Leitlinien in der Rehabilitation Abhängigkeitskranker Dr. med. S. Brüggemann 1 Dr. med. H. Klosterhuis 1 J. Köhler 1 1) BfA Bundesversicherungsanstalt für Angestellte 10704 Berlin Zusammenfassung Die aktuelle Diskussion über Leitlinien in der medizinischen Versorgung, die Relevanz der Alkoholabhängigkeit bei der Suchtrehabilitation und die gegenwärtigen Ergebnisse der AWMF-Leitlinien Diagnostik und Therapie substanzbezogener Störungen wird dargestellt. Hieran schließt sich die Beschreibung des seit 1998 laufenden BfA-Leitlinienprogramms mit den Phasen Literaturrecherche, KTL-Analyse (Klassifikation Therapeutischer Leistungen), Entwicklung einer reha-spezifischen Leitlinie und Implementation an. Schließlich werden offene Fragen angesprochen und das BfA-Leitlinienprogramm in die weiteren Aktivitäten der Qualitätssicherung eingeordnet. Hintergrund Evidenzbasierte Medizin und medizinische Leitlinien als Instrumente, die ärztliche Entscheidungen auf eine wissenschaftlich-rationale Basis stellen, haben in den letzten Jahren auch in der Versorgung chronisch Kranker zunehmend an Bedeutung gewonnen. Anfänglich bestand auf Seiten der Ärzte durchaus Besorgnis hinsichtlich des Verlusts an ärztlichen Autonomie, der Deprofessionalisierung der Ärzteschaft und eines möglichen Missbrauchs zur Durchsetzung von Sparvorgaben. Es zeigt sich jedoch, dass durch die Nutzung evidenzbasierter Erkenntnisse die Qualität der therapeutischen Leistungen verbessert werden kann. Leitlinien sind systematisch entwickelte Entscheidungshilfen für Leistungserbringer und Patienten über die angemessene Vorgehensweise bei speziellen Gesundheitsproblemen. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) hat die Bedeutung von Leitlinien für die Versorgung chronisch Kranker frühzeitig erkannt und fördert seit 1998 Projekte zur Erstellung von Reha-Prozessleitlinien.
2 Bei der Entwicklung von Leitlinien für die Rehabilitation müssen die charakteristischen Eigenheiten dieses Versorgungssektors bedacht werden. Ausgehend davon, dass eine im Sinne der Rentenversicherung zweckmäßige und zielgerichtete Rehabilitation multiprofessionell und interdisziplinär durchgeführt werden sollte, müssen Leitlinien für das gesamte Reha-Team, d. h. alle Mitglieder der am Reha-Prozess beteiligten Berufsgruppen, verständlich und anwendbar sein. Nimmt man das Konzept der Multiprofessionalität ernst, so müssen auch sowohl bei Erstellung als auch bei Aktualisierung rehabilitativer Leitlinien Entwicklungen in allen unterschiedlichen Fachgebieten und Disziplinen berücksichtigt werden. Zahlen zur Suchtrehabilitation Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit zählen zu den häufigsten psychischen Störungen. In Deutschland allein wird die Zahl der Alkoholabhängigen auf mindestens 1,6 Mio., die der Patienten mit Alkoholmissbrauch auf 2,7 Mio. geschätzt. Die Folgekosten durch alkoholbezogene Morbidität und Mortalität werden auf über 20 Mrd. jährlich geschätzt (Bühringer et al. 2000). Die Behandlung Abhängigkeitskranker hat einen wichtigen Anteil an der Rehabilitation insgesamt. So wurden im Jahre 2002 für die deutsche Rentenversicherung 51.785 Suchtrehabilitationen von insgesamt 894.347 Leistungen zur medizinischen Rehabilitationen durchgeführt. Dies stellt 5,8% aller Rehabilitationen dar. Bei den Kosten liegt der Bereich Abhängigkeitserkrankungen mit 493,5 Millionen Euro von insgesamt 3,17 Milliarden Euro sogar bei 15,6% aller Ausgaben (VDR Statistik). Von der BfA werden ca. 25% dieser Rehabilitationen durchgeführt. Die größte Teilerkrankung, ca. 85%, betrifft die Alkoholabhängigkeit. Die durchschnittliche Behandlungsdauer einer stationären Rehabilitation wegen Alkoholabhängigkeit betrug 2003 im Bereich der BfA 93 Tage bei regulärer Entlassungsform (Köhler & Naumann 2004). Exkurs KTL KTL steht für Klassifikation Therapeutischer Leistungen (KTL 2000) und ist ein im Rahmen eines von der BfA durchgeführten Projektes erstelltes Verzeichnis für
3 therapeutische Leistungen, die während einer medizinischen Rehabilitation durchgeführt werden können. Für alle Leistungen werden in der KTL eine Vielzahl von Angaben definiert, z.b. Qualitätsmerkmale wie die Berufsgruppe, die die Leistung durchführt, das Fachgebiet, dem die Leistung zugeordnet ist, für welche Indikationen die Leistung sinnvoll ist, mit welchem Therapieziel und an welchem Ort sie durchgeführt wird und ob bestimmte Geräte benötigt werden. Andererseits enthält die KTL Angaben zu den Anwendungsformen der Leistung wie Dauer, Frequenz und Anzahl der Patienten. Die KTL ist damit die Grundlage für die Codierung der während einer medizinischen Rehabilitation durchgeführten therapeutischen Leistungen. Die Dokumentation dieser Leistungen wird von der BfA in den Entlassungsberichten eingefordert. Erste Auswertungen der BfA aus dem Jahre 2000 der in den Entlassungsberichten verschlüsselten KTL-Ziffern ergaben, dass die KTL der BfA sich als Instrument zur Erfassung der Behandlung auch in den Einrichtungen zur Rehabilitation Abhängigkeitskranker bewährt hat, die Ergebnisse der KTL-Auswertungen einen im Durchschnitt hohen Leistungsstandard in den Rehabilitationseinrichtungen für Abhängigkeitskranke belegen, die erbrachten Leistungen sowohl im Erreichungsgrad wie in der Leistungsdichte weitgehend den Anforderungen an eine umfassende Rehabilitation entsprechen, die einzelnen Rehabilitationseinrichtungen unterschiedliche Leistungsprofile aufweisen, die z.t. Ausdruck inhaltlich begründeter Spielräume der Leistungserbringung sein können, die Dokumentationsqualität in Zusammenarbeit mit den Reha-Einrichtungen weiter zu verbessern ist. In Folge wurde ein Dokumentationsleitfaden erarbeitet und den Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Analysen zur Komorbidität und Auswertungen der KTL von 2004 durch die BfA ergaben, dass bei einem erheblichen Anteil der diagnostizierten komorbiden Störungen entsprechende Therapiemodule im Entlassungsbericht nicht verschlüsselt wurden, d.h. das an dieser Stelle noch Optimierungsbedarf besteht.
4 Vor diesem Hintergrund und der damit verbundenen Bedeutung dieses Krankheitsbildes wurde die Alkoholabhängigkeit in das Leitlinienprogramm der BfA einbezogen. AWMF-Leitlinien Diagnostik und Therapie substanzbezogener Störungen Seit dem Jahre 2000 werden von einer Expertengruppe (schwerpunktmäßig aus dem medizinisch-universitären Bereich, aber auch Vertreter aus Rehabilitationseinrichtungen und der Rentenversicherung) in verschiedenen Arbeitsgruppen Leitlinien nach den Kriterien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ) erstellt, die teilweise schon veröffentlicht wurden (AWMF 2003), teilweise jedoch noch nicht abschließend erstellt sind. Als problematisch aus Sicht der Praxis wurde dabei u.a. die medizinisch zentrierte Sichtweise, der fehlende Bezug zu konkreten Versorgungsstrukturen ( Postakutbehandlung statt Rehabilitation) und die teilweise unzureichenden Studienergebnisse aus Deutschland bei fehlender Übertragbarkeit von Ergebnissen aus anderen Ländern (z.b. USA mit einem nur schwer vergleichbaren Versorgungssystem) angesehen. Trotzdem ist mit der Veröffentlichung dieser Leitlinien ein wichtiger Schritt zur Evidenzbasierung und Qualitätsverbesserung der gegenwärtigen Versorgungspraxis zu erwarten, da diese Leitlinien breitenwirksam veröffentlicht werden, zur Diskussion auffordern, im Rahmen eines laufenden Verbesserungsprozesses überarbeitet werden und wichtige Impulse für Schwerpunkte weiterer Forschungsaktivitäten setzen. Aufbauend auf diese Vorarbeiten soll das BfA-Projekt zur Entwicklung von Leitlinien für die Rehabilitation bei Alkoholabhängigkeit sich mit der Umsetzung der Evidenzbasierung in diesem Bereich der gesundheitlichen Versorgung beschäftigen und dabei insbesondere auch die im AWMF-Projekt weniger berücksichtigten Berufsgruppen mit einbeziehen, die in der Rehabilitation Abhängigkeitskranker eine wichtige Rolle spielen.
5 Prozessleitlinien des BfA-Leitlinienprogramms Seit 1998 erstellt die BfA in Zusammenarbeit mit verschiedenen Forschergruppen Prozessleitlinien zu exemplarischen Krankheitsbildern aus bedeutenden Indikationsgebieten (Korsukéwitz et al. 2003). Zurzeit werden Projekte zur koronaren Herzkrankheit (Bitzer et al. 2002, 2003), zu chronischem Rückenschmerz (Gülich et al. 2003), Diabetes mellitus (Ganten et al. 2003), Schlaganfall (Schönle et al. 2004), Mamma-Karzinom und Alkoholabhängigkeit durchgeführt. Das BfA-Reha- Leitlinienprogramm ist eng in die Qualitätssicherungsaktivitäten der BfA eingebunden (Beckmann et al. 2001, 2004, Verband Deutscher Rentenversicherungsträger 2000). Die einzelnen Projekte des Leitlinienprogramms zeichnen sich dadurch aus, dass sie trotz der unterschiedlichen Indikationen alle einem einheitlichen Ablauf folgen, der die unterschiedlichen Projekte zu einem gewissen Maß vergleichbar macht. Die Ergebnisse aus dem Programm werden regelmäßig in der Fachliteratur und auf relevanten Kongressen veröffentlicht, um einerseits die Resultate schnell in die Fachöffentlichkeit bzw. die Rehabilitationseinrichtungen zu transportieren und andererseits Transparenz zu gewährleisten. Projektablauf Die Projekte zeichnen sich durch die folgenden vier konsekutiven Phasen aus, auf die im Folgenden genauer eingegangen werden soll: 1. Literaturrecherche 2. KTL-Analyse (Soll-Ist-Vergleich zur Bedarfsanalyse) 3. Entwicklung einer reha-spezifischen Leitlinie 4. Implementation Literaturrecherche Als erster Schritt erfolgt stets eine Sichtung bestehenden Wissens: Um die Inhalte einer idealtypischen Rehabilitation zu bestimmen wird in internationalen wissenschaftlichen Datenbanken recherchiert. Parallel werden Informationen bei Fachgesellschaften abgefragt. Hierdurch werden Verfahren bzw. Therapien
6 identifiziert, deren Wirksamkeit wissenschaftlich belegt ist und die somit unbedingt Teil einer Rehabilitation sein sollten. Ausgehend von diesen Inhalten werden dann so genannte zentrale evidenzbasierte Therapiemodulen (ETM) für die Rehabilitation formuliert. An dieser Stelle ist der Abstraktionsgrad der Therapiemodule relativ hoch, d. h. gefordert wird beispielsweise Ergotherapie, Sozialtherapie, Motivationsförderung. KTL-Analyse Auf die Literaturrecherche folgt in einem nächsten Schritt die so genannte KTL- Analyse: Die KTL-Leistungen werden in den Leitlinienprojekten entsprechend den zuvor definierten evidenzbasierten Therapiemodulen gruppiert, oder mit anderen Worten: die Module werden durch diejenigen KTL-Leistungen beschrieben, deren Therapieziel der Erfüllung des Therapiemoduls dienen kann (z.b. arbeitsbezogene Maßnahmen, KTL-Ziffern g02: Arbeitstherapie einzeln, g50: Hausbesuch und/oder Arbeitsplatzbesuch, h01: sozialrechtliche Beratung, h21: Organisation weitergehender Maßnahmen). Da ja wie erwähnt der BfA die Daten aus den Entlassungsbriefen vorliegen, kann nun ausgewertet werden, inwieweit das Behandlungs-Soll, das als Ergebnis der Literaturrecherche definiert wurde, dem Ist- Zustand abgebildet in den Entlassungsberichten entspricht. Bei der Auswertung wird davon ausgegangen, dass die im Entlassungsbericht kodierten Leistungen den erbrachten Leistungen entsprechen. Durch diese Nutzung von Routinedaten ist somit ein Vergleich der Versorgungsrealität mit den Vorgaben der wissenschaftlichen Literatur möglich. In allen Projekten, die bislang dieses Projektstadium erreicht haben, konnte gezeigt werden, dass die Rehabilitation, wie sie heute in von der BfA belegten Einrichtungen stattfindet, dem von der Rentenversicherung geforderten multiprofessionellen und multimodalen Konzept folgt. In einzelnen Therapiemodulen verläuft die Rehabilitation bereits leitliniengerecht. Bedeutsam erscheint allerdings, dass sich zwischen den einzelnen Einrichtungen deutliche Unterschiede in Bezug auf die Ausgestaltung der erbrachten Leistungen ergaben. Die Unterschiede zeigten sich sowohl hinsichtlich des Anteils an Patienten, der das jeweilige Modul erhielt, als auch in Bezug auf die Dauer der Leistungen pro Woche. Diese Varianzen ließen sich medizinisch nicht klären, so dass hier von einem Optimierungsbedarf in der Versorgung ausgegangen
7 werden kann. Dementsprechend schließt sich bei allen Projekten an dieser Stelle die nächste Stufe, die Entwicklung von Prozessleitlinien, an. Entwicklung einer reha-spezifischen Leitlinie Um zu gewährleisten, dass eine Leitlinie auch in der Versorgungslandschaft auf Akzeptanz stößt, ist es ratsam, die zukünftigen Leitlinienanwender bereits bei der Entwicklung einzubeziehen. Gleichzeitig wird hierdurch auch die Multiprofessionalität der Versorgung abgebildet. Dementsprechend werden bereits von Beginn der Leitlinienerstellung an alle am Rehabilitationsprozess beteiligten Berufsgruppen in die Arbeit einbezogen. In einem ersten Schritt werden alle, bzw. ein repräsentativer Anteil der von der BfA in der jeweiligen Indikation belegten Einrichtungen sowie relevante Fachgesellschaften schriftlich befragt. Jede Berufsgruppe erhält einen Satz von Fragebögen, wobei die Angehörigen der jeweiligen Professionen zu den Modulen befragt werden, für die sie eine Expertise vorweisen. Mit Hilfe dieser Befragungen können Lücken in der Literatur, z. B. über sinnvolle Therapiedauer, gefüllt und eine Leitlinie vorstrukturiert werden. Diese wird dann im Rahmen eines Expertenworkshops weiter bearbeitet und verabschiedet. Zu diesen Workshops werden neben erfahrenen Reha-Klinikern auch Vertreter der im jeweiligen Fachkontext relevanten Fachgesellschaften eingeladen, um auch hier die ganze Breite des Wissens zusammenzuführen. Für jedes der evidenzbasierten Therapiemodule werden fünf Kriterien operationalisiert: 1. die inhaltlichen Elemente, die das Modul beschreiben 2. die formale Ausgestaltung des Therapiemoduls im Sinne von Häufigkeit, Dauer und Gruppengröße 3. die KTL-Elemente, die dieses Modul beschreiben können 4. mögliche Kontraindikationen 5. sowie so genannte normative Inzidenzen. Die zuletzt genannten normativen Inzidenzen sind nicht Bestandteil der Leitlinie sondern ein Qualitätsindikator, mit dem das leitliniengerechte Behandeln erfasst werden kann. Es handelt sich um einen von den am Workshop teilnehmenden Experten geschätzten Anteil von Patienten der Reha-Einrichtung, für den dieses
8 Modul als notwendig erachtet werden muss, d. h. ein prozentuales Maß derer, die diese Leistungen auch erhalten müssen. Diese Inzidenz beruht zunächst auf einer Expertenschätzung. In diese Schätzung geht das Wissen um die Problemlage des jeweiligen Patientenkollektivs, d. h. den Patientenmix, ein. Die konkrete Arbeit mit der normativen Inzidenz im Rahmen der Qualitätssicherungsbestrebungen wird zeigen, ob diese Schätzungen im weiteren Verlauf korrigiert werden müssen. Implementation In der Implementationsphase werden die evidenzbasierten Therapiemodule zusammen mit Informationen zu Zielen, Projektablauf, Literatur etc. den in der jeweiligen Indikation belegten Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Durch die ETM wird somit der von der BfA geforderte Qualitätsmindeststandard in dieser Indikation abgebildet. Gleichzeitig erhalten die Einrichtungen Informationen darüber, wie ihre Einrichtung zu diesem Zeitpunkt in den einzelnen Modulen abschneidet. Es ist geplant, allen Rehabilitationseinrichtungen in den so genannten Berichten zur Qualitätssicherung die Ergebnisse der Leitlinienauswertung regelmäßig zurückzumelden. Die Auswertungen hinsichtlich der Angemessenheit der Behandlung erfolgt modulweise: Pro Modul wird beschrieben, wie viele Rehabilitanden behandelt wurden, wie hoch die Therapiemenge pro Rehabilitand und wie groß der Anteil adäquat behandelter Patienten war. Hierbei wird jeweils die einzelne Reha- Einrichtung ins Verhältnis zur Gruppe gesetzt. Als Rückmeldemöglichkeit wird parallel ein Feedback-Fragebogen (s. Kasten) versandt. Durch diese Vorgehensweise werden sich medizinisch nicht gerechtfertigte Varianzen zwischen den Reha-Einrichtungen deutlich verringern und somit eine Verbesserung der rehabilitativen Versorgungspraxis resultieren. Fragenbeispiele für Feedback Wird das Modul (ETM) inhaltlich als wesentlich für die Rehabilitation akzeptiert? Wird die Schätzung der erforderlichen Therapiemenge akzeptiert? Andere Bedarfsschätzung? Wird die Schätzung des Anteils von Rehabilitanden mit entsprechendem Versorgungsbedarf akzeptiert? Andere Bedarfsschätzung? Wird die Zuordnung der KTL-Codes zu den Modulen akzeptiert? Bildet die KTL die Versorgungsrealität nach Meinung der Reha-Kliniken angemessen ab?
9 Offene Fragen Das beschriebene Verfahren wirft jedoch auch Fragen auf: Diskutiert werden muss, wie mit therapeutischen Leistungen umgegangen werden sollte, die nicht zu den evidenzbasierten Therapiemodulen gehören. Sind sie grundsätzlich als überflüssig, problematisch oder gar schädlich anzusehen? Zu klären bleibt weiterhin, ob die KTL die Versorgung ausreichend abbildet, zumal nicht alle Reha-Leistungen in der KTL dokumentiert werden, wie z.b. die ärztlichen Leistungen. Somit könnte das Verfahren als unvollständig angesehen werden. Weiterhin ist es diskussionswürdig, dass es sich bei dem Verfahren um ein statistisches Screening der Prozessqualität handelt, mit dem keine Prüfung individueller Rehabilitationsfälle verbunden ist und der Einzelfall nicht berücksichtigt wird. Ist der Bezug auf die Reha-Einrichtung statt auf den Rehabilitanden problematisch? Wird das Vorgehen dem einzelnen Rehabilitanden gerecht? Auf Trägerseite müssen Entscheidungen getroffen werden, welche Konsequenzen es für Reha-Einrichtungen bei minderer Qualität geben soll. Sind beispielsweise Sanktionen probat oder überhaupt gewünscht? Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob die Vorgabe therapeutischer Inhalte durch den Träger eine Einschränkung der Therapiefreiheit darstellt. Mit diesen und weiteren Fragen wird sich die Debatte über Leitlinien in der Rehabilitation und das BfA-Reha-Leitlinienprogramm auf absehbare Zeit beschäftigen. Grundsätzlich ist das BfA-Reha-Leitlinienprogramm eine wesentliche Erweiterung der Qualitätssicherung in der medizinischen Rehabilitation der gesetzlichen Rentenversicherung, die die Versorgung chronisch Kranker Menschen qualitativ verbessern wird. Literaturangaben Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften AWMF: http://www.uni-duesseldorf.de/www/awmf/ll/sucht001.htm Beckmann U; Mitschele A; Klosterhuis H. Ergebnisse von Qualitätssicherungsaktivitäten im Bereich der Suchtrehabilitation. Sucht aktuell 2004 Beckmann, U, Pallenberg,., Klosterhuis, H. Berichte zur Qualitätssicherung - Informationen der BfA für die Rehabilitationseinrichtungen im Rahmen des Qualitätssicherungsprogramms. Q-med 2001; 5:129-139.
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