Durchfallerkrankungen bei Kleinsäugern

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Transkript:

Jutta Hein Durchfallerkrankungen bei Kleinsäugern Ursache, Diagnostik, Therapie

Taxonomie und ernährungsphysio logische Zuordnung bei Kleinsäugern 1 Granivora O Rodentia (Nagetiere) UO Sciuromorpha (Hörnchenverwandte) Fa. Sciuridae - Ga. Hörnchen UO Myomorpha (Mäuseverwandte) Fa. Cricetidae (Wühler) - Ga. Hamster Fa. Muridae (Mäuse) - Ga. Mäuse - Ga. Ratten Carnivora O Carnivora (Raubtiere) Musteloidea (Marderverwandte) Fa. Mustelidae (Marder) - UA Mustela putorius furo (Frettchen) Fa. Mephitidae (Skunks) Herbivora O Rodentia (Nagetiere) UO Hystricomorpha (Stachelschweinverwandte) Fa. Chinchillidae (Chinchillas) Fa. Caviidae (Meerschweinchen) Fa. Octodontidae (Trugratten) - Ga. Octon (Strauchratten) - A. Degu O Lagomorpha (Hasenartige) Fa. Leporidae (Hasen) - Ga. Lepus (echte Hasen) A. Feldhase - Ga. Oryctolagus A. Kaninchen, Wildkaninchen Insectivora O Insectivora (Insektenfresser) Fa. Erinaceidae (Igel) Abb. 1-1 Ernährungsphysiologische Zuordnung (A = Art, Fa. = Familie, Ga. = Gattung, O = Ordnung, UA = Unterart, UO = Unterordnung) 3

2 Durchfall Grundlagen 2 Durchfall Grundlagen Als Durchfall bezeichnet man Kotabsatz mit erhöhtem Wassergehalt und/oder einer erhöhten Frequenz. Die Einteilung des Durchfalls kann nach verschiedenen Kriterien erfolgen: Dauer, Pathophysiologie, Lokalisation und Ursachen allgemein (Steiner 2009). 2.1 Dauer Man unterscheidet akuten (< 3 Wochen) und chronischen (> 3 Wochen) Durchfall. 2.2 Pathophysiologie Auch wenn sich Anatomie, Physiologie und Krankheitsprädisposition der einzelnen Arten unterscheiden, sind gastrointestinale Dysfunktionen doch bei allen Tierarten prinzipiell verursacht durch Abnormalitäten in Motilität, Sekretion und/oder Zusammensetzung der gastrointestinalen Flora. Diese Mechanismen zu verstehen, ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Wiederherstellung der Funktion, zumal manche Störungen multifaktoriell sind ( Tab. 2-1). Tab. 2-1 Pathophysiologische Durchfallursachen (in Anlehnung an Steiner 2009) Form Pathomechanismus Beispiel osmotisch sekretorisch Nicht resorbierte Nahrungsbestandteile, Medikamente oder andere Stoffe ziehen Wasser mit in das Darmlumen. vermehrte aktive Abgabe von Wasser oder Elektrolyten, denen Wasser folgt Intoleranz (Laktose etc.) Diarrhoika pathogene Keime Nahrungsmittelvergiftungen chronisch-entzündliche Darmerkrankungen Einnahme von Abführmitteln 4

Lokalisation 2 Form Pathomechanismus Beispiel abnorme Permeabilität abnorme Motilität Zerstörung von Tight Junctions in der Darmmukosa durch Entzündung mit Verlust von Wasser und Elektrolyten; Beimengung von Schleim und Blut; Beeinflussung der Schleimhautdurchblutung Steigerung der Darmbewegungen und eine dadurch kürzere Verweildauer des Inhalts im Darm invasive Bakterien Parasiten Neoplasien chronisch-entzündliche Darmerkrankungen Anämie Schock Dehydratation Obstruktion Hyperthyreose Reizdarmsyndrom Polyneuropathie 2.3 Lokalisation 2.3.1 Dünndarm versus Dickdarm Dünn- und Dickdarmdurchfall können teilweise bereits aufgrund unterschiedlicher Symptome differenziert werden. Während Dünndarmdurchfall häufiger mit Gewichtsverlust und erhöhtem Kotvolumen einhergeht, ist beim Dickdarmdurchfall die Frequenz erhöht, Tenesmus häufiger und teilweise Blut/Schleim beigemengt. 2.3.2 Hartkot versus Caecotrophe Bei den Lagomorpha (Kaninchen, Hasen) spielt der Dickdarmdurchfall eine besondere Rolle, da hier nochmals zwischen Hartkot und Blinddarmkot (Caecotrophe) unterschieden werden muss. Als sogenannte Hindgut-Fermenter (Caecumverdauer) fermentieren sie Zellulose im Blinddarm bakteriell. Der dabei gebildete Kot (Caecotrophe) ist besonders reich an Bakterien und Vitaminen und wird in den frühen Morgenstunden abgesetzt (dunkler, traubenkernartiger Kot mit Schleimüberzug) und meist vollständig gefressen. Die überschüssige Faser wird tagsüber als pelletierter Hartkot abgegeben ( Abb. 2-1). Nicht aufgenommene Caecotrophe wird oft von den Besitzern als intermittierender Durchfall fehlinterpretiert (Varga 2013; siehe auch Kap. 5.1.1.3, Durchfallursachen Kaninchen). 5

2 Durchfall Grundlagen Abb. 2-1 Hartkot (re) und Caecotrophe (li) eines Kaninchens physiologisch Pflanzenfressende (Meerschwein, Chinchilla, Degu) und einige getreidefressende Nager (Hamster etc.) produzieren nur eine Kotart (Hartkot), betreiben aber partielle Koprophagie zur Rückgewinnung der Darmflora und als Vitamin K- und B- sowie Protein-Quelle. 2.4 Allgemeine Ursachen Durchfallursachen können primär gastrointestinal oder extragastrointestinal sein. Zu den häufigsten Durchfallursachen bei Kleinsäugern zählen diätische und infektiös entzündliche, gastrointestinale Ursachen, wobei Parasitosen keineswegs überwiegen, sondern eher die Dysbiosen. Von den extragastrointestinalen Ursachen spielen die Intoxikationen durch Medikamente und die Neoplasien die größte Rolle ( Abb. 2-2). 6

Allgemeine Ursachen 2 Durchfall allgemein gastrointestinal extragastrointestinal Dünndarm Caecum/Colon diätisch verdorben, Intoleranz (Wechsel, Menge etc.) infektiös entzündlich Bakterien Parasiten Viren Obstruktion Fremdkörper Invagination, Neoplasie nicht infektiös entzündlich IBD, Zähne etc. metabolisch Leber, Niere, Pankreas endokrin Stress, Hyperthyreose, Diabetes toxisch Medikamente (Antibiose), Toxine Hypovolämie Schock, Anämie, Dehydration Neoplasie Abb. 2-2 Mögliche Durchfallursachen bei Kleinsäugern allgemein (nach Steiner 2009) 7