Der völkerrechtliche Status Taiwans und seine Rolle als begrenztes Völkerrechtssubjekt. Prof. Dr. Dres. h.c. Jochen Abr. Frowein

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Transkript:

Der völkerrechtliche Status Taiwans und seine Rolle als begrenztes Völkerrechtssubjekt Prof. Dr. Dres. h.c. Jochen Abr. Frowein 1. Einleitung Als ich vor 40 Jahren mein Buch Das de facto-regime im Völkerrecht veröffentlichte, mit dem ich mich an der juristischen Fakultät der Universität Bonn habilitiert habe, ging es mir wesentlich darum, durch eine wissenschaftliche Analyse die vorherrschende Sicht in der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf die DDR zu verändern. Ich wollte zeigen, dass auch ein nichtanerkanntes Regime eine Rechtsstellung im Völkerrecht hat und sowohl Rechte als auch Pflichten hat. Insbesondere ging es mir darum, anhand der Praxis der Vereinten Nationen und vieler Beispiele zu zeigen, dass das Gewaltverbot aus Art. 2 Ziff. 4 der UN-Satzung und die Zuständigkeit des Sicherheitsrates nach Kapitel VII auch für das Verhältnis geteilter Staaten untereinander oder im Verhältnis eines Staates zu einem faktisch unabhängigen Gebietsteil gilt, das aufgrund historischer oder anderer Entwicklungen sich von dem Mutterstaat effektiv abgelöst hat. Weiterhin ging es mir um den Nachweis, dass Beziehungen mit diesem de facto-regime auch auf der formellen Ebene des Völkerrechts aufgenommen werden können, ohne dass darin eine volle Anerkennung als Staat gesehen werden muss.

Die Fragen, die ich damals behandelt habe, sind auch heute noch von hoher Aktualität. Das gilt nicht nur für Taiwan, sondern, wie wir gerade erleben, für die Rechtslage des Kosovo, aber auch für viele andere Situationen. Ich will zunächst noch einmal etwas über das Problem des Gewaltverbotes und die Zuständigkeit der Vereinten Nationen sagen, und sodann das Problem der Rechtsstellung allgemeiner erörtern und zum Schluss auf das Selbstbestimmungsrecht eingehen. 2. Die Anwendung des Gewaltverbotes auf Taiwan und die Zuständigkeit der Vereinten Nationen Der, wie man ohne Übertreibung sagen kann, beste Kommentar zur Satzung der Vereinten Nationen, der von Bruno Simma herausgegeben worden ist und in dritter Auflage 2002 erschienen ist, behandelt im Zusammenhang mit Art. 2 Ziff. 4 der Satzung der Vereinten Nationen das Problem der Reichweite des Gewaltverbotes. Der Kollege Randelzhofer schreibt kurz und klar: It is almost generally accepted that the de facto regimes exercising their authority in a stabilized manner are also bound and protected by Art. 2 (4), (S. 121). Er zitiert in diesem Zusammenhang verschiedene Quellen, darunter meine Arbeit und eine Reihe späterer Veröffentlichungen von anderen Völkerrechtlern. Es ist nicht klar, ob diese Haltung von der Regierung in Peking geteilt wird. Das Anti- Sezessions-Gesetz von 2005 kann man durchaus als eine gegen die UN-Satzung 2

verstoßende Drohung mit Gewalt verstehen. Leider ist es bekanntlich so, dass das Völkerrecht seine Einhaltung nicht automatisch garantieren kann. Bei genauer Analyse wissen wir aber auch, dass das selbst für die innerstaatliche Rechtsordnung gilt. Rechtsbrüche gibt es leider immer wieder. Dennoch ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass ein Angriff der Volksrepublik China auf Taiwan ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht wäre. Vor allem ist es ganz falsch, wenn das Anti-Sezessionsgesetz die Taiwan-Frage und die Wiedervereinigung allein als innere Angelegenheit Chinas bezeichnet (Art. 3). Wo Völkerrecht anwendbar ist, enden die inneren Angelegenheiten. Da das de facto-regime Taiwan durch Völkerrecht geschützt wird, kann China die Problematik der Wiedervereinigung nicht allein als innere Angelegenheit bezeichnen. Schon 1959 hatte der britische Außenminister im House of Commons darauf hingewiesen, dass die These der Konflikt zwischen der kommunistischen Regierung Chinas und der Nationalregierung Taiwans sei ein Bürgerkrieg, in den man nicht eingreifen dürfe, ein sehr gefährliches Argument sei, insbesondere wenn man sich klar mache, dass eine Partei in diesem Bürgerkrieg mit der Sowjetunion verbunden sei und die andere mit den Vereinigten Staaten. Hier ist das politische Argument richtig betont. Aber mir geht es darum, die völkerrechtliche Geltung des Gewaltverbotes besonders zu betonen. In dem eben erwähnten Kommentar habe ich bei der Behandlung von Art. 39 der Satzung der Vereinten Nationen betont, dass der Begriff Friedensbruch, der für die Zuständigkeit des Sicherheitsrates nach Kapitel VII entscheidend ist, auch den Konflikt mit einem unabhängigen de facto-regime einschließt: A breach of the peace also exists if force of arms is applied by or against an effective independent de facto regime which is 3

not recognized as a state, since such a regime equally enjoys the protection of the prohibition on the use of force. Diese Auffassung wurde eindeutig in der Behandlung des Korea-Konfliktes durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bestätigt und ist seitdem im Grunde nicht bestritten. Auch in den Diskussionen der International Law Commission über die Aggression ist diese Auffassung seit 1951 immer wieder eindeutig bestätigt worden. 3. Die Rolle Taiwans als begrenztes Völkerrechtssubjekt Ein befriedetes de facto-regime von der Art Taiwans, das zwar von den meisten Staaten der Welt nicht als eigener unabhängiger Staat anerkannt ist, aber faktisch unabhängig ist, wird in der internationalen Praxis weitgehend wie ein Staat behandelt. Zwar werden Staaten normalerweise keine förmlichen Verträge abschließen, aber es gibt viele Zwischenformen. Eine interessante Lösung haben die USA im Taiwan-Gesetz von 1979 getroffen. Danach bleiben alle vorher mit der chinesischen Regierung in Taiwan geschlossenen Verträge weiter anwendbar. Hier ist durch einseitige amerikanische Gesetzgebung zwar nicht das Völkerrecht verändert worden, aber eine Lage geschaffen worden, die die Beziehungen zu Taiwan so regelt, als seien die bilateralen und multilateralen völkerrechtlichen Verträge weiterhin in Kraft. 4

Soweit internationale Organisationen die Möglichkeit vorsehen, dass auch nicht voll unabhängige Staaten Mitglieder werden, kann ein derartiges de facto-regime ein unabhängiges Mitglied dieser Organisation werden. Das ist natürlich besonders wichtig für internationale Handelsorganisationen. Taiwan konnte unproblematisch Mitglied der WTO werden. Gemäß Art. XII des WTO-Vertrages kann jeder Staat oder jedes unabhängige Zollgebiet, das volle Autonomie in der Gestaltung seines Außenhandels und der anderen entsprechenden Angelegenheiten des WTO-Vertrages besitzt, Mitglied werden. Zum 1.1.2002 ist daher Chinese Taipei als Separate Custom Territory of Taiwan und den anderen Inseln Mitglied der WTO geworden. Dass ein de facto-regime einen völkerrechtlichen Status im Deliktsrecht hat, wurde auch in Beziehung auf Taiwan schon früh anerkannt. Großbritannien hat von der nationalchinesischen Regierung auf Taiwan, die damals von Großbritannien nicht mehr als Regierung eines Staates anerkannt wurde, Ersatz für die Beschädigung britischer Schiffe durch nationalchinesische Streitkräfte verlangt und in zwei Fällen auch erhalten. Das war bereits in den 50er Jahren. Es ist kein Zweifel, dass ein de facto-regime sowohl aktiv als auch passiv deliktsfähig ist. Hinsichtlich der formellen Beziehungen zu de facto-regimen machen Staaten naturgemäß Unterschiede gegenüber der vollen diplomatischen Vertretung. Deswegen ist unser Gastgeber, Prof. You, lediglich als Repräsentant von Taiwan in Deutschland anerkannt. 5

Viele von uns erinnern sich daran, wie die Rolle des Ständigen Vertreters der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR war, und wie umgekehrt die Rolle des Vertreters der DDR in Bonn gesehen wurde. Staaten haben durchaus einen erheblichen Spielraum, unterhalb der formellen Anerkennung als Staat Beziehungen zu organisieren und tun das auch. Insbesondere wo Interessen hinsichtlich des Schutzes eigener Staatsangehöriger bestehen, finden sich hier Wege. 4. Das Recht auf Selbstbestimmung Als sich hier in Berlin die Mauer am 9. November 1989 öffnete, (meine Frau und ich hatten das Glück vom 10. bis zum 13.11. in Berlin zu sein), war schnell klar, dass es zur deutschen Wiedervereinigung kommen würde. Rechtlich musste dabei dem Selbstbestimmungsrecht Rechnung getragen werden. Im Frühjahr 1990 hielt die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer ihre einzige Sondertagung in ihrer Geschichte in Berlin zu dem Thema Deutschlands aktuelle Verfassungslage ab. Ich habe mich dort intensiv mit dem Problem der Selbstbestimmung beschäftigt und dargelegt, dass die erste Selbstbestimmungsentscheidung von dem Volk der DDR gefällt werden musste. Freilich war die DDR damals international als Staat im Sinne des Völkerrechts anerkannt und Mitglied der Vereinten Nationen. Ohne eine freie 6

Selbstbestimmungsentscheidung des Volkes der DDR wäre eine Vereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland danach auch völkerrechtlich nicht zulässig. Ich betonte auch, dass es, nachdem diese Entscheidung getroffen worden war, völkerrechtlich allein dem Willen der beiden deutschen Staaten oblag, wie die Vereinigung vorbereitet und vollzogen würde. Man muss sagen, dass diese Problematik damals nicht immer deutlich gesehen wurde. Teilweise gab es zumindest auch die Auffassung, dass eine Selbstbestimmungsentscheidung des ganzen deutschen Volkes zu einer Majorisierung der Bevölkerung der DDR führen konnte. Ich habe das immer für völkerrechtlich unzulässig gehalten. Ganz entsprechend stellt sich die Frage, wie das Selbstbestimmungsrecht in Bezug auf Taiwan zu verstehen ist. Taiwan ist nicht als Staat anerkannt, und es ist nicht Mitglied der Vereinten Nationen. Taiwan ist aber seit inzwischen fast 60 Jahren faktisch unabhängig und hat eine gegenüber dem kommunistischen China völlig andere und freiheitliche Verfassungsordnung. Sowohl die Volksrepublik China als auch Taiwan halten bisher grundsätzlich an der Existenz eines einheitlichen chinesischen Staates fest. Soweit diese Entscheidung aufrecht erhalten wird, stellt sich das Problem der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts mit der Konsequenz einer Sezession nicht. 7

Wenn allerdings die Tendenzen, die es zeitweise deutlich gegeben hat, eine Sezession von Taiwan auch formell zu bestätigen, die Überhand gewinnen, stellen sich rechtlich neue Fragen. Ich habe persönlich keinen Zweifel daran, dass hier das Selbstbestimmungsrecht wie im Falle der DDR zunächst von der Bevölkerung Taiwans auszuüben wäre. Eine Entscheidung Taiwans, nicht wieder in den chinesischen Staatsverband effektiv eingegliedert zu werden, müsste international respektiert werden. Dass damit schwierige politische Probleme verbunden sind, ist offensichtlich. China ist ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und ist eine militärisch immer wichtiger werdende Macht. Wenn eine freie Entscheidung der Bevölkerung von Taiwan zu einer Sezession von China führen würde, so könnte dem meines Erachtens rechtlich nicht entgegengetreten werden. Lassen Sie mich den Satz in diesem Zusammenhang zitieren, mit dem ich meine Arbeit zum de facto-regime abgeschlossen habe: Die Berücksichtigung der Zustimmung des Volkes zu einem Regime und die Achtung der Menschenrechte als Voraussetzung der Anerkennung können dazu führen, dass die Anerkennung durch die Mehrzahl der Staaten selbst zu einem Element für die Legitimität eines Staates oder einer Regierung wird. Dieses wäre der Fall, wenn ein freiheitliches Taiwan sich mit klarer Mehrheit für die Selbständigkeit als Staat entscheiden würde. Ich möchte nicht dahin missverstanden werden, als ob ich eine derartige Lösung befürworten wollte. Gewiss spricht alles dafür, 8

dass eine Entwicklung zu einer friedlichen Wiedervereinigung mit starker Autonomie von Taiwan angestrebt werden sollte. Hierfür ist das Beispiel Hongkong nicht unwichtig. Es ging mir allein darum nachzuweisen, dass rechtlich eine Selbstbestimmungsentscheidung der Bevölkerung von Taiwan für jede Lösung notwendig ist. Das gilt ebenso wie eine Selbstbestimmungsentscheidung der Bevölkerung der DDR, die für die deutsche Wiedervereinigung notwendig war. 9