Materielle Sicherung und/oder Integration Ethische Fragen rund um die Sozialhilfe

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Transkript:

Materielle Sicherung und/oder Integration Ethische Fragen rund um die Sozialhilfe Städteinitiative Sozialpolitik Input: Prof. Sonja Hug www.fhnw.ch/weiterbildung CAS Verteil- und Solidargerechtigkeit Moral Gesamtheit von Normen, die das Verhalten gegenüber anderen beeinflussen Unter Moral verstehen wir eine bestimmte sittliche Einstellung. Sittlichkeit hingegen bezeichnet nicht nur eine Einstellung,.., sondern auch das Verhalten auf Grund dieser, d.h. auf Grund bestimmter bewusster oder unbewusster Normen. Stettner (2007) Prof. Sonja Hug 1

Moral II Durch Moral definiert man sich selbst; wer man ist, wer man sein möchte, wofür man gehalten werden will. ( ). In der Moral geht es um die Frage, was ich bereit bin zu tun. Darum ist die Ausrede Wenn ich es nicht getan hätte, hätte es jemand anderes getan keine, sondern bereits der Kollaps der Moral. (Jan Philipp Reemtsma: Folter im Rechtsstaat, Hamburg 2005) Moral ist eng mit Identität (personaler, aber auch Identität von Gruppen, Gemeinschaften, etc. verknüpft). Ethik Ganz kurz gefasst, kann Ethik als wissenschaftliches Nachdenken über Moral bezeichnet werden. Dabei werden zentrale, wissenschaftlich abgestützte Konstrukte, Wertgebäude mit einbezogen wie z.b. Glück, Gerechtigkeit, Pflicht, Menschenrechte. Ethik wird auch definiert als Frage nach dem guten Leben (Aristoteles /Habermas) Prof. Sonja Hug 2

Individualethik Sozialethik was soll ich tun? wie sollen wir zusammenleben? Fragen: Welche moralischen Vorstellungen existieren zur Frage der Existenzsicherung durch die Gemeinschaft? Welche moralischen Ansprüche/Vorstellungen existieren zur Integration? Welche Konstrukte/Bezüge/wissenschaftlichen Erkenntnisse können beigezogen werden zur ethischen Reflexion? Prof. Sonja Hug 3

Integration als Herausforderung der Einzelnen «dass die grundlegende Form moderner Vergesellschaftung ( ) erstens zu einer notwendigen Steigerung der zu leistenden Aktivitäten der Individuen im Hinblick auf Integration (gesellschaftliche Positionierung und Teilhabe) führt, weil Integration nicht mehr naturwüchsig gegeben ist, sondern unter Einsatz von Energie und den zur Verfügung stehenden Mitteln (Kapitalien, Ressourcen) interaktiv selbst hergestellt werden muss. Zweitens, dass eine vertikale und horizontale Differenzierung im sozialen Raum entsteht ( ) und dass drittens die Realisierung einer konkreten Form von Integration und damit zusammenhängend der Grad an gesellschaftlicher Teilhabe von der Ausstattung der jeweiligen Akteure und deren Passung in den gegebenen sozial-strukturellen Verhältnissen abhängig ist.» Sommerfeld/Hollenstein/Calzaferri 2011, S. 52 Integration: von lat. integratio (Erneuerung, Wiederherstellung einer Einheit) Duden: Verbindung einer Vielheit von einzelnen Personen oder Gruppen zu einer gesellschaftlichen und kulturellen Einheit (soziologische Perspektive). Integrationsprozesse sind nur in Wechselwirkung zwischen Individuum und Systemen möglich, Integration verändert auch die Systeme Assimilation: Duden: das völlige Aufgehen einer Gruppe (ethnisch, religiös, kulturell) in einer anderen Gruppe (soziologische Perspektive). Anpassung an die vorgegebenen Bedingungen, in der Extremform menschenrechtlich problematisch «Wir sagen oft Integration, meinen aber in Wahrheit Assimilation» (Saner 2001) Prof. Sonja Hug 4

Lebensführungssystem (Sommerfeld/Hollenstein/Calzaferri 2011, S. 287) Familiensystem private Sozialsysteme FreundInnen Beschäftigung Schule «Schattenwelten» z.b. Drogenszene Hilfesysteme Kultur/Freizeit Fragen: Welchen Wert hat Integration für die Einzelnen und für die Gesellschaft? Welche Beziehung besteht zwischen Existenzsicherung und Integration? Mögliche theoretische, ethisch und wirtschaftswissenschaftliche Antworten geben Martha Nussbaum und Amartya Sen Prof. Sonja Hug 5

Eine mögliche Antwort auf die Frage nach dem guten (Zusammen)leben Menschen sollen über möglichst umfassende Verwirklichungschancen verfügen. Verwirklichungschancen sind: «die umfassenden Fähigkeiten (Capabilities) von Menschen, ein Leben führen zu können, für das sie sich aus guten Gründen entscheiden konnten und das die Grundlagen der Selbstachtung nicht in Frage stellt» (Sen 2000 S. 37) Bestimmungsgrössen der Verwirklichungschancen: nach Arndt/Volkert, eigene Darstellung finanzielle Potenziale: - Einkommen - Vermögen nicht finanzielle Potenziale - Gesundheit - Behinderung - Bildung - (Reflexions-) Kompetenzen - etc. individuelle Potenziale Transparenzgarantien (keine Korruption) rechtsstaatliche Garantien politische, soziale und ökonomische Chancen sozialer Schutz Schutz der ökologischen Lebensbedingungen gesellschaftlich bedingte Chancen Prof. Sonja Hug 6

Literatur: Düwell Marcus/Hübenthal, Christoph/Werner, Micha (Ed.) (2002). Handbuch Ethik. Stuttgart, Weimar: Verlag J.B. Metzler. Höffe, Ottfried (2002). Lexikon der Ethik. München: C.H. Beck. Saner, Hans (2001). Zum Begriff der sozialen Integration: eine kritische Annäherung. In: Caritas Dossier zur Tagung soziale Integration 2001. Sen, Amartya (2000). Der Lebensstandard. Begriffe und Kritik. In: Senn, Amartya (Hrsg.). Lebensstandard. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt/Rotbuch. Sommerfeld, Peter/ Hollenstein, Lea/ Calzaferri, Raphael (2011). Integration und Lebensführung. Ein forschungsgestützter Beitrag zur Theoriebildung der Sozialen Arbeit. Wiesbaden: VS Verlag. Stettner, Ute (2007). Kann helfen unmoralisch sein? Graz: Grazer Universitätsverlag. http://ejournals.duncker-humblot.de/doi/pdf/10.3790/vjh.75.1.7 (Text Arndt/Volkert) www.nfp60.ch/sitecollectiondocuments/publikationen/nfp60_pub_nadai_capability.pdf Text zu capability und Integration Prof. Sonja Hug 7