Veranstaltungsreihe des BUND Schwerin: Unsere Umwelt ein Handelshemmnis? Schwerin, 19. März 2015 Globalisierung 3.0: Die geplanten Freihandelsabkommen und die Zukunft der Weltwirtschaft PD Dr. Ralf Ptak, Volkswirt des KDA der Nordkirche und Privatdozent für ökonomische Bildung an der Universität Köln Mailadressen: Ralf.Ptak@kda.nordkirche.de Ralf.Ptak@uni-koeln.de
Überblick I. Einführung TTIP und Freihandelsabkommen II. Globalisierung historischer Prozess und kleiner theoretischer Überblick IV. Globalisierung seit 1945 paradigmatische Brüche V. Ausgewählte empirische Befunde VI. TTIP Befürworter und Kritik VII. Aktuelles und Fazit
Worum es bei TTIP geht. Handels- und Investitionsabkommen zwischen EU und USA Ziel: Schaffung einer Freihandelszone für Waren, Dienstleitungen und Kapitalverkehr zwischen USA und EU Handelshemmnisse abbauen freien Marktzutritt schaffen Tarifäre Barrieren (Zölle, Quoten) allerdings schon heute: niedriges Niveau (3,5% USA, 5,2% Europa) Nicht-Tarifäre Handelshemmnisse (u.a.: Qualitätsund technische Standards, unternehmensrechtliche Normen, Verpackungsbestimmungen, Kennzeichnungsregeln, Herkunftsangaben) Behauptung: Win-Win-Situation - mehr Wohlstand für alle
Worum wir uns mit TTIP beschäftigen müssen. Weil es um Grundlagen und Struktur der Globalisierung geht 110 Länder verhandeln z.z. 22 regionale Abkommen, z.b. das fast abgeschlossene Abkommen zwischen der EU und Kanada aktuell in der Diskussion: CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) Kanada/EU und TiSA (Trade in Services Agreement); das gilt um so mehr, weil die maßgeblichen Befürworter den präjudizierenden Charakter für die gesamte Weltwirtschaftsordnung hervorheben; weil Grundfragen der Verfassung, der Demokratie und weitere wesentliche soziale, politische, ökonomische und ökologische Grundlagen der Gesellschaft berührt sind.
Globalisierung ein historischer Prozess Der frühe Handel: Die Seidenstraße Handelskapitalismus der italienischen Stadtstaaten und der Hanse Die Dynamisierung des Welthandels durch die doppelte Revolution Imperiale Kriege : Die vorläufigen Grenzen der Globalisierung
Globalisierung historischer Prozess, exemplarische Daten BIP-Wachstum real zu Handelswachstum Europa/Rest der Welt 1500-1820: von 0,4% auf 1,0% 1800-1913: von 2,2% auf 25% Anteil des Welthandels an Weltproduktion 1800/1913: von 3% auf 33% (Kenwood/Lougheed 1999) Globalisierung als gewalttätige Aneignung 1450-1870: 10,2 Mio. (überlebende) Sklaven aus Afrika (Klein 1999, 210f.) Pro-Kopf-Einkommen Peripherie Zentrum (Maddison 2001) 1820-3 : 1 1913-9 : 1
Globalisierung ein kleiner Überblick zur Theorie Das vorindustrielle Modell: Der Merkantilismus Industrialisierung und Kapitalismus: Klassische Theorie Adam Smith und David Ricardo Kritik durch Karl Marx und Friedrich List Entwicklungstheorie der post-kolonialen Zeit: Nachholende Industrialisierung und Importsubstitution
Globalisierung seit 1945 paradigmatische Brüche Das System von Bretton Woods 1944: Regulierte Globalisierung: Stabile Wechselkurse, eine gleichgewichtige Außenhandelspolitik und starke Regulierungen im internationalen Kapitalverkehr Bis in die 1970er Jahre: Debatte um eine gerechte Weltwirtschaftsordnung Ende der 1970er Jahre: Die Neuordnung der Globalisierung als neoliberales Paradigma Deregulierte Globalisierung (festgehalten im Washington Consensus von 1990): Deregulierung, Liberalisierung, Privatisierung the only way: Weltmarktintegration Hebel: SAP und Schuldenkrise
Ausgewählte empirische Befunde
Ausgewählte empirische Befunde
Ausgewählte empirische Befunde
Ausgewählte empirische Befunde
Kernpunkte der Befürworter Basieren auf Annahmen der neoliberal / neoklassischen Wirtschaftstheorie Allgemeine Wohlfahrtssteigerung Sinkende Preise Höheres Wirtschaftswachstum CEPR-Studie geht von 0,5% für EU und 0,4% für USA (absolut 119/95/Reste der Welt: 100 Mrd. ) Neue Arbeitsplätze Max. Annahme: In 15 Jahren 181.092 Arbeitsplätze- /12.935 p.a. in Deutschland (netto: knapp 70.000)
TTIP Grundlegende Kritikpunkte Entbettetes Verständnis von Ökonomie Blick aus der Welt der großen Konzerne (TNC s) Ungleiche regionale und branchenbezogene Entwicklung werden weitgehend ignoriert Fortsetzung des globalen neoliberalen Entwicklungsmodells Trotz einiger Korrekturen keine echte Öffentlichkeit: Extreme Geheimhaltung Fehlende demokratische Legitimation und Kontrolle Investitions- bzw. Investorenschutz ( folgt als weitere Punkt)
TTIP Investorenschutz Bestandteil aller Freihandelsabkommen Soll eigentlich Unternehmen vor Enteignung in politisch unsicheren Ländern schützen Neuer Begriff der indirekten Enteignung Investor kann Staat auf Schadensersatz wegen entgangener Gewinne durch politische Intervention verlangen Vor geheimen, nicht-demokratisch legitimierten Schiedsgerichten der Weltbank Klagen seit den 1990er Jahren juristisch ausgeweitet Bei Lichte besehen führt der Schutz der ausländischen Megainvestoren vor indirekter Enteignung zu einer Enteignung der nationalen Demokratie. (R. Hickel, 2014)
600 500 400 300 200 100 0 TTIP Investorenschutz Bekannte Investor-Staat Streitschlichtungsfälle (kummuliert) 72 459 199 10 5 28 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Außerhalb ICSID (mit Unterstützung durch ICSID) Eingereichte Klagen (ICSID)
TTIP aktueller Stand Im Februar 2015 fand die die 8. Verhandlungsrunde statt geplant ist der Abschluss der Verhandlungen offiziell bis Ende 2015 (unrealistisch), danach würde ggf. Ratifizierungsverfahren beginnen. EU und BMWI haben Beratergremien aus Zivilgesellschaft gegründet allerdings: Anhörungsrechte ohne echte Mitbestimmung. Relative Stärke des Protestes führt zu sich steigernder öffentlicher Gegenkampagne der Befürworter, die mehr und mehr von aggressiven Tönen getragen wird. Besonders heikel: TTIP als living agreement im Rahmen eines Regulatory Councel/Board und regulatorische Kooperation.
Fazit Für das TTIP und die weiteren Freihandelsabkommen gibt es vor dem Hintergrund von Empirie und bekanntem Sachstand wenig überzeugende Argumente die Risiken sind hoch, der mögliche Nutzen ist selektiv und bestenfalls minimal. Als Frage bleibt deshalb, wie eine Handelsordnung als Grundlage der Weltwirtschaft mit den Grundsätzen von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Lebensgrundlagen versöhnt werden kann. Zugleich bietet die Debatte um das TTIP eine große Chance zur internationalen öffentlichen Diskussion über die Ausrichtung der internationalen Wirtschaftspolitik und der Globalisierung nutzen wir sie!