Sonderthema April 2017 EZB redet Inflation klein Deflationsgefahren waren nie besonders groß Inflation steigt nachhaltig EZB reagiert asymmetrisch auf Inflationsrisiken Postbank Research Seite 1
Team Postbank Research Dr. Marco Bargel Chefvolkswirt marco.bargel@postbank.de Heinrich Bayer heinrich.bayer@postbank.de Dr. Lucas Kramer lucas.kramer@postbank.de Heinz-Gerd Sonnenschein heinz-gerd.sonnenschein@postbank.de www.postbank.de Redaktionsschluss: 29. März 2017 Deutsche Postbank AG Zentrale Friedrich-Ebert-Allee 114-126 53113 Bonn Telefon: (0228)920-0 Disclaimer: Alle hier veröffentlichten Angaben erfolgen unverbindlich und stellen Informationsmaterial dar, also weder eine Anlageberatung noch eine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf irgendeines Wertpapiers. Die Informationen in diesem Dokument wurden aus Daten erarbeitet, von deren Richtigkeit ausgegangen wurde; die Deutsche Postbank AG garantiert diese jedoch nicht. Die Angaben dienen ausschließlich zur Information, die dem Investor eine selbständige Anlageentscheidung erleichtern soll. Postbank Research Seite 2
EZB redet Inflation klein Das Inflationsbild im Euroraum hat sich in den vergangenen Monaten grundlegend verändert. Zwischen Mitte 2014 und Mitte 2016 lag die allgemeine Preissteigerungsrate über weite Strecken nahe an der Nulllinie bzw. leicht darunter. Dies hatte Sorgen vor einer Deflation genährt und diente der EZB als Begründung für eine ultralockere Geldpolitik. In der zweiten Jahreshälfte 2016 setzte dann eine kräftige Aufwärtsbewegung ein, welche die Inflationsrate in der EWU bis Februar 2017 auf 2,0% und damit sogar leicht oberhalb des EZB-Inflationsziels von knapp 2% führte. Vor dem Hintergrund der wachsenden Risiken durch rekordtiefe Zinsen und den mit zunehmender Dauer schwierigeren Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik stellt sich die Frage, ob eine solche Politik überhaupt noch zu rechtfertigen ist. Deflationsgefahren waren nie besonders groß Eine Analyse der Ursachen für die im Trend stark rückläufige Inflation nach 2011 belegt klar die dominierende Rolle der Preisentwicklung bei Rohstoffen. So ist der Preis für Rohöl der Sorte Brent von dem Höhepunkt bei 126 USD im März 2012 bis Januar 2016 auf 28 USD je Fass gefallen. In der Folge sind die Energiepreise, auf die etwa 10% des zur Berechnung der EWU- Inflationsrate verwendeten Warenkorbs entfallen, um rund 15% zurückgegangen. Unter Berücksichtigung indirekter Effekte, das sind preisdämpfende Wirkungen niedrigerer Rohstoff-/Energiepreise, die auf andere Produkte ausstrahlen, lassen sich rund 70% des Inflationsrückgangs seit Anfang 2012 auf gesunkene Energiepreise zurückführen. D.h., nicht einmal ein Drittel ist durch andere Faktoren, wie bspw. die vorangegangene Rezession in vielen Staaten des Euroraums, verursacht. Dementsprechend fiel der Rückgang der sogenannten Kerninflation, also die Preisentwicklung ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise, auch deutlich moderater aus. Ölpreis bestimmt Inflationsentwicklung Prozent 4 3 2 1 0-1 in USD je Barrel (Fass) 150 2008 2010 2012 2014 2016 EWU-Inflationsrate (li. Skala) Brentölpreis (re. Skala) Quelle: Thomson Reuters Datastream 100-50 -100 Ausgehend von 1,6% im März 2012 sank die Kerninflation bis auf 0,6% im Frühjahr 2015. Seither ist ein leichter Aufwärtstrend zu beobachten, wobei die Jahresrate zuletzt bei 0,9% lag. Der dominierende Einfluss der Ölpreisentwicklung und das Niveau der Kerninflation in den vergangenen Jahren zeigen, dass die Sorge vor einer deflatorischen Entwicklung im Euroraum überzogen war. Zentrale Merkmale einer Deflation, wie auf breiter Basis fallende Preise und eine weitverbreitete Konsumzurückhaltung, waren zu keinem Zeitpunkt zu beobachten. Selbst ein mehrjähriger, ausgeprägter Verfall der Ölpreise mündete nicht in eine deflatorische Entwicklung. Ganz im Gegenteil: Der durch den sinkenden Ölpreis gewonnene Kaufkraftzuwachs wurde von den privaten Haushalten für eine Erhöhung der anderen Ausgaben genutzt. So stieg der private Konsum im Euroraum in der Phase des rapiden Ölpreisverfalls zwischen dem 2. Quartal 2014 und Ende 2015 um real 4,3%. Auch der Anteil der Güter im Warenkorb, die im Vorjahresvergleich einen Preisrückgang verzeichnen, war im historischen Vergleich bis zuletzt eher gering. 50 0 Postbank Research Seite 3
Inflation steigt nachhaltig Die Normalisierung der Inflation hält die EZB gleichwohl nicht davon ab, weiterhin eine Geldpolitik im Krisenmodus zu betreiben. Laut EZB sei der aktuelle Anstieg der Inflationsrate weitgehend auf Basiseffekte bei den Energiepreisen zurückzuführen, während der zugrundeliegende Preistrend eher verhalten bleibe. Sofern die Veränderung als vorübergehend angesehen wird und den mittelfristigen Ausblick für die Inflation nicht beeinflusst, schaue der EZB- Rat durch die aktuelle Entwicklung hindurch. Eine sehr substanzielle monetäre Akkommodierung würde weiterhin als notwendig angesehen, damit sich inflationärer Druck aufbaut und die Inflation auf mittlere Sicht unterstützt wird. Zwar ist grundsätzlich richtig, dass der Preisauftrieb außerhalb des Energie- und Nahrungsmittelsektors nach wie vor moderat ist. Anzeichen für eine nachhaltige Trendwende der Inflation nach oben sind aber unverkennbar. Genauso wie indirekte Effekte sinkender Ölpreise in den vorangegangenen Jahren zu einem moderaten Rückgang der Preise auch in anderen Bereichen geführt haben, ist wegen der jüngst gestiegenen Ölpreise mit einer Aufwärtskorrektur der Kerninflation zu rechnen. Diese vollzieht sich in der Regel mit einer mehrmonatigen Verzögerung, da es meist eine Weile dauert, bevor höhere Energie- und Rohstoffkosten an die Verbraucher weitergegeben werden. Preisindizes, die den Verbraucherpreisen vorgelagert sind, wie die Produzenten- und Unterauslastung geht zurück und spricht für steigenden Inflationsdruck Prozent des BIP (Potenzial) 3,0 2,0 0,0 - -2,0-3,0-4,0 2000 2005 2010 2015 Prozent 3,0 Produktionslücke EWU-Kerninflation (re. Skala) Quelle: Thomson Reuters Datastream 2,5 2,0 1,5 0,5 Auch Kerninflation hat nachhaltig nach oben gedreht Prozent 1,8 1,6 1,4 1,2 0,8 0,6 11 12 13 14 15 16 17 EWU-Kernverbraucherpreise EWU-Kernerzeugerpreise (re. Sk.) Quelle: Thomson Reuters Datastream Importpreise, haben aber bereits gedreht und deuten klar auf einen wachsenden Inflationsdruck in den kommenden Monaten hin. Auch die rasche Abnahme der sogenannten Outputlücke und das Konsumwachstum, das durch den soliden Konjunkturaufschwung gestützt wird, sprechen für einen nachhaltigen Anstieg der Inflation im Euroraum. Die Entwicklung der genannten Frühindikatoren der Inflation deutet darauf hin, dass sich die Kerninflation spätestens im Verlauf von 2018 dem Zielwert von knapp 2% annähern wird. Mit einem längeren Zögern riskiert die EZB ein Überschießen der Inflation, zumal der Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen wird. EZB reagiert asymmetrisch auf Inflationsrisiken 5,0 4,0 3,0 2,0 0,0 - -2,0 Die Geldpolitik muss darauf achten, dass sie bei der Beurteilung von Inflationsrisiken nicht asymmetrisch argumentiert oder handelt, da sie ansonsten riskiert, ihre geldpolitische Glaubwürdigkeit zu verlieren. Zwar ist die Historie der EZB zu kurz und damit auch die Anzahl der Konjunktur- und Zinszyklen zu gering, um hier zu einem abschließenden Urteil zu gelangen. Auffällig ist aber, dass die Währungshüter auf einen Anstieg der Energiepreise / der Inflation häufig gar nicht oder erst mit einer zeitlichen Verzögerung reagiert haben. Dies war bspw. in den Jahren 2004 und 2007 und 2010 zu Postbank Research Seite 4
beobachten, als die Inflation deutlich über die Zielmarke anstieg, ohne dass die Notenbank zeitnah darauf reagiert hätte. Und auch aktuell zeichnet sich eine stark verzögerte Reaktion auf die Trendwende bei der Inflation ab. Dagegen hat die EZB bei einem sich abzeichnenden Rückgang der Inflationsrate die Zinszügel immer sehr schnell gelockert. Und das, obwohl die Inflation in allen Fällen noch deutlich oberhalb der Zielmarke lag. Zur Begründung ihrer ultraexpansiven Maßnahmen hat die EZB in den vergangenen Jahren wiederholt auf die Bedeutung der Inflationserwartungen verwiesen. Diese haben sich im Zuge des beschleunigten Inflationsrückgangs im Jahr 2014 zurückgebildet und lagen zeitweise unterhalb des Inflationsziels der EZB. Entfernen sich die Inflationserwartungen deutlich vom Inflationsziel, so könnte dies Ausdruck einer mangelnden Glaubwürdigkeit der Geldpolitik sein. Die EZB sieht vor allem die Gefahr, dass sich verringerte Inflationserwartungen über Zweitrundeneffekte in einer verlangsamten Lohndynamik niederschlagen und so in eine Deflationsspirale münden könnten. Allerdings war der Rückgang der mittelfristigen Inflationserwartungen alles andere als dramatisch. Die von der Notenbank stark beachteten, aus inflationsindexierten Swaps abgeleiteten Erwartungen für die Inflation in 5 Jahren über einen Zeitraum EZB übertrieben besorgt über sinkende Inflationserwartungen EZB hat immer sehr schnell auf sinkende Inflationsraten reagiert von 5 Jahren lagen am Tiefpunkt immerhin noch bei 1,25% und damit nicht sehr weit vom Inflationsziel entfernt. Zuletzt kam es auch hier zu einem sprunghaften Anstieg, so dass sich die Inflationserwartungen bereits wieder annähernd im Einklang mit dem Inflationsziel der EZB befinden. Auch andere mittelfristige, aus Befragungen abgeleitete Inflationserwartungen haben sich eher moderat reduziert. Lediglich bei den kurzfristigen Erwartungen, die sich eng an der jeweiligen, aktuellen Inflationsentwicklung orientieren, war ein stärkerer Rückgang zu beobachten. Aber auch hier hat am aktuellen Rand ein rascher Trendwechsel in Richtung Normalisierung stattgefunden, so dass keine Risiken für eine deflatorische Entwicklung bestehen. Auch mit Blick auf die Inflationserwartungen lässt sich eine asymmetrische Beurteilung durch die Notenbank erkennen. In den vergangenen 10 Jahren lagen die Inflationserwartungen phasenweise deutlich oberhalb von 2% insgesamt überwogen klar die Phasen zu hoher gegenüber den Phasen zu geringer Inflationserwartungen. Selbst in Perioden überschießender Inflationsraten sah die EZB diese stets als noch vereinbar mit ihrem Inflationsziel. Dagegen zeigten sich die Währungshüter bereits im September 2014 besorgt über sinkende Inflationserwartungen und begründeten die Postbank Research Seite 5
Entscheidung für ein neues Anleiheankaufprogramm mit der Notwendigkeit, diese zu stabilisieren. Dabei befanden sich die Inflationserwartungen zu diesem Zeitpunkt noch sehr nahe am Inflationsziel der EZB. Die asymmetrische Reaktion der Geldpolitik auf die Entwicklung von Inflation und Inflationserwartungen legt die Vermutung nahe, dass der EZB-Rat das Risiko einer Disinflation/Deflation in der Vergangenheit systematisch höher gewichtet hat als das Risiko einer Inflation. Eine solche Haltung birgt die Gefahr, dass Inflationsrisiken von der Notenbank regelmäßig unterschätzt bzw. als zu gering eingeschätzt werden und die Geldpolitik auf lange Sicht zu locker ist. Gerade in einer Phase, in der sich die Geldpolitik wie aktuell krisenbedingt in einem außergewöhnlich expansiven Modus befindet, dürfen aber Inflationsrisiken nicht aus dem Blick geraten. Denn der Weg zu einer Normalisierung der Geldpolitik ist sehr weit. Ein schneller Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik wäre mit einem erheblichen Kollateralschaden für die gesamte Volkswirtschaft verbunden. Daher ist es so wichtig, frühzeitig auf veränderte Inflationsaussichten zu reagieren und gar nicht erst in eine Situation zu geraten, die eine schnelle Anpassung der Leitzinsen erfordern würde. Dr. Marco Bargel Prognosen Postbank Euroraum 2016 2017e 2018e Inflationsrate in % 0,2 1,7 1,8 Kerninflationsrate in % 0,9 1,1 1,5 Deutschland Inflationsrate in % 0,5 1,9 2,0 Postbank Research Seite 6