Die Kantone im Bundesstaat nach der Föderalismusreform 1
Warming-up Was assoziieren Sie mit dem Begriff Kanton? 2012 wie schon 1848 bilden die Kantone die Grundlage der Eidgenossenschaft. Halten Sie die Kantone für zeitüberdauernde Gebilde? Haben Sie die Kantonsverfassung Ihres Wohnsitzkantones schon einmal vollständig gelesen? 2
Elemente des schweizerischen Föderalismus Grundgedanken des Föderalismus schon in der BV 1848 Verfassung von 1874: vermehrte Regelungskompetenzen für den Bund, Vereinheitlichungen gab es in den Gebieten des Militärs des Privatrechts des Schulwesens des Rechtsschutzes (durch die Schaffung des Bundesgerichts) 3
historischer Überblick, Forts. Neue Bundesaufgaben seit der Schaffung des modernen Sozial- und Wirtschaftsstaates In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: starker Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, eine umfassende Ausgestaltung der Umweltschutzgesetzgebung sowie die fast vollständige Vereinheitlichung des Binnenmarkts Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) 1993 Föderalismusbestimmungen der Bundesverfassung von 2000 4
Bundesverfassung Die neue Bundesverfassung hat an den charakteristischen Pfeilern des schweizerischen Bundesstaates nichts Grundlegendes geändert. 5
Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenverteilung Die Neugestaltung von Finanzausgleich und Aufgabenverteilung wurde von Volk und Ständen 2004 gutgeheissen: Aufgaben- und Finanzierungsentflechtung, neue Zusammenarbeitsformen zwischen Bund und Kantonen (Programmvereinbarung), interkantonale Zusammenarbeit mit Lastenausgleich und Finanzausgleich im engeren Sinn 6
Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenverteilung Verbundaufgabe: beide Ebenen tragen die finanzielle Verantwortung für eine Aufgabe gemeinsam interkantonale Zusammenarbeit mit Lastenausgleich: Vermeidung von Spillover-Effekten und Trittbrettfahrerverhalten Die KdK hat in diesem Zusammenhang die Rahmenvereinbarung für die interkantonale Zusammenarbeit mit Lastenausgleich verabschiedet (per 1. November 2007 sind alle 26 Kantone der IRV beigetreten). 7
Weitere Föderalismusreformen allfälliger EU-Beitritt der Schweiz? Ausbau der bilateralen Beziehungen zur EU Auswirkungen auf Kantonsbereiche: Dies betrifft: Erziehung und Kultur, Gesundheitswesen, Raumordnung und Infrastruktur, Wirtschaftsförderung, Wirtschaftsaufsicht (Gewerbepolizei), Berufsdiplome, öffentliches Beschaffungswesen, Personalrecht, Justiz und Polizei, Steuern 8
Kantonsfusionen: Effizienzgewinn, Stärkung des Föderalismus, Stärkung des Umweltschutzes, grössere Flexibilität für die Menschen? Beispiele: Vereinigung der Kantone Waadt und Genf zu einem Canton du Léman, die 2002 in der Volksabstimmung scheiterte, und die 1999 in den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt und Solothurn erfolglos angeregte Schaffung eines Kantons Nordwestschweiz 9
Bundesamt für Statistik 10
Verhältnis von Bund und Kantonen zwei Prinzipien: Subsidiaritätsprinzip gemäss Art. 5a BV sowie das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz (Art. 43a BV) 11
Zusammenwirken von Bund und Kantonen Art. 44 Abs. 1 BV: Zusammenarbeit Solidarität zwischen Bund und Kantonen Bundestreue. 12
Obwaldner Steuerentscheid (BGE 133 I 206): Obwaldner Einkommenssteuertarif (degressive Steuertarife für hohe Einkommen und Vermögen) Zulässigkeit des Steuerwettbewerbs unter den Kantonen 13
Mitwirkung der Kantone an der Willensbildung des Bundes Ständerat: in welchem jeder Kanton (abgesehen von den geteilten Kantonen) über zwei Sitze verfügt (Art. 150 BV) Nationalrat: in welchem jeder Kanton eine nach Massgabe seiner Bevölkerung bestimmte Zahl von Abgeordneten wählt (Art. 149 BV). 14
Weitere Formen der Mitwirkung: aussenpolitische Entscheide (Art. 55 BV; Bundesgesetz vom 22. Dezember 1999 über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes, SR 138.1) Recht von 8 Kantonen, ein Kantonsreferendum zu verlangen (Art. 141 BV) Regel des Ständemehrs 15
Mitwirkung Recht auf Stellungnahme zu wichtigen Erlassen und anderen Vorhaben von grosser Tragweite im Stadium ihrer Vorbereitung und zu wichtigen völkerrechtlichen Verträgen; Bestimmungen, in denen eine Mitwirkung speziell vorgesehen ist, z.b. Konjunkturpolitik (Art. 100 BV), Steuerbefreiung von Sozialversicherungseinrichtungen (Art. 111 Abs. 3 BV) 16
Vollzugsföderalismus Art. 46 Abs. 1 BV Umsetzung des Bundesrechts: Organisation der kantonalen Behörden, Entscheidverfahren, Anwendungsverfügungen im konkreten Fall sowie Rechtsmittel- und Zwangsvollstreckungsverfahren. 17
Eigenständigkeit der Kantone (Art. 47 Abs. 1 BV) - Aufgabenautonomie - Organisationsautonomie - Finanzautonomie 18
Interkantonale Verträge Art. 48 BV, kooperativer Föderalismus Neben einfachen Verträgen können die Kantone auch gemeinsame Organisationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben schaffen Beispiele: Fachhochschulen interkantonale Regierungskonferenzen KdK (1993) 19
Demokratiedefizit Kantonale Parlamente nehmen vermehrt Einfluss auf die kantonale Zusammenarbeit, indem neuere Kantonsverfassungen Informations- und Mitwirkungsrechte der Parlamente vorsehen (z.b. 3 Abs. 4 KV BS, 85 Abs. 2 KV BS) 20
Interkantonale Rahmenvereinbarung IRV: Kantonsregierungen werden verpflichtet, die Parlamente rechtzeitig und umfassend über Vorhaben auf dem Gebiet der interkantonalen Zusammenarbeit zu informieren 21
Allgemeinverbindlicherklärung und Beteiligungspflicht AVE: Antrag von mindestens 18 Kantonen (Art. 48a BV) Beteiligungspflicht: Bundesversammlung kann auf Antrag von mindestens der Hälfte der Kantone, die an einem interkantonalen Vertrag beteiligt sind, einen oder mehrere Kantone zur Beteiligung Vertrag verpflichten 22
Art. 48a BV a. Straf- und Massnahmenvollzug; b. Schulwesen hinsichtlich der in Artikel 62 Absatz 4 genannten Bereiche; c.kantonale Hochschulen; d. Kultureinrichtungen von überregionaler Bedeutung; e. Abfallbewirtschaftung; f. Abwasserreinigung; g. Agglomerationsverkehr; h. Spitzenmedizin und Spezialkliniken; i. Institutionen zur Eingliederung und Betreuung von Invaliden. 23
Gemeinde- und Städteartikel in der BV (Art. 50 BV) Europarat: Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung (15. Oktober 1985 ) zwangsweiser Zusammenschluss mit anderen Gemeinden: BGE 131 I 91 ff. 24
Staatlichkeit der Kantone (Art. 51 BV) KV muss demokratisch sein minimale politische Rechte gewährleisten und sie darf dem Bundesrecht nicht widersprechen. 25
Gewährleistung der kantonalen Verfassungen: vorfrageweise konkrete Überprüfung kantonaler Verfassungen: BGE 116 Ia 359 Stimmrechtsfall Kanton Appenzell I.Rh. 26
Vorbehalt und Teilgewährleistung Verweigerung einer Gewährleistung: Art. 138 KV JU (Aufnahme von neuen Territorien in den Kanton Jura) Beispiele für eine Gewährleistung mit Vorbehalt: Atomartikel in der KV BL ( 115 Abs. 2 Satz 2), Teilgewährleistung von Art. 141 Abs. 3 KV GE (beschränkte Wählbarkeit) 27
Aussenpolitische Entscheide Art. 55 BV Bundesgesetz vom 22. Dezember 1999 über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes (BGMK, SR 138.1) 28
Verträge mit dem Ausland Art. 56 BV Madrider Übereinkommen (SR 0.131.1) Karlsruher Übereinkommen Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung (SR 0.102) Rahmenabkommen mit Italien (SR 0.131.245.4) 29
Beziehungen CH-EU Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 15. Juni 2007: Erhaltung des Föderalismus bei den verschiedenen europapolitischen Optionen (http://www.admin.ch/ch/d/ff/2007/index0_32. html) 30