»Wenn du wüsstest, wie kostbar mir dein Schweigen ist«

Ähnliche Dokumente
Produktive Störungen: Pause, Schweigen, Leerstelle. Lehrstuhl für Deutsche Philologie Anna Ullrich, Heiner Apel, Andreas Corr

Modul 7.2: Pragmatik I Semantik vs. Pragmatik

8 Fakultät für Philologie

Wirtschaft und Sprache

xii Inhaltsverzeichnis Generalisierung Typisierte Merkmalsstrukturen Literaturhinweis

AVS - M 01. Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft/ Verantwortlich:

Fachsprache. Einführung I

Hinweise zum Studium der germanistischen Linguistik in der BA-Vertiefungsphase (Studienjahr 2016/17)

Auswahlbibliographie zum Studium der anglistischen Sprachwissenschaft

Ivana Daskalovska. Willkommen zur Übung Einführung in die Computerlinguistik. Sarah Bosch,

Unterstützte Kommunikation - ihre theoretischen Bezugssysteme

Sprachproduktion. Psycholinguistik (7/11; HS 2010/2011 Vilnius, den 26. Oktober 2010

KAPITEL I EINLEITUNG

Soziologische Kommuni kationstheorien

Was bisher geschah. Pragmatik II

Lösungen Allgemeines. Präsuppositionen. Pragmatik II. Gerrit Kentner

Text // grammatisch. Leinengewebe // Kommentar

6 Pragmatik. Kerstin Schwabe (& Hubert Truckenbrodt) WS 2009/10 1

STILISTIK. PhDr. Tamara Bučková, Ph.D. Lehrstuhl für Germanistik an der Päd. Fakultät der Karlsuniversität

ZWISCHEN SELBST-ENTWICKLUNG UND WELT- ERSCHLIEßUNG SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER MIT SCHWERER BEHINDERUNG IM UNTERRICHT

Kontrastive Linguistik und Lexikographie VII

Mathematische und logische Grundlagen der Linguistik. Kapitel 2: Grundbegriffe

Grippeschutz-Maßnahmen

Interdisziplinäre Vortragsreihe (IVR) Heidelberg

Germanistische Linguistik

Textlinguistik Stilistik Diskurslinguistik

Semantik. Ending Khoerudin Deutschabteilung FPBS UPI

Austin ( )und Searle(*1932): Kommunikationstheorie als Sprechakttheorie

Terminus Sprache, Phonologie und Grammatik

Eine neutestamentliche Exegese aufgezeigt am Beispiel der Bibelstelle Matthäus 6, 9-13

AVS-M Name des Moduls: Sprachtypologie und Universalienforschung

Zehn Gebote für gehirngerechtes lehren und lernen

L. Wittgenstein (1958) Philosophische Untersuchungen: Kap. 1, 2, 8-11, 17-18, 21, 23-25, 43,

Sprachdidaktik/Literaturdidaktik/Mediendidaktik:

Präsent im Unterricht. Körperausdruck und Körpersprache. Josefine Méndez, Dipl.-Sprechwissenschaftlerin

Im Rahmen des Seminars werden einige ausgewählten Aspekte der deutschen Lexikologie behandelt.

Negativität im Kontext Bildung und Erziehung. Thesenpapier

Gliederung. 1. Einführung: Expansionen. 1. Gruppenphase. 1. Funktionen von Expansionen

AMTLICHE BEKANNTMACHUNG

H A U S A R B E I T Analyse zweier Sätze hinsichtlich syntaktischer und semantischer Valenz (Abgabedatum: 28. Juni 2005)

Die Bedeutungsrelation Synonymie im Französischen

STILISTIK. PhDr. Tamara Bučková, Ph.D. Lehrstuhl für Germanistik an der Päd. Fakultät der Karlsuniversität

Modulhandbuch Studiengang Lehramt an Gymnasien (GymPO I) Deutsch Prüfungsordnung: 2010

Pragmatik in der Sprache und im Comic. Präsupposition und Inferenz; kommunikative Relevanz

Was leistet Sprache?

Sprache im Fach Sport: 8 Fragen / 8 Hinweise

Die konklusiven Sprechhandlungen

III. Sprachliche Ebenen

FACHSPRACHE. Einführung

Was ist Sprache? Kessel/Reimann: S Volmert: S Dr. Marina Iakushevich. Einführung in die Germ. Sprachwissenschaft WS 09/10

Beiblatt Bachelor Italienisch (Curr. 2015) 1 von 6 Name Antragsteller/in Matrikelnummer ab

Leitperspektiven: Wir fordern die Leitperspektive Kulturelle Bildung

Einführung in Pragmatik und Diskurs SS Ivana Kruijff-Korbayová

Beiblatt Bachelor Französisch (Curr. 2015) 1 von 6 Name Antragsteller/in Matrikelnummer ab

V1/2.S Sprachwissenschaft

9 Kritische Diskursanalyse nach Siegfried Jäger Methodische Schritte...67

Einführung in die Syntax und Morphologie. Vorlesung mit Übung WS 2010/2011, Computerlinguistik

Einführung in die deskriptive Sprachwissenschaft I (VDFO)

M. Kienpointner/Lehrveranstaltungen

Pflege und Betreuung: Theorien und Modelle. Irma M. Hinghofer-Szalkay

Ist der Dativ dem Genitiv sein Tod?

Sprachliche Variation Geschrieben und gesprochen

Kurs Nr.: Titel: Symbol, Sprache, Zeichen, Bild. Kursautor: Emmanuel Alloa

Einführung in die germanistische Linguistik

3. Wie kann nun aber auf der Basis der tetradischen Präzeichenrelation die Unterscheidung von Denotation und Konnotation eingeführt werden?

Sprachliche Höflichkeit zwischen Etikette und kommunikativer Kompetenz

Sprachentwicklung beim Kind

Neues Grundschullehramt NRW

Einführung in die Pragmatik

Syntax und Morphologie

Der Status der Einheit Wort im Französischen

Paul Watzlawick II. Gestörte Kommunikation

Das Zusammenspiel interpretativer und automatisierbarer Verfahren bei der Aufbereitung und Auswertung mündlicher Daten

Gesprochene Sprache in der Romania

Monika Schwarz / Jeanette Chur: SEMANTIK. EIN ARBEITSBUCH. (narr studienbücher), Gunter Narr Verlag; Tübingen1993, pp. 223.

TEXTLINGUISTIK. Problemkreis III: Kohäsionsmittel, Wiederaufnahme des Textes

Einleitung. Definitionen von Korpuslinguistik und das Repräsentativitätsmerkmal

Simon Meier. Beleidigungen

Prüfungsordnung der Albert-Ludwigs-Universität für den Studiengang Bachelor of Arts (B.A.)

Anlage 3 zur Bachelor-PO Philosophische Fakultät, Universität Bonn; hier: Studiengänge des Instituts VII, Französistik (Zwei-Fach)

Angewandte Linguistik und Computer

GUT INFORMIERT!? DIE AUFGABEN FÜR DAS ZEITALTER WEB FF.0

Textdesign und Textwirkung in der massenmedialen Kommunikation: Zur Einführung

Katalog: Module für ausländische Austauschstudierende (Incomers) in der Germanistik

Sprachpraxis Französisch IV

Informationsgliederung im Simultandolmetschen. Thema-Rhema Strukturen im gedolmetschten Diskurs

Paul Watzlawick. Fünf kommunikationspsychologische Axiome

Goldene Buchstaben ins Herz schreiben

Deutsch und andere Sprachen Deutsch als Zweitsprache

Kulturwissenschaft als Linguistik? Linguistik als Kulturwissenschaft

Master Europäische Sprachen : Lehrangebot WS 2016/17 und SS 2017 Stand:

Problembereich Getrennt- und Zusammenschreibung

aus sprachwissenschaftlicher Sicht

de Gruyter Studienbuch Kognitive Grammatik Klassische Paradigmen und neue Perspektiven Bearbeitet von Wolfgang Wildgen

Mit der heutigen Vorlesung beginnen wir uns mit Texten zu beschäftigen.

10. Salzburger Medientag

Einführung in die germanistische Linguistik

1. Sprachphilosophie: Das Was?

Transkript:

»Wenn du wüsstest, wie kostbar mir dein Schweigen ist«phänomene der Absenz im Kontext transkriptiver Bedeutungsgenerierung

1 Phänomene der Absenz Beschreibungsperspektiven 2 Absenz und Transkriptionstheorie 2

1 Phänomene der Absenz Sprechwissenschaftliche Perspektive: Sprechpausen sind [...] nicht einfach Leerstellen im Sprechverlauf, sondern Abschnitte großer Informativität für den Hörer und deshalb notwendige Konstituenten gesprochener Sprache. (Bose 1994: 12) Sprechpausen können gesehen werden als [ ] wichtige und auffällige Gliederungssignale, in denen sich zum einen Planung und Selektion im Produktionsprozeß widerspiegeln und die zum anderen die gesprochenen Äußerungen hörerspezifisch segmentieren und dadurch einen wesentlichen Beitrag zum Textverständnis leisten. (Bose 1994: 10) 3

1 Phänomene der Absenz Sprechwissenschaftliche Perspektive: Redezugvakanz Es geht hier [ ] um den Typus einer Schweigephase [einer Sprechpause], der dadurch entsteht, daß ein Redezug, zu dessen Übernahme einer der angesprochenen Rezipienten verpflichtet wurde, [ ] vakant bleibt. (Bergmann 1982: 154) 4

1 Phänomene der Absenz Sprachtheoretische Perspektive: Syntax der Absenz Ellipse, Aposiopese, Analepse, Katalepse etc. Semantik der Absenz Konnotationen, Andeutungen, Präsuppositionen etc. Pragmatik der Absenz Schweigen als kommunikativer Akt (vgl. hierzu Schmitz 1990: 30ff.; Schröter 2005: 44f.) 5

1 Phänomene der Absenz Sprachtheoretische Perspektive: Berücksichtigt man diese vielfältigen Arten von Leerstellen im Sprechen, dann wird klar, dass das Schweigen nicht einfach als das Andere des Sprechens zu bezeichnen ist. [ ] Vielmehr sind Schweigen und Sprechen immer miteinander verbunden, jedes Sprechen impliziert verschiedene Arten gleichzeitigen (Ver-)Schweigens. (Lagaay 2008: 27) Die Momente des Schweigens erhalten [ ] erst kommunikativen Sinn, wenn ihnen (den formalen Sprech-Unterbrechungen) von Seiten der Rezipienten über Inferenzierungen und Conclusionen Sinn zugeordnet wird [ ]. (Heinemann 1999: 309) 6

1 Phänomene der Absenz Medientheoretische Perspektive: Leerstelle [D]enn als Pausen des Textes sind sie [die Leerstellen] nichts; doch diesem nichts entspringt ein wichtiger Antrieb der Konstitutionsaktivität des Lesers. (Iser 1976: 302) 7

2 Absenz und Transkriptionstheorie Störungsindizierte Time-out-Phasen etablieren also gleichsam eine semantische Aushandlungsbühne für die sprachliche Sinnkonstitution. (Jäger 2004: 46; Herv. i. O.) Anwendung auf Absenzphänomene 1. Absenz als unsichtbarer Normalfall (Transparenz) 2. Absenz als produktiver Störfall (transkriptive Störung) 8

2 Absenz und Transkriptionstheorie Transkription als Theoriedach Transkriptionstheorie fungiert als (medien-)theoretische Klammer für die divergenten Phänomene der Absenz in unterschiedlichen medialen Kommunikationsformen Das durch Absenz-Phänomene geprägte interaktive Geschehen wird als bedeutungsschaffender Prozess beschreibbar Die Rolle des Rezipienten und kommunikative Anschlussmöglichkeiten treten deutlich hervor. 9

2 Absenz und Transkriptionstheorie Die divergenten Phänomene der Absenz sind in dieser Hinsicht [ ] nicht etwa als (bloße) >Störfaktoren< bzw. als >Performanzprobleme< zu betrachten, sondern als interaktive Ressourcen [ ]. (Günthner 2003: 200) Mit anderen Worten: Sie werden [ ] nicht als ein Mangel (nämlich als Abwesenheit von Sprache), sondern als konstitutives Element menschlicher Kommunikation aufgefaßt. (Schmitz 1990: 27) Aus diesem Grund müssen die Phänomene der Absenz in die Sprachbetrachtung mit einfließen. 10

Literatur Bergmann, J. R. (1982): Schweigephasen im Gespräch Aspekte ihrer interaktiven Organisation. In: Soeffner, H.-G. (Hg.): Beiträge zu einer empirischen Sprachsoziologie. Tübingen. S. 143-184. Bose, I. (1994): Zur temporalen Struktur frei gesprochener Texte. Frankfurt a.m. Günthner, S. (2003): Eine Sprachwissenschaft der»lebendigen Rede«. Ansätze einer Anthropologischen Linguistik. In: Linke, A./Ortner, H./Portmann, Tselikas, P.R. [Hgg.]: Sprache und mehr. Ansichten einer Linguistik der sprachlichen Praxis. Tübingen, S189-207. Heinemann, W. (1999): Das Schweigen als linguistisches Phänomen. In: Eggert, H./Golec, J. [Hgg.]:» wortlos der Sprache mächtig«schweigen und Sprechen in der Literatur und sprachlicher Kommunikation. Stuttgart, Weimar, S.301-314. Iser, W. (1976): Der Akt des Lesens. München. Jäger, L. (2004): Störung und Transparenz. Skizze zur performativen Logik des Medialen. In: Krämer, S. [Hg.]: Performativität und Medialität. München, S.35-73. Lagaay, A.: How to Do and Not to Do Things with Nothing. Zur Frage nach der Performativität des Schweigens. In: Gronau, B./Lagaay, A. [Hgg.]: Performanzen des Nichttuns. Wien, S.21-32. Schmitz, U. (1990): Beredtes Schweigen Zur sprachlichen Fülle der Leere. Über Grenzen der Sprachwissenschaft. In: Ders. [Hg.]: Schweigen. Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie (OBST) 42. Oldenburg, S.5-58. Schröter, M. (2005): Die Vielfalt des Nichts. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik 42, S.43-61. 11

Kontakt Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft der RWTH Aachen Eilfschornsteinstr. 15 52062 Aachen Tel.: 0049/(0)241/80-96050 (Sekretariat) Fax: 0049/(0)241/80-92269 E-Mail: a.ullrich@isk.rwth-aachen.de h.apel@isk.rwth-aachen.de a.corr@isk.rwth-aachen.de Internet: http://www.isk.rwth-aachen.de/ 12