Gewaltdynamik in Paarbeziehungen. Dr. Heike Küken-Beckmann Institut für Rechtspsychologie Rhein-Main, Darmstadt

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Transkript:

Gewaltdynamik in Paarbeziehungen Dr. Heike Küken-Beckmann Institut für Rechtspsychologie Rhein-Main, Darmstadt

Gewalt zwischen Intimpartnern jedwede Form von ausgeführter oder angedrohter psychischer, physischer oder sexualisierter Gewalt in partnerschaftlichen Beziehungen (Baldry, 2002; Lamnek, Luedtke & Ottermann, 2006) kann von und ausgehen (Löbmann & Herbers, 2005; Straus, 1999; Swan & Snow, 2002) von circa 25% der und 23% der mindestens einmalig in Partnerschaften erlebt (BMFSFJ, 2007; BMFSFJ, 2008)

Paargewaltforschung Feministische Theorien (Straus, Gelles & Steinmetz, 1980; Walker, 1979) Psychopathologische Modelle (Dutton, 1995; Holzworth-Munroe & Stuart, 1994) Paardynamische Ansätze (Bartholomew & Allison, 2006; Feeney, 2003, Volger & Merbach, 2010) intradyadische Prozesse i.w. unterbeforscht (Dixon & Browne, 2003; Lamnek & Ottermann, 2004; Luedtke, 2008; Schwithal, 2005)

Modell der Erwachsenenbindung Geringe Vermeidung sicher ängstlich Geringe Angst Hohe Angst vermeidend ängstlich - vermeidend Hohe Vermeidung (Bartholomew & Horowitz, 1991)

Bindung und Paargewalt und zumeist ängstlich gebunden bzw. überdurchschnittliche Ausprägungen der Bindungsdimension Angst vor Trennung (Doumas, Pearson, Elgin & McKinley, 2008; Henderson, Bartholomew, Trinke & Kwong, 2005; Holzworth-Munroe, Stuart & Hutchinson, 1997) intradyadische Forderungs-/ Rückzugsmuster als Bindeglied (Allison, Bartholomew, Mayseless, & Dutton, 2008; Babcock, Jacobson, Gottman & Yerington, 2000)

Verlaufsstruktur von Paargewalt Spannungsaufbauphase Kampfbereitschaftsphase Honeymoon- Phase TäterIn / Opfer ( oder ) Explosion Verleugnungsphase Manipulationsphase Reue und Zuwendung durch TäterIn Peichl (2008)

Fragestellungen I) Formen der Partnerschaftsgewalt II) Partnerschaftliche Bindungen & intradyadische Forderungs-/ Rückzugsmuster III) Partnerschaftliche Interaktion & Gewaltdynamik im zeitlichen Verlauf

Untersuchungsdesign Befragung von N=30 und N=30 zu Gewalterfahrungen Fragebogenset: o Demographische Daten (DD) o Fragebogen zur Konfliktlösung in Partnerschaften (FKP) o Bindungsfragebogen für Partnerschaften (BinFB) Leitfadeninterview im Einzelsetting

Formen psychischer Gewalt (N=28) (N=30) Psychische Gewalt erlebt ausgeübt erlebt ausgeübt Kontakt verbieten 14 6 12 6 Gewalt androhen 4 19 23 5 Mit Verlassen drohen 26 15 11 24 Eifersüchtig reagieren 23 17 23 13 Beleidigen/ beschimpfen 23 27 29 17 Anschreien 28 28 29 22 Demütigen 19 13 25 7 Persönliche Sachen zerstören 11 6 19 6

Formen physischer Gewalt (N=28) (N=30) Physische Gewalt erlebt ausgeübt erlebt ausgeübt Treten 6 11 17 6 Würgen/ versuchen, zu ersticken 1 7 18 0 Stoßen/ wegschubsen 19 24 25 17 Beißen/ kratzen 13 1 8 8 Festhalten/ packen 12 21 24 3 Heftige Ohrfeige 6 17 19 5 Verprügeln 1 8 9 0

Formen sexualisierter Gewalt (N=28) (N=30) Sexualisierte Gewalt erlebt ausgeübt erlebt ausgeübt Äußerung sex. Anzüglichkeiten 4 0 10 1 Zwang, Pornographie anzuschauen 0 0 3 0 Zwang zu intimen Berührungen 0 0 9 0 Am Körper reiben 1 0 9 0 Betatschen/ intim berühren 1 0 11 1 Versuchte Vergewaltigung 0 8 Vollendete Vergewaltigung 0 5

Partnerschaftliche Bindungen

Forderungs-/ Rückzugsmuster Konfliktverhalten in Form antagonistischer Verhaltensmuster ( Forderung/ Rückzug und Forderung/ Rückzug) ich hatte ihn halt verbal immer wieder attackiert und hab ihn auch damit nicht in Ruhe gelassen, teilweise. [ ] Dann hab ich ihn festgehalten, hab ihn nicht weg gelassen, weil ich das ausdiskutieren wollte. Und da fühlte er sich dann wohl so in die Enge getrieben, dass er mich wegschupste, würgte, geohrfeigt hat. (TNw_53)

Partnerschaftliche Interaktionen vor den Auseinandersetzungen: angespannte Stimmung bei und beidseitig initiierte Konflikte über Kindererziehung & Familie und Eifersucht niedrige Beziehungszufriedenheit bei und Sie hat mich ausgelacht zum Beispiel, sie, mit Ironie, sehr geschickt, sehr, sehr, sehr, sehr provokatorisch. (TNm_43)

Partnerschaftliche Interaktionen nach den Auseinandersetzungen: alltägliches Miteinander mittlere Beziehungszufriedenheit bei, niedrige bei zwischen den Auseinandersetzungen: niedrige Beziehungszufriedenheit bei, inkongruent Bei uns ist diese Hass-Liebe. Seit letzten zwei Jahre ist so eine Hass-Liebe zwischen uns beide. Wir lieben uns, wie hassen uns. Und wir können allein nicht leben, geht nicht. Ja, also manchmal ist es extrem gut und manchmal extrem schlimm. (TNm_50)

Gewaltdynamik Zunahme oder Stagnation der Intensität zumeist Zunahme oder Stagnation der Häufigkeit mehrheitlich parallele Zunahme von Intensität und Häufigkeit angegebene Gründe: : Gegenwehr & Alkohol/ Drogenkonsum : Provokationen seitens Partnerin & Alkohol/ Drogenkonsum

Fazit und erleben und verüben Paargewalt, auch wenn schwerere Formen physischer Gewalt zeigen als Relevanz unsicherer partnerschaftlicher Bindungsrepräsentationen & antagonistischer intradyadischer Forderungs-/ Rückzugsmuster konflikthaftes partnerschaftliches Miteinander insbesondere in präeskalativen Phasen Gewaltdynamik primär durch Interaktion beider Partner bedingt

Praxistransfer Dyadischer Behandlungsansatz Fokussierung der therapeutischen Arbeit auf Beziehungsgeschehen Unterschiedliche Bedürfnisse nach Nähe und Distanz der Beziehungspartner in Gewaltbeziehungen

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt: Dr. Heike Küken-Beckmann Institut für Rechtspsychologie Rhein-Main www.ir2m.de kueken-beckmann@ir2m.de

4. Ergebnisse Bewertung der Intervention 37 % der Opfer und 17 % der Täter bewerten Konzept der gemeinsamen Betreuung positiv (mehrheitlich neutral) Und..aber ich find das nicht schlecht, dass auch die Täter betreut werden. Vielleicht kann man da manches mit retten. 22.09.2011 Fachbereich Humanwissenschaften Institut für Psychologie Dipl.-Psych. Heike Küken 20