Sperrfrist: 09.01.2013 ERINNERN, VERSTEHEN UND HANDELN Rede von Günter Saathoff, Vorstand der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) zur Eröffnung der internationalen Wanderausstellung Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg am 9. Januar 2013 im Warschauer Königsschloss - Es gilt das gesprochene Wort - Sehr geehrter Herr Borusewicz, sehr geehrte Frau Staatsministerin Pieper, sehr geehrter Herr Professor Rottermund, sehr geehrter Herr Professor Knigge, sehr geehrter Herr Pawlos, sehr geehrter Herr Bartnikowski, sehr geehrte Damen und Herren, im Namen der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft kurz: EVZ - begrüße ich Sie herzlich zur Eröffnung der Ausstellung Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg an diesem besonderen historischen Ort, dem Warschauer Königsschloss. Es ist ein prominenter Ort für ein Thema, das in Deutschland und in vielen Fällen auch in den von Nazi-Deutschland besetzten Ländern so lange keine gebührende Aufmerksamkeit erhielt. Erst heute, fast sieben Jahrzehnte nach Kriegsende, haben Sie die Möglichkeit, eine umfassende Ausstellung zur Zwangsarbeit im nationalsozialistischen Deutschland und in den damals besetzten Gebieten zu besuchen. Ich danke unseren Partnern, dass wir heute damit in Polen zu Gast sein können. Und ich danke dem Bundespräsidenten Joachim Gauck und dem Staatspräsidenten der Republik Polen, Bronisław Komorowski, für die gemeinsame Schirmherrschaft. Das ist eine Ehre für uns. Seite 1 von 5
Die Stiftung EVZ ist Initiator und Förderer der Ausstellung und auch Finanzier der Ausstellungsstation in Warschau. Sie will damit ihrer Aufgabe gerecht werden, die Erinnerung an das Unrecht des NS-Regimes den nachfolgenden Generationen vor Augen zu führen. Verantwortlich konzipiert und erstellt hat diese Ausstellung in jahrelanger Arbeit ein internationales Wissenschaftlerteam unter Leitung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Deren Repräsentanten, Herrn Prof. Dr. Knigge, Herrn Wagner und Herrn Lüttgenau und ihrem Team, möchte ich dafür meine Anerkennung aussprechen. Sie haben damit eine Interpretation des Gesamtsystems der NS-Zwangsarbeit als Wesensausdruck eines rassistischen Herrschaftssystems geliefert. Sie haben vor Augen geführt, wie sich unter bestimmten Rahmenbedingungen ein vorheriges Kulturvolk in ein organisiertes Unrechtssystem verwandeln konnte. Und Sie haben mit dieser Ausstellung zugleich den Opfern dieses Unrechts, den ehemaligen Zwangsarbeitern, ein beeindruckendes und bewegendes ideelles Denkmal gesetzt. Uns, der Stiftung EVZ, ist das visualisierte Medium einer Ausstellung ein besonderes Anliegen. Denn wir erhoffen uns, dass wir auf diese Weise mehr Menschen ansprechen können als dies allein durch Bücher möglich ist. Wir möchten die Besucher erinnern an Zeiten, die die meisten von ihnen nicht persönlich erlebt haben, die aber immer noch indirekt unser heutiges Zusammenleben in Europa beeinflussen. In zwei Dimensionen der Ausstellung, dem Erinnern und dem Verstehen, sprechen wir Deutsche uns zunächst selbst an. Die Ausstellung ist damit Ausdruck des Willens, dass sich Deutschland seiner Vergangenheit stellt. Das Unrecht ging von Nazi-Deutschland aus. Aber es handelt sich nicht allein um ein deutsches Thema: Zwangsarbeit betraf Millionen von Menschen aus ganz Europa. Die meisten deportierten Zwangsarbeiter und KZ- Häftlinge kamen aus der Sowjetunion und Polen. Polen und all die anderen Herkunftsländer der Opfer haben eigene Perspektiven auf dieses Unrecht, eine eigene Erinnerungskultur. Die Ausstellung bietet in den nächsten Monaten zugleich die Möglichkeit eines transnationalen Dialoges über die Frage, wie dieses Herrschaftssystem des NS-Regimes funktionierte, wie wir dieses Unrecht in den jeweiligen Ländern aufgearbeitet haben und welche Beachtung dieses Unrechtsgeschichte auch zukünftig in einem geeinten Europa als Teil einer pluralistischen Erinnerungskultur finden soll. Diese Menschen als NS-Opfer zu würdigen war auch ein zentrales Ziel der ersten Aufgabe, der sich die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft ab dem Jahr 2000 verpflichtet sah: den symbolischen Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeite- Seite 2 von 5
rinnen und Zwangsarbeiter. Hier war nicht nur Erinnerung gefragt, sondern zugleich eine für die Opfer wie für Deutschland gleichermaßen wichtige Dimension politischen Handelns, die vom deutschen Staat und der deutschen Wirtschaft mit einer materiellen Geste beantwortet wurde. Diese Frage steht bewusst nicht im Mittelpunkt dieser Ausstellung. Aber sie kann u.a. bei den Begleitveranstaltungen vertieft werden. Das Programm zur Anerkennung und symbolischen Entschädigung haben wir in Polen gemeinsam mit unserer Partnerorganisation Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung vorbereitet und durchgeführt und im Jahre 2006 abgeschlossen. 483.000 Überlebende konnten damit in Polen erreicht werden. Ich danke im Nachhinein heute allen Beteiligten nochmals für diese beispiellose Kooperation zugunsten der Überlebenden. Sie hat uns als praktizierte Völkerverständigung zugleich im polnisch-deutschen Verhältnis weitergebracht. Die Ausstellung widmet sich den Fakten, der Gesamtdarstellung des Zwangsarbeitssystems im Rahmen der NS-Herrschaft. Sie thematisiert zugleich das kollektive wie individuelle Verfolgungsschicksal polnischer Zwangsarbeiter. In den dokumentierten Interviews lernen wir auch, wie die Menschen diese Geschichte in ihrem weiteren Leben verarbeitet haben, wie sie ihr Leben danach meisterten. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich die Opfer der Zwangsarbeit und die Vertreter ihrer Organisationen begrüßen, die zu dieser Ausstellung gekommen sind. Verantwortung und Handeln sind weiterhin gefragt, erstens, weil wir aus der Geschichte etwas für unser heutiges Zusammenleben in Europa lernen wollen. Handeln ist aber auch noch nötig, wenn wir uns die Lebensumstände vieler NS-Opfer im Alter anschauen. Die Stiftung EVZ sieht sich weiterhin in der Pflicht, einen Beitrag zur Verbesserung dieser Lebensumstände auch für die Überlebenden in Polen zu leisten. Aber wir können das nicht allein. Politik und Gesellschaft in unseren Ländern sind aufgerufen, hier ebenso Verantwortung zu übernehmen. Ich hoffe, dass die heutige Ausstellung und die Begleitveranstaltungen viele Besucher und Teilnehmer finden. Alle sind dabei eingeladen zu einem Dialog über das Erinnern, das Verstehen und den Bedarf für heutiges Handeln. Seite 3 von 5
Stichworte und Informationen, die ggf. im Grußwort des Bundespräsidenten aufgegriffen werden können: Zum Ausstellungsort: o Der Ort der Ausstellung, das Königsschloss wurde im September 39 direkt nach Kriegsbeginn durch deutsche Bomben zerstört. Seit den 70er Jahren Wiederaufbau. Heute nahezu abgeschlossen Zur Zwangsarbeit von Polen o Polen war vom Krieg wie von der Zwangsarbeit mit am stärksten betroffen. Die nach Deutschland deportierten polnischen Zwangsarbeiter waren als Slawen (in der Rassehierarchie des NS-Regimes gleich nach den Ostarbeitern ) schlimmsten Bedingungen ausgesetzt. Die Mehrzahl der Zwangsarbeiter war nicht-jüdisch. Die Zwangsarbeit von Juden, Sinti und Roma und KZ- Häftlingen hatten noch ganz andere Dimensionen als die Zwangsarbeit in der deutschen Industrie oder Landwirtschaft bis hin zur Vernichtung, auch durch Arbeit. o Mehr als 1,6 Mio. polnische Zivilisten und weitere 300.000 polnische Kriegsgefangene mussten Zwangsarbeit leisten Zur juristischen und historischen Aufarbeitung der NS-Zwangsarbeit o Im Vergleich mit dem Holocaust, dem Vernichtungskrieg und der Vertreibung (der Deutschen) stand die Geschichte der Zwangsarbeit lange Zeit im Hintergrund. Es dauerte bis in die 70er Jahre, bis bestimmte polnische NS- Opfer über eine Entschädigung erhielten. Es dauerte weitere 20 Jahre bis zum Jahr 1991 (deutsch-polnisches Abkommen) und gar 30 Jahre bis zur Anerkennung der Opfer der Zwangsarbeit und dem Beginn von Zahlungen im Rahmen des EVZStiftG. o Die NS-Zwangsarbeit war ein Verbrechen. Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess: Zwangsarbeit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegeißelt, die Entschädigung und damit Anerkennung des Unrechts wird aber in den Folgejahren verhindert (Londoner Schuldenabkommen u.a.) Erst zur Jahrtausendwende Entschädigungen / EVZ StiftgG Seite 4 von 5
o Ausstellung erste übergreifende Darstellung der Zwangsarbeit, initiiert durch die Stiftung EVZ als eine erweiterte Form der Anerkennung des Leids der Opfer o Möglichkeit der gemeinsamen Geschichtsbetrachtung insbes. seit 1998, keine Erinnerungsdoktrinen mehr, Abbau von Feindbildern Zur historischen Aufarbeitung der NS-Zeit in Polen o In Polen besonderes Engagement für die Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus und die Impulse zu einer gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur: 2004 Gründung des Museums des Warschauer Aufstandes Entstehung des Museums der polnischen Juden in Warschau, vorauss. Eröffnung 2013 Grundsteinlegung für das Museum des II. Weltkrieges in Danzig in 2012 Politische Bewertung: Es sagt viel über die Kultur einer Gesellschaft und eines Staates aus, wie man heute mit der Erinnerung und mit den Überlebenden von Unrecht umgeht. Dabei hilft es uns, aus der Geschichte zu lernen, wie Unrechtsregime entstanden, wie Bevölkerungen von Ideologien mitgerissen wurden und wie sich Systeme zur Unmenschlichkeit radikalisierten. Historische Bildung und das ist gerade nicht bloßes Faktenwissen kann damit durchaus auch für heutige Gefährdungen sensibilisieren. Aus der Beurteilung der Vergangenheit entwickeln wir zugleich wichtige Maßstäbe für unser heutiges Wertesystem: Wir bewerten, was als Recht und Unrecht zu gelten hat und ziehen Konsequenzen in unserem heutigen Handeln. Seite 5 von 5