Wie gefährlich sind Sexualstraftäter wirklich?

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Transkript:

16. Bundeskongress der Psychologinnen und Psychologen im Justizvollzug Deutschlands: Widersprüche erkennen Dilemmata überwinden Wie gefährlich sind Sexualstraftäter wirklich? Ergebnisse der Evaluation sozialtherapeutischer Einrichtungen für Sexual- und Gewaltstraftäter Dr. Gunda Wößner, Dipl.-Psych. Senior Researcher Abteilung Kriminologie

Sozialtherapie Staubsauger Steigeisen?

Studiendesign Zeitpunkt t 1 Zeitpunkt t 2 Zeitpunkt t 3 Zeitpunkt t 4 Beginn der Haftphase (n=398) kurz vor Entlassung (n=218) biographische und tatbezogene Merkmale, klinische Merkmale, persönlichkeitsbezogene Variablen, Inhalte der Maßnahmen Aktenanalyse, Fachdienstbefragung 1 Jahr nach Entlassung (n=96) Interview zu den Lebensumständen, Selbstkontrolle, MSWS, FPI-R, Selbstwert, Dunkelfeld BZR- Auskünfte nach mind. 5 Jahren (noch keine Daten)

Auswahl/ Rekrutierung Probanden Population in der Anstalt (Sexual- und Gewaltstraftäter) Teilnehmer aktive Verweigerer Regelvollzug Sozialtherapie Deliktgruppe Stichprobenzuordnung Nicht- Angefragte Regelvollzug Nichtteilnehmer Sozialtherapie- Teilnehmer Sozialtherapie- Abbrecher Gewalt Sexual Gewalt Sexual Gewalt Sexual t₁ (N= 320) n= 65 n= 55 n= 58 n= 94 n= 20 n= 28 t₂ (N= 118) n= 23 n= 15 n= 20 n= 45 n= 6 n= 9 t₃ (N= 55) Follow-up I t₄ (n.n.b.) Follow-up II n= 10 n= 5 n= 9 n= 27 n= 0 n= 4 n= n= n= n= n= n=

Post-release Befragung t 3 : nach Entlassung: Lebensumstände seit Entlassung Selbstberichtete Delinquenz Selbstkontroll-Fragebogen Selbstwert-Fragebogen MSWS FPI-R n = 53 Mittlerer Zeitraum nach Entlassung: 24.2 Monate (SD=9.9)

Selbstberichtete Delinquenz: Schwierigkeiten Verständlichkeit Antwortbereitschaft Sensitive Fragen

Selbstberichtete Delinquenz Anzahl genannter Deliktbereiche Häufigkeit (N=53) Häufigkeit (%) 0 25 47.2 1 12 22.6 2 6 11.3 3 2 3.8 4 3 5.7 5 1 1.9 6 1 1.9 7 1 1.9 9 2 3.8 RV: 47.6 % (10 von 21) Sotha: 56.3 % (18 von 32) n.s. Strafverfolgte Rückfälle: RV: 19 % (4 von 21) Sotha: 28.1 % (9 von 32) n.s.

Alle Rückfalle im Überblick Delikt Häufigkeit (N=53) Häufigkeit (%) davon strafverfolgt davon strafverfolgt (%) Straßenverkehr gefährdet 20 37.7 2 10 exkl. Missachtung der StVO a 9 17 - - Fahren ohne Fahrerlaubnis 11 20.8 1 9.1 Verstoß gegen Bewährungsauflagen 15 28.3 5 33.3 Illegale Drogen 12 22.6 2 16.7 exkl. Konsum a 8 15.1 - - Drohung 3 5.7 0 0 Dokumentenfälschung 3 5.7 0 0 Geld fälschen 1 1.9 1 100 Sachbeschädigung 7 13.2 1 14.3 Diebstahl 6 11.3 2 33.3 Freiheitsberaubung/Geiselnahme 2 3.8 0 0 Körperverletzung 10 18.9 2 20 Raub 4 7.5 0 0 Sexuelle Handlungen an Kindern 2 3.8 1 50 Gesamt 92 17 18.5

Schwerer Rückfall Schwerer Rückfall (nur Gewalt- und Sexualstraftaten) Häufigkeit Häufigkeit (%) Gesamt (N=53) 12 22.6 Regelvollzug (N=21) 4 19 Sozialtherapie (N=32) 8 25 r=.07, n.s. Sexualstraftäter (N=35) 7 20 einschlägiger Rückfall 2 5.7 Gewaltstraftäter (N=18) 5 27.7 r=-.09, n.s.

Protektive und kriminogene Faktoren nach Entlassung - allgemein Qualitative Analyse des Interviews zu den Lebensumständen seit Entlassung Hypothetisches Rückfallszenario Kriminalitätsrelevante Zusammenhänge können erfasst werden Erhöhte Offenheit bei dem sensiblen Themenbereich Nicht von Erinnerungsverzerrungen betroffen

Steigeisen - Protektive und kriminogene Faktoren nach Entlassung kriminogen stabilisierend protektiv Caveat: Die Differenzierung zwischen protektiven und kriminogenen Faktoren suggeriert, dass es eben klar zwischen diesen zu unterscheiden gilt. Bisherige Analysen der Interviews mit den Probanden nach deren Entlassung legen nahe, dass diese Differenzierung die Realität simplifiziert. Warum? Auch Pb, die bereits wieder rückfällig geworden sind, berichten von vermeintlich protektiven Faktoren. Weitere Auswertungen zur Identifizierung der exakten Rolle von kriminogenen, stabilisierenden und protektiven Faktoren.

Steigeisen - Protektive und kriminogene Faktoren nach Entlassung Die wichtigsten bislang identifizierten kriminogenen und protektiven Faktoren allgemeiner Art sind: Dysfunktionale Problembewältigung Dissoziale Schemata/Kognitionen Soziale Bindungen Paarbeziehung Fähigkeit Alltag zu strukturieren Fehlgeschlagene Ablösung von Peers Ablösung von Peers

Einbettung in andere Forschungsergebnisse: Rückfall mit Sexualdelikt Hanson & Harris, 2000 Hohes Ärger-/Stressempfinden kurz vor der Tat Tolerante Einstellung ggü. sexueller Gewalt Dissozialer Lebensstil Soziale Bindungen Selbstmanagementskills Kooperationsschwierigkeiten mit Bewährungshilfe Verhalten = Personen- x Situationsmerkmale

Fazit Vielfältige im Dunkelfeld verbleibende Normverstöße schwerer Rückfall: 20-25% Nur wenige im Dunkelfeld verbleibende Sexualdelikte

Fazit Vielfältige im Dunkelfeld verbleibende Normverstöße schwerer Rückfall: 20-25% Nur wenige im Dunkelfeld verbleibende Sexualdelikte Schein-Schutzfaktoren (zunächst stabilisierend) Selektionseffekte der Stichprobe

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Dr. Gunda Wößner, Dipl.-Psych. Projektleiterin Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Günterstalstr. 73 79100 Freiburg i.br. Tel.: +49 (761) 7081-289 Fax: +49 (761) 7081-294 g.woessner@mpicc.de