über den Haftbefehl selbst erst nach Durchführung der gebotenen Anhörung bzw. Anwesenheit der Bevollmächtigten zu entscheiden. Die gegenteilige, nicht nur vereinzelte Praxis, ist rechtswidrig. 5. Nach 12 FGG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu veranlassen und die geeignet dann entweder die Notwendigkeit einer Haft (oder des Sofortvollzuges) überzeugend begründen könnte oder den bereits erlassenen Haftbefehl wieder aufheben könnte. 5 BVerfG v. 11.03.1996, InfAuslR 1996, 198 ff.

erscheinenden Beweise aufzunehmen. Der Richter darf sich nicht auf die Überprüfung der Plausibilität der von der Behörde vorgetragenen Gründe für die Freiheitsentziehung beschränken. 6 Das FGG-Verfahren ist kein Parteienverfahren, in dem etwa der Vortrag der einen Seite als zugestanden gilt, wenn die andere nicht substantiiert bestreitet. Vielmehr hat das Gericht das Vorliegen der Haftvoraussetzungen eigenständig zu prüfen und gegebenenfalls Ermittlungen anzustellen. Zur selbstverständlichen Pflicht des Amtsgerichtes zählt dabei, zu prüfen, ob überhaupt die Grund-Voraussetzungen für die Anordnung von Abschiebungshaft vorliegen, bei der Sicherungshaft also eine vollziehbare Ausreisepflicht. Ob eine solche tatsächlich vorliegt, kann nur beurteilt werden, wenn sich der Amtsrichter die vollständigen Ausländerakten vorlegen läßt. Die nicht seltene Praxis, sich mit Auszügen der Ausländerakte zu begnügen oder gar ganz auf die Vorlage der Akten zu verzichten, ist unakzeptabel. Der Richter, der so handelt, nimmt seine richterliche Aufgabe nicht wahr. Denn nur bei Durchsicht der Akten kann festgestellt werden, ob die Ausreisepflicht überhaupt wirksam begründet wurde eine mangelhafte Zustellung könnte dies verhindern und, ob sie vollziehbar ist oft existiert eine noch wirksame Duldung. Hinzu kommt, daß oft erst ein Blick in die Akten Aufschluß über das bisherige Verhalten des Betroffenen gibt und damit Anhaltspunkte über das Ausmaß der Gefahr, daß sich der Betroffene einer Abschiebung entziehen werde. Erst die Kenntnis der Akten ermöglicht dem Haftrichter die Prüfung, ob das Beschleunigungsgebot beachtet wurde, was insbesondere bei Verlängerungsanträgen von größter Bedeutung ist. Die verbreitete Praxis, ohne Kenntnis der vollständigen Akten zu entscheiden, ist rechtswidrig. 6. 57 AuslG zählt die Voraussetzungen auf, unter denen ein Ausländer in Haft zu nehmen ist. Gleichwohl genügt die Subsumption unter die einzelnen Absätze und Nummern von 57 nicht zur Haftanordnung. Vielmehr ist stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Auch wenn die Tatbestandsvoraussetzungen dem Wortlaut nach vorliegen, ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine Haftanordnung verhältnismäßig ist. 7 6 BVerfG v. 11.03.1996, InfAuslR 1996, 198 ff. 7 BVerfG v. 13.07.1994, EZAR 048 Nr. 13 Der

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt auch die Prüfung, ob nicht weniger einschneidende Mittel als die Abschiebungshaft zur Sicherung der Abschiebung zur Verfügung stehen. Dies können etwas Meldeauflagen, räumliche Beschränkungen des Aufenthaltes oder die Unterbringung in Jugendeinrichtungen sein. 8 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist auch bei einer kurzfristigen Sicherungshaft gemäß 57 Abs. 2 Satz 2 zu prüfen. Die Anordnung derselben nur aus Kostenersparnis- und Verwaltungsvereinfachungsgründen wird dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gerecht und ist rechtswidrig. Eine verbreitete Praxis begnügt sich mit der Prüfung der einzelnen Tatbestandsmerkmale und berücksichtigt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht. Dies ist rechtswidrig. 7. Mit der Anordnung der Haft sind Ausländerbehörde und Amtsrichter nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Vielmehr haben beide während der gesamten Haftzeit zu prüfen, ob die Haftvoraussetzungen noch vorliegen. Ist dies nicht der Fall, ist die Ausländerbehörde von sich aus verpflichtet, durch eine Rücknahme des Haftantrages die Freilassung des Betroffenen zu veranlassen. Haben sich Änderungen ergeben, die möglicherweise (nach Auffassung der Ausländerbehörde aber nicht) die Haftgründe in Frage stellen, muß der Richter hiervon unterrichtet werden. Denn dieser trägt für die gesamte Dauer der Haft die Verantwortung für ihre Rechtmäßigkeit und muß deshalb auch imstande gesetzt werden, gegebenenfalls einzugreifen. Das Unterlassen der Mitteilung ist eine Amtspflichtverletzung, die möglicherweise einen Schadensersatz auf Schmerzensgeld auslöst 9 und eine Freiheitsberaubung darstellen kann. Ist der Betroffene, oder ein Dritter, der Auffassung, daß die Haftvoraussetzungen nicht mehr vorliegen und wird der Haftrichter hiervon unterrichtet (formlos oder in Form eines Haftaufhebungsantrages), hat der Richter unverzüglich das Vorliegen der Haftvoraussetzungen zu überprüfen und den Antrag gegebenenfalls zu verbescheiden. Die zu beobachtende gegenwärtige Praxis, sich mit den Haftgründen erst dann wieder zu befassen, wenn eine Verlängerung der Haft ansteht, ist rechtswidrig. 8 OLG Köln, NVwZ 2003, Beilage I, 64 9 OLG Oldenburg, InfAuslR 2003, 296

8. Zurückweisungshaft gemäß 60 Abs. 5 AuslG und Zurückschiebungshaft gemäß 61 Abs. 3 AuslG verweisen auf 57 AuslG. Dies bedeutet, daß auch hierbei die Haftvoraussetzungen des 57 AuslG zu prüfen sind und insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten ist. Es besteht eine verbreitete Praxis, bei einem illegalen Grenzübertritt generell Zurückschiebungshaft anzuordnen. Ein Vorredner vom Bundesamt berichtete von einer 100%igen Quote an der deutsch-österreichischen Grenze. Eine solche Praxis ist rechtswidrig. Auch wenn es sein mag, daß die Haftgründe pauschal gesprochen also die Gefahr, daß sich der Betreffende einer Abschiebung entziehen wird bei einem Aufgriff nach illegalem Grenzübertritt öfter vorliegen als bei dem Normalfall der Sicherungshaft, gibt es mit Sicherheit eine erhebliche Zahl auch anderer Fälle. Bei demjenigen etwa, bei dem ein nationaler Aufenthaltstitel des Nachbarstaates vorliegt (weshalb er glaubte, zum visumsfreien Grenzübertritt berechtigt zu sein), bei demjenigen, bei dem die Identität unstrittig ist und die Familie im Nachbarstaat lebt, um nur einige Beispiele zu nennen, ist die Gefahr des Untertauchens relativ gering. Die sofortige Rückkehr scheitert meist nur an dem oftmals langwierigen bürokratischen Procedere, das der Betreffende nicht zu vertreten hat. Die automatische Inhaftnahme dieser und anderer Personen, bei denen die Gefahr des Untertauchens nicht besteht, ist rechtswidrig. Vielmehr ist diesen Fällen eine Duldung zu erteilen, bis die freiwillige Rückkehr möglich ist. 9. Der Vollzug der Abschiebungshaft erfolgt teils in eigenen Abschiebungshafteinrichtungen wie hier in Schleswig-Holstein, teils aber auch in normalen Justizvollzugsanstalten. Die Bedingungen sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Teilweise sind die Umstände für die Schüblinge noch schlechter als für Strafhäftlinge, mancherorts sind die Bedingungen zufriedenstellend. Auch wo dies der Fall ist, besteht jedoch Anlaß, daran zu erinnern, daß Abschiebungshaft weder eine Strafe noch ein Zwangsmittel im Sinne einer Beugehaft darstellt. Abschiebungshaft ist reine Zivilhaft, die einen einzigen Zweck verfolgt, nämlich sicherzustellen, daß der Betreffende abgeschoben werden kann. Alle anderen Maßnahmen als die, die hierfür erforderlich sind, sind unzulässig.

Erforderlich in diesem Sinne ist eigentlich nur eine einzige Maßnahme: Die Beschränkung der Bewegungsfreiheit zum Zwecke des Untertauchens. Alle anderen Beschränkungen, wie eingeschränkte Besuchsmöglichkeiten, eingeschränkter Post- und Telefonverkehr, Einschränkung der Bewegungs- und Handlungsfreiheit innerhalb der Einrichtung, Einschränkung der freien Arztwahl, um nur einige der mehr oder weniger üblichen Beschränkungen zu nennen, sind vom Zweck der Abschiebungshaft her nicht geboten. Sie sind nichts anderes als Folgen einer bestimmten Organisation und letztlich nur unter dem Kostenargument begründet. Damit sind derartige Beschränkungen aber unzulässig: Die Rechtspraxis hat sich zu entscheiden, ob sie, gegebenenfalls mit hohem Personalaufwand, die notwendigen Bedingungen schafft, oder ob sie, wenn die Schaffung solcher Bedingungen zu teuer erscheint, auf Abschiebungshaft (zumindest in größerem Umfang als gegenwärtig) verzichtet. Die gegenwärtige Praxis jedoch, Abschiebungshäftlinge wie Strafoder U-Häftlinge zu verwahren und sie Beschränkungen zu unterwerfen, die aus der Sache heraus nicht begründet sind, ist rechtswidrig. Ich bin mir dessen bewußt, daß die Beachtung der aufgezeigten Grundsätze für die Praxis nicht immer einfach ist und einen erhöhten Aufwand mit sich zieht. Gleichwohl darf davon nicht abgewichen werden. Denn die Freiheit der Person ist eines der höchsten Güter unserer Verfassung. Ein Freiheitsentzug muß die Ausnahme bleiben, darf nur unter Anwendung größtmöglicher Sorgfalt angeordnet und muß zu Bedingungen durchgeführt werden, die die Belastungen auf ein Minimum reduzieren. Hubert Heinhold, Rechtsanwalt