Personenrecht Herbstsemester 2015



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Transkript:

Personenrecht Herbstsemester 2015 Lehrstuhl für Privatrecht, Schwerpunkt ZGB Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 1

Vorlesungsprogramm 1. Doppelstunde: Dienstag, 15.09.2015 Einführung 2. Doppelstunde: Dienstag, 22.09.2015 Rechts- und Handlungsfähigkeit 3. Doppelstunde: Dienstag, 29.09.2015 Anfang und Ende der Persönlichkeit, Verwandtschaft, Heimat und Bürgerrecht, Wohnsitz, Name 4. & 5. Doppelstunde: Dienstag, 06.10.2015/13.10.2015 Schutz der Persönlichkeit 6. & 7. Doppelstunde: Dienstag, 20.10.2015/27.10.2015 Juristische Personen, Vereinsrecht und Stiftungsrecht Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 2

1. Doppelstunde: Einführung (1) Thema Entstehung des ZGB; systematische Einordnung des Personenrechts und Querbezüge; Einleitungsartikel (ZGB 1-10) und Personenrecht als Allgemeiner Teil des Privatrechts. Grundfragen der Person im Recht ; Begriffe: Personen, Persönlichkeit, Rechtsfähigkeit, Handlungsfähigkeit Pflichtlektüre (alternativ) HOFER/HRUEBESCH-MILLAUER 1-8 HÜRLIMANN-KAUP/SCHMID 5-12 TUOR/SCHNYDER/SCHMID/JUNGO 5-7 Ergänzender Hinweis: Die Einleitungsartikel zum ZGB werden umfassend in der 2012 erschienen Neuauflage des sog. «Einleitungsbandes» des Berner Kommentars erläutert: AEBI-MÜLLER REGINA E./CARONI PIO/EMMENEGGER SUSAN/HAUSHEER HEINZ; HOFER SIBYLLE/HRUBESCH-MILLAUER STEPHANIE/KOLLER THOMAS/SCHMID-TSCHIRREN CHRISTINA/SCHÖBI FELIX/TSCHENTSCHER AXEL/WALTER HANS PETER/WOLF STEPHAN, Art. 1-9 ZGB, Band I. Einleitung und Personenrecht. 1. Abteilung. Einleitung, Bern 2012 Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 3

Einführung (2) Das «Geheimnis» eines 100-jährigen Gesetzes Anwendung des Rechts ZGB 1 Die Bestimmung sagt (anders, als der Randtitel allenfalls verstanden werden könnte) nicht, wie das Recht im konkreten Sachverhalt angewendet werden muss, sondern lediglich, wie das Gericht grundsätzlich vorzugehen hat. ZGB 1 I: Anwendung des Gesetzes: Wortlaut und Auslegung: auch ein prima vista klarer Wortlaut ist möglicherweise (aber selbstverständlich nur ausnahmsweise!) unklar und deshalb möglicherweise auslegungsbedürftig Auslegungsmethoden: Grammatikalisches Element (sprachliche Bedeutung von Wort oder Wendung) Systematisches Element (Norm wird in Gesamtzusammenhang gestellt, Marginalien sind Teil des Gesetzes) Teleologisches Element (Frage nach Sinn und Zweck einer Gesetzesbestimmung, ratio legis) Historisches Element (Äusserungen des historischen Gesetzgebers, Gesetzesmaterialien) Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 4

Einführung (3) Anwendung des Rechts ZGB 1 (Fortsetzung) ZGB 1 II: Gewohnheitsrecht und Anerkennung von Gesetzeslücken Eher bei «älterem» Recht als bei aktuell revidierten Teilen des Gesetzes, bei denen der gesetzgeberische Wille aktuell ist; aber Grundwertungen des Rechts verlieren selbstverständlich ihre Gültigkeit auch über eine lange Geltungsdauer nicht und erfordern ggf. gesetzgeberische Diskussion und entsprechend legitimierten Entscheid, wenn sie geändert werden sollen. ZGB 1 III: Berücksichtigung von Lehre und Überlieferung Insgesamt kann ZGB 1 geradezu als Link zwischen (tendenziell statischem) Gesetz und Entwicklung des Rechts im Rahmen gerichtlicher Rechts(fort)bildung, mithin case law, gesehen werden. Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 5

Gesetzeslücken Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 6

Einführung (4) Handeln nach Treu und Glauben ZGB 2 I Konkretisierung nach Vertrauensprinzip (wie etwas vernünftigerweise verstanden werden darf und muss) Clausula rebus sic stantibus (Prinzip, dass die Umstände so zu würdigen sind, wie sie eben sind wobei natürlich künftige Umstände immer ungewiss sind und ein entsprechendes Risiko im Prinzip aber eben nicht bei «extremen» Abweichungen zu tragen ist) Fairnessgebot (vgl. SALADIN PETER, Das Verfassungsprinzip der Fairness, in: Festgabe der schweizerischen Rechtsfakultäten zur Jahrhundertfeier des Bundesgerichts, Basel 1975, 41-90; vgl. u.a. BV 5) Verbot der Gesetzes- oder Vertragsumgehung Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 7

Einführung (5) Verbot des Rechtsmissbrauchs ZGB 2 II Es gibt keine gesetzliche Definition des Rechtsmissbrauchs. Ob Rechtsmissbrauch vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Dies ist der Fall bei: Nutzloser Rechtsausübung (z.b. wenn an der Ausübung eines Rechts überhaupt kein sachliches Interesse besteht; ZPO 59 IIa: «Beschwer»; s.a. Commission de surveillance des offices des poursuites et faillites, 1.4.10, in: BlSchK 2011 S. 118). Krassem Missverhältnis der Interessen (z.b. BGE 95 II 14: Es ging um die Errichtung einer Bootseinfahrt, welche ein Fischereirecht tangierte. Das BGer bewilligte die Bootseinfahrt mit der Begründung, das Fischereirecht sei nur geringfügig betroffen und es bestehe daher ein krasses Missverhältnis in der Gewichtung der Interessen; wo früher Pferdefuhrwerke Transporte besorgten fahren heute LKWs: Dienstbarkeitsrecht, ZGB 730 ff., 737 ff.) Widersprüchliches Verhalten (z.b. brauchte es vor 1973 für die Adoption eines Kindes die Zustimmung der leiblichen Eltern. Ein Vater, der sich auf dieses Recht berief und seine Zustimmung verweigerte, obwohl er sich nie um das Kind bemüht hatte, handelte widersprüchlich. Seit 1973 ist diese unechte Lücke im Gesetz durch ZGB 265c erfasst.) Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 8

Einführung (6) Guter Glaube ZGB 3 ZGB 3 enthält keinen allgemeinen Gutglaubensschutz, sondern greift nur ein, wo eine bestimmte Einzelvorschrift einen solchen Schutz sinngemäss oder wörtlich vorsieht. Aus der jeweiligen Gesetzesbestimmung ergeben sich Inhalt und Folgen des Gutglaubensschutzes (vgl. ZGB 714, 673). Wenn der Rechtsmangel erkennbar war (z.b. sehr tiefer Preis) und die nötige Aufmerksamkeit unterlassen wurde, kann man sich gemäss ZGB 3 II nicht auf den guten Glauben berufen, und muss ggf. die Sache wieder herausgeben. Gerichtliches Ermessen ZGB 4 Hierbei handelt es sich um eine Konkretisierung im Falle von notwendig individualisierter, fallbezogener Rechtsanwendung. Das Gesetz ist bewusst flexibel konzipiert, damit die Gerichte im Einzelfall eine zwar dem System des Gesetzes konforme, aber doch möglichst individualisierte Lösung treffen können (z.b. um eine bessere Anpassung an künftige Entwicklungen der Verhältnisse oder an die vielfältigen Aspekte unterschiedlicher Situationen (z.b. ZGB 125) zu ermöglichen. Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 9

Einführung (7) Kantonales Zivilrecht und Ortsgebrauch ZGB 5 Das Privatrecht ist abschliessend im Bundesrecht geregelt, hauptsächlich im OR und ZGB. Wo im Gesetz ein ausdrücklicher Vorbehalt besteht, kann kantonales Privatrecht zur Anwendung kommen (z.b. ZGB 688, 695, ZH EG-ZGB). In einzelnen Bestimmungen wird im Bundeszivilrecht auch auf den Ortsgebrauch oder die Übung verwiesen. Dabei handelt es sich um Erscheinungsformen der Verkehrssitte (z.b. ZGB 644, 684). Öffentliches Recht der Kantone ZGB 6 Die Kantone können das öffentliche Recht im Rahmen ihrer Kompetenzen, die sich aus der Bundesverfassung (BV 122) ergeben, selber regeln, z.b. Bau- und Planungsrecht (ZGB 641). Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 10

Einführung (8) Allgemeine Bestimmungen des Obligationenrechts ZGB 7 Das OR und das ZGB stellen materiell eine Einheit dar. Neben den allgemeinen Bestimmungen des OR sind auch alle anderen Bestimmungen des allgemeinen Teils des OR sowie allgemeine Bestimmungen anderer Teile des OR auf Rechtsverhältnisse des ZGB anwendbar. Die Bestimmungen des OR dürfen nur sinngemäss auf Fragen des ZGB anwendet werden, d.h. es muss immer geprüft werden, ob eine abweichende Vorschrift des ZGB oder die besondere Natur des betreffenden Rechtsinstituts eine solche analoge Anwendung verbietet. Beispiel: Familienrechtliche Verträge des ZGB (Ehe- und Erbverträge, ZGB 182 ff., ZGB 512 ff.) können ebenfalls an Willensmängeln (OR 23 ff) leiden oder unsittlich/rechtswidrig bzw Folge von Übervorteilung sein (OR 19 ff). Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 11

Einführung (9) Beweislast ZGB 8 Das Privatrecht sagt, ob einer Person ein bestimmtes Recht zusteht und das Prozessrecht sagt, wie ein solcher Anspruch durchgesetzt wird. Die Schweizerische Zivilprozessordnung war erst per 1.1.2011 99 Jahre nach dem ZGB in Kraft getreten. ZGB 8 regelt die Beweislastverteilung, d.h. wer in einem Streit seine Behauptung beweisen muss. Grundsätzlich muss jede Prozesspartei ihren Standpunkt beweisen. Die Klägerin muss die Tatsachen vorbringen, die sie durch das Gericht gewürdigt haben will. Wenn sie den Beweis nicht erbringen kann, weist das Gericht die Klage ab. Kann sie den Beweis erbringen, dann kann die beklagte Partei Einwendungen und Einreden machen (zum Recht auf Beweis s. ZPO 152). Regelbeweismass: Der Beweis gilt als erbracht, wenn das Gericht nach objektiven Gesichtspunkten von der Richtigkeit einer Sachbehauptung überzeugt ist und keine ernsthaften Zweifel mehr bestehen. (Ausnahmen: OR 42 II, ZGB 256b II). Beweis mit öffentlicher Urkunde ZGB 9 Die Zulässigkeit und Würdigung von Beweismitteln ist grundsätzlich eine Frage des Prozessrechts. Lediglich bei öffentlichen Urkunden und Registern greift ZGB 9. ZGB 9 wird durch ZPO 179 ergänzt. Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 12

Einführung (10) Beweisvorschriften nach azgb 10 azgb 10 wurde durch Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung aufgehoben (vgl. ZPO 150 ff. sowie ZPO 179 betr. Beweiskraft öffentlicher Register und Urkunden). Der Gedanke von azgb 10 ist auch in OR 11 enthalten: Verträge bedürfen zu ihrer Gültigkeit nur dann einer besonderen Form, wenn das Bundesprivatrecht eine solche vorsieht. Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 13

Thema Rechtswissenschaftliches Institut 2. Doppelstunde: Rechts- und Handlungsfähigkeit Grundlagen der Handlungsfähigkeit; Begriff der Urteilsfähigkeit (ZGB 16); Vorgehen bei beschränkter Handlungsfähigkeit (ZGB 360-456) Pflichtlektüre (alternativ) HAUSHEER/AEBI-MÜLLER 2 und 6 HOFER/HRUEBESCH-MILLAUER 10-11 HÜRLIMANN-KAUP/SCHMID 14-15 RIEMER 2 und 3 TUOR/SCHNYDER/SCHMID/JUNGO 9 Übersicht über die Ziele der Revision des Vormundschaftsrechts (v.a. BBl 2006 7002-7004) Auswahl ergänzender Literatur GUTZWILLER, Zur Bedeutung der Urteilsfähigkeit im Rahmen des Vorsorgeauftrages, AJP 2007 556-560 Materialien Schweizerische Zivilprozessordnung (SR 272) Erwachsenenschutzrecht, ZGB 360 ff. (BBl 2009 141 ff., ik seit 1.1.2013) Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 14

Rechtsfähigkeit ZGB 11 Rechtsfähigkeit ist die Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu haben, also Rechtsträger zu sein (ZGB 11). Sie beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod. Rechtsfähig im Sinne des Gesetzes sind alle Menschen; Tiere sind nicht rechtsfähig (aber ZGB 641a I) Die Rechtsfähigkeit eines einzelnen Menschen besteht immer nur im Rahmen der Rechtsordnung, d.h. dass Jugendliche (Minderjährige) z.b. rechtsfähig sind, aber trotzdem keine Ehe schliessen können, da das Gesetz für die Heirat ein Mindestalter vorsieht. In der Schweizerischen Zivilprozessordnung ist die Parteifähigkeit in ZPO 66 geregelt (Problem: Parteifähigkeit mehrerer Personen, z.b. Geschwister in Erbengemeinschaft). Rechtsfähigkeit = Parteifähigkeit = Betreibungsfähigkeit Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 15

Handlungsfähigkeit ZGB 12 (1) Begriff Die Handlungsfähigkeit, d.h. die Fähigkeit Rechte und Pflichten zu begründen, ist die Voraussetzung um irgendwelche Geschäfte tätigen zu können (ZGB 12). Die Voraussetzungen für die Handlungsfähigkeit sind die Volljährigkeit und die Urteilsfähigkeit (ZGB 13). In der Schweizerischen Zivilprozessordnung ist die Prozessfähigkeit (= prozessuale Seite der Handlungsfähigkeit) in ZPO 67 geregelt. Prozessfähigkeit = Handlungsfähigkeit; Parteifähigkeit = Rechtsfähigkeit Unvermögen der Partei einen Prozess selbst zu führen (ZPO 69) Problem: Prozessfähigkeit von M. Kohlhaas (Kleist) oder P. Kneubühl (Bieler Rentner mit erhöhtem Aufmerksamkeitsgrad in KW 37/2010) Volljährigkeit Volljährig ist, wer das 18. Lebensjahr zurückgelegt hat (ZGB 14). Die religiöse Volljährigkeit wird bereits/erst mit 16 Jahren erlangt (ZGB 303 III) Das öffentliche Recht ist vom zivilrechtlichen unabhängig, es regelt selbständig, mit welchem Alter man die öffentlich-rechtliche Volljährigkeit erreicht. Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 16

Handlungsfähigkeit (2) Urteilsfähigkeit Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln (ZGB 16). Typischerweise fallen heute Altersstörungen (Demenz, sog. Alzheimer-Krankheit unter diese Bestimmung; weitere Zustände können sein: Drogensucht, Medikamentensucht, Fieberzustände, Bewusstlosigkeit, Hypnose, Narkose, Schlaf, Aufregungszustände). Die Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeit aufgrund dieser Zustände kann sich auf zwei Arten auswirken: Verstandesdefekt Willensdefekt Menschen können dauernd oder auch vorübergehend urteilsunfähig sein Relativität der Urteilsfähigkeit: Es ist immer zu prüfen, ob die Urteilsfähigkeit in Bezug auf die konkret in Frage stehende Rechtshandlung gegeben war oder nicht. Relativität der Urteilsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht ist gegeben bei Narkose oder Schlaf. Problematischer ist die zeitliche Begrenzung der Urteilsfähigkeit bei Drogenkonsumenten zu erfassen, da bei längerfristigem Konsum eine generelle Beschränkung der Urteilsfähigkeit möglich sein kann. Ausnahme: Beispielsweise bei Schizophrenie muss immer genau untersucht werden, ob die Person in einem lucidum intervallum oder in einem akuten Zustand gehandelt hat. Relativität der Urteilsfähigkeit in sachlicher Hinsicht: Die Urteilsfähigkeit kann bei einer Person bezüglich einer bestimmten (einfacheren) Handlung gegeben und bezüglich einer bestimmten anderen (komplexeren) Handlung nicht gegeben sein. Seite 17

Handlungsfähigkeit (3) Urteilsfähigkeit (Fortsetzung) Vermutung der Urteilsfähigkeit: Wer behauptet, eine Person sei urteilsunfähig (um aus dieser Behauptung Rechte abzuleiten), hat dies zu beweisen (vgl. ZGB 8). Im BGE 124 III 8, 9 hat das das BGer folgende Präzisierung vorgenommen: Führt die Lebenserfahrung etwa bei Kindern, bei bestimmten Geisteskranken oder altersschwachen Personen zur umgekehrten Vermutung, dass die handelnde Person ihrer allgemeinen Verfassung nach im Normalfall und mit Wahrscheinlichkeit als urteilsunfähig gelten muss, ist der Beweispflicht insoweit Genüge getan und die Vermutung der Urteilsfähigkeit umgestossen; der Gegenpartei steht in diesem Fall der Gegenbeweis offen, dass die betreffende Person trotz ihrer grundsätzlichen Urteilsunfähigkeit aufgrund ihrer allgemeinen Gesundheitssituation in einem luziden Intervall gehandelt hat. Somit führt die genannte Lebenserfahrung zu einer Umkehr der Beweislast. Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 18

Handlungsfähigkeit (4) Stufen der Handlungsfähigkeit Elemente der Handlungsfähigkeit Geschäftsfähigkeit: Fähigkeit, durch eigenes rechtsgeschäftliches Handeln allein die gewollten rechtlichen Wirkungen herbeizuführen. Die Geschäftsfähigkeit wird in folgende Fähigkeiten aufgegliedert: Vertragsfähigkeit Testierfähigkeit Prozessfähigkeit (s. Folie 16) Deliktsfähigkeit: Fähigkeit, durch widerrechtliche Handlungen schadenersatzpflichtig zu werden (OR 41 ff.) Folgen der Handlungsunfähigkeit Handlungsunfähig sind urteilsunfähige Personen, Minderjährige sowie Personen unter umfassender Beistandschaft (ZGB 17). Grundsätzlich vermögen die Handlungen eines Urteilsunfähigen keine Rechtswirkungen zu erzeugen (ZGB 18) Ausnahmen bestehen in folgenden Fällen: Eintritt der Rechtswirkung unabhängig von der Urteilsfähigkeit (von Gesetzes wegen, z.b. ZGB 727 I, OR 62 ff.) Rechtswirkungen aus unerlaubter Handlung (Billigkeitshaftung nach OR 54) Damit die Handlungen von Urteilsunfähigen Rechtswirkungen erzeugen, braucht es Personen, die für diese handeln, die sog. gesetzlichen Vertreter: Eltern (ZGB 304 I) bzw. Beistände (ZGB 390 ff.); steht ein Kind nicht [mehr] unter elterlicher Sorge, erhält es einen Vormund, ZGB 327a ff.). Absolut höchstpersönliche Rechte müssen durch die betroffene Person selbst ausgeübt werden, da diese Rechte derart persönlicher und intimer Natur sind, dass sie vertretungsfeindlich sind. Dabei handelt es sich z.b. um: Eingehung eines Verlöbnisses (ZGB 90 I) Eheschluss (ZGB 94 I) Errichtung eines Testaments (ZGB 467) Aber Achtung: Mindestalter in ZGB 94 I bzw. 467 medizinische Behandlung (s. BGE 134 II 235) ; s. nun aber ZGB 377 ff.! Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 19

Handlungsfähigkeit (5) Stufen der Handlungsfähigkeit (Fortsetzung) Relativ höchstpersönliche Rechte sind nicht generell vertretungsfeindlich, z.b.: Schutz der ehelichen Gemeinschaft (ZGB 171 ff.) alles andere wäre für Betroffene entwürdigend Allgemeiner Persönlichkeitsschutz (ZGB 28 ff.) Grundsatz: Minderjährige sind handlungsunfähig (ZGB 17) Urteilsfähige handlungsunfähige Personen können nur mit Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters Verpflichtungen eingehen oder Rechte aufgeben (ZGB 19 I). Die Vertretung Minderjähriger ist in ZGB 304-306 geregelt, jene handlungsunfähiger Volljähriger in ZGB 407-412. Diese Zustimmung kann als nachträgliche Genehmigung oder als vorausgehendes Einverständnis erfolgen (s. hierzu auch ZGB 19a I). Ausnahmen: Handlungsfähigkeit trotz fehlender Volljährigkeit Beschränkte Handlungsunfähigkeit (ZGB 19 II, III, 19b II, 19c I, 321-323, 393-398, 407) Rechtsgeschäfte, die kein wirtschaftliches Risiko oder eine Gefahr in sich bergen, sondern dem Minderjährigen bzw. umfassend Verbeiständeten nur Vorteile bringen, dürfen durch diesen selbst abgeschlossen werden (ZGB 19 II). Höchstpersönliche Rechte können durch urteilsfähige Minderjährige selbst und allein ausgeübt werden (beachte: relativ höchstpersönliche Rechte nur durch von ihm selbst ernannte Vertreter; ZGB 19c) Urteilsfähige Minderjährige und umfassend Verbeiständete sind generell deliktsfähig. ZGB 19 III hält fest, dass solche Personen aus unerlaubten Handlungen schadenersatzpflichtig werden. Freies Vermögen i.s.v. ZGB 321, 322, 409 steht unter der selbständigen Verwaltung und Nutzung des urteilsfähigen Minderjährigen oder umfassend Verbeiständeten Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 20

Handlungsfähigkeit (6) Stufen der Handlungsfähigkeit (Fortsetzung) Beschränkte Handlungsfähigkeit Beschränkt handlungsfähig sind Personen, die urteilsfähig und volljährig, d.h. grundsätzlich handlungsfähig sind. Die Handlungsfähigkeit wird somit nicht grundsätzlich aufgehoben, sondern partiell beschränkt. Diese Fälle sind teils im Familienrecht und teils im OR geregelt (nicht im Personenrecht des ZGB): Vertretungsbeistandschaft (ZGB 394 f.), Mitwirkungsbeistandschaft (ZGB 396) oder kombinierte Beistandschaft (ZGB 397). Zu den verschiedenen Formen der Beistandschaft s. Folie 23. Eheschluss (ZGB 169 I, ZGB 230, OR 228, OR 266m, OR 494 I und III) Siehe auch bzgl. Änderungen der Handlungsfähigkeit im Rahmen der Revision zum Vormundschaftsrecht in der Botschaft Erwachsenenschutz, BBl 2006 7002-7004 Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 21

Handlungsfähigkeit (7) Übersicht über die Änderungen im Zuge des neuen KESR (in Kraft seit 1.1.2013) azgb 19 1 Urteilsfähige unmündige oder entmündigte Personen können sich nur mit Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter durch ihre Handlungen verpflichten. 2 Ohne diese Zustimmung vermögen sie Vorteile zu erlangen, die unentgeltlich sind, und Rechte auszuüben, die ihnen um ihrer Persönlichkeit willen zustehen. 3 Sie werden aus unerlaubten Handlungen schadenersatzpflichtig. ZGB 19 1 Urteilsfähige handlungsunfähige Personen können nur mit Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters Verpflichtungen eingehen oder Rechte aufgeben. 2 Ohne diese Zustimmung vermögen sie Vorteile zu erlangen, die unentgeltlich sind, sowie geringfügige Angelegenheiten des täglichen Lebens zu besorgen. 3 Sie werden aus unerlaubten Handlungen schadenersatzpflichtig. ZGB 19a 1 Sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt, kann der gesetzliche Vertreter die Zustimmung ausdrücklich oder stillschweigend im Voraus geben oder das Geschäft nachträglich genehmigen. 2 Der andere Teil wird frei, wenn die Genehmigung nicht innerhalb einer angemessenen Frist erfolgt, die er selber ansetzt oder durch das Gericht ansetzen lässt. ZGB 19b 1 Erfolgt die Genehmigung des gesetzlichen Vertreters nicht, so kann jeder Teil die vollzogenen Leistungen zurückfordern. Die handlungsunfähige Person haftet jedoch nur insoweit, als die Leistung in ihrem Nutzen verwendet worden ist oder als sie zur Zeit der Rückforderung noch bereichert ist oder sich böswillig der Bereicherung entäussert hat. 2 Hat die handlungsunfähige Person den andern Teil zur irrtümlichen Annahme ihrer Handlungsfähigkeit verleitet, so ist sie ihm für den verursachten Schaden verantwortlich. ZGB 19c 1 Urteilsfähige handlungsunfähige Personen üben die Rechte, die ihnen um ihrer Persönlichkeit willen zustehen, selbständig aus; vorbehalten bleiben Fälle, in welchen das Gesetz die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters vorsieht. 2 Für urteilsunfähige Personen handelt der gesetzliche Vertreter, sofern nicht ein Recht so eng mit der Persönlichkeit verbunden ist, dass jede Vertretung ausgeschlossen ist. ZGB 19d Die Handlungsfähigkeit kann durch eine Massnahme des Erwachsenenschutzes eingeschränkt werden. Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 22

Handlungsfähigkeit (8) Übersicht über die Einschränkungen der Handlungsfähigkeit nach der Revision (ZGB 19d, 393 ff.) Erläuterungen Die Handlungsfähigkeit wird von Gesetzes wegen eingeschränkt (Mitwirkungsbeistandschaft, umfassende Beistandschaft). Handlungsfähigkeit wird nicht eingeschränkt in Fällen der Begleitbeistandschaft. Handlungsfähigkeit kann (muss aber nicht) eingeschränkt werden bei der Vertretungsbeistandschaft. Seite 23

3. Doppelstunde: Anfang und Ende der Persönlichkeit, Verwandtschaft, Heimat und Bürgerrecht, Wohnsitz, Name Thema Grundlagen; Beginn und Ende des rechtlichen/physischen «Person-Seins» Pflichtlektüre (alternativ) HAUSHEER/AEBI-MÜLLER 3 f., 8 f., 16 (insb. betreffend die neue Rechtslage) HÜRLIMANN-KAUP/SCHMID 16 HOFER/HRUBESCH-MILLAUER 12, 23 RIEMER 4-6, 8-11 TUOR/SCHNYDER/SCHMID/JUNGO 10, 12 Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 24

Auswahl ergänzender Literatur FELBER, Bevormundung nur am Wohnort, in: Jusletter 2. Oktober 2000 (abrufbar unter: www.weblaw.ch) DERS., Wenn ein Mann seinen «Mädchennamen» wieder will, in: Jusletter 18. Juni 2001 (abrufbar unter: www.weblaw.ch) DERS., Wohnsitz am Ort der Anstalt, in: Jusletter 25. Juni 2001 (abrufbar unter: www.weblaw.ch) SIX, Neues vom Bundesgericht zur Frage der Verwendung von Gemeindenamen als Domänennamen («montana.ch» und «luzern.ch»), in: Jusletter 14. Oktober 2002 (abrufbar unter: www.weblaw.ch) GRÜTER, maggi.com zu einfaches Rezept aus Lausanne, in: Jusletter 7. März 2005 (abrufbar unter: www.weblaw.ch) LEVANTE, Namensänderung in der Rechtsprechung des Bundesgerichts, ZZW 2007 65 ff. Zum Anfang und Ende des Lebens: LACHENMEIER, Medizin und Recht: Todeszeitpunkt umstritten, in: plädoyer 2008, 32 ff. AEBI-MÜLLER, Das neue Familiennamensrecht eine erste Übersicht, in: SJZ 2012, 449 ff. Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 25

Materialien Überblick des EJPD betr. Palliativmedizin/Sterbehilfe mit weiteren Links (insb. «Palliative Care, Suizidprävention organisierte Suizidhilfe», Bericht des Bundesrates vom 20. Juni 2011): www.ejpd.admin.ch/content/ejpd/de/home/themen/gesellschaft/ref_gesetzgebung/ref_sterbehilfe.html; im Gegensatz zur direkten aktiven Sterbehilfe sind in der Schweiz die indirekte aktive sowie die passive Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen straflos. Nach mehreren fundierten Prüfungen der Sachlage gelangt der Bundesrat zum Schluss, dass im Bereich der Sterbehilfe kein legislatorischer Handlungsbedarf besteht allfällige Missbräuche lassen sich mit den geltenden gesetzlichen Mitteln bekämpfen, so dass auch eine strafrechtliche Bestimmung bezüglich organisierter Suizidhilfe letztlich verzichtbar ist. Diverse Publikationen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW): Probleme bei der Durchführung von ärztlicher Suizidhilfe Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission (ZEK) der SAMW vom 14. März 2012; Medizinisch-ethische Richtlinien «Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende (2004)» und «Palliative Care» (2006) u.a. Die Revision des Namensrechtes (vgl. die parlamentarische Initiative (03.428) Leutenegger Oberholzer: Name und Bürgerrecht der Ehegatten, Gleichstellung), die den «Namen für das ganze Leben» einführen wollte, wurde vom Nationalrat 2009 zunächst knapp abgelehnt: EJPD - Stand betr. Namensänderung; Vorentwurf zur Änderung des ZGB in Sachen Namen und Bürgerrecht; Bericht vom 1. Juni 2007 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates; Bericht vom 27. August 2009 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates; JURIUS, Jusletter 9. Juli 2007; JURIUS, Jusletter 31. August 2009. In der Folge wurde indes weiterhin um eine Gesetzesänderung mit dem Ziel der Gleichstellung der Ehegatten bzgl. Name und Bürgerrecht gerungen; schliesslich vermochten sich die eidgenössischen Räte nach wiederum hitzig geführten Diskussionen im Nationalrat in der Herbstsession 2011 auf ein neues Familiennamensrecht (AS 2012 2569) zu einigen ohne oder mit geringer Wirkung im gelebten Alltag. (s. http://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/themen/gesellschaft/ref_gesetzgebung/ref_namensrecht.html). Die Revision der Zivilstandsverordnung, die die Veröffentlichung von Zivilstandsfällen (Geburten, Todesfälle etc.) durch die Kantone aufhebt (Erläuternder Bericht zur Revision der Zivilstandsverordnung und der Verordnung über die Gebühren im Zivilstandswesen des EJPD/BJ/EAZW vom Juli 2015, S. 3, s. Folie 29). Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 26

Rechtsprechung BGE 140 III 577: Namensänderung; achtenswerte Gründe; Führen des Namens der Mutter seit jeher. Das Gesuch um Namensänderung kann nicht von der Volljährigkeit bzw. Handlungsfähigkeit (ZGB 13) abhängig gemacht werden, sondern allein die Urteilsfähigkeit ist entscheidend; kein Eingreifen in das Ermessen (ZGB 4) des kantonalen Gerichts. BGer 5A_695/2011 vom 12.12.2011: Nach Ablauf der Frist in ZGB 119 I ist eine Namensänderung nur noch im Rahmen von ZGB 30 I möglich (E. 2). Indes verweist das BGer auf die Revision des Namensrechts (Inkraftsetzung auf den 1. Januar 2013), wonach zukünftig für eine Namensänderung nur noch «achtenswerte» anstelle von «wichtigen» Beweggründen gegeben sein müssen. Weiter erwähnt es, dass nach der neuen Fassung von ZGB 119 I der geschiedene Ehegatte jederzeit erklären kann, dass er seinen Ledignamen wieder tragen wolle. Mithin stehe auch der Beschwerdeführerin trotz verpasster (altrechtlicher) Frist unter neuem Recht die Möglichkeit offen, «eine entsprechende Erklärung oder ein neues Gesuch zu stellen» (E. 5). BGE 137 III 97: Recht auf Weiterführung des bisherigen Namens bei einer adoptierten Erwachsenen (Änderung der Rechtsprechung); im Lichte des Wandels der gesetzlichen Namensregeln (mit Hinweis auf ZGB 30 II, 119 I, 160 II) und bereits erfolgter Praxisänderungen (vgl. BGE 121 III 403 E. 2b/bb; 121 III 148 E. 2c) besteht kein hinreichendes öffentliches Interesse (mehr) an einer zwangsweisen Durchsetzung der Namensänderung (E. 3.4.2 f.); der Wunsch, den bisherigen Namen nach der Adoption weiterzuführen, bildet die enge Verbundenheit zwischen Namen und Persönlichkeit ab und genügt als wichtiger Grund i.s.v. ZGB 30 I (E. 3.4.3). BGer 5A_624/2010 vom 17.3.2011: Voraussetzungen der Namensänderung eines Jugendlichen nach Scheidung der Eltern; Verhältnis des faktischen zum rechtlichen Namen; ausnahmsweise Zulassung der Annahme des faktischen Namens, da i.c. «namensmässige Kontinuität» zu gewährleisten war (E. 3.3.2) und negative Auswirkungen (Verschleierung der Herkunft; Auswirkungen auf die Beziehung zum leiblichen Vater) nicht befürchtet werden mussten (E 3.3.3). Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 27

Rechtsprechung (Fortsetzung) BGer 4A_302/2010 vom 22.9.2010: markenmässige Kommerzialisierung der Bezeichnung «Madonna» ist sittenwidrig BGE 136 II 405 E. 4.3: Begriff des Wohnsitzes BGE 136 III 161; BGer 5A_424/2010: Definition des wichtigen Grundes i.s.v. ZGB 30 I; Zweck der Namensänderung OGer ZH vom 22.7.2010: Betreibung am Aufenthaltsort (SchKG 48); Heim («betreutes Wohnen») als gesetzlicher Wohnsitz per Adresse «Soziale Dienste», in: BlSchK 2011 S. 145 BGer 2P.49/2007 vom 3.8.2007: unzulässige Verhinderung der Niederlassung einer verbeiständeten, in einer Wohngemeinschaft lebenden Person BGer 5P.318/2006 vom 22.12.2006: Wohnsitz des Kindes BGer 5A.4/2005 vom 24.5.2005: Namensführung nach Eheschliessung BGer 4C.376/2004 vom 21.1.2005: «Maggi-Entscheid» BGer 2P.256/2004 vom 7.1.2005: Entscheid, der mit juristisch korrekten, indes im Ergebnis sehr formalen Argumenten über das Wesen der Schwägerschaft eine erbschaftssteuerliche Privilegierung der stiefmütterlichen testamentarischen Zuwendung an die Tochter des vorverstorbenen Ehemannes verweigert. BGer 2P.139/2004 vom 31.11.2004: Erbschafts-/Schenkungs-Steuerpflicht des adoptierten Kindes bei Zuwendungen aus seiner Herkunftsfamilie. Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 28

Rechtswissenschaftliches Institut Anfang und Ende der Persönlichkeit (1) Anfang der Rechtspersönlichkeit Die Persönlichkeit beginnt mit dem Leben nach der vollendeten Geburt und endet mit dem Tode (ZGB 31 I). Damit ist der Anfang und das Ende der Rechtsfähigkeit gemeint. Vollendet ist die Geburt mit dem vollständigen Austreten des Kindes aus dem Mutterleib. Wenn das Kind während der Geburt stirbt, erlangt es keine Rechtsfähigkeit, dazu benötigt es ein Lebenszeichen wie Herzschlag oder Atmung nach Vollendung der Geburt. Rechtsstellung des Nasciturus: Ein ungeborenes Kind wird in der Zeit zwischen Zeugung und vollendeten Geburt als Nasciturus bezeichnet. Bedingte Rechtsfähigkeit: ZGB 31 II sieht als Ausnahme vom Grundsatz vor, dass auch ein ungeborenes Kind rechtsfähig ist, sofern es lebend geboren wird. Der Hauptfall betrifft die Erbfähigkeit: Ein Nasciturus ist unter dem Vorbehalt erbfähig, dass er lebend geboren wird (ZGB 544 I, 605 I). Gemäss ZGB 311 I gilt der Entzug der elterlichen Sorge ohne weiteres auch für noch nicht gezeugte Kinder. Ende der Rechtspersönlichkeit Die Rechtsfähigkeit endet gemäss ZGB 31 I mit dem Tode. Massgebend für den Todeszeitpunkt ist der Hirntod, d.h. das Vorliegen eines irreversiblen Funktionsausfalles des Gehirns (s. die med.-eth. Richtl. und Empfl. der SAMW zur Feststellung des Todes mit Bezug auf Organtransplantationen vom 24.05.2011). Der Tod eines Menschen hat verschiedene zivilrechtliche (und darüber hinaus selbstverständlich noch beträchtliche ausserrechtliche-emotionale) Folgen: Ende der Rechtsfähigkeit (ZGB 31 I); Tod wird in das Personenstandsregister eingetragen (ZGB 39 II: s. auch ZStV 7 II c, 8 g, 20a, 20b, Zivilstandsfälle sollen zum Schutze der Persönlichkeit (des Verstorbenen oder des Überlebenden?) nicht mehr veröffentlicht werden (Aufhebung von ZStV 57 gem. Bericht des EJPD vom Juli 2015, s. Folie 26)) Auslösung des Erbfalles (ZGB 560 I, s. auch ZGB 204 I, Auflösung des Güterstandes) Seite 29

Anfang und Ende der Persönlichkeit (3) Beweis von Leben und Tod ZGB 32 I als Anwendungsfall von ZGB 8 sieht vor, dass diejenige Person, die aus dem Leben oder dem Tod einer Drittperson Rechte zu ihren Gunsten ableitet, deren Leben bzw. Tod beweisen muss. Gleichzeitiger Tod als Spezialfall des Todesbeweises: Dieser Spezialfall spielt in Bezug auf das Erbrecht eine zentrale Rolle, denn nur wer eine andere Person überlebt, kann die vorverstorbene Person beerben (ZGB 32 II, z.b. bei einem Unfall). Tod ohne Leiche als weiterer Spezialfall des Todesbeweises: Normalerweise wird der Tod durch einen Arzt festgestellt und danach ins Todesregister (ZStV 8 g, 20a) am Sterbeort eingetragen. Eine Person kann aber auch unter Umständen verschwunden sein, die ihren Tod als sicher erscheinen lassen (ZGB 34). Fälle des sicheren Todes (BGE 56 I 546 E. 2b): Eine Person ist in einem brennenden und durch Feuerbrunst zerstörten Haus geblieben oder wurde von einer Lawine verschüttet. Eine Person ist in eine Gletscherspalte, aus der es kein Entkommen gibt, gefallen oder im Meer vor den Augen anderer versunken (Tsunami vom 26.12.2004). Ein Mörder hat gestanden, die Leiche beseitigt zu haben. Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 30

Anfang und Ende der Persönlichkeit (4) Beweis von Leben und Tod (Fortsetzung) Verschollenenerklärung (ZGB 35-38): Dabei handelt es sich um Fälle, in denen die Person seit längerem nachrichtenlos abwesend ist oder in hoher Todesgefahr verschwunden ist. Bei der Verschollenenerklärung wird nur hohe Wahrscheinlichkeit des Todes vorausgesetzt. Beispiel für Verschwinden in hoher Todesgefahr: Skitour durch Gebiet, in welchem eine Lawine niederging (s. auch die weiteren Beispiele bei HAUSHEER/AEBI-MÜLLER N 05.06) Das Gesuch um Verschollenerklärung kann im Falle des Verschwindens in hoher Lebensgefahr frühestens ein Jahr nach dem Vorfall, im Fall der nachrichtenlosen Abwesenheit frühestens nach 5 Jahren seit der letzten Nachricht eingereicht werden (ZGB 36 I). Wenn der Verschollene nach erfolgter Verschollenenerklärung wieder auftaucht, muss diese vom Gericht rückgängig gemacht werden (erbrechtliche Folgen ZGB 547; Ehe lebt nicht wieder auf ZGB 38 III). Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 31

Rechtswissenschaftliches Institut Verwandtschaft Verwandtschaftsgrade und -linien Der Grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten (ZGB 20 I). Dies hat zur Folge, dass Eltern und Kind im ersten Grade, Geschwister im zweiten Grade, Onkel und Nichte im dritten Grade und Cousins im vierten Grade verwandt sind. In gerader Linie sind zwei Personen miteinander verwandt, wenn die eine von der anderen abstammt, und in der Seitenlinie, wenn sie von einer dritten Person abstammen und unter sich nicht in gerader Linie verwandt sind (ZGB 20 II). Voll- und halbbürtige Verwandte; Stiefverwandtschaft Die zwei Ehepaare (A-B und C-D) lassen sich scheiden oder je ein Ehegatte stirbt. B und C heiraten und haben gemeinsame Kinder (F und G). F und G sind vollbürtige Geschwister. E und F sind halbbürtige Geschwister (Halbgeschwister, ZGB 95 I 1). E und H sind stiefverwandt, d.h. nicht im Rechtssinne verwandt. Relevanz Erbrecht: ZGB 457 ff., Verwandte sind gesetzliche Erben Prozessrecht: ZPO 47 I d (Ausstandsgrund), 165 I c (umfassendes Verweigerungsrecht) A E B Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 32 F G C H D

Heimat und Wohnsitz (1) Heimat Die Heimat einer Person bestimmt sich nach ihrem Bürgerrecht (ZGB 22 I) Die Heimat ist heute im Personenrecht nur noch zivilstandsregisterrechtlich von Bedeutung (ZGB 39 II 4 und 5). Bei der Entmündigung besteht eine subsidiäre Anknüpfung an den Heimatort (ZGB 376 II). Achtung: Die privatrechtlichen Begrifflichkeiten sind ohne Relevanz für das Schweizer Bürgerrecht. Dieses wird durch das BüG (SR 141.0; Totalrevision vom 20. Juni 2014 noch nicht in Kraft) geregelt. Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 33

Heimat und Wohnsitz (2) Wohnsitz Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Ort, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält (ZGB 23 I). 1. Begriffselement - Aufenthalt: Der Aufenthalt ist zu bejahen, wenn eine Person am betreffenden Ort bewohnbare Räume benützt (BGE 96 I 145 ff. E. 4c) 2. Begriffselement - Absicht dauernden Verbleibens: Damit sollen bloss vorübergehende Aufenthaltsorte wie z.b. Ferienorte ausgeschlossen werden. Nach BGE 97 II 3 ff. E. 3 und 4 ist trotz des Wortlautes Absicht nicht auf den inneren Willen der betreffenden Person abzustellen, sondern, auf welche Absicht die erkennbaren Umstände objektiv schliessen lassen. Falls mehrere solche Orte bestehen, ist der Ort der intensivsten Beziehung massgebend. Der Wohnsitz ist demzufolge der Ort, welchen die Person zum Mittel- oder Schwerpunkt ihrer Lebensbeziehungen gemacht hat und zwar massgebend nach ihrem äusseren Verhalten (regelmässige Gebrauch der Räumlichkeiten zur Verbringung des Privatlebens). Ähnlich argumentierte das Bundesgericht auch in BGE 136 II 405 ff., E 4.6. In diesem Entscheid erachtete es die Absicht dauernden Verbleibens in der Schweiz eines amerikanischen Ehepaars nicht als genügend erkennbar, da dieses sich zwar in der Schweiz bei den Behörden angemeldet hatte, jedoch nur für eine gewisse Zeit in einem Hotel und bei Freunden lebte und zur Austragung und zur Geburt des gemeinsamen Kindes wieder nach Amerika zurückkehrte. Dies obwohl das Ehepaar die Absicht hatte, nach der Geburt wieder in die Schweiz zurückzukehren. Für die Bestimmung des Wohnsitzes ist die Dauer des Aufenthaltes nicht massgebend ebenso wenig die Hinterlegung von Ausweisschriften bei der Einwohnerkontrolle. Hat z.b. eine psychisch erkrankte Person innerhalb von drei Jahren am selben Ort für kurze Zeit zweimal eine Wohnung gemietet, genügt dies für die Begründung eines Wohnsitzes, da sie sich ansonsten in Kliniken und Wohnheimen aufhielt (Entscheid des Departements des Innern des Kantons St. Gallen, 25.5.2009, in: ZVW 2009 283 ff.). Relevanz: Wo darf man Steuern bezahlen? Probleme mit Schein- und «Mehrfachdomizilen» (s. z.b. 7 II BGB: «Der Wohnsitz kann gleichzeitig an mehreren Orten bestehen»; vgl. ZGB 23 II!) Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 34

Rechtswissenschaftliches Institut Namensrecht (1) Herkunft und Wesen Der Name ist Mittel zur Unterscheidung von anderen Menschen und dient der Individualisierung der einzelnen Personen (BGE 108 II 162). Es handelt sich beim Namensschutz um einen besonderen Anwendungsfall des allgemeinen Persönlichkeitsschutzes. Namensarten Bürgerlicher oder ziviler Name: Jedermann besitzt mindestens einen Vornamen und einen Familiennamen. Die Vornamenzahl ist gesetzlich nicht begrenzt. Adelstitel bilden gemäss schweizerischer Rechtsauffassung keinen Namensbestandteil. Künstlernamen und Pseudonyme sind zwar Namen und geniessen als solche Namensschutz, doch gelten sie nicht als amtliche Namen. Domain-Name (BGE 128 III 401) Erwerb des bürgerlichen oder zivilen Namens Familienname Der Familienname (s. Folie 37 ff.) wird durch Abstammung - ausnahmsweise auch durch behördlichen Akt (z. B. Findelkind, ZStV 38 II) - erworben. Vorname Der Vorname wird von verheirateten Eltern gemeinsam festgelegt (ZGB 301 IV). Bei unverheirateten Paaren kann die Mutter den Vornamen bestimmen, es sei denn, die Eltern haben die gemeinsame elterliche Sorge inne (ZStV 37 I). Im Falle einer fragwürdigen Namenswahl kann der Zivilstandsbeamte den elterlich bestimmten Vornamen nur zurückweisen, wenn durch diesen die Interessen des Kindes offensichtlich verletzt werden (ZStV 37 III). Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 35

Rechtswissenschaftliches Institut Namensrecht (2) Familienname des Kindes Grundregel: Namenskontinuität in allen Lebenslagen, ausgehend von dem «vorbestimmten» (ZGB 160 III) Ledignamen der Mutter oder des Vaters bzw. dem gemeinsamen (ZGB 160 II) Familiennamen (ZGB 270 I u. III). Ausnahmen ZGB 270 II: Rückkommensmöglichkeit auf den bei Eheschliessung vorbestimmten Namen (ZGB 160 III) innerhalb eines Jahres seit Geburt des Kindes. ZGB 270a III (unverheiratete Eltern): ZGB 270a I: Grundregel: Ledigname der Mutter ZGB 270a II: Übergang zum Namen des Vaters bei gemeinsamer elterlicher Sorge; erforderlich ist eine Erklärung der Eltern (beider!) gegenüber dem Zivilstandsamt binnen eines Jahres seit Einräumung der gemeinsamen elterlichen Sorge (danach allenfalls mittels ZGB 30 I). ZGB 270a III: Bei (Übergang der) Alleinsorge an den Vater auf dessen Erklärung hin gegenüber dem Zivilstandsamt (ZGB 270a II) Urteilsfähigkeit des Minderjährigen in Namensbelangen ist von der Vollendung des zwölften Altersjahres an zu bejahen: Soll sein Name geändert werden, so ist seine Zustimmung hierzu erforderlich (ZGB 270b). ZGB 30 I: Autonome Namensgestaltung des Kindes? Von welchem Alter an/unter welchen Umständen haben Minderjährige die Möglichkeit, selbstständig eine Namensänderung aus «achtenswerten Gründen» zu beantragen? Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 36

Namensrecht (3) Familienname der Ehegatten Grundregel: Namenskontinuität in allen Lebenslagen (einschliesslich Ehe bzw. «trotz Ehe») anstatt Namenseinheit der Familie dies zu dem Zwecke, die namensmässige Gleichstellung (oder zumindest die Chance dazu ) zu verwirklichen. ZGB 160 I: Die Brautleute behalten auch nach der Eheschliessung ihren Ledignamen. Ausnahmen: ZGB 160 II: Annahme eines gemeinsamen Familiennamens bei Eheschliessung (ferner bleibt auch die Verwendung des sog. «Allianznamens» zulässig, bei welchem der nicht als gemeinsamer Familienname gewählte Ledigname mit Bindestrich angefügt wird; der Allianzname ist indes kein amtlicher Name, BGE 120 III 60 E. 2a). PartG 12a (analog ZGB 160 II): Möglichkeit eines «gemeinsamen Namens» für gleichgeschlechtliche Paare (beachte: «gemeinsamer» und nicht etwa «Familien»-Name) ZGB 30a: Rückkehr zum vorehelichen Namen nach Verwitwung ZGB 119: Erklärung betreffend Rückkehr zum Ledignamen nach Scheidung ZGB 270a: Unverheiratete Eltern evtl. «Familiennamenseinheit» via ZGB 30 I («achtenswerte Gründe»)? Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 37

Namensrecht (4) Intertemporales Namensrecht S. SchlT ZGB 8a (Ehegatten) bzw. 13d (Kinder): Ehegatten, die infolge Eheschliessung vor dem 01.01.2013 ihren Namen geändert haben, können jederzeit (ohne intertemporalrechtliche Fristbeschränkung) durch Erklärung gegenüber dem Zivilstandsamt ihren Ledignamen wieder führen. (Demgegenüber müsste der Wechsel zu einem anderen Namen so beispielsweise demjenigen aus einer früheren Ehe auf dem (zukünftig erleichterten) Wege über ZGB 30 I angestrebt werden.) Elterliche Namenswechsel gestützt auf SchlT ZGB 8a ermöglichen den Eltern ein Vorgehen gemäss ZGB 270 bzw. 270a (Erklärung gegenüber Zivilstandsamt). Indes bleibt die Zustimmung des in Namensbelangen urteilsfähigen Kindes i.s.v. ZGB 270b vorbehalten (SchlT ZGB 13d III). Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 38

Rechtswissenschaftliches Institut Namensrecht (5) Namensänderung durch behördlichen Akt Wenn achtenswerte Gründe (Anwendungsfall von ZGB 4) vorliegen, kann die Regierung des Wohnsitzkantons die Änderung des Vor- oder Familiennamens bewilligen (ZGB 30 I). Es muss nach Recht und Billigkeit entschieden werden, ob achtenswerte Gründe gegeben sind, d.h. der Richter hat alle objektiv relevanten Umstände des Einzelfalles zu würdigen. Dem Prinzip der Namenskontinuität zuwiderlaufend wird die Namensänderung im neuen Recht erleichtert, da nun mehr «achtenswerte» anstatt bis anhin «wichtige» Beweggründe vorliegen müssen. Die Materialien äussern sich nicht zu dieser Änderung, doch ist klar, dass der terminologische Übergang in Kenntnis der bisherigen Unterscheidung der beiden Begriffe erfolgt. Ziel der Reform ist mithin (neben der Gleichstellung der Geschlechter in Namensbelangen) die Individualisierung des Namensrechts: Nicht mehr «Verkehrsschutz» infolge kontinuierlicher Namensführung, sondern das Recht auf freie Gestaltung der «eigenen Firma» steht im Vordergrund. Dies als Konsequenz der rechtlichen Handhabe von Pseudonymen (Namensschutz) und Vervielfältigung der Namensführung im Rahmen von social media Typische achtenswerte Beweggründe dürften die bislang eher restriktiv gehandhabten «therapeutischen» Namensänderungen bilden (oder anders: zukünftig dürften auch rein subjektive Beweggründe, insofern sie eine gewisse Schwere erreichen, als «achtenswert» und mithin «ausreichend» gelten infolgedessen wäre bspw. BGE 5C.163/2002 («Ibrahimi») unter neuem Recht wohl anders zu entscheiden (HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Personenrecht, 3.Aufl. 2012, Rz 16.39a u. 16.41); maliziös sei angemerkt, dass solche «therapeutischen» Namensänderungen zumindest im Erfolgsfall, d.h. wenn sie längerfristig glücklich machen sollten, wohl zulasten des KVG abzurechnen wären ). Vgl. auch BGE 140 III 577 Keine (verfahrensmässige) Erleichterung (s. ZGB 30 III!) ergibt sich bei Namensänderungen in patchwork- Situationen: rechtliches Gehör des leiblichen Elternteils ist weiterhin zu wahren (s.a. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Personenrecht, 3.Aufl. 2012, Rz 16.39; vgl. BGE 124 III 49)! Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 39

Namensrecht (6) Namensänderung durch behördlichen Akt (Fortsetzung) ZGB 30 III: Wenn jemand durch eine Namensänderung verletzt wird, so kann er diese innert Jahresfrist (seit Kenntnisnahme) gerichtlich anfechten (BGE 129 III 369: Zulässigkeit der Berufung (E. 1); Tragweite des Schutzes eines seltenen Familiennamens (Präzisierung der Rechtsprechung); Berücksichtigung des Zeitablaufs zwischen der Bewilligung der Namensänderung und der Anhebung der Anfechtungsklage bei der Interessenabwägung (E. 3)) Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 40

Namensrecht (7) Schutz des bürgerlichen oder zivilen Namens (ZGB 29 f.) Geschützt werden der Familienname, der Vorname, aber auch das Pseudonym. Der Schutz des Pseudonyms setzt aber voraus, dass dieses eine gewisse Originalität und Bekanntheit hat, die Person also genügend individualisiert (vgl. BGE 92 II 305). Feststellungsklage (ZGB 29 I): Wenn jemand die Führung seines Namens bestreitet, so kann er auf Feststellung seines Rechts klagen. Unterlassungsklage (ZGB 29 II): Wenn jemand dadurch beeinträchtigt wird, dass ein anderer sich seinen Namen anmasst, so hat er die Möglichkeit einer Unterlassungsklage. In der Praxis werden meist Namensanmassungen im Geschäftsverkehr eingeklagt. Damit sich jemand gegen eine Namensanmassung wehren kann, muss er in seinen schützenswerten Interessen verletzt werden (vermögensrechtliche, aber auch ideelle Interessen). Ein ideelles Interesse kann bejaht werden, wenn jemand durch die Verwendung seines Namens in eine gar nicht vorhandene Beziehung zu Personen oder Sachen gebracht wird, die er ablehnt. Dazu ein Beispiel: Robert David Abraham führte an, dass er in seinen ideellen Interessen verletzt sei, als er einen Antiquitätenladen Abraham wegen Namensanmassung einklagte. Das BGer jedoch entschied, der Name Abraham sei Gemeingut, weshalb der Kläger kein Ausschliesslichkeitsrecht beanspruchen könne. Der weltweite Gebrauch dieses Namens lasse zwischen dem Laden und dem Kläger überhaupt keine Beziehung entstehen (BGE 102 II 305). Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 41

Rückblick: früheres Namensrecht (1) Familienname des Kindes Das Kind verheirateter Eltern erhielt den gemeinsamen Familiennamen (azgb 160 I, 30 II); den Namen der Mutter bekam das Kind unverheirateter Eltern (azgb 270 I, II). Falls die Eltern später heirateten, erwarb das Kind im nachhinein den gemeinsamen Familiennamen (ZGB 259 I). Die Ehescheidung der Eltern bewirkte keine Namensänderung des Kindes. Adoptionsrecht: Das Adoptivkind erhielt den Familiennamen der Adoptiveltern oder des Adoptivelternteils (ZGB 267 I). Familienname der Ehegatten Änderung des bürgerlichen oder zivilen Namens von Gesetzes wegen Prinzip der Unabänderlichkeit des Namens (Rechts- und Verkehrssicherheit) Heirat Grundsätzlich erhielt die Ehefrau durch die Eheschliessung von Gesetzes wegen den Namen des Ehemannes (azgb 160 I); dieser wurde zum Familiennamen. Die Braut konnte gegenüber dem Zivilstandsbeamten erklären, dass sie ihren bisherigen Namen dem Familiennamen voranstellen wolle (azgb 160 II); sie führte sodann einen Doppelnamen (ohne Bindestrich) Allianzname (s. Folie 37; Verwendung bleibt auch unter der neuen Rechtslage zulässig Scheidung Nach azgb 119 I konnte eine Person, welche durch Eheschluss ihren Namen geändert hatte, beantragen, dass sie wieder ihren Ledignamen oder denjenigen Namen, welchen sie vor der Heirat trug, führen wolle. Dies war innert eines Jahres seit dem Zeitpunkt des Scheidungsurteils vorzunehmen. Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 42

Rückblick: früheres Namensrecht (2) Familienname der Ehegatten (Fortsetzung) Änderung des bürgerlichen oder zivilen Namens durch behördlichen Akt Bei Vorliegen wichtiger Gründe (Anwendungsfall von ZGB 4) konnte die Regierung des Wohnsitzkantons die Änderung des Vor- oder Familiennamens bewilligen (azgb 30 I). Beachte: Untenstehende Beispiele dürften unter neuem geltendem Namensrecht nur noch bedingt einschlägig sein, da eine Namensänderung nicht mehr aus wichtigen, sondern nun mehr aus achtenswerten Beweggründen zu erfolgen hat (ZGB 30 I). Fremdländischer Name: Die Praxis ist eher zurückhaltend bei der Änderung fremdländischer Namen. Gestattet sind Modifikationen in der Schreibweise, nicht aber die Umänderung in einen gebräuchlichen einheimischen Namen (vgl. auch BGer 5A.25/2004: Zur Anpassung der Endung eines slawischen Familiennamens an das Geschlecht des Namensträgers ist keine formelle Namensänderung erforderlich, sondern es besteht ein Anspruch auf Berichtigung des Zivilstandsregisters). Kinder: Das Kind sollte tendenziell den Namen derjenigen Person erhalten, unter deren Obhut es steht (vgl. ZGB 271 III). Bei einem Gesuch um Namensänderung des Kindes muss konkret aufzeigt werden, inwiefern ihm durch die von Gesetzes wegen vorgesehene Führung des Namens [...] ([a]art. 270 Abs. 2 ZGB) ernsthafte soziale Nachteile erwachsen, welche als wichtige Gründe für eine Namensänderung in Betracht gezogen werden können (BGE 121 III 145 E. 2c; BGer 5C.163/2002 Ibrahimi ). Religionswechsel: Auch ein Religionswechsel verbunden mit dem Wunsch, den Vornamen dem neuen Glauben anzupassen (z. B. Klostername) - kann ein wichtiger Grund i.s.v. azgb 30 I sein. Wenn achtenswerte Gründe ( wichtige Gründe) vorlagen, konnte das Gesuch der Brautleute, nach der Trauung den Namen der Ehefrau als Familiennamen zu führen, bewilligt werden (azgb 30 II; im Zuge der Änderung des Namensrechts, die den Eheleuten die Führung ihres Ledignamens oder die Wahl eines gemeinsamen Familiennamens erlaubt, hat sich die Bestimmung erübrigt und ist aufgehoben worden). Personenrecht HS15, Prof. Dr. iur. Peter Breitschmid Seite 43