Der gläserne Arbeitnehmer Möglichkeiten, Notwendigkeiten und Grenzen der Überwachung von Arbeitnehmern bei der EDV-Nutzung Bielefeld, 27.11.2007 RA Kai M. Simon, Bielefeld
A. VORSTELLUNG Kai M. Simon Rechtsanwalt Rechtsanwälte Dr. Müller & Kollegen Schwerpunkte: Internationales Wirtschaftsrecht (USA, GB) Handels- und Gesellschaftsrecht Wettbewerbsrecht Gewerblicher Rechtschutz Wirtschafts- und Umweltstrafrecht Arbeitsrecht
A. Der gläserne Arbeitnehmer Der gläserne Arbeitnehmer ist Realität! ØOnline-Bewerbungsverfahren ØGesundheitstests bei Einstellung und im Betrieb ØPsychologische Einstellungstests ØDrogenscreenings ØZukunftsvision: Genomanalyse ØKameraüberwachung am Arbeitsplatz ØAutomatisierung von Personaldaten ØErstellung von Bewegungsprofilen durch Telematik ØÜberwachung der Internetnutzung am Arbeitsplatz ØÜberprüfung und Archivierung von E-Mails
B. (Personal)wirtschaftliche Notwendigkeiten Häufig ist es aus Sicht des Arbeitgebers wünschenswert, Daten zu sammeln und zu nutzen. Warum macht man den Arbeitnehmer gläsern? ØGesundheitstests, Drogenscreenings, etc.: Feststellung der charakterlichen Eignung, Herstellung der Arbeitssicherheit (fragwürdig) ØSicherung von Geschäftsgeheimnissen: Überwachung des Datenverkehrs nach außen ØBeweissicherung für potentielle Kündigungsschutzprozesse Øu.v.m. ØWeil man es kann: Informations- und Kommunikationstechnik geben wirkungsvolle technische Möglichkeiten zur Datenerfassung und überwachung und dies nicht nur stichprobenartig, sondern umfassend!
C. Rechtliche Notwendigkeiten 257 Abs. 1 Nr. 2 und 3 HGB, 147 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO: Jeder Kaufmann ist verpflichtet, die empfangenen und abgesendeten Handelsbriefe für zehn Jahre geordnet aufzubewahren. ØGrund: Dokumentation, Beweissicherung, Gläubigerschutz, Besteuerung ØHandelsbriefe = Alle Schriftstücke, die ein Handelsgeschäft betreffen, einschließlich E-Mails ØDaten sind grds. so zu speichern, dass Finanzbehörden bei steuerlichen Außenprüfungen hierauf direkt elektronisch zugreifen können (GDPdU: Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen)
C. Rechtliche Notwendigkeiten 91 Abs. 2 AktG entsprechend anwendbar auf andere Gesellschaftsformen: Der Vorstand (bzw. die Geschäftsführung) hat geeignete Maßnahmen dafür zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Rechtsfolge bei Nichterfüllung: Ggf. persönliche Haftung des Vorstands/Geschäftsführers Beweislastumkehr zu Lasten der Geschäftsführer
C. Rechtliche Notwendigkeiten Mögliche Risiken privater Internetnutzung: ØDer Arbeitnehmer lädt unbefugt urheberrechtlich geschützte Inhalte herunter ØAbmahnkosten, Schadensersatzforderungen, strafrechtliche Verantwortung ØExkulpation des Netzwerkverantwortlichen nach wohl herrschender Rechtsprechung nur möglich, wenn alle Organisationspflichten erfüllt wurden. ØDer Arbeitnehmer surft auf unsicheren Seiten und fängt sich einen Virus ØBetriebsstörungs- oder gar Betriebsausfallschaden ØHaftung gegenüber Kunden bei Weiterleitung des Virus ØDer Arbeitnehmer surft auf strafrechtlich relevanten Seiten ØStrafrechtliche Verantwortlichkeit zb bei Kinderpornographie oder Volksverhetzung
D. Internetnutzung und Kündigungsschutz Das Problem: Private Internetnutzung führt zu erheblichem Schaden ØLandesrechnungshof Berlin: Durch private Internetnutzung in Berliner Bezirksämtern entstand durch Arbeitsausfall Schaden ihv 50 Mio. Euro ØGeschätzter Schaden für deutsche Volkswirtschaft insgesamt: pro Jahr ca. 54 Milliarden Euro (Quelle: Neues Arbeitsrecht für Vorgesetzte) ØHohes Datentransfervolumen (Download von Filmen und Musik) überlastet Netzwerke ØDownload illegaler und urheberrechtlich geschützter Inhalte fällt zunächst auf den Netzwerkbetreiber (Unternehmer) zurück mit begrenzten Entlastungsmöglichkeiten!
D. Internetnutzung und Kündigungsschutz Verhaltensbedingte Kündigung: 1. Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten 2. Grundsätzlich: Abmahnung 3. Abwägung zwischen dem Interesse des Arbeitnehmers am Bestand des Arbeitsverhältnisses und dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers.
D. Internetnutzung und Kündigungsschutz Insbesondere: Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten Grundsatz: Ist die private Nutzung von Internet und E-Mails nicht erlaubt, ist sie verboten. ABER: Erlaubnisse werden in Arbeitsverträgen nicht immer ausdrücklich erteilt: ØBetriebsvereinbarungen ØBetriebliche Übung ALSO: Eindeutige Regelungen sind von Vorteil!
D. Internetnutzung und Kündigungsschutz Die Rechtsprechung zum privaten Surfen und Mailen am Arbeitsplatz ist uneinheitlich und daher nicht ohne weiteres verlässlich! Bundesarbeitsgericht, Urteil v. 31.05.2007 (Az. 2 AZR 200/06): Das private Surfen am Arbeitsplatz kann einen Kündigungsgrund darstellen. Es kommt aber auf den Umfang der privaten Nutzung an (Zeit und Inhalt). Das BAG machte hierzu keine Vorgaben! Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 07.07.2005 (Az. 2 AZR 581/04): Private Internetnutzung dann Kündigungsgrund, wenn z.b. pornographische Inhalte geladen werden oder die Nutzung zeitlich ausschweifend ist.
D. Internetnutzung und Kündigungsschutz Was aber ist ausschweifend? LAG Rheinland-Pfalz; Urteil vom 02.03.2006, Az. 4 Sa 958/05 Eine Stunde pro Monat trotz Verbot kein Kündigungsgrund. ArbG Wesel, Urteil v. 21.03.2001, Az. 5 Ca 4021/00 Neun Stunden pro Monat bei Erlaubnis kraft betrieblicher Übung kein Kündigungsgrund. Im Ergebnis kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, insb. die betriebliche Übung und die Art des Arbeitsplatzes. Empfehlung: Klare Regelungen! Beweise sichern!
D. Internetnutzung und Kündigungsschutz Denkbare Lösungen: ØVerbot ØProblem 1: Private Nutzung schafft Medienkompetenz und Motivation. ØProblem 2: Auch ein Verbot muss überwacht werden. ØSperrung einzelner Seiten ØProblem 1 (Negativliste): Hoher Pflegeaufwand, da immer neue Seiten hinzukommen ØProblem 2 (Positivliste): Welche Seiten sind betrieblich erforderlich? ØKontingentierung (WebFox)
E. Zwischenfazit Die Überwachung des Datenverkehrs der Arbeitnehmer ist ØTechnisch machbar ØWirtschaftlich und personalpolitisch wünschenswert ØRechtlich teils sogar notwendig Aber in welchen Grenzen?
F. Grenzen der Überwachung Die rechtlichen Regelungen hinken dem technischen Fortschritt hinterher. ØEs gibt einen bunten Strauß an Regelungen, aber kein kodifiziertes Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, obwohl dies seit ca. 20 Jahren von wechselnden Bundesregierungen angekündigt wird. ØRegelungen finden sich u.a. in: ØDatenschutzrecht ØBetriebsverfassungsrecht ØAllgemeines Persönlichkeitsrecht ØInformationelle Selbstbestimmung ØStrafrecht
F. Grenzen der Überwachung Datenschutzrecht: Zweck des Datenschutzes ist es, den Einzelnen davor zu schützen, dass er durch den Umgang mit seinen personenbezogenen Daten in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird, 1 Abs. 1 BDSG. ØInternetverbindungsdaten und private E-Mails sind personenbezogene Daten im Sinne des 3 BDSG ØErhebung, Verarbeitung und Nutzung dieser Daten ist nur unter Umständen zulässig.
F. Grenzen der Überwachung Zulässigkeit der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten: ØSchriftliche Einwilligung des Arbeitnehmers Øwird häufig vor Einstellung abverlangt Øist aber nur begrenzt zulässig: AN muss auf Zweck und Folgen hingewiesen werden ØWenn keine Einwilligung: ØLebenswichtige Interessen des Betroffenen oder eines Dritten ØBetroffener hat Daten öffentlich gemacht ØErforderlichkeit zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche (wenn Interesse des AG überwiegt) ØWissenschaftliche Forschung
F. Grenzen der Überwachung Zulässigkeit der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten: Problem: Wer als Arbeitgeber die private Internetnutzung gestattet, ist Diensteanbieter im Sinne des Telemediengesetzes Folge: Datenschutz richtet sich zusätzlich nach 11 ff. TMG, Erhebung ist daher nur zulässig bei ØEinwilligung ØNotwendigkeit für Begründung, Ausgestaltung o. Änderung eines Vertragsverhältnisses über die Internetnutzung ØNotwendigkeit für Ermöglichung und Abrechnung der Nutzung
F. Grenzen der Überwachung Zulässigkeit der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten: Problem: Wer als Arbeitgeber die private Internetnutzung gestattet, ist Diensteanbieter im Sinne des Telekommunikationsgesetzes Folge: Als Diensteanbieter unterliegt der Arbeitgeber dem Fernmeldegeheimnis, 88 TKG. ØEinem Diensteanbieter ist es verboten, sich Kenntnis vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation zu verschaffen. ØDie Weitergabe von Daten, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, ist strafbar mit bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe, 206 StGB
F. Grenzen der Überwachung Zulässigkeit der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten: Es bietet sich daher strikte Trennung zwischen dienstlicher und privater Nutzung an. Aber auch bei Zulässigkeit ergeben sich praktische Probleme: ØBetroffener ist von der erstmaligen Speicherung umfassend zu unterrichten ØBetroffener ist nach hm auch von allen weiteren Speicherungen zu unterrichten ØBetroffener hat u.u. weitgehende Ansprüche: ØAuskunft ØBerichtigung ØLöschung ØSperrung ØSchadensersatz
F. Grenzen der Überwachung Zulässigkeit der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten: Dennoch ist die Trennung von privater und dienstlicher Nutzung sinnvoll: Für die dienstliche Nutzung gilt 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG: Das Erheben, Speichern, Verändern oder Übermitteln personenbezogener Daten oder ihre Nutzung als Mittel für die Erfüllung eigener Geschäftszwecke ist zulässig, [...] wenn es der Zweckbestimmung eines Vertragsverhältnisses oder vertragsähnlichen Vertrauensverhältnisses mit dem Betroffenen dient[...] Ø Arbeitsvertrag ist Vertragsverhältnis Ø Dessen Primärzweck ist die Erbringung einer Arbeitsleistung Ø Durch private Internet- und E-Mail-Nutzung verstößt AN gegen diese Pflicht
F. Grenzen der Überwachung Lesen privater E-Mails ØVerstoß gegen 202a StGB (Ausspähen von Daten), strafbar mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe ØProblematisch vor allem, wenn keine klare Trennung zwischen privater und dienstlicher E-Mail-Korrespondenz ØEs reicht aus, dass die Daten nicht für den Leser bestimmt sind ØWer es also als möglich erachtet, dass auch private Korrespondenz darunter ist, macht sich ggf. strafbar. ØIm Zweifel muss die gesamte Korrespondenz ungelesen bleiben!
F. Grenzen der Überwachung Mitbestimmungsrechte: 90 BetrVG: Betriebsrat hat bei Einführung von Personalinformationssystemen ein Unterrichtungs- und Beratungsrecht (Planung von technischen Anlagen und von Arbeitsverfahren und abläufen). 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG: Bei der Einführung von technischen Einrichtungen zur Verhaltens- oder Leistungsüberwachung hat der Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht (Zustimmungserfordernis).
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!