Morbus Parkinson Restless-Legs- Syndrom. Heinz Reichmann. Neurologie / Psychiatrie. Unter Berücksichtigung aktuellster. internationaler Leitlinien

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ISSN 1434-3975 43603 Nr. 71 / 2017 Mai 2017 / 7. Aulage / 7. Auflage Neurologie / Psychiatrie Heinz Reichmann Morbus Parkinson Restless-Legs- Syndrom Therapie des Morbus Parkinson Diagnosealgorithmus Schweregradeinteilung Substanzklassen Pharmakotherapie Komplikationen (Wearing-off, On-Off-Fluktuationen, Dyskinesien, Hyperkinesien, Dystonien etc.) Operative und nicht-medikamentöse Maßnahmen Therapie des Restless-Legs-Syndroms Epidemiologie Wichtigste Ursachen Häufigste Fehldiagnosen Augmentation Therapiealgorithmus Zugelassene und Off-label-Substanzen Westermayer Verlag Unter Berücksichtigung aktuellster internationaler Leitlinien

Inhaltsverzeichnis Vorwort 4 Impressum 6 Therapie des Morbus Parkinson 7 Diagnoseindung 7 U. K. Brain Bank-Kriterien 7 MDS-Kriterien 7 DaTSCAN -Untersuchung 9 Klinisch sicheres Parkinson-Syndrom 9 Absolute Ausschlusskriterien 9 Unterstützende Kriterien 9 Rote Flaggen (Red Flags) 10 Subgruppen des Idiopathischen Parkinson-Syndroms (IPS) 10 Einteilung des Parkinson-Syndroms nach Schweregraden 11 Prämotorische Parkinson-Symptome 11 Genetisch determinierte Parkinson-Syndrome 11 Sekundäre Parkinson-Syndrome 13 Substanzklassen 14 Levodopa 14 Studienlage: Motorische Komplikationen bei einer initialen Levodopa-Therapie 17 Die goldenen Levodopa-Regeln 17 Monoamino-Oxidase-B-Hemmer 18 Sainamid 20 Wer ist ein Sainamid-Patient? 21 Fragen und Antworten bezüglich Sainamid 22 Catechol-Ortho-Methyl-Transferase (COMT)-Hemmer inkl. Opicapon 23 Dopaminagonisten 27 Amantadin 30 Budipin 31 Anticholinergika 31 Therapie-Einleitung 31 Aulagen beim Einsatz von Tolcapon 32 Zugelassene Dopaminagonisten und deren pharmakokinetische Eigenschaften 32 Maßnahmen beim Umgang mit Ergot- Dopaminagonisten zur Vermeidung von Fibrosen 33 Impulskontroll-Störungen (ICS) 33 Tagesmüdigkeit 34 Dopaminrezeptoren 34 Titrationsschema der Dopaminagonisten entsprechend der Fachinformation (mg/ d) 35 Wirkmechanismus von Budipin 36 Aulagen beim Gebrauch von Budipin 36 Pharmakotherapie 37 Levodopa 37 MAO-B-Hemmer 39 Pharmakotherapie (Fortsetzung) Sainamid 41 COMT-Hemmer 41 Glutamat (NMDA-Rezeptorantagonisten) 42 Dopaminagonisten mit Ergot-Struktur 43 Dopaminagonisten ohne Ergot-Struktur 44 Anticholinergika 45 Gefährliche Interaktionen 45 Nicht-medikamentöse Therapie 47 Diagnose-Algorithmus 49 Therapie-Algorithmus (medikamentös) 49 Einsatz von Sainamid bei Patienten mit Wearing-off 50 Einsatz von Sainamid bei Patienten mit Dyskinesien 50 Einsatz von Opicapon bei Patienten mit Levodopa / Decarboxylase-Hemmer und Wearing-off 50 Therapie motorischer Komplikationen: Wearing-off 51 Suboptimale Peak-dose 51 Paroxysmale On-Off-Fluktuationen 51 Peak-dose-Dyskinesie /-Hyperkinesie 52 Biphasische Dyskinesien 52 Morgendliche Fußdystonie 52 Peak-dose-Dystonie 52 Off-Dystonie 53 Operative Maßnahmen 53 Patienten mit Dyskinesien und motorischen Fluktuationen, die auf eine orale Parkinson-Medikation unzureichend ansprechen 55 Motorische und nicht-motorische Parkinson- Syndrome und deren Behandlung 55 Neue Entwicklungen in der Parkinson-Therapie 57 Neue Entwicklungen in der Parkinson-Therapie mit Adressierung des alpha-synuclein 57 Therapie des Restless-Legs-Syndroms (RLS) 59 Einleitung 59 Systematik der klinischen Symptomatik gemäß der International RLS Study Group 59 Epidemiologie des RLS 59 Die häuigsten Fehldiagnosen bei RLS 60 Wichtigste Ursachen für ein sekundäres Restless-Legs-Syndrom 60 Die wichtigsten Substanzklassen zur Therapie des Restless-Legs-Syndroms 60 Augmentation 60 Therapie-Algorithmus 60 Zugelassene Substanzen zur RLS-Therapie 61 Off-label-Substanzen zur RLS-Therapie 61 ausgewählte Literatur 62 3

Notizen Vorwort Die ersten sechs Aulagen dieser TherapieTabellen Morbus Parkinson und RLS haben erfreulicherweise eine weite Verbreitung und hohe Akzeptanz gefunden. Das Konzept einer tabellarischen Darstellung der wichtigsten Inhalte der Parkinson- und RLS-Therapie hat sich als sehr hilfreich für die Arbeit des Neurologen in der täglichen Praxis erwiesen, was uns viele Rückmeldungen bestätigt haben. In dieser 7. Aulage wurden neue Medikamente, die die Parkinsonund RLS-Therapie noch effektiver machen, sowie Tabellen über in Entwicklung be indliche Substanzen mit aufgenommen. Dazu kommt eine Übersicht zu Diagnosekriterien entsprechend neuer Kriterien, erstellt durch die MDS (Tabelle 2). Parkinson-Syndrome können idiopathisch, monogenetisch-bedingt und atypisch sein. Sekundäre Parkinson-Syndrome kommen zum einen bei Mikroangiopathie (SAE) und beim Normaldruckhydrozephalus vor. Bei diesen Krankheitsbildern handelt es sich um einen sogenannten Lower Body Parkinsonism, d. h. im Gegensatz zum Idiopathischen Parkinson-Syndrom (IPS) beschränken sich die Unsicherheit beim Gehen und die Bradykinese auf die unteren Extremitäten, demgegenüber sind die oberen Extremitäten frei von Rigor, Tremor und Brady kinese. Weitere sekundäre Parkinson-Syndrome sind durch Traumata (Verkehrsunfälle, Boxen etc.), Hirntumoren oder Entzündungen des ZNS (bekanntestes Beispiel war die Von-Economo-Enzephalitis) bedingt, oder werden durch Medikamente (z. B. Flunarizin, Cimetidin, Neuroleptika u. a.) sowie Gifte (Mangan, Kohlenmonoxid, MPTP, TaCLO u. a.) verursacht (Tabelle 12). Die TherapieTabellen Parkinson behandeln vorrangig das idiopathische Parkinson-Syndrom und nur in aller Kürze die atypischen Parkinson-Syndrome. Entsprechend der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, basierend auf den Angaben der U. K. Brain Bank, verlangt man für die Diagnose stellung eines IPS Bradykinese mit einem weiteren Symptom der übrigen drei Kardinalsymptome, nämlich Tremor, Rigor und posturale Instabilität (Tabelle 1). Unserer Meinung nach ist es an der Zeit, die Hyposmie als fünftes Kardinalsymptom aufzunehmen, weil wir und andere überzeugend nachgewiesen haben, dass eine erhebliche Riechstörung früh im Verlauf des IPS und bei mehr als 90 % aller IPS-Patienten auftritt. In diese Richtung bewegen sich die neuen MDS-Diagnose-Kriterien (Postuma et al. 2015). 4 Die TherapieTabellen beruhen auf den Angaben der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, publiziert in den Leitlinien

Vorwort (Diener et al., 5. Aulage 2012) und auf den S3-Leitlinien aus dem Jahr 2016 (http://www.dgn.org/images/red.leitlinien/ll_ 2016PDFs-Download/030010_LL_Kurzfassung_IPS_2016.pdf) sowie auf eigenen Erfahrungen, die u. a. im Buch Die Parkinson- Krankheit (Gerlach et al. 2007) festgehalten wurden. Das Parkinson-Syndrom ist eine der häuigsten neurologischen Erkrankungen und somit für jeden Neurologen, Psychiater und Nervenarzt, aber auch für Hausärzte oder Internisten von hoher Relevanz. Man geht von einer Prävalenz von ca. 200 pro 100.000 und von einer Inzidenz von 4 bis 20 pro 100.000 pro Jahr aus (Clugh et al. 2003). Das mittlere Erkrankungsalter ist 55 bis 60 Jahre, wobei das Krankheitsrisiko mit zunehmendem Alter deutlich zunimmt. Während bei den 50-Jährigen nur 10 pro 100.000 erkranken, sind es bei den 80-Jährigen schon 200 pro 100.000. Interessanterweise kommt das IPS bei den weißen Kaukasiern häuiger als bei Asiaten und viel häuiger als in der afrikanischen Bevölkerung vor. Für Deutschland gehen wir von 250.000 IPS-Patienten und für ganz Europa von ca. 1,2 Millionen aus. Es gibt keine neurodegenerative Erkrankung, die wir symptomatisch so effektiv behandeln können, wie es für das IPS der Fall ist. Trotz dieser Erfolge muss aber immer wieder darauf hingewiesen werden, dass unsere Bemühungen dringlich auf eine kausale Therapie gerichtet sein müssen, d. h. alle Anstrengungen sollten unternommen werden, die Ursache der Parkinson-Erkrankung zu inden. Diesem Ziel sind wir eventuell schon sehr nahe, da es überzeugende Argumente dafür gibt, dass sich die Parkinson-Krankheit progressiv durch eine α-synuclein-aggregation von Neuron zu Neuron entwickelt und somit eine diesbezügliche Intervention die Krankheitsprogression stoppen könnte. Sobald dies gelingt, werden die zahlreichen Untersuchungen zu den prämotorischen Symptomen höchst relevant. Erste Phase II - Studien dazu laufen bereits. Die Genetik hat besondere Fortschritte gemacht, da schon mehr als 15 Gendefekte mit einem daraus resultierenden Parkinson- Syndrom in Verbindung gebracht werden können. Die meiner Ansicht nach wichtigste Erkenntnis daraus ist, dass wir nun wissen, dass Patienten auch schon in der 2. bis 4. Lebensdekade an einem Parkinson-Syndrom er kranken können (Tabelle 11). Die Therapie des IPS bietet so vielfältige Möglichkeiten, dass man von der einzig richtigen Therapie nicht sprechen kann, da es stets einige Optionen gibt und man für den einzelnen Patienten die jeweils bestmögliche Therapie suchen muss. Besonderes Augenmerk sollte man in der individualisierten Therapie auf die Lebensqualität des Patienten richten. Die breite Palette an Parkinson-Medikamenten ist einerseits eine Chance, diese Ansprüche zu erfüllen, andererseits erfordert sie langjährigen Umgang mit der Erkrankung und viel Spezialwissen. Die TherapieTabellen sollen dieses Wissen bestmöglich in aller Prägnanz, wie es Tabellen erlauben, wiedergeben. Das Jahr 2015 war erstmals nach langer Zeit wieder durch die Neuzulassung eines Antiparkinson-Medikamentes gekennzeichnet, worüber Patienten und Therapeuten gleichermaßen erfreut sind. Es handelt sich aus meiner Sicht um eine echte Innovation. Der Arzneistoff Sainamid hat einen dualen, nämlich sowohl einen dopaminergen als auch nichtdopaminergen Wirkmechanismus. Das heißt, er bewirkt nicht nur eine reversible MAO-B- Hemmung, sondern hemmt und reguliert auch die Freisetzung von Glutamat. Durch die reversible Hemmung der MAO-B kommt es im Gegensatz zu Rasagilin und Selegilin zu einigen Vorteilen, da Letztere ja eine irreversible Hemmung der MAO-B bedingen. Besonders spannend ist die antiglutamaterge Wirksamkeit von Sainamid, weil es nicht, wie z. B. Amantadin, ein NMDA-Rezeptor-Antagonist ist, sondern präsynaptisch die Kalzium- und Natriumionen der glutamatergen Neurone beeinlusst, die eine Überaktivität und damit eine schädigende Wirkung auf die motorischen Schleifen im Gehirn ausüben. Des Weiteren ist mit Sainamid (Xadago ) nunmehr ein Medikament verfügbar, das in den Studien, so wie bisher bei keinem anderen Produkt, eine zweijährige Doppelblindphase absolviert hat und dabei eine sehr konstante und signiikante Verbesserung von Off- und On- Zeiten sowie, was die antiglutamaterge Wirksamkeit nahelegt, auch erste Hinweise auf eine dyskinetische Wirksamkeit aufweist. Sainamid gibt es in einer Dosis von 50 und 100 mg, wobei davon auszugehen ist, dass die Mehrzahl der Patienten 1 Tablette à 100 mg morgens wird einnehmen müssen. Wir hoffen somit, dass Sainamid für die Parkinson-Patienten, bei denen es nach der Honeymoon-Phase zu ersten motorischen Komplikationen wie Wearing-off oder leichten Dyskinesien kommt, eine neue Therapieoption darstellt. Wichtig ist darauf hinzuweisen, dass die Zulassung als Add-on-Präparat für solche Patienten erlaubt ist, die bereits Levodopa einnehmen. Im Oktober 2016 wurde ein weiteres Anti-Parkinson-Medikament neu zugelassen, nämlich Opicapon (ONgentys ). Es handelt sich dabei um einen neuen ausschließlich peripher wirksamen COMT- Hemmer, der eine sehr hohe Afinität an die COMT hat und damit eine einmal tägliche Applikation erlaubt. Das Medikament wird eine Stunde nach der letzten Levodopa-/Decarboxylasehemmer- Gabe am Abend in einer Dosis von 50 mg verabreicht. Es sind weder EKG noch Laborkontrollen darunter notwendig. Die mit Tolcapon verknüpfte Gefahr einer Lebertoxizität besteht nicht, genauso wenig kommt es zur Urinverfärbung oder zu Durchfällen, wie wir das von Entacapon kennen. In der Zulassungsstudie (BIPARK I) war Opicapon zumindest so effektiv wie Entacapon. Dresden, im Juni 2017 Heinz Reichmann 5

Impressum TherapieTabellen neurologie / Psychiatrie Nr. 71 / 2017 / 7. Aulage Morbus Parkinson Restless-Legs-Syndrom Verlag Westermayer Verlags-GmbH 82349 Pentenried Telefon 089 / 2 72 20 28 Telefax 089 / 2 73 00 58 mail@westermayer-verlag.de www.westermayer-verlag.de Herausgeber und Supervisor Prof. Dr. Heinz Reichmann FRCP, FAAN Klinik und Poliklinik für Neurologie Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Technische Universität Dresden Fetscherstraße 74 01307 Dresden Tel.: 0351 / 458-3565 Fax: 0351 / 458-4365 Mail: heinz.reichmann@uniklinikum-dresden.de Projektleitung Reinhilde Bossema-Collien Verlagsadresse E-Mail: bossema@westermayer-verlag.de Produktion Birgit von Rhein, Babette Evers Satz DESMEDIA Arenz+Kalski GmbH+Co. KG Titelbild fotolia.de 2017 Westermayer Verlags-GmbH 6 Stand Juni 2017. Die in dieser Publikation veröffentlichten Tabellen und Texte sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und andere Arten der Vervielfältigung sind untersagt. Ausnahmen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.