Eine falsche Preisdifferenzierung gefährdet Innovationen

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Transkript:

Ordnungspolitisches Statement der Forschungsstelle Pharmastandort Deutschland Nr. 10, 18. Juli 2017 Eine falsche Preisdifferenzierung gefährdet Innovationen Ökonomische Fehlanreize infolge einer nach dem Zusatznutzen differenzierten Erstattung für eine innovative Arzneimittelversorgung Die Ausgangssituation. Die Richter des Landessozialgerichts (LSG) Berlin- Brandenburg erklärten in einem aktuellen Urteil, dass die im Rahmen des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) von der Schiedsstelle bestimmten Preise für Arzneimittel nicht mit Hilfe eines Mischpreises gebildet werden dürfen. Darüber hinaus wird infrage gestellt, dass Verordnungen für Patienten- Subgruppen, für die kein Zusatznutzen nachgewiesen wurde, wirtschaftlich seien. Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) sehen sich in ihrem Zweifel bestätigt, Pharmaverbände befürchten hingegen den Ausschluss betroffener Medikamente aus der ärztlichen Verordnungspraxis, während Ärztevertreter die Gefahr einer massiven Verschärfung des Regressrisikos monieren. Tatsächlich kann sich die Umsetzung des Urteils zu einer Innovationsbremse auf dem deutschen Arzneimittelmarkt auswirken. Das Kernziel des seit Januar 2011 geltenden AMNOG lautet, [d]en Menschen müssen im Krankheitsfall die besten und wirksamsten Arzneimittel zur Verfügung stehen. Gleichzeitig strebt der Gesetzgeber eine wirtschaftliche Verordnung der Arzneimittel an, um die Ausgaben in der GKV stabil und kalkulierbar zu halten. Um die Balance zwischen Innovation und Bezahlbarkeit zu finden, verhandeln die Pharmaunternehmen auf der Grundlage einer frühen Nutzenbewertung mit dem GKV-Spitzenverband (GKV-SV) über einen Preis für das neue, patentgeschützte Medikament. Werden sich die Vertragsparteien nicht einig, entscheidet eine Schiedsstelle. Lässt sich im Rahmen der frühen Nutzenbewertung ein Zusatznutzen nicht belegen, soll das neue Arzneimittel im Regelfall nicht mehr kosten als die sogenannte zweckmäßige Vergleichstherapie. Vor diesem Hintergrund stellt das LSG Berlin-Brandenburg in Frage, dass die Kostenträger einen Mischpreis für ein Medikament erstatten, wenn damit für bestimmte Patientengruppen kein entsprechender Zusatznutzen nachgewiesen werden kann. Doch bei näherer Betrachtung entpuppt sich diese Argumentation als ein Missverständnis ökonomischer Zusammenhänge.

Verhandlungslösung als Marktpreisäquivalent. Ein Arzneimittel erhält unter gewissen Bedingungen im Rahmen der Bewertung des Zusatznutzens durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) nicht nur eine, sondern mehrere unterschiedliche Bewertungen. Dies kann zum einen der Fall sein, wenn ein Medikament für verschiedene Indikationen zugelassen ist. Zum anderen werden Arzneimittel oftmals in verschiedenen Patientengruppen begutachtet. So kann in der Krebstherapie zwischen vorbehandelten und nicht vorbehandelten Patienten unterschieden werden oder zwischen Patienten, die eine bestimmte genetische Vorprägung aufweisen oder nicht. Diese unterschiedlichen Konstellationen werden im AMNOG-Verfahren durch die Bildung von Mischpreisen berücksichtigt. Für jede einzelne Patientengruppe wird ein am spezifischen Zusatznutzen orientierter Betrag veranschlagt und mit der erwarteten Patientenzahl gewichtet, so dass am Ende ein über alle Patientengruppen einheitlicher Preis für das Medikament gilt. Dabei ist eine Mischpreisbildung keine Seltenheit, werden für die Bestimmung des Zusatznutzens eines neuen Medikaments doch regelmäßig Subpopulationen gebildet: Bis Ende des Jahres 2016 wurden 228 AMNOG-Verfahren abgeschlossen mit insgesamt fast 500 Patienten-Populationen. In dem Fall, dass Mischpreisen die Rechtsgrundlage entzogen werden würde, wären alleine in Deutschland 46 Medikamente und über 8 Millionen Patienten betroffen. 1 Ein einheitlicher Preis für ein Gut, welcher für alle Konsumenten unabhängig vom individuellen Nutzenniveau gleichermaßen gilt, ist im alltäglichen Wirtschaftsleben ebenso üblich wie in einfachen ökonomischen Partialmodellen etabliert. Der Preis für ein homogenes Gut, wie etwa ein Bund frische Möhren auf dem Wochenmarkt, wird nicht danach unterschieden, welchen unterschiedlich hohen Nutzen das Gemüse dem Käufer in der Restaurantküche, bei der heimischen Speisezubereitung oder als Futter für Kleintiere stiftet. Der Preis für das Bund Möhren differenziert allein nach dessen Gutseigenschaften wie der Frische der angebotenen Möhren oder der Größe des Bunds. Die ökonomische Vorstellung geht davon aus, dass eine nicht in den Produktmerkmalen begründete Preisdifferenzierung gar nicht durchgesetzt werden kann, weil der Marktmechanismus über Arbitrage die Preisunterschiede auf das Gleichgewichtsniveau einebnen würde (ähnlich der Kalkulation eines Mischpreises). Diese Analogie mag den vorliegenden Sachverhalt stark vereinfachen, hilft jedoch dabei, die grundlegende Idee einer Mischkalkulation zu verdeutlichen. Denn die Bildung eines Mischpreises im Rahmen des AMNOG-Verfahrens basiert ja gerade nicht auf Unterschieden, die in den Produktcharakteristika begründet liegen, sondern in den auf Grundlage einer frühen Bewertung bestimmten Zusatznutzen, die durch die Anwendung in verschiedenen Gruppen realisiert werden können. Der zu diesem frühen Zeitpunkt fehlende Nachweis eines Zusatznutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie bedeutet jedoch nicht, dass es keinen Zusatznutzen gäbe. Vielmehr kann es sein, dass zum Beispiel aufgrund der kurzen Fristen in der Studienerstellung für spezifische Anwendungen noch keine 1 https://www.vfa.de/de/presse/pressemitteilungen/pm-012-2017-bei-mischpreisen-ist-jetzt-dergesetzgeber-gefordert.html

hinreichenden Belege angeführt werden können, obwohl eine medizinische Indikation vorliegt. Hinzu kommt, dass Ärzte auf der Grundlage eines derart gebildeten Mischpreises immer wirtschaftlich verordnen auch in dem Fall, dass für einzelne Patienten kein Zusatznutzen belegt werden konnte und so in ihrer Therapiefreiheit unterstützt werden. Denn der Mischpreis ist eine Verhandlungslösung, welche die unterschiedlichen Nutzenniveaus eines Medikaments im Durchschnitt ausgleicht, indem über die mengengewichtete Vermischung der jeweils am Zusatznutzen ausgerichteten Einzelpreise ein einheitlicher wirtschaftlicher Preis über alle Patientengruppen hinweg gebildet wird. Damit ist unter dem Mischpreiskonzept das Präparat für die Patienten, für die entsprechend der Feststellung durch den G-BA gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie kein Zusatznutzen nachgewiesen werden konnte, zwar teurer, für die Patienten mit belegtem Zusatznutzen aber günstiger als der Mischpreis. Problematische Innovationsanreize einer nutzenorientierten Erstattung. Der Spitzenverband der GKV begrüßt jedoch die Entscheidung des Landessozialgerichts. Bereits im Frühjahr 2016 legte der GKV-SV sein Konzept zu einer nutzenorientierten Erstattung vor und konkretisierte damit seinen Wunsch nach einer vollkommen anderen Gestaltung der AMNOG-Preisbildung. Demnach sollen subgruppenspezifische Preise und damit die Möglichkeit, unterschiedliche Preise für ein einziges Arzneimittel zu setzen, eine Mischpreiskalkulation ablösen, je nachdem ob und in welcher Höhe ein G-BA-Zusatznutzen in einer Patienten-Subgruppe vorliegt oder nicht. Ausgehend von einem Basispreis für Subgruppen ohne Zusatznutzen, der sich am Preis der wirtschaftlichsten zweckmäßigen Vergleichstherapie orientiert, sollen für Subgruppen mit Zusatznutzen entsprechende Zusatznutzenaufschläge vereinbart werden, die erst im Nachhinein an den Hersteller vergütet werden sollen. Verkürzt interpretiert werden mit diesem Vorschlag die in den ursprünglichen Mischpreis eingegangenen, mit der erwarteten Verordnungshäufigkeit gewichteten Preise für jede Subpopulation auseinandergezogen und damit patientengruppenindividuell abgerechnet. Bei theoretischer Betrachtung wären dann für Patientengruppen mit hohem Zusatznutzen auch höhere Einzelpreise im Vergleich zum ursprünglichen Mischpreis zu erwarten, sodass mit einer für Industrie und GKV aufkommensneutralen Umstellung zu rechnen wäre. Doch unter der im AMNOG gesteckten Zielsetzung einer qualitativ hochwertigen und fortschrittlichen Arzneimittelversorgung zeigt das Konzept der GKV zur nutzenorientierten Erstattung Schwächen. Innovative Produkte werden von Unternehmen nur dann auf dem Markt angeboten, wenn der Preis nicht nur die Produktions- und Distributionskosten, sondern auch die Kosten für Forschung und Entwicklung (FuE) deckt. Die zweckmäßige Vergleichstherapie ist aber in rund drei Vierteln der gebildeten Subgruppen ein

Generikum oder hat generische Anteile 2. Folglich decken die zum Basispreis erstatteten Subgruppen nicht oder kaum die Kosten der vorangegangenen Forschungsleistungen, da bei der Preissetzung für generische Präparate diese nicht zu berücksichtigen sind. Zwar ist das Problem der oftmals generischen Vergleichstherapien bereits im Mischpreiskonzept vorhanden. Doch im GKV-Konzept der nutzenorientierten Erstattung wird dieses etwa aufgrund des hier angelegten Bottom-Up-Verfahrens in den Verhandlungen ausgehend vom generischen Vergleichspreis als Basis wird über Zusatznutzenaufschläge verhandelt zusätzlich verstärkt und so das wirtschaftliche Risiko des Pharmaunternehmens auf dem Inlandsmarkt erhöht. Denn für die Unternehmen steigt die Gefahr, dass diese keinen Preis erzielen können, der die zuvor erbrachten Forschungsleistungen hinreichend entlohnt. Die Entwicklung neuer Medikamente ist unter dem GKV-Konzept mit einem noch höheren Risiko für die Unternehmen als bisher verbunden. Zudem müssen international agierende Pharmaunternehmen im Fall einer an dem Zusatznutzen von Subgruppen orientierten Erstattung damit rechnen, dass bei der Preisverhandlung auf Auslandsmärkten auf die generischen Basispreise referenziert wird, da diese praktisch nicht vertraulich behandelt werden können. Bietet ein Unternehmen folglich ein innovatives Produkt auf dem deutschen Markt an, welches für eine Patientengruppe keinen belegten Zusatznutzen aufweist und diesen Patienten damit ohne entsprechenden Aufschlag zum generischen Basispreis verordnet wird, wird er sein Produkt auf dem internationalen Markt unabhängig von der Subgruppe nur schwer zu einem höheren Preis als den Basispreis anbieten können und damit den Erfolg seiner Innovation gefährden. Denn auch im grenzüberschreitenden Handel drohen Arbitragegeschäfte. Auf dem inländischen Markt kann ein nutzenorientiertes Erstattungssystem zudem Fehlanreize in der Verordnungspraxis provozieren. Das verordnete Medikament ist ex definitionem für alle Patientensubgruppen unabhängig von seiner Zuordnung zu einer Nutzenkategorie identisch, während sich der Preis des Präparats aber je nach Patientengruppe unterscheidet. Aus dieser Konstellation kann der Anreiz erwachsen, bei der patientenindividuellen Indikationsstellung darauf zu achten, dass keine zusätzlichen Arzneimittelkosten auf Seiten der Krankenkassen anfallen. Dies wäre mit entsprechenden Umsatzeinbußen auf Seiten der pharmazeutischen Hersteller verbunden, die das Risiko nicht entsprechend einpreisen können. Fazit. Bei einer Abkehr von der Mischpreislogik steht im Ergebnis zu befürchten, dass die vom GKV-SV präferierte Lösung einer differenzierten Erstattung als negativer Innovationsanreiz auf dem deutschen Arzneimittelmarkt wirken kann. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Arzneimittelversorgung in der GKV in dem Sinne, dass innovative Medikamente im besten Fall verzögert, im schlimmsten Fall gar nicht mehr verfügbar wären bereits unter der jetzigen Gestaltung der AMNOG- Preisbildung gibt es hierfür erste Hinweise. Darüber hinaus schwächt eine derartige 2 Cassel, Dieter/ Ulrich, Volker, 2016, Nutzenorientierte Erstattung für stratifizierte AMNOG- Präparate? Das neue NoE-Konzept des GKV-Spitzenverbandes auf dem gesundheitsökonomischen Prüfstand, Wirtschaftswissenschaftliche Diskussionspapiere Nr. 01-16, Universität Bayreuth

Entwicklung den Wirtschaftsstandort Deutschland, denn die Pharmaindustrie ist vor allem eine forschungsintensive Branche mit hoher Wertschöpfung. Es bleibt unklar, warum die Mischpreisbildung gegen ein neues Konzept ersetzt werden sollte, wenn die etablierte Lösung in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit für die Krankenkassen das Gleiche und in Bezug auf die Verfügbarkeit von innovativen Arzneimitteln für die Patienten in Deutschland mehr zu leisten vermag die Nutzenorientierung ist im Mischpreis gleichermaßen sichergestellt. Kontaktdaten: Dr. Jasmina Kirchhoff Dr. Jochen Pimpertz Telefon: +49 221 4981-813 Telefon: +49 221 4981-760 E-Mail: kirchhoff@iwkoeln.de E-Mail: pimpertz@iwkoeln.de Institut der deutschen Wirtschaft Köln Forschungsstelle Pharmastandort Deutschland Postfach 10 19 42 50459 Köln