Vademecum Metabolicum Diagnose und Therapie erblicher Stoffwechselkrankheiten Bearbeitet von Johannes Zschocke, Georg F. Hoffmann 4., vollst überarb. Aufl. 2011. Taschenbuch. 184 S. Paperback ISBN 978 3 7945 2815 8 Format (B x L): 12,5 x 18 cm Weitere Fachgebiete > Medizin > Klinische und Innere Medizin > Stoffwechselstörungen schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, ebooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.
Allgemeine klinische Situationen 3 Allgemeine klinische Situationen Stoffwechselnotfall Neugeborene mit akuten Stoffwechselkrankheiten zeigen initial relativ unspezifische Symptome, z.b. Lethargie, Trinkschwäche, Erbrechen, Atemstörungen, Hypotonie oder zerebrale Krampfanfälle. Bei Störungen des Intermediärstoffwechsels entwickeln sich Symptome im Neugeborenenalter typischerweise nach einem mehr oder weniger langen unauffälligen Intervall, mit klinischen Symptomen ab dem 2. Lebenstag ( Intoxikationstyp ; speziell Hyperammonämien können aber bereits am ersten Lebenstag symptomatisch werden). Der Allgemeinzustand verschlechtert sich rasch trotz unauffälliger oder diskreter Befunde in der Routinediagnostik (Infektparameter, Lumbalpunktion, Röntgenaufnahme des Thorax, Sonografie des Schädels usw.) und antibiotischer Behandlung. Gelegentlich finden sich in der Familienanamnese Geschwister, die mit ähnlichem Krankheitsbild ( unklare Sepsis ) verstorben sind, oder andere Familienmitglieder mit ungeklärten, z.b. progredienten neurologischen Krankheitsbildern. Konsanguinität erhöht die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer rezessiven Erkrankung beim Kind. Nach der Neugeborenenperiode können rezidivierendes Erbrechen und progrediente Lethargie bis hin zum Koma, ggf. ohne fokale neurologische Auffälligkeiten oder Organstörungen, auf eine Stoffwechselkrankheit hinweisen. Die Notfallbehandlung folgt denselben Prinzipien wie beim Neugeborenen, wobei besonders auf auslösende Faktoren wie Erbrechen, Fieber oder Umstellung der Ernährung geachtet werden muss. Eine Stoffwechselkrankheit sollte in Betracht gezogen werden, neben anderen Diagnosen (z.b. Infektion, primär zerebrale Erkrankung) bei allen Neugeborenen mit unklarer lebensbedrohlicher oder progredienter Erkrankung insbesondere nach normaler Schwangerschaft und Geburt; bei allen Kindern mit akuter ungeklärter Verschlechterung des Allgemeinzustandes und/oder Bewusstseinsstörungen, speziell infolge von Erbrechen, Fieber oder Fasten; bei allen Kindern mit den Symptomen einer Azidose oder Hypoglykämie. Adäquate diagnostische und therapeutische Maßnahmen müssen unverzüglich eingeleitet werden, um ggf. irreversible Schäden zu vermeiden. Postmortale Untersuchungen: s. S. 25 Phase 1: metabolische Basisuntersuchungen und initiale Behandlung Karenz für potenziell toxische Substanzen (Protein, Fett, Galactose, Fructose) Anlage eines i.v. Zugangs, Blutprobe für die Notfallanalyse von Elektrolyten, Glucose, CRP, CK, Transaminasen, Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure, Säure- Basen-Status, Gerinnungsanalysen NH 3, Laktat Asservierung einer Plasmaprobe für AS usw. Asservierung einer TBK ( Guthrie -Karte des NG-Screenings) für Acylcarnitine (AS, ggf. DNA-Analysen) Asservierung der Probenreste für ggf. notwendige weitere Analysen (mit Labor besprechen)
4 Diagnose und Therapie von Stoffwechselkrankheiten Gewinnung einer Urinprobe Untersuchung von Farbe und Geruch übliche Teststreifen, z.b. Ketonkörper, Glucose, Proteine, ph-wert (wenn > 5 bei Azidose DD renal-tubuläre Azidose) Asservierung einer Urinprobe aus der akuten Phase für OS oder weitere Stoffwechselanalysen Falls eine Lumbalpunktion durchgeführt wird Asservierung einer Liquor-Probe (sofort einfrieren) Initial 10 % Glucose-Infusion, 150 ml/kg/d (10 mg/kg/min, ~60 kcal/kg/d), mit adäquater Elektrolytzufuhr. Die Glucosemenge in dieser Infusion entspricht der normalen hepatischen Glucose-Biosynthese und genügt meist bei Krankheiten mit reduzierter Fastentoleranz, wie z.b. den Glykogenosen oder dem MCAD-Mangel. Die Glucosemenge ist ggf. unzureichend bei durch Katabolismus ausgelösten Erkrankungen, z.b. Organoazidurien oder Harnstoffzyklusdefekten. Sie kann bei mitochondrialen Krankheiten (speziell dem PDH-Mangel) potenziell gefährlich sein, da eine hohe Glucosezufuhr eine Laktatazidose verstärken kann. Allerdings überwiegen die Vorteile der relativ hohen Glucosezufuhr die Risiken bei unbekannter Diagnose. Die Laktatkonzentration und der Säure-Basen-Status sollten regelmäßig kontrolliert werden. Weiterführende Untersuchungen, z.b. EKG, Echokardiogramm, zerebrale Bildgebung, werden ensprechend üblicher Indikationen veranlasst. Die Ergebnisse der Notfalldiagnostik sollen innerhalb von 30( 60) min vorliegen. Zu diesem Zeitpunkt muss über weiterführende spezielle Untersuchungen und therapeutische Maßnahmen entschieden werden. Phase 2: Therapie und Spezialanalysen unter Berücksichtigung der initialen Befunde Bei Vorliegen von Hypoglykämie: s. S. 5 Hyperammonämie: s. S. 7 metabolischer Azidose: s. S. 10 erhöhten Laktatkonzentrationen: s. S. 12 schwerer Hepatopathie: s. S. 19 Bei unspezifischen oder nicht richtungsweisenden Befunden und weiter bestehender Möglichkeit einer Stoffwechselkrankheit: Fortsetzung der Glucose-Infusion Überprüfung von Anamnese und Befund, telefonische Beratung beim regionalen Stoffwechselzentrum nach Diskussion, Einsendung von Proben für spezielle Stoffwechselanalysen (Befunde, die für die Diagnose von behandelbaren Stoffwechselkrankheiten relevant sind, sollten innerhalb von 24 [max. 48] h vorliegen): TBK für Acylcarnitine und AS (Notfallanalyse) Plasmaprobe für AS und ggf. andere Analysen Urinprobe für einfache Stoffwechselteste und OS regelmäßige Kontrolle von Elektrolyten, Glucose, Laktat, Säure-Basen-Status (die Serumkonzentration von Natrium sollte deutlich über 135 mmol/l liegen, um ein Hirnödem zu vermeiden)
Allgemeine klinische Situationen 5 Hypoglykämie Definition der Hypoglykämie BZ < 2,6 mmol/l (45 mg/dl) in allen Altersstufen Glucosekonzentration: 1 mmol/l = 18 mg/dl 10 mg/dl = 0,55 mmol/l Differenzialdiagnostische Überlegungen speziell beim Neugeborenen: Hinweis auf nicht metabolische Ursache? Anamnese: Abstand zur letzten Mahlzeit (Hypoglykämie postprandial, nach Fasten), Medikamente, erratisch? Untersuchung: Hepatomegalie, Leberversagen oder -zirrhose, kleines Genitale, Hyperpigmentierung, Kleinwuchs Glucosebedarf: > 10 mg/kg/min ist pathognomonisch für einen passageren/persistierenden Hyperinsulinismus (S. 88) solange kein Glucoseverlust vorliegt (z.b. renal) auszuschließen (beim Neugeborenen): Sepsis, schwere Allgemeinerkrankung, Dystrophie, mütterlicher Diabetes mellitus Labordiagnostik bei symptomatischer Hypoglykämie Die Proben müssen zum Zeitpunkt der symptomatischen Hypoglykämie abgenommen werden, da andernfalls Diagnosen übersehen werden können. Essenziell FFS + 3-Hydroxybutyrat (Serum oder Plasma); Ketone (Teststreifen Urin): Eine deutliche Erhöhung der FFS zeigt an, dass eine aktive Lipolyse eingesetzt hat und die Hypoglykämie mit einer Fastenreaktion assoziiert ist. In dieser Situation sind normale (niedrige) Konzentrationen der Plasmaketone (3-Hydroxybutyrat reicht aus) dringend verdächtig auf eine Störung der FS-Oxidation oder Ketogenese. Normalwerte s. S. 167. Acylcarnitine (TBK oder Plasma): Mit diesem Test werden die meisten (nicht alle) FS- Oxidationsstörungen und viele Organoazidurien erkannt. Hormone (Serum): Insulin ist normalerweise vollständig supprimiert, wenn BZ < 2,6 mmol/l [45 mg/dl]); Cortisol (n > 270 nmol/l). Laktat (Blut, Na-Fluorid-Röhrchen): Eine Erhöhung kann auf eine Leberfunktionsstörung oder gestörte Glykogenolyse/Gluconeogenese hinweisen, findet sich jedoch auch nach Krampfanfall oder einer schwierigen Blutentnahme (s. S. 12). ein Ersatzröhrchen (Serum oder Plasma) für ggf. notwendige weitere Analysen OS (Urin) diverse Stoffwechselkrankheiten, die eine Hypoglykämie verursachen können Weitere Blutgase, Blutbild, CRP, Elektrolyte, Phosphat, Leber- und Nierenwerte, CK, Harnsäure, Triglyceride, Carnitin-Status, Wachstumshormon NH 3 (EDTA-Vollblut) z.b. Leberfunktionsstörung, Hyperinsulinismus durch Glutamat- DH-Mangel AS (Plasma) ggf. toxikologische Untersuchungen (inkl. C-Peptid)
6 Diagnose und Therapie von Stoffwechselkrankheiten Differenzialdiagnose Hypoglykämie bei Frühgeborenen ist häufig Ausdruck einer Adaptationsstörung und benötigt oft keine umfassende Diagnostik. Häufigste Ursachen einer persistierenden Hypoglykämie beim Neugeborenen sind hormonelle Störungen, z.b. Hyperinsulinismus oder auch Hypopituitarismus. Durch Hemmung der Lipolyse finden sich bei Hyperinsulinismus neben starker Hypoglykämie auch niedrige FFS- und Ketonkonzentrationen. Regulationsstörungen (z.b. ketotische Hypoglykämie, Glykogenose Typ III, Hypopituitarismus nach dem 1. Lj.) zeigen bei Hypoglykämie oft eine besonders ausgeprägte Ketose. Störungen der FS-Oxidation und Ketogenese führen bei Lipidkatabolismus zu Hypoglykämie mit erhöhten Spiegeln der FFS bei relativ niedrigen Ketonkonzentrationen. Gluconeogenesestörungen (auch Glykogenose Typ I) zeigen bei starker Hypoglykämie stark erhöhte Laktatkonzentrationen; die Ketonkonzentrationen können erniedrigt oder auch deutlich erhöht sein. Wie immer: Für jede Regel oder Vereinfachung gibt es Ausnahmen. Ketonkörper normal (niedrig) bzw. unzureichend hoch Ketonkörper erhöht Laktat erhöht (> 2 mmol/l) Hepatopathie ohne Hepatomegalie isolierte Hepatomegalie FFS relativ niedrig: Hyperinsulinismus, gegenregulatorische Hormone FFS stark erhöht: Störungen der FS-Oxidation oder Ketogenese ketotische Hypoglykämie, Organoazidopathien, gegen regulatorische Hormone (nach dem 1. Lj.), Glykogenosen Typ III und 0, Ketolysestörungen Organoazidurien, Ketolysestörungen, Atmungskettendefekte, Oxidationsstörungen langkettiger FS (z.b. LCHAD- Mangel) Glykogenosen, Gluconeogenesestörungen Fructose-Intoleranz, Atmungskettenstörungen, Oxidations störungen langkettiger FS, Tyrosinämie Typ I u.a. Behandlung Glucose 7 10 mg/kg/min i.v. (Glucose 10 %: 110 150 ml/kg/d), BZ sollte über 5,5 mmol/l (100 mg/dl) liegen; falls i.v. Bolusgabe notwendig: nicht mehr als 200 mg/kg (Glucose 20 %: 1 ml/kg) Ergebnisse der Spezialdiagnostik abwarten und entsprechend behandeln hoher Glucosebedarf > 10 mg/kg/min oder unvollständig supprimiertes Insulin während einer Hypoglykämie: pathologisch und deutet auf einen Hyperinsulinismus hin (s. S.88) für Störungen der FS-Oxidation und Ketogenese s. S.91