Manuskript Beitrag: NSU-Terrortrio Neue Spuren nach Dortmund? Sendung vom 4. April 2017 von Heiko Rahms und Ulrich Stoll Anmoderation: Vor elf Jahren, auf den Tag genau, wurde in Dortmund der Kioskbetreiber Mehmet Kubaşik erschossen. Es ist der achte Mord der rechtsextremen Terrorzelle NSU - aber das wird erst später klar. Lange ging die Polizei von Konflikten zwischen Türken und Kurden, von Schutzgelderpressung oder Drogen aus. Lange mussten die Angehörigen die lähmende Erfahrung machen, wie Kriminelle behandelt zu werden. Bis heute sind für sie viele Fragen offen. Zum Beispiel die: Wie kam der NSU auf Kubaşik und seinen Kiosk? Ein Zeuge, der das NSU-Trio lange vor dem Mord in Dortmund gesehen haben will, könnte Hinweise geben. Aber seine Aussage ging bislang unter, berichten Heiko Rahms und Ulrich Stoll Text: Die Dortmunder Nordstadt. In der Mallinckrodtstraße wurde vor elf Jahren der Kioskbesitzer Mehmet Kubaşik vom Nationalsozialistischen Untergrund ermordet. Wie fanden die rechten Terroristen ihr Opfer? Hatten sie genaue Ortskenntnisse von dem Viertel, in dem viele Migranten leben? Wir treffen einen Mann, der behauptet, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt schon lange vor dem Mord in Dortmund waren und dass sie Zeit hatten, die Stadt und potenzielle Opfer auszuspähen. Der Zeuge, der aus dem früheren Jugoslawien stammt, führt uns zu der damaligen Baustelle. Hier habe er zusammen mit den Nazis aus Jena gearbeitet. Er will sich nicht offen vor der Kamera zeigen. Hier in dem Dortmunder Stadthaus haben wir die Büros aus Fertigteilen hergestellt. O-Ton Frontal 21:
Mit wem vom NSU-Terrortrio waren Sie denn hier in diesem Gebäude? Ich war hier mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zusammen. Da haben wir gute fünf Monate zusammen verbracht. Wir zeigen dem Mann Fotos der NSU-Terroristen. Er ist sich sicher: Diese Männer waren seine damaligen Kollegen. Die hätten sich Guido und Jörg genannt. Das ist Guido und der richtige Name Uwe Mundlos. Das hier ist Jörg und der richtige Name Uwe Bönhardt. Der Uwe Böhnhardt hat mir schon so angedeutet, dass er mit Nazis sympathisiert oder dass er Türken nicht mag, weil er wusste überhaupt nicht, dass ich selber auch Muslim bin. Der Zeuge führt uns zu einer Pension. Dort habe er damals mit den mutmaßlichen NSU-Mördern gewohnt. Da oben unter dem Dach, da hatte ich Einzelzimmer und Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt, die waren unten. Die haben gewohnt dann gemeinsam in einem Zimmer mit Schlafgelegenheit, und eine gemeinsame Küche haben die gehabt. Und ich wollte nicht mehr mit denen, weil die waren mir zu schmutzig, zu chaotisch. Haben Mundlos und Böhnhardt von hier aus potenzielle Tatorte ausgespäht? Wir finden in den Ermittlungsakten eine Liste mit möglichen Anschlagzielen des NSU in Dortmund - Ziele ganz in der Nähe der Pension und der Baustelle Stadthaus. Auf der Liste steht auch ein damaliges SPD-Bürgerbüro. Mundlos und Bönhardt notierten dazu: Keine besonders gute Lage, nur bei schlechtem Wetter einen Gedanken wert. Auch ein weiteres Anschlagsziel war zu Fuß von der Pension aus erreichbar, eine inzwischen abgerissene Imbissbude - der türkische Inhaber als mögliches Mordopfer. In der Ausspähliste des NSU heißt es: Türkischer Imbiss Gutes Objekt und geeigneter Inhaber. Ein weiteres potenzielles Anschlagsziel auf der Liste: Türkischer Laden Sehr gutes Objekt, guter Sichtschutz. Person gut, aber alt.
Am 4. April 2006 schlugen die NSU-Terroristen an einem Ort zu, der nicht auf den Ausspählisten steht. Sie erschossen Mehmet Kubaşik in seinem Kiosk in der Mallinckrodtstraße. Der Tatort ist nicht weit entfernt von der Pension und der Baustelle Stadthaus und auch in der Nähe von anderen Ausspähzielen des NSU in Dortmund. Viele Ziele und viel Zeit, um Anschläge vorzubereiten. Wir zeigen die Aussage unseres Zeugen der Anwältin Antonia von der Behrens. Sie vertritt die Angehörigen des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubaşik im NSU-Prozess. O-Ton Antonia von der Behrens, Anwältin der Familie Kubaşik: Wenn es einen Zeugen gibt, der sagt, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Ende 2001/Anfang 2002 in Dortmund gearbeitet haben, dann ist es eine Spur, der man auf jeden Fall hätte nachgehen müssen. Das kann erklären, warum es so intensive Ausspähnotizen zu Dortmund gibt. Ob sie wirklich dort gearbeitet haben, wissen wir nicht. Aber das ist aufzuklären. Wie glaubwürdig ist dieser Zeuge? Wir überprüfen seine Angaben. Wir finden seine Vernehmung vom März 2012. Beamte des Bundeskriminalamtes notieren dazu, die Angaben des Zeugen wirken glaubhaft. Dazu passt auch die Aussage des damaligen Arbeitgebers unseres Zeugen. Er bestätigt den Ermittlern auch, dass er einen Guido und Jörg beschäftigt hatte: Der Guido und der Jörg hätten schon eine große Ähnlichkeit mit den beiden Personen Mundlos und Böhnhardt aus der Thüringer Zelle. Es seien eben Glatzköpfe gewesen. Doch Montagebauer Peter S. wurde nur am Telefon befragt, nie richtig vernommen. O-Ton Antonia von der Behrens, Anwältin der Familie Kubaşik: Diese Vernehmung von Peter S. allein am Telefon, was überhaupt keine Vernehmung ist, sondern eine bloße Befragung, auch das ist wieder typisch für die Bundesanwaltschaft. Bestimmte Spuren, denen man nicht nachgehen möchte, den geht man auf dieser ganz oberflächlichen Art und Weise nach. Das ist natürlich keine richtige Ermittlung. Die einzige Überlebende des NSU-Trios, Beate Zschäpe, steht vor Gericht. Die Ermittler können ihr bisher nicht nachweisen, an einem der Tatorte gewesen zu sein. Aus den Ermittlungsakten geht nicht hervor, ob die Beamten den Dortmunder Zeugen überhaupt nach Zschäpe fragten. Gegenüber Frontal 21 erinnert sich der Zeuge: Beate Zschäpe sei damals in Dortmund gewesen.
Ich bin ziemlich, ziemlich sicher, dass das die Frau war, die ich gesehen habe. Vor der Pension erinnert sich der Zeuge genau. O-Ton Frontal 21: Wo haben Sie Frau Zschäpe gesehen? Da vorne, zehn, 15 Meter in dem Ford, den Uwe Böhnhardt damals gefahren hat. Ich war in Stadt was trinken und dann bin ich so gegen Mitternacht zurückgekommen und wo sie mich gesehen haben, so zehn, 20 Meter vor Auto, hat sie dann Kopf hingelegt in seinen Schoß. Zschäpe habe sich vor ihm versteckt. Auch an der Baustelle will der Zeuge sie gesehen haben. Ich habe sie damals am Eingang vor Pförtner gesehen, unscheinbare Frau, nicht hübsch. Die Opposition im Berliner NSU-Untersuchungsausschuss hält die Zeugenaussage für relevant. O-Ton Petra Pau, DIE LINKE, MdB, NSU- Untersuchungsausschuss: Man hätte in jedem Fall diese Aussage nachgehen müssen. Ich halte es für unumgänglich, auch zu schauen, welche Rolle hat Frau Zschäpe gegebenenfalls bei der Vorbereitung der Taten oder auch bei der Deckung der Flucht nach einer Tat gespielt. Warum halten die Ermittler den Zeugen erst für glaubwürdig, verfolgen die Dortmunder Spur aber nicht? Ihr Motiv steht in den Akten, Zitat: Vor dem Hintergrund, dass das Trio mit Banküberfällen ihren Lebensunterhalt finanzierte, erscheint es eher unwahrscheinlich, dass MUNDLOS und BÖHNHARDT einer Arbeit nachgegangen sind. Ein glaubwürdiger Zeuge, den der BKA-Vernehmer nicht ernst nahm. Ich habe schnell gemerkt, dass er auch nicht so interessiert war für meine Geschichte. Null. Zero.
Die Bundesanwaltschaft erklärt heute zu dem Fall: Der Zeuge sei zwar glaubwürdig, seine Beobachtung habe sich aber nicht mit der erforderlichen Sicherheit erhärten lassen. Im NSU-Prozess will das Gericht keine weiteren Zeugen mehr hören. Und auch der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat seine Beweisaufnahme beendet. So bleiben entscheidende Fragen ungeklärt. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.