»Wenn du wüsstest, wie kostbar mir dein Schweigen ist«phänomene der Absenz im Kontext transkriptiver Bedeutungsgenerierung
1 Phänomene der Absenz Beschreibungsperspektiven 2 Absenz und Transkriptionstheorie 2
1 Phänomene der Absenz Sprechwissenschaftliche Perspektive: Sprechpausen sind [...] nicht einfach Leerstellen im Sprechverlauf, sondern Abschnitte großer Informativität für den Hörer und deshalb notwendige Konstituenten gesprochener Sprache. (Bose 1994: 12) Sprechpausen können gesehen werden als [ ] wichtige und auffällige Gliederungssignale, in denen sich zum einen Planung und Selektion im Produktionsprozeß widerspiegeln und die zum anderen die gesprochenen Äußerungen hörerspezifisch segmentieren und dadurch einen wesentlichen Beitrag zum Textverständnis leisten. (Bose 1994: 10) 3
1 Phänomene der Absenz Sprechwissenschaftliche Perspektive: Redezugvakanz Es geht hier [ ] um den Typus einer Schweigephase [einer Sprechpause], der dadurch entsteht, daß ein Redezug, zu dessen Übernahme einer der angesprochenen Rezipienten verpflichtet wurde, [ ] vakant bleibt. (Bergmann 1982: 154) 4
1 Phänomene der Absenz Sprachtheoretische Perspektive: Syntax der Absenz Ellipse, Aposiopese, Analepse, Katalepse etc. Semantik der Absenz Konnotationen, Andeutungen, Präsuppositionen etc. Pragmatik der Absenz Schweigen als kommunikativer Akt (vgl. hierzu Schmitz 1990: 30ff.; Schröter 2005: 44f.) 5
1 Phänomene der Absenz Sprachtheoretische Perspektive: Berücksichtigt man diese vielfältigen Arten von Leerstellen im Sprechen, dann wird klar, dass das Schweigen nicht einfach als das Andere des Sprechens zu bezeichnen ist. [ ] Vielmehr sind Schweigen und Sprechen immer miteinander verbunden, jedes Sprechen impliziert verschiedene Arten gleichzeitigen (Ver-)Schweigens. (Lagaay 2008: 27) Die Momente des Schweigens erhalten [ ] erst kommunikativen Sinn, wenn ihnen (den formalen Sprech-Unterbrechungen) von Seiten der Rezipienten über Inferenzierungen und Conclusionen Sinn zugeordnet wird [ ]. (Heinemann 1999: 309) 6
1 Phänomene der Absenz Medientheoretische Perspektive: Leerstelle [D]enn als Pausen des Textes sind sie [die Leerstellen] nichts; doch diesem nichts entspringt ein wichtiger Antrieb der Konstitutionsaktivität des Lesers. (Iser 1976: 302) 7
2 Absenz und Transkriptionstheorie Störungsindizierte Time-out-Phasen etablieren also gleichsam eine semantische Aushandlungsbühne für die sprachliche Sinnkonstitution. (Jäger 2004: 46; Herv. i. O.) Anwendung auf Absenzphänomene 1. Absenz als unsichtbarer Normalfall (Transparenz) 2. Absenz als produktiver Störfall (transkriptive Störung) 8
2 Absenz und Transkriptionstheorie Transkription als Theoriedach Transkriptionstheorie fungiert als (medien-)theoretische Klammer für die divergenten Phänomene der Absenz in unterschiedlichen medialen Kommunikationsformen Das durch Absenz-Phänomene geprägte interaktive Geschehen wird als bedeutungsschaffender Prozess beschreibbar Die Rolle des Rezipienten und kommunikative Anschlussmöglichkeiten treten deutlich hervor. 9
2 Absenz und Transkriptionstheorie Die divergenten Phänomene der Absenz sind in dieser Hinsicht [ ] nicht etwa als (bloße) >Störfaktoren< bzw. als >Performanzprobleme< zu betrachten, sondern als interaktive Ressourcen [ ]. (Günthner 2003: 200) Mit anderen Worten: Sie werden [ ] nicht als ein Mangel (nämlich als Abwesenheit von Sprache), sondern als konstitutives Element menschlicher Kommunikation aufgefaßt. (Schmitz 1990: 27) Aus diesem Grund müssen die Phänomene der Absenz in die Sprachbetrachtung mit einfließen. 10
Literatur Bergmann, J. R. (1982): Schweigephasen im Gespräch Aspekte ihrer interaktiven Organisation. In: Soeffner, H.-G. (Hg.): Beiträge zu einer empirischen Sprachsoziologie. Tübingen. S. 143-184. Bose, I. (1994): Zur temporalen Struktur frei gesprochener Texte. Frankfurt a.m. Günthner, S. (2003): Eine Sprachwissenschaft der»lebendigen Rede«. Ansätze einer Anthropologischen Linguistik. In: Linke, A./Ortner, H./Portmann, Tselikas, P.R. [Hgg.]: Sprache und mehr. Ansichten einer Linguistik der sprachlichen Praxis. Tübingen, S189-207. Heinemann, W. (1999): Das Schweigen als linguistisches Phänomen. In: Eggert, H./Golec, J. [Hgg.]:» wortlos der Sprache mächtig«schweigen und Sprechen in der Literatur und sprachlicher Kommunikation. Stuttgart, Weimar, S.301-314. Iser, W. (1976): Der Akt des Lesens. München. Jäger, L. (2004): Störung und Transparenz. Skizze zur performativen Logik des Medialen. In: Krämer, S. [Hg.]: Performativität und Medialität. München, S.35-73. Lagaay, A.: How to Do and Not to Do Things with Nothing. Zur Frage nach der Performativität des Schweigens. In: Gronau, B./Lagaay, A. [Hgg.]: Performanzen des Nichttuns. Wien, S.21-32. Schmitz, U. (1990): Beredtes Schweigen Zur sprachlichen Fülle der Leere. Über Grenzen der Sprachwissenschaft. In: Ders. [Hg.]: Schweigen. Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie (OBST) 42. Oldenburg, S.5-58. Schröter, M. (2005): Die Vielfalt des Nichts. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik 42, S.43-61. 11
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