Grundlagen 2: Schaden, Schadenersatz und weitere zentrale Begriffe im Überblick. Dr. iur. M. Hürzeler

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Transkript:

Grundlagen 2: Schaden, Schadenersatz und weitere zentrale Begriffe im Überblick

I. Der Schadensbegriff (1) Der klassische Schadensbegriff Keine gesetzliche Definition des Schadensbegriffs Schaden ist gemäss BGer-Rechtsprechung eine unfreiwillige Verminderung des Reinvermögens. Der Schaden kann in einer Verminderung der Aktiven, einer Vermehrung der Passiven oder in entgangenem Gewinn bestehen und entspricht nach allgemeiner Auffassung der Differenz zwischen dem gegenwärtigen Vermögensstand und dem Stand, den das Vermögen ohne das schädigende Ereignis hätte (Differenzhypothese).

I. Der Schadensbegriff (2) Der normative Schaden Der Schaden wird nach normativen Gesichtspunkten beurteilt, womit die Differenzhypothese wertend korrigiert werden kann. Beispiele: Haushaltschaden Frustrationsschaden Kommerzialisierungsschaden

I. Der Schadensbegriff (3) Positiver Schaden und entgangener Gewinn: Positiver Schaden (damnum emergens): Beim Geschädigten tritt eine Vermögensverminderung ein (Verringerung der Aktiven oder Vermehrung der Passiven) z.b. Heilungskosten Entgangener Gewinn (lucrum cessans): Der Geschädigte hätte sein Vermögen ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses vermehren können. z.b. Verdienstausfall Sowohl positiver Schaden als auch entgangener Gewinn sind grundsätzlich ersatzfähig!

I. Der Schadensbegriff (4) Direkter und indirekter Schaden: Die Unterscheidung zwischen direktem und indirektem Schaden knüpft an die Person des Geschädigten an Direkt geschädigt ist diejenige Person, die in ihren Rechtsgütern durch die schädigende Handlung selbst betroffen ist. z.b. Geschädigter bei Körperverletzung (Art. 46 OR) Indirekt geschädigt ist eine dritte Person, die durch das schädigende Ereignis eine Vermögenseinbusse erleidet z.b. Hinterlassene beim Versorgerschaden (Art. 45 Abs. 3 OR)

I. Der Schadensbegriff (5) Unmittelbarer und mittelbarer Schaden: Die Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Schaden knüpft an die Länge der Kausalkette zwischen schädigendem Ereignis und Schaden an. Die Unterscheidung ist grundsätzlich irrelevant, da unmittelbare und mittelbare Schäden gleichermassen ersetzt werden (Ausnahme: Rechts- und Sachgewährleistung des Verkäufers)

I. Der Schadensbegriff (6) Personenschaden, Sachschaden und reiner Vermögensschaden: Die Unterscheidung stellt auf das zu Grunde liegende beeinträchtigte Rechtsgut ab. Die dogmatische Begründetheit dieser Unterscheidung wird in der jüngeren Lehre zunehmend kritisiert. Die Unterscheidung ist jedenfalls weiterhin insofern sinnvoll, als damit einzelne Schadensposten besser aufgegliedert werden können; Stichwort: Kein Schadensklumpen!

I. Der Schadensbegriff (7) Die Differenzhypothese in ihrer reinen Form ist nicht praktikabel. Es sollte daher auf einen gegliederten Schadensbegriff abgestellt werden. Beispiel: A zerstört mutwillig das Auto des B (Totalschaden). Nach der Differenzhypothese errechnete sich der Schaden des B nun wie folgt: Stand des Vermögens vor dem schädigenden Ereignis: Bankguthaben CHF 100'000.- Immobilien CHF 800'000.- Auto CHF 40'000.- - Schulden CHF 150'000.- = Total Vermögen CHF 790'000.- Heutiger Stand des Vermögens, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre: Bankguthaben CHF 100'000.- Immobilien CHF 800'000.- - Schulden CHF 150'000.- = Total Vermögen CHF 750'000.- Schaden: CHF 790'000.- CHF 750'000.- = CHF 40'000.-

I. Der Schadensbegriff (8) Die Schadensposten beim Personenschaden im Haftpflichtrecht (Aufzählung nicht abschliessend!)!): Bei Körperverletzung (Art. 46 OR): Kosten für Rettung, Transport, Heilbehandlung etc. Vorübergehender und dauernder Erwerbsausfall, unter Berücksichtigung der Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens Haushaltsschaden Rentenschaden Bei Tötung (Art. 45 OR): Versorgerschaden (Abs. 3) Leichentransport (Abs. 1) Bestattungskosten (Abs. 1) Kosten der versuchten Heilung (Abs. 2) Erwerbsausfall zwischen Unfallzeitpunkt und Tod (Abs. 2)

II. Die Schadensberechnung Die Schadensberechnung dient der Feststellung des Schadensumfangs im Einzelnen. Die Regeln über die Schadensberechnung legen die Methoden zur zahlenmässigen Bestimmung der Höhe eines Schadens in Geld fest. Als Grundsatz gilt: Der Umfang des Schaden ist so konkret wie möglich und so abstrakt wie nötig festzustellen. Gegenwärtiger und zukünftiger Schaden: Es kann sowohl der gegenwärtige als auch der zukünftige Schaden geltend gemacht werden. Die Feststellung des zukünftigen Schadens bedarf einer Abschätzung der zukünftigen Entwicklung nach der Lebenserfahrung. Vgl. dazu auch Art. 42 Abs. 2 OR. Der Schädiger ist in dem Zeitpunkt ersatzpflichtig, in dem der Schaden eintritt (vgl. Art. 75 OR). Dies ist nicht unbedingt der Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses! Mittels der Schadensberechnung wird das Maximum festgelegt, das der Geschädigte unter dem Titel des Schadenersatzes (d.h. abgesehen von der Genugtuung) vom Haftpflichtigen insgesamt verlangen kann.

III. Der Schadenersatz (1) Als Ausgangslage gilt: Schadenersatz soll den eingetretenen Schaden decken, nicht mehr aber auch nicht weniger. Im Haftpflichtrecht gilt ein strenges Bereicherungsverbot! Der Geschädigte soll durch den Eintritt des Schadensereignisses nicht besser gestellt werden, als wenn der Schaden nicht eingetreten wäre. Im Rahmen der Schadenersatzbemessung kann auf die konkreten Umstände des Einzelfalles Rücksicht genommen werden. Die Schadenersatzbemessung führt die Gründe auf, die eine Reduktion des vom Haftpflichtigen zu bezahlenden Schadenersatzes, verglichen mit dem Resultat der Schadensberechnung, zur Folge haben. Vgl. dazu Art. 43 Abs. 1 OR und Art. 44 OR.

III. Der Schadenersatz (2) Faktoren, die für die Schadenersatzbemessung massgeblich sein können: Selbstverschulden des Geschädigten Zufall als Mitursache Konstitutionelle Prädisposition als Herabsetzungsgrund ggf.. Drittverschulden ggf.. geringes Verschulden des Haftpflichtigen Notlage des Haftpflichtigen, wenn diesen bloss ein leichtes Verschulden trifft (Art. 44 Abs.. 2 OR)

IV. Weitere zentrale Begriffe (1) Der Umgang mit dem Personenschadensrecht setzt die Kenntnis weiterer zentraler Begriffe voraus. Diese haben überwiegend im Bereich des (Sozial-)Versicherungsrechts Bedeutung. Es sind dies namentlich: Unfall Krankheit Arbeitsunfähigkeit Erwerbsunfähigkeit Invalidität Diese Begriffe sind juristischer und nicht medizinischer Natur! Steht z.b. zur Beurteilung, ob ein Unfall oder eine Krankheit vorliegt, so ist dies eine juristische (Rechts-)Frage und nicht eine medizinische (Tatbestands-)Frage.

IV. Weitere zentrale Begriffe (2a) Unfall: Unfall ist die plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat. (Art. 4 ATSG) Der Unfallbegriff umfasst damit 5 Elemente: Beeinträchtigung der Gesundheit oder Tod Plötzlichkeit Unfreiwilligkeit Ungewöhnlichkeit (Das Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit bezieht sich nicht auf die Wirkung des äusseren Faktors, sondern nur auf diesen selber. Es ist somit ohne Belang, dass der äussere Faktor allenfalls schwerwiegende, unerwartete Folgen nach sich zog. Der äussere Faktor ist ungewöhnlich, wenn er den Rahmen des im jeweiligen Lebensbereich Alltäglichen oder Üblichen überschreitet; BGE 112 V 201). Äusserer Faktor Überdies muss der Schaden natürlich und adäquat kausale Folge des Unfalles sein.

IV. Weitere zentrale Begriffe (2b) Einige Beispiele zum Unfallbegriff aus der Praxis: Das Abbrechen eines Zahnes beim Essen eines selbstgebackenen Kirschkuchens, der mit nicht entsteinten Früchten zubereitet wurde, ist nicht als Unfall zu qualifizieren, weil nicht die Einwirkung nicht ungewöhnlich ist (BGE 112 V 201 mit weiteren Beispielen). Ohne besonderes Vorkommnis ist bei einer Sportverletzung das Merkmal der Ungewöhnlichkeit und damit das Vorliegen eines Unfalls zu verneinen. Bei einem Check gegen die Bande beim Eishockey wird der natürliche Ablauf der Körperbewegung programmwidrig beeinflusst, es liegt ein Unfall vor (BGE 130 V 117 mit weiteren Beispielen). Ein Zeckenbiss erfüllt alle Merkmale eines Unfalls (BGE 122 V 230) Das Aufschlagen mit dem Mund am Lenkrad beim Autoscooter ist nicht ungewöhnlich und damit kein Unfall, denn Zweck der Vergnügungsfahrt ist es, sich einem unkoordinierten, unprogrammierten und damit ungewöhnlichen Bewegungsablauf auszusetzen (Urteil des EVG vom 4. November 2005, Aktenzeichen K 90/03). Das Erleiden eines Schleudertraumas beim Reiten nach einem Gangartwechsel vom Galopp in den Schritt mit einem blossen Stolpern des Pferdes stellt mangels Ungewöhnlichkeit keinen Unfall dar. Ein Unfall läge jedoch vor, wenn das Pferd mit beiden Vorderbeinen einknickt und der Reiter kopfüber vom Pferd stürzt (Urteil des EVG vom 14. Februar 2006, Aktenzeichen U 296/05).

IV. Weitere zentrale Begriffe (3) Krankheit: Krankheit ist jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit, die nicht Folge eines Unfalles ist und die eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. (Art. 3 ATSG) Der Begriff der Krankheit definiert sich durch eine negative Abgrenzung zum Unfall.

IV. Weitere zentrale Begriffe (4) Arbeitsunfähigkeit: Arbeitsunfähigkeit ist die durch eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit bedingte, volle oder teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten. Bei langer Dauer wird auch die zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich berücksichtigt. (Art. 6 ATSG) Die Arbeitsunfähigkeit ist die "Einbusse an funktionellem Leistungsvermögen". Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist v.a. im Sozialversicherungsrecht von Bedeutung. Er ist in diesem Rechtsgebiet klar von der Erwerbsunfähigkeit und Invalidität zu unterscheiden. Das Haftpflichtrecht kennt demgegenüber keine strikte Trennung der Arbeitsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit (vgl. Art. 46 Abs. 1 OR).

IV. Weitere zentrale Begriffe (5) Erwerbsunfähigkeit und Invalidität: Erwerbsunfähigkeit ist der durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit verursachte und nach zumutbarer Behandlung und Eingliederung verbleibende ganze oder teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt (Art. 7 ATSG). Invalidität ist die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 ATSG). Nichterwerbstätige gelten als invalid, wenn eine Unmöglichkeit vorliegt, sich im bisherigen Aufgabenbereich zu betätigen (Art. 8 Abs. 3 ATSG). Der Erwerbsunfähigkeitsgrad ist nach wirtschaftlichen Kriterien zu bestimmen. Er folgt aus der Gegenüberstellung des Einkommens, das die geschädigte Person ohne Gesundheitsschaden erzielen könnte, mit dem Einkommen, das die geschädigte Person nach Eintritt des Schadens zumutbarerweise noch erzielen kann.