Die fehlerhafte Aufsichtsratswahl Konsequenzen für die Praxis Dr. Andreas Löhdefink 5. November 2013
Inhalt Vorbemerkungen 3 Mögliche Ursachen für eine fehlerhafte Aufsichtsratswahl 5 Anwendbarkeit der Regeln über das fehlerhaft bestellte Organ? 8 Konsequenzen der fehlerhaften Aufsichtsratswahl für die Praxis 11 Handlungsempfehlungen 15 2
Vorbemerkungen
Vorbemerkungen Beschlussmängelklagen gegen Aufsichtsratswahlen rücken stärker in den Fokus Zahl der angegriffenen Aufsichtsratswahlen Juli 2007 Juli 2011 (Baums-Studie): 40 Fälle (u.a. 6 x bei IKB Deutsche Industriebank Aktiengesellschaft) Mögliche ursächliche Veränderungen 4
Mögliche Ursachen für eine fehlerhafte Aufsichtsratswahl
Mögliche Ursachen für eine fehlerhafte Aufsichtsratswahl (1/2) 1. Abgabe einer unzutreffenden Entsprechenserklärung nach 161 AktG? Kein Nichtigkeitsgrund / per se auch kein Anfechtungsgrund Aber: Rechtsprechung lässt Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen aufgrund einer fehlerhaften Entsprechenserklärung unter dem Gesichtspunkt fehlerhafter Informationserteilung ggf. zu Entwicklung der Rechtsprechung: Zunächst Verstoß und Anfechtung großzügig bejaht, z.b. BGH, Urt. v. 16.2.2009 II ZR 185/07 In Folge Tendenz zu eher restriktiver Handhabung, z.b. BGH, Beschl. v. 14.5.2013 II ZR 196/12 Konsequenzen für Aufsichtsratswahl? Fehlerhafter Wahlvorschlag des AR (und damit anfechtbarer Wahlbeschluss der HV) bei nicht offengelegten Abweichungen des Vorschlags von Empfehlungen des DCGK? Außerhalb des Wahlvorschlags des AR liegende, nicht offengelegte Abweichungen von Empfehlungen des DCGK im Zusammenhang mit der AR-Wahl? Richtigerweise dürfte in allen Fällen von Abweichungen allenfalls ein Informationsmangel vorliegen 6
Mögliche Ursachen für eine fehlerhafte Aufsichtsratswahl (2/2) Diskussion und Auswirkungen: Eine Anfechtung eines Wahlbeschlusses ist nach Rspr. nicht ausgeschlossen, kommt aber nur unter engen Voraussetzungen in Betracht In Literatur eher kritische Betrachtung; (P): Gefahr räuberischer Anfechtungsklagen 69. DJT forderte u.a. Klarstellung, dass Wahlbeschlüsse der Hauptversammlung nicht angefochten werden können 2. Andere Ursachen für Anfechtbarkeit Inhaltsmängel Verfahrensmängel (bei Relevanz) 3. Nichtigkeitsgründe 7
Anwendbarkeit der Regeln über das fehlerhaft bestellte Organ?
Anwendbarkeit der Regeln über das fehlerhaft bestellte Organ? (1/2) Folgen der (erfolgreichen) Anfechtungsklage bei erfolgreicher Anfechtung nach "traditioneller Auffassung": Rückwirkender Verlust der Rechtsstellung als AR-Mitglied Unwirksamkeit von AR-Beschlüssen, soweit AR ohne das betroffene Mitglied beschlussunfähig oder die Stimme des betroffenen AR-Mitglieds kausal war (vgl. 244 Satz 2 AktG) Lehre vom Fehlerhaft bestellten Organ Anwendbarkeit der "Lehre vom fehlerhaften Organ" auf fehlerhaft bestellte Aufsichtsratsmitglieder? Nach wohl h.m. in Literatur (+) Arg. u.a. allgemeines verbandsrechtliches Prinzip, für fehlerhafte Bestellung von Vorstandsmitgliedern anerkannt, für AR anerkannt hinsichtlich Pflichten, Haftung und Vergütungsanspruch, für AN-Vertreter anerkannt (Wertungswidersprüche) 9
Anwendbarkeit der Regeln über das fehlerhaft bestellte Organ? (2/2) Rechtsprechung des BGH: Für Frage der Pflichten, der Haftung und Vergütung gelten die Grundsätze der fehlerhaften Bestellung, BGH, Urt. v. 3.7.2006 II ZR 151/04 Dagegen ist fehlerhaft bestelltes Aufsichtsratsmitglied für Stimmabgabe und Beschlussfassung im Aufsichtsrat wie Nichtmitglied zu behandeln (Rspr. seit 16.12.1953 II ZR 167/52; zuletzt bekräftigt durch BGH, Urt. v. 19.2.2013 II ZR 56/12) Anfechtungsurteil wirkt rückwirkend Arg. insbes. Wortlaut von 250 Abs. 1, 241 Nr. 5 AktG Einschränkung der Rückwirkung bei entgegenstehenden berechtigten Interessen der Beteiligten im Einzelfall Rechtsprechung des BGH führt zu Unsicherheiten hinsichtlich der Wirksamkeit gefasster Beschlüsse etc.: kein umfassender Bestandsschutz kasuistisches Ansatz Anwendung auf Fälle der Nichtigkeit zweifelhaft 10
Konsequenzen für die Praxis
Konsequenzen für die Praxis (1/3) Konsequenzen für die Praxis Auswirkung auf Beschlussfähigkeit und Beschlussergebnis bei Kausalität der Stimme des Nichtmitglieds für Beschluss Bei Drei-Personen-Aufsichtsrat Mitwirkung des Nichtmitglieds bzgl. Beschlussfähigkeit stets kausal ( 108 Abs. 2 Satz 3 AktG) Teilnahme an Beratungen aber unschädlich Um Unsicherheiten hinsichtlich Rechtsanwendung zu verringern, hat BGH Hilfestellungen für Praxis formuliert (Urt. v. 19.2.2013 II ZR 56/12), deren genauer Inhalt in der Literatur allerdings kontrovers diskutiert wird 12
Konsequenzen für die Praxis (2/3) Ausnahmen nach BGH, Urteil vom 19.2.2013 II ZR 56/12 Aufsichtsratsbeschlüsse, die gegenüber außenstehenden Dritten vollzogen werden Vertrauensschutz Grenze: Bösgläubigkeit (P) u.a.: Wann ist Kenntnis bzw. Kennen müssen zu bejahen? Erklärungen gegenüber Organmitgliedern Bsp.: Verträge mit Vorstandsmitgliedern ( 112 AktG), Bestellung / Anstellung von Vorstandsmitgliedern ( 84 Abs. 1 und 3 AktG), Zustimmung zu Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands ( 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) etc. Organmitglieder, die Nichtigkeit kennen oder kennen müssen, sind nicht schutzwürdig, (jedenfalls nicht über die Aufdeckung der Nichtigkeit der Wahl hinaus) (P) u.a.: Wann ist Nichtigkeit der Wahl aufgedeckt? spätestens mit Zustellung der (später erfolgreiche) Klage (vgl. auch sogleich Sonderproblem 1 und 2 ) Beschlussvorschläge an die Hauptversammlung Aufsichtsrat gilt im Zeitpunkt der Beschlussfassung als ordnungsgemäß besetzt, weil Wahlbeschluss bis zur Nichtigerklärung wirksam und erst rückwirkend unwirksam ist (de facto vergleichbar mit Lehre von fehlerhaften Organverhältnissen) Gilt vermutlich aber nur für anfechtbare, nicht auch für nichtige Wahlen Entsprechende Anwendung bei Zuständigkeiten, die an jeweils aktuelle Funktion als Aufsichtsratsmitglied anknüpfen Mitwirkung bei der Feststellung des Jahresabschlusses: unklar Gleichstellung mit wirksam gewähltem AR Mitglied? BGH lässt dies offen. Konsequenzen für die Praxis? 13
Konsequenzen für die Praxis (3/3) Sonderproblem 1: Zustimmungserfordernis gemäß 111 Abs. 4 Satz 2 AktG Welche Folgen hat kausale Mitwirkung des fehlerhaft bestellten Aufsichtsratsmitglieds? Nach BGH (Urt. v. 19.2.2013 II ZR 56/12) wohl Zustimmung nicht wirksam erteilt unabhängig von Kenntnis des Vorstands von Mangel, Haftung des Vorstands aber fraglich Mögliche Heilung durch Hauptversammlungsbeschluss nach 111 Abs. 4 Satz 3 AktG (aber kaum praktikabel wegen Aufwand) Sonderproblem 2: Bestellung und Abberufung Vorstand Auswirkungen der kausalen Mitwirkung von fehlerhaft bestellten Aufsichtsratsmitgliedern bei Vorstandswahl? Folgen der kausalen Mitwirkung bei Abberufung? 14
Handlungsempfehlungen
Handlungsempfehlungen für die Praxis (1/6) Im Vorfeld Ordnungsgemäße Einberufung Möglichst keine Aufsichtsräte oder Aufsichtsratsausschüsse mit nur drei Personen Sonst Beschlussfähigkeit schon bei einem fehlerhaft bestellten Aufsichtsratsmitglied gestört Inhabilitätsvorschriften nach 100 Abs. 1 und 2, 105 AktG beachten Vollständige Informationen über Aufsichtsratskandidaten, 124 Abs. 3 Satz 4, 125 Abs. 1 Satz 5 AktG Rollierende Wahl der Aufsichtsratsmitglieder (bereits bei 7 DAX-Gesellschaften in Anwendung) Vermeidung von Listenwahlen (entspricht auch Empfehlung Ziff. 5.4.3 DCGK) verhindert eventuell gleichzeitige Anfechtung aller Wahlen Nachbesserung auf der HV bei Informationsdefiziten im Vorfeld nach BGH wohl nicht möglich (Schutz nicht erschienener Aktionäre) 16
Handlungsempfehlungen für die Praxis (2/6) Nach Klageerhebung Hinreichende Dokumentation des Stimmverhaltens der potentiell von Nichtigkeit der Wahl betroffenen Aufsichtsratsmitglieder und der Beschlussmehrheiten Entscheidungen im Aufsichtsrat abstimmen und dann einstimmig beschließen Dann fehlt Auswirkung der Teilnahme des Nichtmitglieds Bei AR-Ausschuss, der mit nur drei Personen besetzt ist: Ausschuss mit weiterem Mitglied besetzen oder das von Anfechtung betroffene Mitglied austauschen Möglichkeit bei reinen Verfahrensfehlern: Bestätigungsbeschluss nach 251 Abs. 1 Satz 3, 244 AktG Neuwahl AR bei vorheriger Abberufung / Amtsniederlegung, 101 Abs. 1 AktG Amtsniederlegung und Ersatzbestellung nach 104 AktG (Teil)anerkenntnis, sofern neben anderem auch die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder angefochten wird Befristete Ersatzbestellung bis zur Entscheidung über die Klage? Eher zweifelhaft (unterschiedliche Bewertung der Gerichte; h.l. (-)) Aufschiebend bedingte Bestellung (auf rechtskräftige Erklärung bzw. Feststellung der Nichtigkeit) dürfte unzulässig sein (so OLG Köln und h.l.) Minderheitsverlangen auf Einberufung HV / Ergänzung Tagesordnung, 122 AktG Feststellung Jahresabschluss durch die HV, 173 Abs. 1 Satz 1 AktG Genehmigung von Beschlüssen nach Neubesetzung 17
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