Die Umweltzone in Hannover Erfahrungen und Rechtsprechung Ass. jur. Antje Watermann Handwerkskammer Hannover
Die Umweltzone in Hannover Die Landeshauptstadt Hannover hat entsprechend der Zuständigkeitsübertragung durch das Land Niedersachsen einen Luftreinhalte-Aktionsplan in eigener Zuständigkeit aufgestellt (Ratsbeschluss vom 12. Juli 2007). Dieser Luftreinhalte-Aktionsplan sieht folgende Fahrverbotsstufen vor: 2008 2009 3 4 frei 2010 2 3 2 4 4 1. Januar 2010
Gebiet der Umweltzone Hannover: Die Umweltzone liegt im inneren Bereich der Stadt Hannover. Sie befindet sich zwischen Süd-, Westund Messeschnellweg. Die nördliche Grenze bildet der Sahlkamp. 3
Welche besonderen Ausnahmeregelungen gelten in Hannover? Allgemeinverfügung der Landeshauptstadt Hannover vom 14. August 2009 I. Generelle Ausnahmeregelungen: Benzin-Kfz mit geregeltem Kat, die keine grüne Plakette bekommen Schaustellerfahrzeuge Busse des ÖPNV Reisebusse Fahrzeuge mit Kurzzeitkennzeichen II. Ausnahmen im Einzelfall: Für Privatpersonen / Vereine: Gebühren für die Ausnahmebewilligung: 1. befristet: 12,- (für einen Zeitraum bis zu 7 Tagen) 2. in allen anderen Fällen: 100,- Kfz kann nicht auf grün nachgerüstet werden und die Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges ist wirtschaftlich nicht zumutbar (bei Einzelpersonen Richtwert: Nettoeinkommen unter 1.290,- ; bei zwei Personen: 1.960,- ) und ein Haupt- oder Nebenwohnsitz liegt in der Umweltzone oder die Nutzung des ÖPNV stellt eine außergewöhnliche Belastung dar So genannte Spezialfahrzeuge (z. B. ausgebaute Campingbusse) (Bei Bezug von ALG II oder Grundsicherung wird die Gebühr auf 20,- ermäßigt.) 4
Welche besonderen Ausnahmeregelungen gelten in Hannover? - Fortsetzung - Für Gewerbetreibende / Freiberufler etc.: 1. Kraftfahrzeug ist nicht auf grün nachrüstbar und die Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges würde zur Existenzgefährdung führen (Beleg durch eine begründete Bestätigung des Steuerberaters). 2. Spezialfahrzeuge (z. B. Werkstattwagen von Handwerksbetrieben): 5
Spezialfahrzeug = Kraftfahrzeuge mit aufwändigeren Ein-, Um- oder Aufbauten gegenüber dem zugrunde liegenden Serienfahrzeug muss eine deutliche Verschiebung der Wertanteile zwischen Fahrzeug und Zusatzbauten gegeben sein ABER: Einschränkung: jährliche Fahrleistung in der Umweltzone nicht mehr als 2.000 km! 6
Weitere Ausnahmetatbestände, welche eine (befristete) Ausnahmebewilligung rechtfertigen: Nachrüstung bereits beauftragt, aber noch nicht ausgeführt / Ersatz- Kfz bereits bestellt, aber noch nicht geliefert Ausnahmebewilligung befristet bis zur Nachrüstung / Lieferung konkreter (Einzel-) Auftrag in der Umweltzone Ausnahmebewilligung befristet für die Dauer des Auftrages Kfz-Händler hat seinen Betriebssitz in der Umweltzone für die betroffenen roten Dauerkennzeichen EURO-3-Fahrzeug, das nicht nachgerüstet werden kann öffentliches Interesse an der Fahrt für Hotelgäste in der Umweltzone für die Dauer des Aufenthaltes 7
Wie sieht die Betroffenheit des Handwerks aus? Von Fahrverboten betroffene Fahrzeuge des Handwerks: freie Fahrt 48% in 2008 11% in 2009 17% in 2010 24% * Ergebnis einer Online-Befragung der Handwerkskammer Hannover unter ihren Mitgliedsbetrieben im Jahr 2008 (Teilnehmer: 380 Betriebe mit 1332 Fahrzeugen) 8
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 21. April 2009 Das Verwaltungsgericht Hannover hat in seiner o. g. Entscheidung den Luftreinhalte- und Aktionsplan der Landeshauptstadt Hannover als formell und materiell rechtmäßig bestätigt. Die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit beschäftigt sich im Kern mit den zwei folgenden Punkten: 1. Überschreitung des Grenzwertes für Feinstaub 2. Überschreitung des Grenzwertes für Stickstoffoxide 9
Argumentation im Bereich Feinstaub seit dem Jahr 2006 gibt es insoweit keine Grenzwertüberschreitungen mehr im Jahr 2006 lag die Anzahl der Überschreitungstage mit 27 deutlich unter dem Grenzwert (2007: 8 Überschreitungstage, 2008: 13 Überschreitungstage) [Anm.: vorläufiges Messergebnis für 2009: 9) Mögliche Ursachen für den Rückgang der Überschreitungstage bei Feinstaub: neu eingeführtes Messkorrekturverfahren der EU größerer Anteil von Winden aus südlicher Richtung, die zu einer besseren Durchlüftung der Straßenzüge führen können Änderungen bei der Steuerung der Lichtsignalanlagen 10
- Nach Auffassung der Kammer gibt es keine hinreichend sichere Prognose, dass in Zukunft die PM 10 -Grenzwerte in Hannover wieder überschritten werden könnten, denn es liegt keine schwankende Schadstoffbelastung vor, sondern der Grenzwert wurde in den drei Jahren in Folge deutlich unterschritten. - Nur 6 8 % der PM 10 -Emissionen stammen aus den Auspuffabgasen der Kraftfahrzeuge. - Die Feinstaubbelastung in Hannover ist im Jahre 2008 nur um weniger als 1 % verringert worden. - Dieser Effekt ist messtechnisch nicht nachzuweisen, da die in den Messungen und Rechnungen unvermeidlich auftretenden Unsicherheiten größer sind als die Minderungen. 11
Argumentation im Bereich Stickstoffdioxide Überschreitung des Grenzwertes für Stickstoffdioxide 2006: max. 48 Mikrogramm pro Kubikmeter 2007: max. 46 Mikrogramm pro Kubikmeter Nach Messungen des LÜN wurden diese Werte in den Jahren 2002 bis 2006 deutlich überschritten, sie lagen zwischen 58 und 66 Mikrogramm pro Kubikmeter. Quelle: Niedersächsisches Ministerium für Umwelt und Klimaschutz 12
Reduktion der NO 2 -Immissionen durch gestaffelte Fahrverbote - Prognose: Senkung der NO 2 -Immissionen um 10 15 % bis zum Jahr 2010 - Diese Prognose kann nach Auffassung der Kammer auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme Bestand haben: - Straßenverkehr (Dieselfahrzeuge) = Hauptverursacher NO 2 -Belastung (60 %) - Zwar führen Oxidationskatalysatoren zu einem Anstieg der NO 2 -Emissionen; aber auch die NO x -Emissionen sind hier maßgeblich (NO-Anteil der NO x - Emissionen oxidiert zu NÓ 2 ). - Bei einem Rückgang der NO x -Emissionen verringern sich auch die NO x - Immissionen. - Von EURO 2 zu EURO 4 halbiert sich der einzuhaltende Emissionsgrenzwert für NO X; NO 2 -Immissionen verringern sich trotz nahezu gleichbleibender NO 2 -Direktemissionen. Nach EURO-Normen gestaffelte Fahrverbote sind daher geeignet, die NO 2 - Immissionen zu senken. 13
- Die sich durch die Nachrüstung mit Partikelfiltern ergebenden negativen Effekte wirken sich lediglich mit einem Faktor von 1 bis 5 % auf die angenommene Verminderung der NO 2 -Belastung aus - Verminderung der NO 2 -Belastung zwischen 10 und 15 % daher realistisch - Fahrverbote daher erforderlich 14
Angemessenheit Verstetigung des Verkehrsflusses durch miteinander vernetzte Steuerung der Lichtsignalanlagen keine Alternative Zunahme des Individualverkehrs zu erwarten Optimierung der Verkehrsströme erzeugt stets weiteren Verkehr Vorrangschaltung des ÖPNV soll erhalten bleiben 15
Die Kammer geht davon aus, dass eine gesetzeskonforme Luftreinhaltung nur durch eine Attraktivitätssteigerung des Öffentlichen Personennahverkehrs und parallel dazu mit restriktiven Maßnahmen gegenüber dem motorisierten Individualverkehr erreicht werden kann. 16
Das Urteil ist abrufbar unter: http://www.verwaltungsgericht-hannover.niedersachsen.de 4 A 5211/08 VG Hannover Urteil vom 21.04.2009 Leitsatz/Leitsätze - Nach der 35. BImSchV gestaffelte Fahrverbote sind geeignet und erforderlich, um die Stickstoffdioxidbelastung der Luft in der Umweltzone Hannovers zu senken. Allein eine weitere Verstetigung des Verkehrsflusses durch koordinierte Schaltung der Lichtsignalanlagen reicht dazu nicht aus. Weder der mit dem Oxidationskatalysatoren der Dieselkraftfahrzeuge ab EURO 2 verbundene Anstieg der Stickstoffdioxiddirektemissionen noch die Nachrüstung dieser Fahrzeuge mit Dieselpartikelfiltern stellt den Verminderungseffekt der für den Bereich der Umweltzone angeordneten Fahrverbote entscheidend in Frage. 17
Berufung vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, eingelegt am 9. Juni 2009 (Az. 12 LC 143/09) Zwar ist auch die formelle Wirksamkeit des Luftreinhalte- und Aktionsplanes fraglich (Zuständigkeit der Landeshauptstadt Hannover, Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung). Im Mittelpunkt steht jedoch die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit: (gemeinsamer = unstreitiger) Ausgangspunkt: Aufstellung eines Luftreinhalte- und Aktionsplanes notwendig wegen der Überschreitung des Grenzwertes für Stickstoffdioxid. Aber welche Maßnahmen sind zu ergreifen? 18
Ist die Einrichtung der Umweltzone Hannover eine verhältnismäßige Maßnahme, d. h. ist sie geeignet, erforderlich und angemessen? Argumentation des Berufungsklägers: Prognose in dem der verwaltungsrichterlichen Entscheidung zugrunde liegenden Gutachten unrichtig, da die Auswirkungen des Einbaus von Oxidationskatalysatoren nicht hinreichend berücksichtigt wurden (werden konnten) [Anmerkung: Der damalige Gutachter konnte bei seinen Berechnungen den Umstand, dass eine Nachrüstung durch Partikelfilter möglich sein würde, nicht einarbeiten; in der mündlichen Verhandlung hat der Gutacher daher seine Prognose um 5 % korrigiert (und zwar reduziert)]. Ausführung des Berufungsklägers: Es erscheint als völlig unrealistisch, naturwissenschaftliche Zusammenhänge aufgrund von Prognosen als bewiesen anzusehen. Antrag auf neues Sachverständigengutachten 19
weiterhin sei die Ausführung des Gerichts nicht nachvollziehbar, dass eine Abnahme der NO x -Emission zwangsläufig zu einer Abnahme der NO 2 -Emission führe Antrag auf neues Sachverständigengutachten Vor diesem Hintergrund kann die Umweltzone nicht als das geeignete Mittel angesehen werden. 20
Erforderlichkeit der Maßnahme Umweltzone (milderes Mittel?) Vorzeitige Verschärfung der EURO-Abgasgrenzwerte für Kraftfahrzeuge Veränderung des Fahrzeugbestandes insgesamt notwendig, um Grenzwerte einhalten zu können bloßes Aussperren von bestimmten Fahrzeugen in einem kleinen räumlichen Bereich kein adäquates Mittel Angemessenheit der Maßnahme Umweltzone (Verhältnismäßigkeit i. e. S.) überwiegender Vorteil für die Allgemeinheit gegenüber dem Nachteil des Einzelnen? (-), da Vorteil aus Berufungsklägersicht insoweit nicht ersichtlich 21
Aktuelle Situation in Hannover - Schlagzeilen vom 16. Januar 2010 22
Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt und Klimaschutz vom 15. Januar 2010 http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/c61128413_l20.pdf Fahrzeuge, die werksseitig die EURO-3-Norm erfüllen, sollen trotz nur gelber Plakette bis Ende 2011 in die Umweltzone einfahren dürfen Begründung: Partikelfilter dienten dazu, die Feinstaubbelastung zu senken, nicht dagegen die NO x - Emissionen nach dem derzeitigen technischen Stand bleibe aber das Verhältnis von NO und NO 2 vor und hinter dem Partikelfilter nahezu unverändert Ausnahme bis Ende 2011 befristet Aufnahme in die Allgemeinverfügung der Landeshauptstadt vom 14. August 2009, d. h. konkret: allgemeine Ausnahmeregelungen sind um eine Ausnahme für die bezeichneten Fahrzeuge zu ergänzen es handelt sich hierbei nicht um eine Aufhebung der dritten Stufe der Umweltzone Vorrangschaltung des ÖPNV bei den Ampelschaltungen müsse zu Gunsten des Autoverkehrs geändert werden ( grüne Welle ) Luftreinhalte- und Aktionsplan der Stadt müsse entsprechend angepasst werden Umsetzungsfrist: 25. Januar 2010 23
Informationsdrucksache der Landeshauptstadt Hannover vom 20. Januar 2010 https://e-government.hannover-stadt.de/lhhsimwebre.nsf Auffassung des MU wird aus den folgenden Gründen nicht geteilt: 1. Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 21.04.2009, zugrunde liegende Gutachten 2. Nicht-Beteiligung der Öffentlichkeit vor Erlass einer Änderung des Luftreinhalte- und Aktionsplanes rechtlich fragwürdig 3. Erlass könne nur dadurch umgesetzt werden, dass auf den rund 300 Umweltzonen-Verbotsschildern die gelbe Plakette wieder aufgeklebt würde; dies würde aber bedeuten, dass auch Fahrzeuge der EURO-2-Norm, die mit Rußfiltern nachgerüstet sind und auch gelbe Plaketten haben, wieder in die Umweltzone einfahren dürften, was aber nicht der Weisung entspräche 24
Wie sieht die aktuelle Verkehrssituation in der Landeshauptstadt Hannover aus? (Modal-Split) 41 % der Verkehrsteilnehmer sind mit dem Auto unterwegs Bundesdurchschnitt: 58 % 27 % sind zu Fuß unterwegs Bundesdurchschnitt: 23 % 17 % nutzen den ÖPNV Bundesdurchschnitt: 8 % 13 % mit dem Rad Bundesdurchschnitt: 10 % relativ hoher Anteil von Verkehrsteilnehmern, die andere Systeme als den Autoverkehr annehmen Quelle: Presseinformation der Landeshauptstadt Hannover vom 22. Januar 2010 25
Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Hannover http://www.verwaltungsgericht-hannover.niedersachsen.de/master/c61240554_n4432171_l20_d0_i3748247.html - Die Antragsteller, die an vielbefahrenen Straßen in Hannover wohnen, wehren sich gegen den o. g. Erlass. - Sie machen geltend, dass eine Änderung des Luftreinhalteplanes gemäß 47 Abs. 5 a BImSchG ohne Beteiligung der Öffentlichkeit nicht zulässig sei. - Es wird eine einstweilige Anordnung begehrt, mit welcher der Landeshauptstadt untersagt werden soll, den Luftreinhalteplan ohne vorherige Beteiligung der Öffentlichkeit zu ändern. - Das Niedersächsische Ministerium für Umwelt und Klimaschutz hat vor diesem Hintergrund erklärt, nicht auf einer fristgerechten Umsetzung des Erlasses zu bestehen. Entscheidung des Gerichts solle abgewartet werden, aber: MU hat (die Landeshauptstadt!) um Gelegenheit zur Stellungnahme im gerichtlichen Verfahren binnen zwei Wochen gebeten Fristablauf: 4. Februar 2010! 26
Wer darf nun aktuell in Hannover fahren? - Derzeit dürfen gelb plakettierte Fahrzeuge nicht in die Umweltzone einfahren. - Allerdings wird die Landeshauptstadt Hannover bis zu einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren keine Sanktionen verhängen. 27
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 28
Kontakt: Antje Watermann Assessorin Handwerkskammer Hannover Abteilung Wirtschaftsförderung Berliner Allee 17 30175 Hannover Tel. +49 511 3 48 59-63 Fax +49 511 3 48 59-32 Mail: Watermann@hwk-hannover.de Internet: www.hwk-hannover.de 29